Hans Leifhelm
Hahnenschrei
Hans Leifhelm

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Lärche in den Alpen

              Des Gebirgs Terrassen stieg ich empor,
Wo die Rune des Marmorgeäders verlief –
Die Gewässer entrauschen dem Felsentor,
Und im Schimmer versinken die Täler so tief,
Der Wald schwindet hin, verschrumpft und klein,
Und es grünen mit sturem Grase die Matten,
Wie der nackten Klippen smaragdene Schatten,
Rhododendron leuchtet am steinigen Rain.

Sieh den letzten Baum, sieh den Lärchenbaum,
Versprengt und verloren zu einsamer Rast,
Wie er steht im endlos blauenden Raum,
In den Boden gerammt wie ein ragender Mast,
Eines Schiffes Mast, das die Höhe befuhr
Mit glänzend geschwellten Gaffeln und Raaen,
Eines Schiffes, dem Sturmnot und Strandung geschahen,
Und es blieb nur des Mastbaums türmige Spur.

*   *   *              

Mit den vollen Segeln des Sommers bespannt
So steht er lebendig im starren Gestein,
In den Nebeln der Frühe, im Mittagbrand,
Ohne Schirm der Gefährten, für sich allein.
Es ragen die Steilwände hoch zum Kamm,
Und der irrende Wind fährt über die Kaare
Und tastet näher, als ob er gewahre,
Wie der Schatten kreist um den einsamen Stamm.

Und die Jahre gehen wie Nacht und Tag –
O die Zeit des Erwachens im drängenden März,
Die Lawinen donnern den Stundenschlag
Und wecken im Baum das schlafende Herz,
Das da langsam geht so wie Ebbe und Flut,
Das da lebt und pocht seit fünfhundert Jahren,
Von den brausenden Stimmen der Höhe umfahren,
Von der Öde umweht und umbrandet von Glut.

*   *   *              

Nun erblüht des Sommers flüchtiger Traum,
Und die grünen Wimpel am Baume wehn,
Von Licht umperlt wie von glitzerndem Schaum,
Wie wenn sie in leuchtender Flut sich drehn,
Und das taumelnde Heuschreckenvolk umspringt
Den Stamm mit irrem Gesang und Gegeige,
Gleich als ob ein Pygmäenschwarm entsteige
Dem Fels, wenn des Lichts Fanfare erklingt.

Und es sieht der Baum, in den Stein gebannt,
Wie die Züge der Wolken vorüberfliehn
Und leuchtend vergehen über dem Land,
Wie die Adler über die Grate ziehn,
Und er hört ein leises Echo verwehn
Ganz ferne in den verlorenen Schründen,
Wenn unter ihm in den tiefen Gründen
Die Glocken der Kühe verworren gehn.

Mit hundert Augen trinkt er das Licht,
Und er späht nach den Wundern, die droben geschehn,
Wenn im Lenz der Keim durch die Schneedecke bricht,
Wenn zag Soldanellenglöckchen wehn,
Wenn der Safran erblüht, wenn im Sommertau
Des Steinbrechs Stern im Gerölle flimmert,
Wenn wie träumender Blick des Gebirges schimmert
Der Enzian mit azurenem Blau.

*   *   *              

Das nimmt er mit in die Winterzeit,
Wenn er sinkt in den Schlaf, wenn der Berg erstarrt,
Wenn in ihm dann wandeln, wie Märchen gereiht,
Die Bilder des Traums, wenn er steht und harrt,
Daß ein Nebelschiff hersegle am Hang,
Daß er wieder als ragender Mast soll fahren
Inmitten der eilenden Wolkenscharen,
Wenn in Lüften orgelt des Sturmwinds Gesang.

 


 


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