Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Achtes Kapitel.

Was für Betrachtungen Gil Blas anstellte, eh' er einschlief. Er wird in seinem Schlummer gestört.

Ich dachte wenigstens zwey Stunden über das nach, was ich vom Tordesillas vernommen hatte. So bin ich denn hier, sagt' ich, weil ich zum Vergnügen des Kronerben beygetragen habe! Ein wahres Strudelkopfsstückchen, dergleichen Dienst einem so jungen Prinzen zu leisten. Denn bloß seine große Jugend macht mein ganzes Verbrechen aus; wär' er älter gewesen, so würde vielleicht der König über das gelacht haben, was ihn jetzt so sehr aufgebracht hat. Allein wer kann dem Monarchen diese Nachricht hinterbracht haben, ohne die Ahndung des Prinzen, noch die des Herzogs von Lerma zu besorgen? Ohne Zweifel wird dieser Minister seinen Neffen, den Grafen Lemos, rächen. Wie hat der König das entdecken können? Das begreif' ich nicht.

Dieser Gedanke kehrte immer wieder zurück. Indeß war unter den Vorstellungen, die sich mir aufdrangen, keine niederbeugender, 51 muthbenehmender, haftender als die: daß alle meine Sachen der Plünderung würden Preis gegeben worden seyn.

O meine Schatulle! mein theuers Geld! wo bist du? rief ich laut aus. Meine lieben Reichthümer, was ist aus Euch geworden? In was für Hände seyd Ihr gefallen? Ah! ich habe Euch in noch kürzrer Zeit verloren, als ich Euch gewonnen hatte.

Ich mahlte mir die Unordnung, die in meinem Hause herrschen mußte, mit den stärksten Farben, und stellte hierüber Betrachtungen an, deren eine noch immer trauriger war, als die andre. Diese Menge von bunt durcheinander sich wirrenden Vorstellungen, erschöpften alle meine Kräfte. Dieß bekam mir denn gar wohl; der Schlaf, der mich vorige Nacht geflohen hatte, streute nun seine Mohnkörner über mich aus. Das gute Bett, die erlittenen Beschwerlichkeiten und die Dünste vom Fleisch und Weine trugen das Ihrige dazu bey. Ich fiel in einen tiefen Schlaf, und allem Anscheine nach würde mich der Tag in diesem Zustande überrascht haben, wär' ich nicht durch ein in Gefängnissen ganz außerordentliches Getöne aufgeweckt worden. Ich hörte den Klang einer Guitarre und zugleich eine männliche Stimme. Ich lauschte und hörte nichts weiter, ich hielt es daher für einen Traum. Einen Augenblick hernach aber schlug der Schall des nähmlichen Instruments an mein 52 Ohr, und auch die nähmliche Stimme, die folgende Verse sang:

Ganze Jahre, reich an Glück,
Schwinden wie ein Augenblick;
Doch ein Tröpfchen herbes Leid
Gibt Minuten Ewigkeit.

Diese Strophe, die ausdrücklich für mich gemacht schien, fachte meinen Gram nur noch mehr an. Ich empfinde die Wahrheit dieser Worte nur mehr denn zu sehr, sagt' ich. Mir scheint die Zeit meines Wohlstandes nur allzuschnell verlaufen, und ich dünke mich bereits ein Jahrhundert im Gefängnisse. Ich sank wieder in ein grausenvolles Nachdenken, und ward von neuem ganz trostlos, gleichsam als wenn ich daran Behagen gefunden hätte. Mein Klagen und Wimmern endigte sich mit der Nacht, und die ersten Strahlen der Sonne, die meine Kammer erleuchtete, stillten meine Unruhe ein wenig.

Ich stand auf, ein Fenster zu öffnen, damit frische Luft in mein Stübchen käme; sah hinab in die vorliegende Gegend, von der mir der Castellan, wie ich mich erinnerte, eine so schöne Beschreibung gemacht, konnte aber nichts finden, wodurch sich selbige bestättigt hätte. Die Erema, die ich für so groß wie den Tajo hielt, schien mir ein bloßer Bach; Nesseln und Disteln prangten an ihrem blumenvollen Gestade und das vorgespiegelte wonnigliche Thalgefilde both meinem Auge nichts als 53 Ländereyen dar, die meistens brach lagen. Vermuthlich befand ich mich noch nicht in jener süßen Schwermuth, die mir die Dinge aus einem ganz andern Gesichtspuncte zeigen sollte, als aus dem ich sie jetzt sahe.

Ich begann mich anzukleiden, und war es bereits zur Hälfte, als Tordesillas mit einer alten Magd kam, die Hemden, Handtücher u. s. w. trug. Hier ist Wäsche, lieber Gil Blas, sagte er zu mir. Schonen sie selbige nicht. Ich werde dafür sorgen, daß es Ihnen daran nie fehlen soll.

Nun, fuhr er fort, wie haben Sie die Nacht hingebracht? Hat der Schlaf auf einige Augenblicke Ihren Kummer verscheucht?

»Vielleicht schlief' ich noch, hätte mich nicht eine Stimme, von einer Guitarre begleitet, aufgeweckt.«

»Der Störer Ihrer Ruhe ist ein Staatsgefangner, der sein Zimmer neben dem Ihrigen hat. Ein Ritter vom Calatraverorden; ein sehr liebenswürdiger Mann. Er heißt Don Gaston de Cogollos. Sie können Sich alle Beyde sehen, und mit einander speisen; sie werden wechselseitigen Trost und die angenehmste Zeitverkürzung in ihren Unterredungen finden.

Ich äußerte dem Don Andres, daß seine Erlaubniß, meinen Kummer in des Ritters seinen ergießen zu dürfen, mir äußerst angenehm sey, und da ich einige Sehnsucht blicken 54 ließ, diesen Unglücksgenossen kennen zu lernen, so befriedigte sie mein höflicher Castellan noch an eben dem Tage. Er machte, daß ich zu Mittage mit dem Don Gaston speiste, der mich durch seine Wohlgestalt und Schönheit erstaunte.

Schließen Sie hieraus, was es für ein Mann muß gewesen seyn, da er Augen blendete, welche die lieblichblühendste Hofjugend zu sehen gewohnt waren. Denken Sie Sich einen Mann, gemacht alle Herzen zu erobern; einen von jenen Romanhelden, die sich nur zeigen durften, um Prinzessinnen schlaflose Nächte zu machen. Dazu kam noch, daß die Natur, die gemeiniglich mit ihren Geschenken verschwenderisch ist, den Cogollos mit viel Geist und Tapferkeit ausgesteuert, kurz ihn in allem Betrachte zum Mann gemacht hatte.

So viel Behagen ich nun an diesem Ritter fand, so hatt' ich meiner Seits das Glück, ihm nicht zu mißfallen. Er sang des Nachts nicht mehr, aus Besorgniß mir lästig zu werden, so sehr ich ihn auch bath, sich meinetwegen nicht den geringsten Zwang anzuthun. Wie bald knüpft sich zwischen Unglücklichen ein Freundschaftsband. Gleich nach unserm Bekanntwerden entstand eine zärtliche Freundschaft zwischen uns, die von Tag zu Tage stärker wurde.

Die Freyheit, die wir hatten, uns zu sprechen, wenn es uns beliebte, war uns ungemein nützlich, indem wir uns durch unsre Gespräche 55 wechselseitig unser Unglück in Geduld tragen halfen.

Ich trat eines Nachmittages in seine Stube, eben als er im Begriffe war die Guitarre zu spielen. Um ihm gemächlicher zuzuhören, setzt' ich mich auf einen Schämel, das einzige Hausrathstück in seiner Stube, und nachdem er auf seinem Bettgestelle Platz genommen hatte, spielte er eine sehr rührende Arie. Dazu sang er ein Lied, das die Klagen eines durch die Grausamkeit seiner Geliebten zur Verzweiflung gebrachten Liebhabers enthielt.

Als er es gesungen hatte, sagt' ich lächelnd zu ihm: Eines dergleichen Liedchens werden Sie gewiß nie bedurft haben. Sie sind nicht dazu gemacht, die Frauenzimmer grausam zu finden.

»Doch! mein zu vortheilhaft urtheilender Freund, doch! Ein Beweis davon gibt das eben gehörte Lied. Ich hab' es für meine eigne Rechnung verfertigt; um ein Herz zu erweichen, das mir hart wie Demant schien, um eine Dame mildern Sinnes zu machen, die mir mit außerordentlicher Strenge begegnete. Ich muß Ihnen diese Geschichte erzählen, die zu gleicher Zeit die Geschichte meines Unglücks enthält.« 56

 


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