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Epilog

Eine kleine Villa eines Stranddorfes, wo fast unmittelbar bis an die Küste die Pinien wachsen.

Veronika sitzt im Garten. Acht Tage Ruhe und Freude haben ihrem schönen Gesicht die alte Frische wiedergegeben und die bösen Erinnerungen verscheucht. Lächelnd betrachtet sie ihren Sohn, der ein wenig entfernt von ihr steht, Don Luis Perenna ausfragt und ihm zuhört. Sie schaut auch Stephan an, und beider Augen begegnen sich in einem sanften Blick.

An diesem Tage kam Don Luis unvermutet von Paris mit Patrice Belval zum Frühstück. Nun sitzen sie alle seit einer Stunde im Garten in ihren Schaukelstühlen.

Der Junge stellt fortwährend Fragen an seinen Retter. »Ja, wie haben Sie das nur gemacht? ... Wer hat Sie bloß auf die richtige Fährte gebracht? ...«

»Mein Liebling«, tadelte Veronika. »Du wirst Don Luis noch lästig fallen.«

»Nein, gnädige Frau,« antwortete Don Luis, indem er sich erhob, sich Veronika nähert und so leise zu ihr spricht, daß der Junge es nicht hört, »nein, Franz belästigt mich durchaus nicht und ich lege Wert darauf, auf seine Fragen zu antworten. Aber er bringt mich ein wenig in Verlegenheit und ich werde schließlich noch eine Ungeschicklichkeit begehen. Überlegen wir doch einmal: was weiß er denn eigentlich von diesem ganzen Drama.«

»Was ich selbst davon weiß, mit Ausnahme natürlich von Vorskis Namen.«

»Kennt er denn die Rolle, die Vorski in diesem Drama gespielt hat?«

»Ja, aber nicht im ganzen Umfange. Vorski ist ein entwichener Gefangener, der die Sagen über Sarek gesammelt und, um sich des Gottessteins zu bemächtigen, die darauf bezügliche Prophezeiung verwirklicht hat, die Franz natürlich auch nicht im vollen Umfange kennt.«

»Und Elfriedens Rolle? Ihr Haß gegen Sie? Die Drohungen, welche sie gegen Sie ausgestoßen hat?«

»Törichte Worte, deren Sinn, wie ich Franz sagte, ich selbst nicht recht begriffen habe.«

Don Luis lächelte:

»Die Erklärung ist ein wenig summarisch,« meinte er, »und ich denke mir, daß Franz sehr wohl begreift, daß einige Teile des Dramas unaufgeklärt bleiben müssen. Das Wesentlichste natürlich ist, daß er nicht erfährt, daß Vorski sein Vater war.«

»Er weiß es nicht und wird es nie erfahren.«

»Darauf wollte ich eben zu sprechen kommen. Welchen Namen soll nun Franz führen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Für wessen Sohn soll er sich halten? Vor den Gesetzen liegen doch die Dinge folgendermaßen: Franz Vorski, ebenso wie sein Großvater, kamen vor vierzehn Jahren bei einem Schiffbruch um. Der Vater Vorskis wurde vor einem Jahre von einem Kameraden ermordet. Vor den Gesetzen existiert weder der eine noch der andere.

Veronika wiegte lächelnd den Kopf.

»Ja, dann weiß ich wirklich nicht; die Angelegenheit scheint mir tatsächlich sehr verwirrt. Aber das wird sich ja alles ordnen.«

»Wieso das?«

»Weil Sie da sind.«

Er lächelte seinerseits:

»Eine Frau, die soviel gelitten hat, darf nicht weiter beunruhigt werden. Ich schlage Ihnen daher folgendes vor: Sie haben seinerzeit gegen den Willen Ihres Vaters einen entfernten Vetter geheiratet; dieser Vetter starb und hinterließ Ihnen einen Sohn Franz. Diesen Sohn hat Ihr Vater, um sich zu rächen, nach Sarek entführt. Mit dem Tode Ihres Vaters erlosch der Name Hergemont und nichts erinnert mehr an die Begebenheiten Ihrer Ehe.«

»Ja, aber mein Name bleibt doch. Vor dem Gesetze und im Register des Standesamtes heiße ich Veronika von Hergemont.«

»Ihr Mädchenname verschwindet hinter Ihrem Frauennamen.«

»Also hinter meinem Namen Vorski?«

»Nein, Sie haben ja nicht Herrn Vorski geheiratet, sondern einen Vetter namens ...«

»Namens? ...«

»Jean Maroux. Hier haben Sie die Abschrift Ihrer Heiratsurkunde mit Jean Maroux.«

Veronika sah Don Luis erstaunt an.

»Ja, wozu denn? ... Wozu dieser Name.«

»Damit Ihr Sohn nicht mehr Hergemont heiße, was ihn an die Geschehnisse von einst erinnern würde. Auch Vorski soll er nicht heißen, was die Erinnerung an einen Verräter wachrufen würde. Hier ist seine Geburtsurkunde: Franz Maroux.«

Sie wurde über und über rot und stammelte:

»Ja, warum haben Sie gerade diesen Namen gewählt?«

»Es schien mir ganz bequem zu sein für Franz, es ist der Familienname Stephans, mit dem jetzt Franz weiterleben wird. Man wird einfach sagen, Stephan war ein Verwandter Ihres Mannes und so wird Ihre Freundschaft nur erklärlich sein. Das ist mein Plan. Er bietet keinerlei Schwierigkeiten. Wenn man sich in einer so unlöslichen und schmerzlichen Lage befindet wie Sie, so muß man besondere Mittel anwenden. Das habe ich skrupellos getan, da ich über ausgezeichnete Verbindungen verfüge, die nicht jedermann zu Gebote stehen. Billigen Sie das?«

Veronika neigte den Kopf.

»Übrigens,« meinte er, »falls sich einige Unzuträglichkeiten ergeben sollten, so wird man sie in Zukunft leicht beheben. Es würde zum Beispiel genügen (es ist wohl nicht indiskret, wenn ich hier auf die Gefühle anspiele, die Stephan für Franzens Mutter empfindet), wenn eines Tages aus Vernunftsgründen, aus Dankbarkeit oder sonst welchen Motiven heraus, Franzens Mutter die Huldigungen Stephans freundlichst entgegennehmen würde. Und da wäre es doch sehr einfach, wenn Franz bereits den Namen Maroux führte. Es wollte mir scheinen, als wenn diese Gründe von einigem Belang wären, und ich freue mich, daß Sie meine Meinung teilen.«

Don Luis grüßte Veronika und ohne weiter in sie zu drängen, ohne auch nur ihre Verwirrung scheinbar zu bemerken, wandte er sich an Franz:

»Und jetzt zu dir, mein Junge.«

»Da du durchaus nichts unaufgeklärt lassen willst, so wollen wir auf den Gottesstein zurückkommen und auf den Banditen, der ihn begehrte. Jawohl, auf den Banditen,« wiederholte Don Luis, der keinerlei Rücksicht mehr nehmen und ganz offen sprechen wollte, »auf den schlimmsten Banditen, dem ich je begegnet bin und der ...«

»Was ich ganz und gar nicht verstehe,« entgegnete Franz, »ist, daß Sie die ganze Nacht gewartet haben, um ihn gefangen zu nehmen, damals als seine Komplizen und er unter dem Feendolmen schliefen.«

»Sehr gut, mein Kleiner, du hast den wundesten Punkt berührt. Hätte ich so gehandelt, so war das Drama zwölf oder fünfzehn Stunden früher zu Ende. Wärest du dann aber befreit worden? Würde der Bandit gesprochen und dein Versteck bekanntgegeben haben? Ich glaube nicht. Um ihm die Zunge zu lösen, mußte er erst klein gekriegt werden. Er mußte vor Angst fast verrückt werden, sonst wäre er stumm geblieben, und wir hätten dich nicht wiedergefunden. Sodann war aber auch in jenem Augenblicke mein Plan noch nicht ganz klar. Ich wußte noch nicht recht, was daraus werden sollte. Erst viel später fiel es mir ein, Vorski an den Baum zu binden, an dem er deine Mutter hat sterben lassen wollen. Im übrigen habe ich auch (das gestehe ich ganz offen) die kindische Absicht gehabt, zu sehen, wie sich dieser Sendbote des Schicksals dem alten Druiden gegenüber benehmen würde. Na, kurz und gut, ich wollte meinen Spaß haben. Was willst du? Das Abenteuer war so traurig, daß mir ein wenig Lustigkeit Not zu tun schien, und da habe ich dann auch tüchtig lachen müssen. Es war vielleicht ein Fehler von mir.«

Das Kind sagte: »Ich möchte noch zwei Sachen fragen.«

»Sprich!«

»Erstens der Ring: Woher kam der Ring, den Sie erst Mama und dann Elfriede an den Finger gesteckt haben?«

»Den habe ich mir in ein paar Minuten nachts selber aus einem alten mit farbigen Steinen besetzten Ring gemacht.«

»Ja, aber der Bandit hat ihn doch als den seiner Mutter erkannt?«

»Er glaubte, ihn zu erkennen, weil der Ring sehr ähnlich war.«

»Ja, aber woher wußten Sie die Geschichte von dem Ring?«

»Mein Gott, als er unter dem Feendolmen seinen Rausch ausschlief, da hat er so manches ausgeplaudert. Und außerdem erfuhr ich ja auch vielerlei von Elfriede. Du siehst also, die Sache war ziemlich einfach und schließlich kam mir auch das Glück zu Hilfe.«

»Nun aber meine letzte Frage«, meinte das Kind. »Wieso hat man denn an die Macht des Gottessteines geglaubt und worin beruhte denn eigentlich diese Macht?«

Bei dieser Frage des Kindes rückten Stephan und Patrice mit ihren Stühlen näher heran, und auch Veronika horchte auf.

Don Luis fing an zu lachen. »Erwarte nichts Sensationelles. Ein Geheimnis hat nur solange Wert, wie das Dunkel dauert, in das es gehüllt ist. Da wir nun aber das Dunkel zerstreut haben, brauche ich nur noch die nackte Tatsache zu erklären. Sie ist immerhin interessant und merkwürdig genug.«

Don Luis pflückte eine herrliche Rose von einem Strauch, dessen Zweige bis zu ihm hinreichten, und fragte Franz: »Ist es möglich, daß ich diese Rose, die schon an sich größer ist als sonst Rosen zu sein pflegen, in eine zweimal so große Blume verwandle und den Busch selbst in einen doppelt so hohen?«

»Nein, sicherlich nicht«, meinte Franz.

»Warum dann hast du und warum habt ihr alle geglaubt, daß Maguennoc ein solches Resultat erzielen könnte, indem er einfach an bestimmten Stellen der Insel und zu bestimmter Stunde Erde aushob. Das ist doch ein Wunder und ihr habt es unwillkürlich, ohne weiter nachzudenken, hingenommen.«

»Wir haben es hingenommen,« meinte Stephan, »weil wir selber Zeugen dieses Wunders waren.«

»Schön, aber ihr habt es doch als ein Wunder betrachtet, als ein Phänomen, das Maguennoc durch bestimmte, übernatürliche Mittel hervorrief. Ich dagegen kam zu der Überzeugung, daß Maguennoc kein Hexenmeister ist. Er hat einfach um den Kalvarienberg ein unkultiviertes Stück Land freigelegt und brauchte dort nur eine Schicht Humus hinzuschaffen, um das Wachsen anormaler Blumen zu erzielen. Unter dieser Schicht nämlich lag ja der Gottesstein, der schon im Mittelalter ungewöhnliche Pflanzen hervorsprießen ließ, und zur Zeit der Druiden Kranke heilte und Kinder wieder gesund machte.«

»Und eben deshalb,« warf Patrice ein, »haben wir es hier mit einem Wunder zu tun.«

»Mit einem Wunder, wenn man eine übernatürliche Erklärung dafür annimmt. Sobald man aber an einen natürlichen Vorgang denkt und physische Ursachen sucht und findet, ist's mit dem Wunder aus.«

»Dann also,« meinte Patrice ironisch, »gibt es einen Stein, der auf natürliche Weise Kranke heilen kann, und dieser Stein heißt der Gottesstein?«

»Es handelt sich nicht um einen einzigen besonderen Stein, sondern es gibt Steine, ganze Blöcke von Steinen, Felsen, Hügel, Berge, welche Erzlagerungen enthalten, Oxydate von Oran, Silber, Blei, Kupfer, Nickel, Kobalt usw. Unter diesen Metallen haben einige eine besondere Ausstrahlung und eigentümliche Eigenschaften, die man Radioaktivität nennt. Es sind Lagerungen von Pechblende, die man außer in Nordböhmen nirgends in Europa sonst findet, und die in der kleinen Stadt Joachimsthal gewonnen werden. Solche radioaktiven Stoffe sind das Oran, das Thorium, und in unserem besonderen Falle ...«

»Das Radium«, unterbrach Franz schnell.

»Richtig, mein Junge, das Radium. Radioaktivitätserscheinungen gibt es eigentlich überall, und man kann sagen, sie zeigen sich in der gesamten Natur wie zum Beispiel in der heilsamen Wirkung der Thermalquellen. Aber die eigentlichen radioaktiven Körper wie das Radium besitzen noch spezifischere Eigenschaften. Es steht zum Beispiel außer Zweifel, daß die Radiumstrahlen eine ähnliche Wirkung ausüben wie ein elektrischer Strom. In beiden Fällen wird durch die Reizung des Nährbodens die Pflanze zum Wachstum angeregt. Ebenso sind die Radiumstrahlen imstande, eine physiologische Wirkung auf das Zellengewebe auszuüben und dort mehr oder weniger große Veränderungen hervorzurufen, indem sie gewisse Zellen zerstören und andere Zellen wieder zur Entfaltung bringen. Die Radiotherapie verzeichnet Heilung oder Besserung in zahlreichen Fällen von Gicht, nervösen Störungen, Geschwüren, Ekzemen usw. Kurz und gut, das Radium ist ein therapeutisches Agens von greifbarer Wirkung.«

»So halten Sie also den Gottesstein«, meinte Stephan, »für ...«

»Ich halte den Gottesstein für einen Block aus Pechblende, der aus den Lagerungen von Joachimsthal herrührt. Ich kannte seit langem schon die böhmische Sage, die von einem wundertätigen Stein erzählt, der einst aus einem Hügel herausgebrochen wurde. Gelegentlich einer Reise habe ich sogar die Höhlung gesehen, die dieser Stein hinterlassen hat. Sie entspricht in ihren Dimensionen genau dem Gottesstein.«

»Aber«, warf Stephan wiederum ein. »Das Radium ist doch in dem Felsen nur in unendlich kleinen Quantitäten vorhanden. Bedenken Sie doch, daß eine Masse von 1400 Tonnen schließlich nur ein einziges Gramm Radium ergibt. Sie wollen nun eine so merkwürdige Wirkung einem Stein zuschreiben, der höchstens zwei Tonnen wiegt.«

»Die immerhin eine ganz beträchtliche Menge Radium enthalten. Die Natur hat nicht die Verpflichtung übernommen, mit dem Radium zu geizen. Sie hat ja in diesem Gottesstein soviel Kraft anhäufen können, um die offensichtlich außerordentlichen Phänomene hervorzubringen, die wir kennen ... dabei brauchen wir gar nicht an die Übertreibungen zu denken, die erst im Volksmunde entstanden sind.«

Stephan schien mehr und mehr überzeugt und sagte:

»Noch ein Letztes. Außer dem Gottesstein gibt es noch den kleinen Steinsplitter, den Maguennoc in dem bleiernen Szepter fand und bei dessen Berührung er sich die Hand verbrannte. Nach Ihrer Meinung hatten wir es also hier mit einem Körnchen Radium zu tun?«

»Unbestreitbar, und gerade hierdurch wird offenbar, daß das Radium bei diesem Abenteuer eine große Rolle gespielt haben muß. Als der große Physiker Henry Becquerel in seiner Westentasche eine Tube mit radiumhaltigem Salz hatte stecken lassen, entstand auf seiner Haut innerhalb weniger Tage eine Schwellung. Die Physikerin Frau Curie wiederholte das Experiment mit demselben Resultate. Bei Maguennoc muß der Fall viel schwerer gelegen haben, da er ja reines Radium in seiner Hand behalten hatte. Es bildete sich bei ihm eine krebsartige Wunde. Darüber war er um so mehr entsetzt, als er ja von dem Wunderstein soviel schon gehört hatte, der wie das Feuer der Hölle brennen und Leben oder Tod geben sollte. In seiner Angst hackte er sich die Hand ab.

»Mag sein,« meinte Stephan, »woher aber kommt das Körnchen reines Radium? Es kann doch nicht ein Splitter von dem Gottesstein sein, denn so reich ein Mineral auch sein möge, es enthält doch nicht Radium in einzelnen Körnern, sondern in löslicher Form und man kann es nur durch eine Reihe umständlicher Operationen gewinnen. All das erfordert ein ungeheures Material, Werkstätten, Laboratorien, Gelehrte, kurzum einen Stand der Zivilisation, der sich denn doch ein wenig von dem Zustande der Barbarei unterscheidet, in dem sich unsere Vorfahren, die alten Kelten, befanden.«

Don Luis lächelte und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter:

»Sehr gut, Stephan. Es freut mich zu sehen, daß der Lehrer und Freund unseres Franz ein hellblickender logischer Kopf ist. Der Einwand ist absolut richtig. Ich hatte anfangs dasselbe Bedenken. Ich könnte es nun mit Hilfe einer ziemlich einwandfreien Hypothese widerlegen. Ich könnte z. B. annehmen, daß Radium sich auf natürlichem Wege auslöst. Durch einen Granitspalt mit radiumhaltigem Erz könnte langsam Flußwasser geronnen sein, das unendlich kleine Radiumteile mit sich fortführte. Diese vereinigten sich dann später in einem engen Rinnsal und bildeten während Jahrhunderten in langsam verdampfenden Tropfen einen radiumhaltigen Stalaktiten, von dem dann irgendein keltischer Krieger ein Stück abgeschlagen haben mag ... Aber ist es denn nötig, so weit zu gehen und überhaupt zu einer Hypothese seine Zuflucht zu nehmen? Kann man sich nicht einfach auf den Geist der Natur und auf ihre unerschöpflichen Hilfsquellen verlassen? Ist es für sie wunderbarer, aus eigenen Mitteln Radiumkörner auszustreuen als eine Kirsche reifen oder diese Rose hier erblühen zu lassen ... oder endlich einem so kostbaren Wesen wie unserem Allesgut das Leben zu geben? Was sagst du dazu, mein kleiner Franz? Sind wir einig?«

»Wir sind immer einig«, antwortete der Junge.

»Also es tut dir nicht sehr leid, daß du um das Wunder des Gottessteins gekommen bist?«

»Ja, denn das Wunder ist doch nun einmal vorhanden.«

»Du hast recht, Franz, es ist vorhanden und es ist jetzt hundertmal so schön wie früher. Die Wissenschaft tötet die Wunder nicht, die Wissenschaft reinigt und adelt sie. Wie ist es zum Beispiel mit jener unbegreiflichen Macht, die sich an die Spitze einer Wünschelrute heftet und die in der unwissenden Phantasie eines Häuptlings oder eines Druiden alle möglichen abergläubischen Vorstellungen hervorbringt? Was ist es um die wohltätige, wunderbare Macht, die uns heute in einem Stäubchen Radium erscheint?«

Don Luis unterbrach sich und fing plötzlich zu lachen an.

»Da fange ich wirklich an, ein Loblied auf die Wissenschaft zu singen. Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau«, fügte er hinzu, indem er sich Veronika näherte. »Sagen Sie mir bitte, ob ich Sie nicht mit meinen Erklärungen gar zu sehr gelangweilt habe.«

Er setzte sich neben sie.

»Also, wir haben den Gottesstein erobert, das heißt, einen wirklichen Schatz. Was machen wir damit?«

Veronika geriet in sichtliche Erregung.

»Davon sei zwischen uns nicht mehr die Rede. Ich will nichts von all dem, was aus Sarek kommt, nichts von all dem, was man in der Abtei vorfindet. Wir werden arbeiten.«

»Die Abtei gehört Ihnen aber doch.«

»Nein, nein, Veronika von Hergemont existiert nicht mehr, und die Abtei gehört niemandem. Mag alles versteigert werden, ich will nichts von dem, was dieser verdammten Vergangenheit angehört.«

»Und wovon wollen Sie leben?«

»Wovon ich bisher lebte ... von meiner Hände Arbeit. Ich bin sicher, daß Franz damit einverstanden ist, nicht wahr, mein Liebling?«

Darauf wandte sie sich instinktiv zu Stephan, wie wenn dieser ein Recht hätte, auch seine Meinung zu sagen:

»Sind Sie auch einverstanden, lieber Freund?«

»Durchaus!«

Darauf sagte sie:

»Übrigens habe ich, wenn ich auch an der Liebe meines Vaters nicht zweifle, dennoch keinen Beweis, daß er in bezug auf mich eine letztwillige Verfügung getroffen hat.«

»Vielleicht habe ich diese Beweise«, sagte Don Luis.

»Wie denn?«

»Patrice und ich, wir sind nach Sarek zurückgekehrt. In einem Schreibtisch in Maguennocs Zimmer haben wir in einer Geheimschublade ein versiegeltes Paket ohne Adresse vorgefunden, das wir öffneten. Es enthielt Wertpapiere, die zwanzigtausend Franken Rente abwerfen. Auf dem Papier standen folgende Worte: ›Nach meinem Tode soll Maguennoc dieses Wertpapier Stephan Maroux aushändigen, dem ich meinen Enkel Franz anvertraue. Sobald Franz achtzehn Jahre alt sein wird, soll ihm das Wertpapier zu eigen gehören. Ich hoffe übrigens, daß er versuchen wird, seine Mutter ausfindig zu machen und daß diese für mich beten werde. Ich segne alle beide.‹ Hier sind die Papiere,« sagte Don Luis ... »und hier ist auch der Brief. Er ist vom Monat April dieses Jahres datiert.«

Veronika war sprachlos. Sie sah Don Luis an, und es kam ihr die Idee, daß vielleicht alles von diesem seltsamen Menschen nur erfunden sei, um sie und ihren Sohn sicherzustellen. Dieser Gedanke aber ging schnell vorüber. Im Grunde genommen war ja die Handlung Hergemonts ganz natürlich, der in Voraussicht der Schwierigkeiten, die nach seinem Tode entstehen könnten, billigerweise auch an seinen Enkel gedacht hatte. Sie sagte leise:

»Ich habe nicht das Recht, das auszuschlagen.«

»Sie haben um so weniger das Recht,« sagte Don Luis, »als dies eine Angelegenheit ist, die ja nicht direkt Sie angeht. Der letzte Wille Ihres Vaters bezieht sich vielmehr auf Franz und Stephan. Also wir sind auch über diesen Punkt einig. Bleibt nur noch der Gottesstein, und ich stelle von neuem die Frage: Wem gehört er?«

»Ihnen«, erklärte kurz und bündig Veronika.

»Mir?«

»Ihnen, denn Sie haben ihn entdeckt und ihm seine Bedeutung gegeben.«

»Ich muß Sie daran erinnern, daß dieser Block ohne Zweifel einen unberechenbaren Wert darstellt. Wie groß auch schließlich die Wunder seien, die die Natur hervorbringt, so ist es doch nur einem Zusammentreffen außerordentlicher Umstände zu verdanken, daß die Natur das Wunder hervorzubringen vermochte, soviel kostbare Materie in einem so kleinen Volumen anzuhäufen. In diesem Steine liegen wirklich unermeßliche Schätze.«

»Ausgezeichnet,« meinte Veronika, »Sie werden sie besser als irgendwer auszunützen verstehen.«

Don Luis überlegte einen Augenblick, dann sagte er lächelnd:

»Sie haben vollkommen recht, und ich gestehe unumwunden ein, daß ich diese Lösung erwartete. Erstens nämlich scheint mir mein Recht auf den Gottesstein hinlänglich begründet, dann aber brauche ich auch wirklich diesen Stein. Mein Gott, die Grabsteinplatte der Könige von Böhmen hat ja ihre magische Kraft noch nicht erschöpft, und es bleiben Völkerschaften genug, um an ihnen in demselben Maße wie an unseren Vorfahren, den Galliern, diese Macht auszuüben. Ich habe gerade ein Unternehmen vor, wo ich diese kostbare Hilfe sehr gut brauchen kann. Wenn in einem Jahre mein Vorhaben ausgeführt sein wird, werde ich den Gottesstein einem Laboratorium zum Geschenk machen, das zu gründen ich die Absicht habe. Auf diese Weise wird die Wissenschaft die Sünden wieder gutmachen, die der Gottesstein begangen hat, und die schreckliche Begebenheit von Sarek wird gesühnt sein. Sind Sie meiner Meinung, gnädige Frau?«

Sie streckte ihm die Hand hin. »Von ganzem Herzen.«

Ein langes Schweigen trat ein. Dann meinte Don Luis Perenna: »Ja, diese ganze Begebenheit ist unendlich schaurig.«

»Sprechen wir nicht mehr davon«, sagte Veronika mit zitternder Stimme.

Don Luis küßte die Hand der jungen Frau, dann nahm er Allesgut auf den Arm.

»Sie haben recht; sprechen wir nicht mehr davon, sonst setzt es Tränen, und Allesgut würde melancholisch werden. Allesgut, du prächtiges Tier, sprechen wir nicht mehr von diesem entsetzlichen Abenteuer. Aber an gewisse Einzelheiten, die hübsch und malerisch waren, dürfen wir uns wohl erinnern, nicht wahr, Allesgut? So zum Beispiel an den Garten Maguennocs mit den riesigen Blumen. Du erinnerst dich doch daran? Und dann an die Sage von dem Gottesstein, an das Heldengedicht keltischer Stämme, die mit der Grabplatte durch die Welt irrten, mit der vor Radium strotzenden Grabplatte ihrer Könige, von der unabläßlich wunderbar belebende Atome ausströmen. Darin liegt doch etwas Großes, nicht wahr, Allesgut? Schau, Allesgut, wenn ich ein Romanschreiber wäre und die Aufgabe hätte, die Geschichte der Insel mit den dreißig Särgen zu schreiben, so würde ich mich genau an die furchtbare Wahrheit halten. Ich würde dir eine Hauptrolle zuweisen. Ich würde auch die ganze Figur des Phrasendreschers Don Luis ausmerzen und dich zum unerschrockenen und schweigsamen Retter machen. Du würdest allein gegen das schreckliche Scheusal kämpfen; du würdest seine Ränke vereiteln, durch deinen wunderbaren Instinkt das Laster zunichte machen und der Tugend zum Triumph verhelfen! Und das wäre auch weit besser so, denn niemand anders als du, mein famoser Allesgut, wäre imstande, durch zwingende Beweise zu zeigen, daß im Leben schließlich doch alles gut geht ...«

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