Nikolaus Lenau
Gedichte
Nikolaus Lenau

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Der Polenflüchtling

(1833)

                      Im quellenarmen Wüstenland
Arabischer Nomaden
Irrt, ohne Ziel und Vaterland,
Auf windverwehten Pfaden
Ein Polenheld und grollet still,
Daß noch sein Herz nicht brechen will.

Die Sonn auf ihn heruntersprüht
Die heißen Mittagsbrände,
Von ihrem Flammenkusse glüht
Das Schwert an seiner Lende.
Will wecken ihm den tapfern Stahl
Zur Racheglut der Sonnenstrahl?

Sein Leib neigt sich dem Boden zu
Mit dürstendem Ermatten;
Der sänke gern zu kühler Ruh
In seinen eignen Schatten,
Der tränke gern vor dürrer Glut
Schier seine eigne Tränenflut.

Doch solche Qual sein Herz nicht merkt,
Weils trägt ein tiefers Kränken.
Er schreitet fort, vom Schmerz gestärkt,
Vom Schlachtenangedenken.
Manchmal sein Mund Kosziusko! ruft,
Und träumend haut er in die Luft.

Als nun der Abend Kühlung bringt,
Steht er an grüner Stelle;
Ein süßes Lied des Mitleids singt
Entgegen ihm die Quelle,
Und säuselnd weht das Gras ihn an:
O schlummre hier, du armer Mann!

Er sinkt, er schläft. Der fremde Baum
Einflüstert ihn gelinde
In einen schönen Heldentraum;
Die Wellen und die Winde
Umrauschen ihn wie Schlachtengang,
Umrauschen ihn wie Siegsgesang.

Dort kommt im Osten voll und klar
Herauf des Mondes Schimmern;
Von einer Beduinenschar
Die blanken Säbel flimmern
Weithin im öden Mondrevier,
Der Wildnis nächtlich helle Zier.

Stets lauter tönt der Hufentanz
Von windverwandten Fliehern,
Die heißgejagt im Mondenglanz
Dem Quell entgegenwiehern.
Die Reiter rufen in die Nacht;
Doch nicht der Polenheld erwacht.

Sie lassen, frisch und froh gelaunt,
Die Ross' im Quelle trinken,
Und plötzlich schauen sie erstaunt
Ein Schwert im Grase blinken,
Und zitternd spielt das kühle Licht
Auf einem bleichen Angesicht.

Sie lagern um den Fremden stumm,
Ihn aufzuwecken bange:
Sie sehn der Narben Heiligtum
Auf blasser Stirn und Wange;
Dem Wüstensohn zu Herzen geht
Des Unglücks stille Majestät.

Dem schlafversunknen Helden naht,
Mit Schritten gastlich leise,
Ein alter, finsterer Nomad,
Und Labetrunk und Speise,
Das Beste, das er ihm erlas,
Stellt er ihm heimlich vor ins Gras,

Nimmt wieder seine Stelle dann. –
Noch starrt die stumme Runde
Den Bleichen an, ob auch verrann
Der Nacht schon manche Stunde;
Bis aus dem Schlummer fährt empor
Der Mann, ders Vaterland verlor.

Da grüßen sie den Fremden mild
Und singen ihm zu Ehre
Gesänge tief und schlachtenwild
Hinaus zur Wüstenleere.
Blutrache, nach der Väter Brauch,
Ist ihres Liedes heißer Hauch.

Wie faßt und schwingt sein Schwert der Held,
Der noch vom Traum berückte!
– Er steht auf Ostrolenkas Feld; –
Wie lauschet der Entzückte,
Vom stürmischen Gesang umweht!
Wie heiß sein Blick nach Feinden späht!

Doch nun der Pole schärfer lauscht,
Sinds fremde, fremde Töne;
Was ihn im Waffenglanz umrauscht,
Arabiens freie Söhne,
Auf die der Mond der Wüste scheint:
Da wirft er sich zur Erd – und weint.

 


 


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