Nikolaus Lenau
Gedichte
Nikolaus Lenau

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Glauben. Wissen. Handeln

Ein allegorischer Traum

(1829)

                          Schon ist der Berge Purpurglut verglommen,
Und zitternd flieht des Tages letzter Strahl
Der Nacht schon aus dem Wege. Sei willkommen,
O Dunkelheit, im ernsten Eichental! –
Hier zünd ich nachts mein Herz zum hellen Feuer
Des Schmerzes an und starre stumm hinein;
Und schwillt die Flamme, wird sie ungeheuer,
Ich steh dabei und starre stumm hinein.
Gelockt vom Scheine, schwirren dann in Scharen,
Wie Mücken auf der Lüfte lauer Flut,
Erinnerungen her aus fernen Jahren
Und werfen dürre Reiser in die Glut.
Sie singen mir, ums Feuer dicht gekauert,
Viel längstverklungne Melodien vor,
Wie einst gejubelt ich und wie getrauert,
Und wie der Seele Frieden ich verlor.
Sie singen mir von meinen Jugendträumen,
Wie mir das Leben einst so hold, so traut,
Umsäuselt von Hesperiens Blütenbäumen,
Entgegentrat als eine schöne Braut.
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umschlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entsprungen,
Flog mir ans Herz, das ihm entgegendrang.
Die schöne Braut gab mir die Hand zur Reise,
Und selig schritten wir und rasch dahin;
Wir sahn am Himmel goldne Wolken ziehn,
Voreilend trat die Freude uns die Gleise.
Wir wallten durch des Glaubens Paradiese,
Wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt,
Wo uns von ihm jed Blümchen auf der Wiese
Ein Liebeszeichen froh entgegenhält;
Wo die beschwingte Sehnsucht Philomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schwester, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unsrer Brust erwacht,
Erwacht und Gottes süßen Namen singt
Und aus der Brust zu ihm hinüberdringt. –
Wo der Sturm, ein trunkener Sänger Gottes, dahinbraust,
Mit fliegender Locke, mit rauschendem Nachtgewand,
Die Harfe schlagend, im feurigen Fluge dahinbraust
Durch Tal und Gebirg, durch Meer und Wüstensand.
Wie zwingt er die Donnerakkorde hervor aus den Saiten!
Wie sucht sein strahlender Blick nach Gott durch die Weiten!
Ihm hören die Wogen des Meeres berauscht und springen
Vom schaukelnden Schoße des Schlummers zu Gott empor
Und taumeln entzückt in die Arme sich und singen:
›Allmächtiger Gott!‹ im tausendstimmigen Chor;
Ihn hören die Berg', und seine gewaltigen Lieder,
Sie tönen von ihrem erschütterten Busen wieder;
Tief seufzen die Wälder und neigen ihr Angesicht,
Die Ufer fassen den Jubel der Ströme nicht,
Sehnsuchtergriffen, stürzen vom Fels sich herab
Die Tannen und suchen im Wonnetumult ihr Grab.
Des Sturmes Gesang durchtönt die glühende Wüste,
Der grimmige Leu, vom heiligen Klang umweht,
Läßt fahren die Beut, es schweigt sein blutig Gelüste,
Er flieht zur Höhl und zittert sein Gebet.
Dem Menschen entstürzt der Tränen seliger Schwall,
Und lauter ruft im Busen die Nachtigall. –
Doch zogen fort wir aus dem Paradiese,
Wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt,
Wo uns von ihm jed Blümchen auf der Wiese
Ein Liebeszeichen froh entgegenhält;
Wo eine Blum, aus allen Blumen ragend,
Prangt, hold umstrahlt vom ewgen Morgenlicht,
Die schönste Liebesblüte Gottes tragend,
Des toten Heilands lächelnd Angesicht.
Und in der Forschung Wälder trat, ein Tor, ich
Aus jenem gottbeseelten Paradies,
Und all des Herzens fromme Lust verlor ich,
Seit ich des Glaubens treue Spur verließ.
Im Labyrinthe floß in kargen Tropfen
Durchs Laubgewölb das Licht, Staubregen kaum;
Mich aber trieb mein Herz mit lautem Klopfen,
Zu suchen der Erkenntnis hohen Baum.
Scheu floh der Pfad die ungeweihten Tritte,
Entschlüpfend in des Dickichts wirre Nacht;
Doch hascht ich ihn, bis in des Waldes Mitte
Vor mir aufragt' in wunderbarer Pracht
Der Baum, nach dem mein lautes Herz sich sehnte,
Des Gliederbau sich rings in stolzem Drang
Unübersehbar in die Lüfte dehnte; –
Ich stand entzückt und lauscht erwartungsbang:
Da hört ich leise rätselhaftes Flüstern
Im dunkeln Laub, rasch flog von Ast zu Ast
Mein Blick empor und fragte jeden lüstern:
Trägst du vielleicht der Früchte süße Last?
Nun sah ich sie an hohen Zweigen blinken,
Und meine Seele seufzte heiß empor,
Der goldnen Frucht erquickend Süß zu trinken;
Da sprach es aus der Blätternacht hervor:
›Wohl siehst du hier die goldnen Früchte ragen;
Doch zarte, schwanke Zweige halten sie,
Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,
Drum klimme nicht, du pflückst die Früchte nie!‹
Und trauernd wandt ich meinen Schritt von dannen;
Rückfiel mein Blick auf meine liebe Braut,
Und meines Schmerzes erste Tränen rannen,
Als ich ins bleiche Antlitz ihr geschaut.
Am Fußgesträuch des Baumes blieb er hangen,
Der Schleier, der so lieblich sie umfangen,
Und ihr entsanken alle Reize, tot,
Wie, frostverhaucht, der Ros ihr welkes Rot.
»Zurück, zurück, mein Liebchen, laß uns fliehen«,
– So rief ich, – »wo die Wunderblume blüht!
Wir wollen fromm vor ihr im Staube knien,
Vielleicht, daß dort dein Auge wieder glüht,
Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,
Die Schönheit frisch auf deiner Wange keimt,
Die du verlorst am unheilvollen Strauche!«
Doch all der Trost war leider nur geträumt;
Denn wie wir auch im Labyrinthe suchten,
Wir fanden nimmermehr den Weg zurück. – –
Als wir entronnen endlich jenen Schluchten,
Hob sich ein stolzer Bau vor unserm Blick.
Eintraten wir in eine weite Halle:
Da trieb in lautem Wirbel ohne Rast
Ein Menschenschwarm herum, Wettkämpfer alle,
Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glast.
Dort saß erhöht in einer Nische, schweigend,
Ein Weib, ehrwürdiger Gestalt, und schien,
Ihr Haupt hinab zur lauten Bühne neigend,
Zu lauschen dem entbrannten Kampfesmühn.
Schnell lief durchs wirre Volk ein Jubelklang,
Und, sieh! ein Mann der Schlachten trat hervor,
Von Leichendunst hoch aufgebläht, und schwang
Zur Nische seinen Eichenkranz empor:
»Für dich, o Mutter, hab ich ihn gebrochen,
Und blutig bist, Germania, du gerochen!«
Doch hörte man die Frau kein Wörtchen sagen,
Als nähm sie's hin mit ruhigem Behagen.
Dann trat begeistert auf und feierlich
Ein Sängerchor und sang zum Harfenspiele:
»Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!«
Doch diese schwieg, ob solches ihr gefiele.
Zur Nische streckten viele noch die Arme,
Frohlockend: »Heil der großen Mutter, Heil!«
Und Zepter taucht' und Inful aus dem Schwarme,
Und klirrend tauchten Ketten auf und Beil.
Noch immer saß das Weib in stummer Spähe,
Da trat ich forschend zu in ihre Nähe:
Tot war sie, tot! – In ihrer Züge Schatten
Stand noch des Grames stille Siedelei,
Fort war die Seele zu den dunkeln Matten
Der Vorzeit, wo der Seelen heilge Drei
Nun irrt: die hohe Roma, stumm und düster,
Die schöne Hellas, bang mit Klaggeflüster,
Und, ihren Schwestern traulich sich vereinend,
Germania, die gute, leise weinend. – –
Das Schicksal ging nun finster mir vorüber,
Mit Majestät und Schrecken angetan,
Und winkte mir, zu wandern meine Bahn
Durch Heideland, verlaßner stets und trüber.
Und dir, mein Leben, warf zur stillen Feier
Den Gram das Schicksal um dein Angesicht,
Von ihm gewoben dir zum zweiten Schleier,
Der fester sich um deine Züge flicht.
Erst wenn wir uns zu seligem Vergessen
Hinlegen in das traute, dunkle Grab,
Löst er von deinem Angesicht sich ab
Und hängt sich an die säuselnden Zypressen.

 


 


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