Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Wie's ihm im Kastell erging, und wie er hinter die Ursache seiner Verhaftung kam.

Man führte mich sogleich in ein Loch, woselbst man mich als den ärgsten Missethäter auf Stroh liegen ließ. Ich brachte diese Nacht nicht damit zu, daß ich trostlos jammerte, denn noch fühlt' ich nicht mein Elend in seinem ganzen Umfange. Ich sann hin und her, was wohl mein Unglück könne veranlaßt haben. Ich zweifelte nicht daran, daß es Calderone's Werk sey. Ob ich nun gleich diesen Mann in dem Verdacht hatte, alles entdeckt zu haben, so konnt' ich doch nicht herausbringen, wie er den Herzog von Lerma könne dahin gebracht haben, mir so grausam zu begegnen. Bald glaubt' ich, ich sey mit Unbewußt Sr. Excellenz in Haft genommen worden, bald dacht' ich, es wäre aus irgend einer politischen Ursache auf seinen Befehl geschehen, so wie es manchmahl Minister mit ihren Günstlingen zu machen pflegen. 43

Diese verschiedene Muthmaßungen durchstürmten mich heftig, als der durch das kleine Gitterfenster hereinbrechende Tag mir all' das Gräßliche meines jetzigen Aufenthalts entdeckte. Nunmehr war ich über die Maßen niedergeschlagen, und meine Augen wurden zwey Thränenquellen, die das Andenken an meine hinweggeschwundene Glückseligkeit unversiegbar machte.

Indeß ich meiner Betrübniß so völligen Lauf ließ, kam ein Gefangenwärter in mein Loch, und brachte mir ein Brot und einen Krug Wasser. Er sich mich an, und als er mein Gesicht in Thränen gebadet fand, so bekam er, ob wohl er Gefangenwärter war, einen Anstoß von Mitleid und sagte zu mir:

Lassen Sie nicht gleich den Muth sinken, Sennor Cavallero. So zu Herzen muß man sich's nicht gehen lassen, wenn einem gleich der Wind noch so rauh unter die Nase bläst. Sie sind noch jung, und es ist noch nicht aller Tage Abend. Lassen Sie Sich derweil des Königs Brot in gutem Gottesnahmen schmecken.

Mit diesen Worten verließ mich mein Tröster, dem ich mit nichts als mit Klagen und Wimmern geantwortet hatte. Den ganzen Tag über that ich nichts weiter, als mein Schicksal verfluchen, ohne daß es mir einfiel, mich über meinen Proviant zu machen, der mir nicht sowohl ein Merkmahl der Gütigkeit des Königs, als vielmehr seines Zorns schien, weil er mehr 44 zur Verlängerung als zur Linderung der Qualen der Unglücklichen dient.

Hierüber ward es Nacht, und bald darauf zog ein Schlüsselgeklirre meine Aufmerksamkeit an sich. Die Thür meines Lochs öffnete sich, und einen Augenblick nachher trat ein Mann mit einem Lichte herein. Er näherte sich mir und sagte:

Sie sehen hier einen von ihren alten Freunden, Sennor Gil Blas. Ich bin jener Andres Tordesillas, der zu der Zeit bey dem Erzbischof von Granada Kammerjunker war, als Sie bey demselben in hohen Gnaden standen. Sie ersuchten ihn, wenn Sie Sich's noch erinnern, mir eine Bedienung zu verschaffen, und er gab mir eine in Mexiko. Statt mich aber nach Westindien einzuschiffen, blieb ich in Alicante liegen, woselbst ich die Tochter eines Schloßhauptmanns heirathete, und durch verschiedene Abenteuer, die ich Ihnen nachher erzählen will, bin ich Oberaufseher des segovischen Castells geworden.

Ein Glück für Sie, setzte er hinzu, daß Sie in dem Manne, der den Auftrag hat, Ihnen übel zu begegnen, einen Freund finden, der nichts sparen wird, die Härte Ihrer Gefangenschaft zu mildern. Ich habe den ausdrücklichen, den geschärften Befehl, Sie mit Niemand reden, noch Ihnen weiter etwas reichen zu lassen, als Wasser und Brot. Doch außerdem, daß ich zu sehr 45 Mensch bin, als daß ich bey Ihrem Leiden nicht mitleiden sollte, haben Sie mir einen Dienst erwiesen, und meine Erkenntlichkeit überwiegt meine erhaltnen Befehle. Weit entfernt, ein Werkzeug der Grausamkeit abzugeben, die ich gegen Sie verüben soll, bin ich vielmehr gesonnen, Sie so gut als nur immer möglich, zu behandeln. Stehen Sie auf, und folgen Sie mir

Obgleich der Herr Castellan einige Danksagungen verdient hätte, so waren doch meine Sinnen zu zerrüttet, als daß ich nur ein Wort hervorzubringen vermochte; doch unterließ ich nicht ihm zu folgen. Wir gingen über einen Hof, und ich mußte eine sehr schmale Treppe nach einem Stübchen hinaufsteigen, das sich ganz oben im Thurm befand. Ich erstaunte nicht wenig, als ich beym Hereinreten auf einem Tische zwey brennende Lichter aus kupfernen Leuchtern, und zwey Teller nebst Zubehör erblickte.

In einem Augenblicke, sagte Tordesillas zu mir, soll das Essen da seyn. Wir wollen zusammen das Abendbrot nehmen. Dieß Stübchen hab' ich zu Ihrer Wohnung bestimmt. Sie werden Sich hier besser befinden, als in Ihrem Loche. Aus Ihrem Fenster können Sie das blumenvolle Gestade der Erema sehen, und jene wonnigliche Thalgefilde, die sich vom Fuße der Gebirge, welche die beyden Castilien von einander absondern, bis nach Coca hin erstrecken. 46

Ich zweifle gar nicht, fuhr er fort, daß anfänglich eine so schöne Aussicht wenig Eindruck auf Sie machen wird; wenn aber die Zeit der Lebhaftigkeit Ihres Schmerzens in sanfte Melancholie wird verwandelt haben, so werden Sie in der Betrachtung so anmuthiger Gegenstände unstreitig vieles Vergnügen empfinden. Daß es Ihnen an Wäsch' und an nichts fehlen soll, was ein Mann bedarf, der Reinlichkeit liebt, darauf können Sie rechnen. Ueberdieß werd' ich Ihnen ein gutes Bett, guten Tisch, und so viele Bücher verschaffen, als Sie nur verlangen; mit Einem Wort, so viele Bequemlichkeit, als nur ein Gefangner haben kann.

So höfliche Anerbiethungen gaben meiner zusammengeengten Brust wieder ein wenig Luft; beherzten mich wieder; ich stattete meinem Kerkermeister tausendfachen Dank ab, und sagte ihm: Ich würde sein edles Verfahren nie vergessen, und wünschte, wieder in einen Stand zu kommen, worin ich ihm meine Erkenntlichkeit bezeigen könnte. Und warum sollten Sie denn nicht wieder in einen solchen Stand kommen? gab er mir zur Antwort. Glauben Sie denn Ihre Freyheit auf immer verloren zu haben? Wenn Sie Sich das einbilden, so irren Sie Sich; und ich wag' es, Ihnen zu versichern, daß Sie mit einigen Monathen Gefängniß los kommen werden. 47

Was sagen Sie, Sennor Don Andres? rief ich. Wie es scheint, so ist Ihnen die Ursache meines Unglücks nicht unbekannt? Völlig bekannt, die Wahrheit zu sagen, versetzte er. Der Alguazil, der Sie hierher brachte, vertraute es mir als ein Geheimniß, das ich Ihnen wohl eröffnen kann. Der König, sagte er mir, sey dahinter gekommen, daß der Graf Lemos und Sie den Prinzen von Asturien des Nachts zu einer verdächtigen Dame geführt, und um sie dafür zu bestrafen, hab' er den Grafen in's Exil geschickt, und Sie auf das segovische Castell gesandt, um daselbst mit all' der Strenge behandelt zu werden, die Sie seit Ihrem Aufenthalte allhier bereits erlitten haben.

Wie mag denn das bis vor den König gekommen seyn? sagt' ich zu ihm. Den Umstand möcht' ich vor allen Dingen gern wissen. Und grade den hab' ich vom Alguazil nicht erfahren, gab er mir zur Antwort, vermuthlich wußt' er ihn selbst nicht. So weit waren wir in unserer Unterredung, als wir durch die Dazukunft verschiedener Aufwärter, welche die Abendmahlzeit brachten, unterbrochen wurden. Sie setzten Brot, zwey Gläser, zwey Flaschen, und drey große Schüsseln auf den Tisch; in einer der Letztern befand sich ein Hasenpfeffer mit vielen Zwiebeln, Oehl und Saffran, in einer andern eine Ollapodrida, und in der dritten ein 48 junges wälsches Huhn in einer Marmelade von BerengenaBerengena, »ein Kraut, welches häufig in Spanien wächst, und eine gurkenähnliche, zwey Zoll lange, bräunliche Saamenhülse trägt, die zu Rind- und Hammel-Fleisch gemeiniglich gekocht wird. Der lateinische Nahme ist Solanum pomiferum. Die Mohren sind große Liebhaber von diesem Kraute, das auch der Apfel der Liebe genannt wird.« – D. Uebers..

Als Tordesillas sahe, daß wir alles Benöthigte hatten, schickte er seine Leute zurück, weil er unsre Unterredung von ihnen nicht angehört haben wollte. Er schloß die Thür zu, und wir setzten uns Beyde nieder, einander gradüber. Wir wollen mit dem Nöthigsten den Anfang machen, sagte er zu mir. Nach zwey Fasttagen, denk' ich, wird es Ihnen nicht an Appetit fehlen.

Mit diesen Worten thürmte er Fleisch auf meinen Teller auf. Er bildete sich ein, mit einem ausgehungerten Magen zu thun zu haben, und hatte wirklich Ursache zu glauben, daß ich mir seine leckern Gerichte trefflich würde zu Gaumen gehen lassen. Nichts destoweniger täuscht' ich seine Erwartung. So sehr ich auch des Essens bedurfte, blieben mir doch die Bissen im Munde; mein Herz war über meinen jetzigen Zustand viel zu beklemmt. 49

Um die grausamen Bilder, die unaufhörlich vor meine Seele traten und sie niederbeugten, zu entfernen, ermahnte mich der Castellan zum Trinken, und rühmte mir die Trefflichkeit seines Weines vor. Alles vergeblich; hätt' er mir Nectar vorgesetzt, ich würd' ihn ohne Vergnügen getrunken haben. Er ward dieß gewahr, schlug deßhalb einen andern Weg ein, und erzählte mir die Geschichte seiner Verheirathung in einem muntern Tone.

Dieß glückte ihm noch weniger. Ich hörte seine Erzählung mit so vieler Zerstreuung an, daß ich nach deren Endigung nicht mehr wußte, was er gesagt hatte. Er merkte nun wohl, daß das zuviel unternehmen hieße, heut Abend meinen Herzenskummer ableiten zu wollen, deßhalb stand er, nachdem er abgegessen hatte, vom Tische auf, und sagte zu mir: Ich will Sie in Ihrer Ruhe nicht hindern, lieber Santillana, oder vielmehr Sie ungehindert Ihrem Unglücke nachdenken lassen. Von langer Dauer, sag' ich Ihnen nochmahls, kann es nicht seyn. Der König ist von Natur gut. Wenn sein Zorn vorüber seyn, und er sich die bedauernswürdige Verfassung vorstellen wird, worin er Sie glaubt, so werden Sie ihm bestraft genug scheinen.

Mit diesen Worten ging der Herr Castellan fort, und schickte seine Diener herauf, um abzutragen. Sie nahmen alles weg bis auf die 50 Lichter, und ich legte mich bey dem düstern Schein einer Wandlampe nieder.

 


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