Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Gil Blas, der den großen Herrn noch immer fortspielt, erhält Nachrichten von seiner Familie. Was diese auf ihn wirken. Wie er sich mit Fabrizen entzweyt.

Ich habe bereits gesagt, daß sich gemeiniglich alle Morgen bey mir ein großer Schwarm Leute befand, deren jeder sein Anliegen hatte; ich gab aber nicht zu, daß sie es mir mündlich entdecken durften. Der Hofetikette gemäß, oder vielmehr um den Mann von Wichtigkeit zu spielen, fordert' ich von einem jeden derselben ein unterthäniges Promemoria. Das hatt' ich mir so angewöhnt, daß ich einsmahls dem Eigner des Hauses, das ich bewohnte, auf seine Erinnerung, daß ich ihm ein halbes Jahr Miethzins schuldig wäre, die nähmliche Antwort gab. Was meinen Bäcker und Fleischer anlangt, so ersparten sie mir die Mühe, ihnen Promemorias abzufordern, indem sie mir selbige richtig alle Monathe allerunterthänigst überlieferten.

Scipio, der mich so gut kopirte, daß man sagen konnte, die Copie käme dem Originale sehr gleich, behandelte diejenigen, die durch seine Vermittelung von mir etwas zu erhalten suchten, auf dieselbe Art. 19

Ich hatte noch eine andre Lächerlichkeit an mir, über die ich eben so wenig eine Decke ziehen will: ich war Geck genug, von den größten Herren so zu sprechen, als wär' ich ihres Gleichen. Hatt' ich etwan des Herzogs von Alba, des Herzogs von Ossona, oder des Herzogs von Medina Sidonia, zu gedenken, so sagt' ich ohn' Umstände von Alba, von Ossona und Medina Sidonia. Mit Einem Worte, ich war so stolz und so eitel geworden, als ob ich nicht mehr der Sohn meines Vaters und meiner Mutter gewesen wäre.

Ah! arme Duenna, und armer Escudero! ich erkundigte mich nicht mehr, ob es Euch in Asturien glücklich oder unglücklich ging. Das kam mir gar nicht in den Sinn. Ich dachte ganz und gar nicht mehr an Euch. Der Hof hat die Eigenschaft des Flusses Lethe; er macht uns unsre Anverwandten und Freunde vergessen, wenn sie sich in schlechten Umständen befinden.

Sonach erinnert' ich mich meiner Angehörigen gar nicht mehr, als eines Morgens ein junger Mensch zu mir kam, der einen Augenblick insgeheim mit mir zu sprechen wünschte. Ich ließ ihn in mein Cabinet kommen, wo ich ihn, ohn' ihm einen Stuhl anzubiethen – denn er schien mir geringes Standes, – fragte: was er von mir wollte. Wie? Können Sie Sich nicht mehr auf mich besinnen, Sennor Gil Blas? 20 sagte er zu mir. So scharf ich ihn auch in's Auge faßte, sah' ich mich doch genöthigt, ihm zu antworten: seine Gesichtszüge wären mir völlig unbekannt. Ich bin Ihr Landsmann, erwiederte er, auch aus Oviedo bürtig und der Sohn von Bertrand Muscada, dem Würzkrämer, neben Ihrem Vetter, dem Kanonikus, an. Sie sind mir noch sehr bekannt wie'n Daus. Wir haben wohl zu Schockmahlen Gallina ciegaBlindekuh; wörtlich: Blindehenne. mit 'nander gespielt.

Ich kann mich meiner kindischen Zeitvertreibe nur sehr dunkel erinnern, gab ich ihm zur Antwort; die Geschäfte, worin ich nachher bin verwickelt worden, haben selbige fast ganz aus meinem Gedächtnisse getilgt.

Ich bin, sagte der junge Mensch, nach Madrid gekommen, um mit einem Correspondenten meines Vaters zusammenzurechnen. Da hab' ich von Ihnen reden hören. Sie hätten 'ne recht gute Nummer bey Hofe, hieß es, und wären schon so reich wie'n Jude. Nun das freut mich herzlich, und wenn ich wieder heimkomme, will ich selbst Ihren Anverwandten die gute Bothschaft bringen. Hu! die werden vor Freude darüber an die Decke springen.

Wohlstands halber mußt' ich mich erkundigen, in was für einem Zustand er meinen Vater und Mutter und Oheim hinterlassen 21 habe; ich that aber diese Pflichtfrage mit so vieler Kälte, daß der junge Würzkrämer eben nicht Ursache hatte, die Stärke der Natur zu bewundern. Meine Gleichgültigkeit gegen Personen, die mir so theuer seyn sollten, verdroß ihn nicht wenig, und da er ein freymüthiger und ungeschliffner Bursche war, so hielt er damit nicht hinterm Berge, sondern sagte zu mir:

Ich hätte doch gedacht, Ihre Blutsfreunde sollten Ihnen näher gehen, und Sie würden größre Stücke auf sie halten. Sich so kühl nach ihnen zu erkundigen, als wären sie Ihnen ganz wildstockfremd! Sie müssen sie wohl ganz rein vergessen haben! Wissen Sie, wie 's den guten Leuten geht? Ihre Aeltern sind noch immer in Diensten, und der brave Kanonicus Gil Perez ist alt und schwach, und wird 's wohl bald ausgemacht haben.

Man muß nicht solch steinernes Herz haben, blubberteBlubberte. Blubbern, ein schönes Niedersächsisches Klangwort. Man braucht es, wenn jemand in Affect gesetzt, mit schwerer Zunge Worte herauszurollen strebt, und dadurch etwas unvernehmlich wird. So wenigstens wird es im Magdeburgischen gebraucht. Flubbern, was Herr Campe hat und empfiehlt, bedeutet, mit geläufiger Zunge unbedachtsamerweise Reden ausstoßen. er weiter, und da Sie einmahl Ihren 22 Anverwandten Gutes thun können, so rath' ich Ihnen als ein guter Freund, schicken Sie ihren jährlich zweyhundert Pistolen. Sauer kann es Ihnen nicht im geringsten werden, und sie werden dadurch ein ruhiges und vergnügtes Leben führen.

Anstatt, daß mich das Gemählde, das er mir von meiner Familie machte, hätte rühren sollen, so fühlt' ich weiters nichts, als die Freyheit, die sich der junge Mensch nahm, mir ungebethen einen Rath ertheilen zu wollen. Hätt' er es geschickter angelegt, so würd' er mich vielleicht überredet haben, so aber brachte er mich nur durch seine plumpe Freymüthigkeit auf. Aus meiner mißvergnügten Miene, und ans meinem Stillschweigen konnt' er dieß wohl wahrnehmen, und da er mehr aus Boßheit, denn aus Mitleid im Levitenlesen gegen mich fortfuhr, riß mir die Geduld.

Ha! das ist zuviel! antwortete ich erzürnt. Kehren Sie nur vor Ihrer Thür, Herr Pfeffersack! Gehen Sie und rechnen Sie mit Ihres Vaters Correspondenten zusammen. Sie sind auch just der Mann, der mir über meine Pflichten den Text lesen muß. Ich weiß besser, was ich hierbey zu thun habe. Mit Endigung 23 dieser Worte stieß ich den Würzkrämer aus meinem Cabinet, und schickte ihn nach Oviedo zurück, um daselbst Ingwer und Nelken zu verkaufen.

Das, was er mir eben gesagt hatte, trat mir oft vor die Seele, und ich machte mir geheime Vorwürfe, daß ich ein abgeartetes Kind sey, und ward weich. Ich erinnerte mich all' der Sorgfalt, die man für meine Kindheit getragen, und all der, die man für meine Erziehung gehabt hatte; stellte mir die Pflichten gegen meine Aeltern vor, und nach diesen Betrachtungen erfolgten einige Aufwallungen der Dankbarkeit, die aber nichts halfen. Meine Undankbarkeit erstickte sie bald, und begrub sie in eine tiefe Vergessenheit. Wieviel Väter gibt es nicht, die dergleichen Kinder haben.

Geitz und Ehrsucht, die mich besaßen, änderten gänzlich mein Temperament. Ich verlor all' meine Munterkeit, ward zerstreut, tiefsinnig, kurz, ein ganz närrisches Geschöpf.

Als Fabriz wahrnahm, daß ich auf weiter nichts bedacht war, als Fortune'n Opfer zu bringen, mich ganz von ihm abgezogen fand, so kam er nur sehr sparsam zu mir. Er konnte sich sogar nicht enthalten, eines Tages zu mir zu sagen: Wahrlich, Gil Blas, ich kenne Dich nicht mehr. Eh' Du an den Hof kamst, warst Du immer frohes Muths, jetzt seh' ich Dich unaufhörlich in Unruhe. Du entwirfst 24 Projecte über Projecte, um Dich zu bereichern. Ueberdieß, darf ich Dir's wohl sagen? Jene Herzensergiessungen, jenes zwanglose Betragen, worin das Reitzende der Freundschaft besteht, alles das hat aufgehört; Du hüllst Dich dagegen in Dich selbst ein, und verbirgst mir das Innere Deiner Seele. Ich merke sogar den Höflichkeiten, die Du mir erweisest, Zwang an. Kurz, Gil Blas ist der Gil Blas nicht mehr, den ich sonst kannte.

Du scherzest ohne Zweifel, gab ich ihm mit ziemlich frostiger Miene zu Antwort. Ich werde an mir keine Veränderung gewahr. Das kann Dein Auge freylich nicht, versetzte er. Ein magischer Nebel bedeckt dasselbe. Glaub mir's, Deine Verwandlung ist nur allzugewiß. Sprich ganz offen, lieber Freund, leben wir wohl so wie sonst? Pocht' ich ehmahls an Deine Thür, so öffnetest Du mir selbst, öfter noch völlig schlaftrunken, und ich kam ohn' Umstände in Dein Zimmer. Jetzt, welch ein Unterschied! Du hast Bediente! Man läßt mich in Deinem Vorgemache warten, und meldet mich an, eh' ich mit Dir reden kann. Und alsdann wie empfängst Du mich? Mit frostiger Höflichkeit, und den großen Herrn spielend. Man sollte meinen, daß meine Besuche Dir lästig fielen. Glaubst Du, daß ein solcher Empfang einem Manne angenehm seyn kann, der Dich als seinen Kameraden gesehen hat. Nein, Santillana,. nein, 25 ich finde daran nicht das mindeste Behagen. Lebe wohl; wir wollen uns fein friedlich und schiedlich trennen. So werden wir beyde eine Bürde los, Du einen Sittenrichter, und ich einen sich mißkennenden Springinsgut.

Seine Vorwürfe erbitterten mich mehr, als sie mich rührten, und ich ließ ihn sich entfernen, ohne den geringsten Versuch zu machen, ihn zurückzuhalten. Mir schien in meiner damahligen Gemüthsstimmung die Freundschaft eines Poeten nicht kostbar genug, um mich über deren Verlust zu grämen. Ich tröstete mich hierüber gar leicht durch den Umgang mit einigen Königlichen Unterbedienten, an welche Gleichgestimmtheit mich seit Kurzem auf's engste band. Diese meine neuen Bekanntschaften waren meistentheils aus den Wolken gefallene Personen, denen ihr Glücksstern zu ihrem gegenwärtigen Posten verholfen hatte. Sie befanden sich bereits insgesammt in ziemlich guten Umständen; und da diese Elenden die Wohlthaten, womit die Güte des Königs sie überhäuft hatte, lediglich ihren Verdiensten zuschrieben, so vergaßen sie eben sowohl sich, als ich mich vergaß. Wir bildeten uns ein, Männer von großer Wichtigkeit zu seyn.

O Glück! so theilst Du öfter Deine Gunstbezeigungen aus! Der Stoiker Epictet hat ganz Recht, wenn er Dich mit einer edelgebornen Dirne vergleicht, die sich den Knechten überläßt. 26

 


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