Nikolaus Lenau
Gedichte
Nikolaus Lenau

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Heloise

(1838)

              Im Klostergarten steht ein steinern Bild,
Ein Kruzifix so ernst, versöhnungsmild.
Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,
Geht Schwester Heloise hin, zu beten.
Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme
Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:
»O Gott! nachdem du hast für uns gelitten,
Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,
Wird unglückliche Liebe noch gefunden?
Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?
Hilf! rette mich aus diesen Finsternissen
Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!
Nach Ihm, nach Ihm nur muß ich ewig schmachten,
O Gott! hier liegt mein Herz vor dir zerrissen!
Umsonst, daß ich empfing den frommen Schleier,
Daß ich zum strengen Orden mich bekannte,
Noch immer seh ich meinen süßen Freier,
Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.
Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;
Oft, wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,
War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte;
Kannst du mich trösten, daß ich ihn verloren?
Du kannst es nicht, muß zitternd ich bekennen,
Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,
Es muß mein Herz mit seiner letzten Kraft,
Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.
Und wenn ich das Verlorne und Versäumte,
Als hätt ich es, in süßen Nächten träumte,
Vergib, mein Gott! daß ich in meinen Schrecken,
Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,
Nach Truggestalten strecke meine Hände,
Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.
Verzeih, wenn ich oft knieend am Altare
Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,
Und daß in mir verlornes Mutterglück
Aufschreit: gib mir den Bräutigam zurück!
Im Mondlicht seh ich hier dein Antlitz schimmern,
Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;
Ich kam zu beten, doch im Windeshauch
Hör ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.
Ich bin so arm, verlassen und beraubt,
Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke
Dir bringen, Gott! als daß mein müdes Haupt
Ich hier zu deinem heilgen Kreuze senke,
Daß ich die Wange kühl' an deinem Steine,
Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.«

 


 


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