Nikolaus Lenau
Gedichte
Nikolaus Lenau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Rose der Erinnerung

(1833)

            Als treulos ich das teure Land verließ,
Wo mir, wie nirgend sonst, die Freude blühte,
Mich selbst verstoßend aus dem Paradies
Voll Freundesliebe, holder Frauengüte;

Und als ich stand zum ernsten Scheidegruß
An meiner Freuden maiengrünem Saume,
Als mir im Auge quoll der Tränenguß
Wie warmer Regen nach dem Frühlingstraume:

Da bog sich mir zum Lebewohl herab
Der reichsten einer von den Blütenzweigen,
Der freundlich mir noch eine Rose gab;
Mein Herz verstand sein liebevolles Schweigen.

›Nicht in den Staub, o Freund, hier weine hin,
Hier auf die weichen Blätter dieser Rose!‹
Das war der stummen Gabe milder Sinn;
Und schmerzlich rasch folgt ich dem Wanderlose.

In fremde Welten fuhr mich der Pilot,
Vom teuren Lande trennen mich nun Meere;
Und wie mir einst das Lebewohl gebot,
Netz ich die Blume mit getreuer Zähre.

Der Rose inniglicher Duft entschwand,
Es ging die frische Farbenglut verbleichen;
Sie ruht so blaß und starr in meiner Hand,
Des Unverwelklichen ein welkes Zeichen.

Des Unverwelklichen? – sie rauscht so bang,
Will meine Hand die Rose wieder wecken;
Als wär es ein prophetisch trüber Klang,
Hör ich den Laut mit heimlichem Erschrecken.

O Rose der Erinnerung geweiht!
Mir dünket deiner welken Blätter Rauschen
Ein leises Schreiten der Vergänglichkeit,
Hörbar geworden plötzlich meinem Lauschen!

 


 


 << zurück weiter >>