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XIV. Der alte Druide

»Was gibt's denn?« rief der Greis. »Kann man denn in diesem Kasten nicht mehr nach Belieben ausruhen?«

Ein Lichtstrahl blendete ihn und erschreckt fuhr er fort: »Was ist das? Was soll denn das bedeuten?«

Vorski stellte die Laterne auf einen Mauervorsprung und das Gesicht des Greises war jetzt voll beleuchtet.

Der Greis machte seinem Unmut in unzusammenhängenden Klagelauten Luft, blickte dann seine Partner an, beruhigte sich aber allmählich. Ein Ausdruck des Lächelns zeigte sich sogar auf seinem Gesicht; er streckte die Hand aus und rief: »Ah, du bist es, Vorski? Wie geht es dir denn, alter Halunke?«

Durch Vorskis Körper ging es wie ein Ruck. Die Anrede »alter Halunke« schien ihm recht unangenehm zu sein.

»Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier?«

Da der andere nicht antwortete, so wiederholte er heftiger:

»So antworten Sie doch, wer sind Sie?«

»Wer ich bin?« versetzte der Greis mit heiserer, meckernder Stimme, »wer ich bin?« -- »Bei Teutates, dem Gott der Gallier, eine solche Frage richtest du an mich? Also du erkennst mich nicht?«

»Ich bin, wie man heutzutage sagen würde, bei den Trappisten eingetreten. Ich habe also mein Druidenexamen brillant bestanden, dann aber habe ich infolge einiger dummen Streiche ... oh, es war weiter nichts ... ich bin nur drei- oder viermal nach der Hauptstadt durchgebrannt, wo das Moulin Rouge mich lockte ... dann mußte ich hier diese kleine Stellung annehmen, einen Ruheposten, wie du siehst, als Wächter des Gottessteines.«

Das Staunen und die Unruhe Vorskis nahmen bei jedem Worte zu. Er beriet sich mit seinen Genossen.

»Schlagen Sie ihm den Schädel ein,« wiederholte Konrad, »das ist mein Vorschlag und ich bleibe dabei.«

»Und du, Otto?«

»Ich sage, man soll ihm nicht trauen.«

Aber der alte Druide hatte das Wort gehört. Er stützte sich auf seinen Stock, stand auf und rief:

»Was soll denn das heißen? Mir nicht trauen! Das ist doch stark. Mich nennt ihr einen Flausenmacher? Hast du denn nicht mein Beil gesehen und auf dem Stiel des Beiles das Zeichen des Kreuzes mit dem griechischen Gamma? He? Das Gammenkreuz, das authentische, kabbalistische Solarzeichen! Und das? Was ist das? (Er zeigte auf seinen Rosenkranz aus Seeigeln.) He? Was ist das? Etwa Hasendreck? Ihr seid mir die rechten Sch... Kerle! Schlangeneier Hasendreck zu nennen. Das sind die Eier, die die Schlangen aus dem Speichel und aus dem Schleim bilden, wenn ihre Körper sich mengen, und den sie dann zischend in die Luft spritzen. Das hat Plinius selbst gesagt. Du wirst doch nicht etwa Plinius einen Flausenmacher nennen, hoffe ich? Du bist mir der rechte Kunde. Mir nicht trauen, wo ich alle meine Diplome als alter Druide bei mir habe, alle meine Patente, Insiegel und Zeugnisse, die Plinius selbst unterzeichnet hat ...! So ein Sch... kerl. Solltest dir mal solche alten authentischen Druiden suchen, wie ich einer bin, mit der alten Patina und dem hundertjährigen Bart. Ich ein Flausenmacher! Ich, der ich alle Überlieferungen besitze und mit den Sitten vergangener Zeiten Fangball spiele! Willst du, daß ich einmal den alten Druidentanz tanze, wie ich ihn einstmals vor Julius Cäsar getanzt habe? Willst du?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, warf der Greis seinen Stock weg und fing an, phantastische Sprünge mit einer Behendigkeit auszuführen, die erstaunlich war. Besonders drollig war es, mit anzuschauen, wie er sprang und sich mit gekrümmtem Rücken und schlenkernden Armen herumdrehte, indem er bald das rechte, bald das linke Bein nach der Seite streckte, während sein Bart alle Bewegungen des Körpers mitmachte und seine meckernde Stimme die Namen der einzelnen Tänze verkündete:

» Der alte Druidentanz« oder » das Entzücken Julius Cäsars

»Holla ... der Tanz der heiligen Mistel, gemeiniglich genannt St. Veitstanz ... der Schlangeneiertanz mit Musik von Plinius. Holla, holla; die Vorska oder der Totentanz ... der Hymnus des alten Propheten. Halleluja! Halleluja! Ruhm dem Propheten.«

Einige Sekunden lang setzte er noch seine verteufelten Sprünge fort. Dann stand er plötzlich vor Vorski still und sagte ernst: »Genug geschwätzt! Sprechen wir ernst! ... Ich habe den Auftrag, dir den Gottesstein auszuhändigen ... bist du jetzt, da ich dich hoffentlich überzeugt habe, bereit, die Lieferung der Ware in Empfang zu nehmen?«

Die drei standen wie verdutzt da. Vorski wußte nicht, was er tun sollte, und war unfähig zu begreifen, was mit diesem verrückten Menschen los war.

»Lassen Sie mich in Ruhe!« rief er zornig aus. »Was wollen Sie eigentlich? Was ist Ihre Absicht?«

»Meine Absicht? Aber ich habe es dir ja eben gesagt, ich will dir den Gottesstein aushändigen.«

»Mit welchem Recht?«

Der alte Druide schüttelte den Kopf.

»Ah, ich begreife ... das geht wohl nicht so wie du glaubst. Du kamst eilig und glücklich hierher, stolz auf das vollendete Werk. Bedenke ein wenig: Futter für dreißig Särge, vier Frauen am Kreuz, Schiffbrüche, die Hände voll Blut, die Taschen voll Verbrechen. Das alles ist keine Kleinigkeit und du machtest dich auf einen imposanten Erfolg mit offizieller Zeremonie, mit feierlichem Pomp, mit alten Chören, mit Bardengesängen, Monstranzen, Menschenopfern, kurz und gut auf ein gallisches Spiel mit allen Schikanen gefaßt. Anstatt dessen findest du einen armen Teufel von Druiden vor, der in einer Kellerecke schnarcht und dir nüchtern seine Ware anbietet. Oh, welche Enttäuschung, vieledle Herren. Was willst du, Vorski? Man tut, was man kann, und jeder handelt, wie es ihm gegeben ist. Ich wühle nicht im Golde und habe bereits außer für Wäsche und weiße Kittel eintausenddreihundertundvierzig Franken für bengalisches Feuerwerk, Raketen und nächtliches Erdbeben ausgelegt.«

Vorski erbebte. Jetzt begriff er plötzlich. »Was sagen Sie da? Wie? Ist das wahr?«

»Natürlich, das war ich. Wer sollte es denn sonst gewesen sein, etwa der heilige Augustin? Oder hast du etwa an eine göttliche Intervention gedacht und geglaubt, daß gestern abend die Götter dir auf der Insel einen Erzengel mit weißem Kittel entgegengeschickt haben, um dich zur hohlen Eiche zu geleiten ...? Na, weißt du, du bist aber anspruchsvoll ...«

Vorski ballte die Fäuste. Das war also der weißgekleidete Mann, den er am Tage zuvor verfolgt hatte? Kein anderer war's gewesen, als dieser Betrüger?

»Ah,« brummte er, »ich habe es nicht gern, wenn man mich zum besten hat.«

»Dich zum besten haben«, rief der Greis. »Na, du bist gut, mein Junge. Wer hat mich denn wie ein wildes Tier vor sich hergetrieben, so daß mir der Atem ausging? Wer hat mir denn in meinen besten Kittel zwei Kugeln gejagt? Na, so ein Kunde! Das will mich Lebensart lehren!«

»Genug, genug«, stieß Vorski verzweifelt aus. »Genug, zum letzten Male: Was wollen Sie von mir?«

»Ich bemühe mich ja in einemfort, es dir zu sagen. Ich habe den Auftrag, dir den Gottesstein auszuhändigen.«

»Den Auftrag von wem?«

»Ja, das weiß ich wahrhaftig selber nicht. Ich habe immer die Idee gehabt, daß eines Tages auf Sarek ein gewisser Vorski erscheinen würde, der seine dreißig Opfer abschlachten würde und dem ich auf Verabredung ein Zeichen geben müßte, wenn sein dreißigstes Opfer den letzten Seufzer ausstieß. Als Sklave dieser Weisung habe ich mein Ränzlein geschnürt und bei einem Brester Kleinwarenhändler zwei bengalische Feuer für drei Franken fünfundsiebzig Centimes das Stück sowie einige Kanonenschläge gekauft, habe mich dann mit einer Lunte in der Hand auf meinen Beobachtungsposten begeben und abgewartet. Als du nun vom Baum herab dein Geheul ausstießest ›Sie ist tot, sie ist tot‹, habe ich geglaubt, das wäre der günstige Moment, habe mein bengalisches Feuer angezündet und mit meinen Kanonenschlägen die Eingeweide der Erde erbeben lassen.«

Mit erhobenen Fäusten stürzte Vorski auf ihn los. Diese Wortflut, dieses unerschütterliche Phlegma, diese ruhig höhnende Stimme, das alles brachte ihn zur Verzweiflung:

»Ein Wort noch, und ich bringe dich um«, schrie er. »Ich habe genug.«

»Heißt du Vorski?«

»Ja, und ...?«

»Hast du dreißig Opfer geschlachtet?«

»Ja, ja, ja!«

»Na also, dann bist du mein Mann. Ich habe dir einen Gottesstein auszuhändigen und werde ihn dir aushändigen, koste es was es wolle. Deshalb bin ich ja hier. Du sollst deinen Wunderstein in Empfang nehmen.«

»Ach was, ich pfeife auf den Wunderstein,« brüllte Vorski los, »und ich pfeife auch auf dich. Ich brauche niemanden. Den Gottesstein, den habe ich bereits. Er gehört mir, ich besitze ihn.«

»Laß sehen.«

»Was ist das hier?« rief Vorski und zog das kleine Kügelchen aus der Tasche, das er im Griff des Szepters gefunden hatte.

»Das?« fragte der Greis überrascht. »Wo hast du denn das aufgegabelt?«

»Im Griff des Szepters, das ich aufgeschraubt habe.«

»Und was soll das sein?«

»Ein Stück von dem Gottesstein.«

»Du bist ja verrückt.«

»Na, was ist es denn sonst nach deiner Meinung?«

»Das, ha, das ist ein Hosenknopf.«

»Was? Ein Hosenknopf? Der Beweis?«

»Ein Hosenknopf, wie ihn die Neger in der Sahara gebrauchen. Davon habe ich eine ganze Sammlung.«

»Den Beweis, zum Teufel!«

»Ich selbst habe ihn reingelegt.«

»Zu welchem Zweck?«

»Um den kostbaren Stein zu ersetzen, den Maguennoc gemaust hatte, und an dem er sich verbrannt hatte, so daß er sich die Hand abhacken mußte.«

Vorski schwieg. Ihm war ganz wirr im Kopf. Er wußte nicht mehr, was er tun und wie er sich zu dem seltsamen Gegner verhalten sollte.

Der alte Druide näherte sich ihm und sagte sanft in väterlichem Tone:

»Mein lieber Junge, du wirst ohne mich nicht mehr hier rauskommen. Ich allein habe den Schlüssel zum Schloß. Ich allein besitze das Geheimwort zum Schatz. Warum zögerst du?«

»Ich kenne Sie nicht.«

»Kindskopf! Wenn ich dir etwas Heikles vorschlüge, was sich mit deiner Ehre nicht vertrüge, so würde ich deine Bedenken begreifen. Aber mein Anerbieten kann das zarteste Gewissen nicht verletzen. Glaubst du mir das nicht? Bei Teutates, was für Beweise verlangst du denn noch, du ungläubiger Vorski? Vielleicht ein Wunder? Ja, mein Gott, warum hast du denn das nicht gleich gesagt! Wunder -- die gehen bei mir dreizehn aufs Dutzend. Jeden Morgen, wenn ich meinen Milchkaffee trinke, vollende ich mein kleines Wunder. Bedenke doch, ein Druide! Wunder? Davon habe ich ja die ganze Bude voll. Ich weiß schon nicht mehr, wo ich mich hinsetzen soll vor lauter Wundern. Was ziehst du vor? Abteilung: Auferstehung? Abteilung: Haarwuchs? Abteilung: Blick in die Zukunft? Brauchst nur zu wählen. Warte einmal: Um wieviel Uhr hat dein dreißigstes Opfer seinen letzten Atemzug getan?«

»Weiß ich nicht!«

»Elf Uhr zweiundfünfzig Minuten. Deine Erregung darüber war so stark, daß deine Uhr davon stehengeblieben ist. Sieh nach, bitte.«

Widerstrebend zog Vorski seine Uhr heraus. Sie zeigte elf Uhr zweiundfünfzig Minuten. Er versuchte sie aufzuziehen, die Feder war zerbrochen.

Ohne ihn zu Atem kommen zu lassen, fuhr der alte Druide fort: »Das bringt dich ganz aus dem Häuschen, wa? ... Nichts einfacher als das; und für einen Druiden, der auf der Höhe ist, eine kinderleichte Sache. Ein Druide sieht das Unsichtbare. Vorski, willst du etwas sehen, was nicht existiert? Wie ist dein Name? Ich meine jetzt nicht den Namen Vorski, sondern deinen wahren Namen, den Namen deines Herrn Papa.«

»Schweig davon«, befahl Vorski. »Das ist ein Geheimnis, das ich niemandem verraten habe.«

»Warum schreibst du es dann auf?«

»Ich habe es niemals geschrieben.«

»Vorski, der Name deines Vaters ist mit rotem Bleistift auf die vierzehnte Seite des kleinen Notizbuches geschrieben, das du bei dir trägst. Sieh nach.«

Mechanisch, wie ein Automat, dessen Bewegungen von einem fremden Willen geregelt sind, zog Vorski aus der Innentasche seiner Weste eine Brieftasche hervor, in der ein Block Papier lag. Er blätterte darin bis zur vierzehnten Seite. Dann rief er mit unbeschreiblichem Schrecken: »Wer hat das geschrieben? Kennen Sie ihn?«

»Soll ich es dir beweisen?«

»Schweigen Sie doch! Ich verbiete Ihnen ...«

»Wie du willst, mein Lieber. Ich tat es ja nur zu deiner Erbauung. Und das ist für mich ein Kinderspiel. Wenn ich einmal mit den Wundern angefangen habe, so kann ich gar nicht mehr aufhören. Noch eins. Eine spaßige Geschichte. Du trägst an deinem Halse unter dem Hemd an einem silbernen Kettchen ein Medaillon?«

»Ja«, erwiderte Vorski, dessen Augen fieberhaft glänzten.

»Dieses Medaillon bildet eine Art Rahmen, der jetzt leer ist und in dem einstmals eine Photographie steckte?«

»Ja, ja ... ein Bild, das ...«

»Deine Mutter darstellte, ich weiß es, du hast es verloren.«

»Ich habe es im vergangenen Jahre verloren.«

»Sag lieber, du glaubst das Bild verloren zu haben.«

»Na, wenn das Medaillon doch leer ist.«

»Du glaubst, daß es leer ist. Es ist nicht leer, sieh nach.«

Mechanisch wie vorhin und mit verglasten Augen öffnete Vorski sein Hemd und zog das Kettchen heraus. Das Medaillon kam zum Vorschein. In einem Goldreifen befand sich das Porträt einer Frau.

»Das ist sie, das ist sie!« murmelte er bestürzt.

»Kein Irrtum?«

»Nein.«

»Na, was sagst du dazu? Versteht der alte Druide seine Sache? Und wirst du ihm nun folgen?«

»Ja.«

Vorski war besiegt.

Dieser Mann bekam ihn unter. Seine abergläubischen Instinkte ... sein atavistischer Glaube an geheimnisvolle Mächte, seine unruhige, unstete Natur, alles zwang ihn zur Unterwerfung. Er war zwar immer noch mißtrauisch. Das hinderte ihn aber nicht zu gehorchen. Er fragte:

»Ist es weit?«

»Hier dicht nebenan in dem großen Saale.«

Otto und Konrad waren erstaunte Zeugen dieses Dialoges gewesen. Konrad versuchte zu protestieren, aber Vorski schloß ihm den Mund. »Wenn du Furcht hast, geh weg. Übrigens« -- (und diese letzten Worte sprach er mit einem gewissen Nachdruck) -- »Übrigens gehen wir mit dem Revolver in der Hand. Bei der geringsten Kleinigkeit gibt es Feuer.«

»Feuer auf mich?« spottete der alte Druide. »Na, warum gehst du nicht vorwärts?«

Er hatte sie bis ans Ende der Krypta, bis zu einer dunklen Stelle geführt, wo die Laterne ihnen einen Spalt am Fuße der Mauer zeigte, der in die Tiefen führte.

Nach einigem Zögern ging Vorski hinein. Er mußte auf Händen und Füßen durch einen engen, gewundenen Gang kriechen, durch den er einige Minuten später an die Schwelle eines großen Saales gelangte. Die anderen holten ihn dort ein. Der alte Druide erklärte feierlich:

»Der Saal des Gottessteins.«

Es war ein tiefer, mächtiger Raum, ähnlich der Terrasse, unter der er sich befand. Dieselbe Anzahl von Steinen, die Säulen eines alten Tempels zu sein schienen. Sie standen an derselben Stelle und waren genau so gestellt wie die Menhirs der Esplanade, roh gemeißelte Steine, die ohne künstlerische Absicht und Sinn für Symmetrie bearbeitet waren. Der Fußboden bestand aus rissigen, unregelmäßigen Fliesen, auf die von oben her in gewissen Zwischenräumen helle Lichtkreise fielen.

In der Mitte unter dem Garten Maguennocs erhob sich aus Bruchsteinen eine Richtstätte von vier bis fünf Meter Höhe. Darüber trug ein Dolmen mit stämmigen Beinen eine Granittafel in Form eines länglichen Ovals.

»Das ist er«, rief Vorski mit versagender Stimme.

Ohne darauf zu antworten, meinte der alte Druide:

»Was sagst du dazu? Unsere Vorfahren verstanden sich aufs Bauen? Und wie genial! Wie sie sich gegen indiskrete Blicke und gegen alle profane Neugierde zu schützen wußten. Weißt du, woher das Licht kommt? Wir sind doch mitten unter der Insel? Hier gibt es keine Fenster. Das Licht kommt von den Menhirs da oben, die der Länge nach durchbohrt sind, so daß ein Kanal, der durch sie hindurchgeht, das Licht hereinfluten läßt. Um die Mittagszeit, wenn die Sonne hoch steht, ist das wirklich feenhaft. Du als Künstler mußt doch geradezu entzückt davon sein.«

»Also es ist der Stein«, wiederholte Vorski.

»Auf alle Fälle ist es ein Heiligenstein,« sagte der alte Druide, »denn er beherrscht das ganze Gebiet der unterirdischen Opferstätte, die die wichtigste von allen ist. Oben freilich gibt es noch einen anderen Stein, der dem Dolmen vorgelagert ist und den du von hier aus nicht sehen kannst. Auf ihm schlachtete man die auserwählten Opfer. Das Blut floß von der Richtstätte hinab und ging durch alle diese Kanäle bis zu den Hängen und von da bis zum Meer.«

Vorski erkundigte sich immer aufgeregter. »Also er ist es? Gehen wir weiter!«

»Brauchst dich nicht zu rühren«, sagte der Alte mit unerschütterlicher Ruhe. »Der ist es noch nicht, es gibt einen dritten Stein, und du brauchst nur ein wenig den Kopf zu heben, um ihn zu sehen.«

»Wo? Sind Sie sicher, daß er es ist?«

»Na, so schau doch ... dort über der oberen Platte in der Wölbung, welche die Decke bildet und die ein Mosaik von großen Platten scheint ... du siehst doch von hier aus eine einzelne Platte, nicht? ... die genau so angebracht ist wie die untere Tafel und ebenso behauen ist ... man möchte sie zwei Schwestern nennen.«

Vorski war enttäuscht. Er hatte sich auf eine kompliziertere Erklärung gefaßt gemacht, auf ein geheimnisvolleres Versteck.

»Das ist der Gottesstein? Aber der hat ja gar nichts Besonderes an sich«, sagte er.

»Von weitem nein, aber in der Nähe; na, du wirst schon sehen ... er hat farbige Adern und rotgelbe Faserungen. Er ist von ganz besonderer Art ... kurz und gut, es ist der Gottesstein. Übrigens ist sein materieller Wert nicht so groß wie seine wunderbaren Eigenschaften.«

»Um was für Wunder handelt es sich?« fragte Vorski.

»Er gibt Tod oder Leben, wie du willst, und bewirkt noch eine ganze Menge anderer Dinge.«

»Was für Dinge?«

»Ja, weißt du, du fragst mich wirklich zu viel!«

»Wie? Sie wissen es selber nicht?«

Der alte Druide bückte sich zu ihm herab und sagte vertraulich:

»Hör mich mal an, lieber Vorski, ich gestand dir ja bereits, daß ich kein Seher bin und daß meine Rolle, obgleich sie als die eines Wächters des Gottessteins von ungeheurer Wichtigkeit ist, nur so eine Art Vorposten bedeutet und daß sie begrenzt wird durch eine Macht, die weiter reicht als meine.«

»Was für eine Macht?«

»Die Macht Velledas.«

Vorski sah ihn von neuem unruhig an: »Velleda?«

»So nenne ich sie wenigstens. Es ist die letzte Druidin; ihren wahren Namen kenne ich nicht.«

»Wo ist sie?«

»Hier!«

»Hier?«

»Ja, auf dem Opferstein. Sie schläft.«

»Wie, sie schläft?«

»Sie schläft seit Jahrhunderten, seit ewigen Zeiten. Ich habe sie überhaupt immer nur schlafend gesehen, einen keuschen, friedlichen Schlaf. Wie das schöne Dornröschen, so erwartet Velleda den, den die Götter senden werden, um sie zu wecken und zu befreien. Und dieser Befreier ...«

»Dieser Befreier ...?«

»Bist du, Vorski.«

Vorski zog die Augenbrauen hoch. Was war das doch für eine unwahrscheinliche Geschichte, und worauf wollte eigentlich der rätselhafte Mensch hinaus?

Der alte Druide fuhr fort: »Glaubst du etwa, weil deine Hände rot von Blut sind, weil du dreißig Särge auf dem Gewissen hast, glaubst du, daß du deshalb nicht dieser Märchenprinz sein kannst? Du bist zu bescheiden, mein Junge. Soll ich dir etwas sagen? Velleda ist wunderschön, aber von überirdischer Schönheit. Ah, mein Junge, du wirst bereits warm? Nein? Noch nicht?«

Vorski zögerte. Er fühlte, wie die Gefahr um ihn immer größer wurde und daß sie ihn wie eine Woge schließlich verschlingen würde. Aber der Greis ließ nicht locker:

»Noch ein Wort, Vorski. Ich spreche leise mit dir, damit deine Gefährten dich nicht hören. Als deine Mutter starb, hast du gemäß ihres letzten Willens an ihrem Zeigefinger einen Ring stecken lassen, den sie nie ablegte, einen magischen Ring, der aus einem großen Türkisen bestand, umgeben von kleinen goldgefaßten Türkisen. Täusche ich mich?«

»Nein,« hauchte Vorski verstört, »nein, aber ich war allein, und kein Mensch kennt dieses Geheimnis ...«

»Vorski, wenn nun dieser Ring sich an dem Zeigefinger Velledas befindet, wirst du dann Vertrauen zu mir haben und wirst du dann glauben, daß deine Mutter Velleda aus dem Grabe entsandt hatte, um dich zu empfangen und um dir selbst den Wunderstein auszuhändigen?

Schon ging Vorski auf den Grabhügel zu. Schnell stieg er die ersten Stufen empor. Sein Kopf ragte bereits über die Plattform hinaus.

»Ach,« rief er wankend, »der Ring ... der Ring ist an ihrem Finger!«

Zwischen den beiden Pfeilern des Dolmen lag auf dem Opferstein ausgestreckt und bis zu den Füßen mit einem sauberen Gewande bekleidet die Druidin.

Ihr Gesicht war der anderen Seite zugekehrt, und ein Schleier über der Stirn verbarg ihr Haar. Ihr schöner, fast nackter Arm hing von der Tafel herab, am Zeigefinger trug sie einen Türkisenring.

»Ist das wohl der Ring deiner Mutter?« fragte der alte Druide.

»Ja, das ist er.«

Vorski war eiligst durch den Raum geeilt, der ihn vom Dolmen trennte. Kniend betrachtete er nun die Türkisen.

»Die Zahl stimmt, und einer ist gespalten ... ein anderer ist zur Hälfte unter einem Goldblatt verborgen.«

»Brauchst nicht so leise zu sprechen,« sagte der Greis, »sie hört dich nicht, und deine Stimme kann sie nicht erwecken. Erhebe dich, und fahre ihr mit der Hand leicht über die Stirn. Dieses magnetische Streicheln wird sie aus ihrer Betäubung erwecken.«

Vorski erhob sich. Doch zögerte er, diese Frau zu berühren. Sie flößte ihm Furcht und zugleich die höchste Ehrfurcht ein.

»Kommt nicht näher, ihr beiden!« sagte der alte Druide zu Otto und Konrad. Die Augen Velledas, wenn sie sich öffnen, dürfen nur auf Vorski fallen und nichts anderes erblicken ... Nun, Vorski, hast du Furcht?«

»Ich habe keine Furcht.«

»Nur ist dir nicht ganz behaglich bei der Sache? Es ist wohl leichter zu morden als von den Toten zu erwecken, was? Vorwärts, immer vorwärts. Schieb den Schleier beiseite und berühre ihre Stirn. Der Stein Gottes ist in Reichweite. Handle, und du bist Herr der Welt.«

Vorski handelte. Gegen den Opferaltar gelehnt, sah er über die Druidin hinweg. Er bückte sich über sie. Das weiße Kleid hob und senkte sich noch im regelmäßigen Rhythmus ihres Atems. Mit unsicherer Hand schob er den Schleier beiseite. Dann bückte er sich noch tiefer, damit seine andere Hand die freie Stirn berühren konnte. Aber mitten in dieser Bewegung hielt er inne.

»Na, was denn, Dicker,« rief der Druide, »du stehst ja plötzlich wie versteinert! Was ist denn los? Stimmt etwas nicht? Soll ich dir helfen?«

Vorski antwortete nicht. Er stand da mit einem Ausdruck des Staunens und Schreckens, der allmählich in eine tolle Furcht überging. Schweißtropfen rannen von seinem Schädel. Seine stieren Augen schienen die schrecklichste aller Erscheinungen zu sehen. Der Greis schlug eine laute Lache an:

»Jesus Maria, wie häßlich du bist! Wenn nur die letzte Druidin ihre göttlichen Augenlider nicht aufschlägt und deine schreckliche Fratze bemerkt! Schlafe, schlafe, Velleda! Schlafe deinen traumlosen Schlaf.«

Vorski stammelte unzusammenhängende Worte. Blitzartig kam es wie eine Erleuchtung über ihn. Ein Wort drängte sich ihm auf die Lippen, das er jedoch nicht aussprach, als ob er Furcht hätte, einem Wesen Leben zu verleihen, das nicht mehr war, denn diese Frau war doch tot, obwohl sie atmete und sie mußte doch auch tot sein, da er sie getötet hatte. Schließlich aber stieß er doch zwei Worte hervor, und jede Silbe kostete ihn unendliche Mühe:

»Veronika ... Veronika! ...«

»Du findest also, daß sie ihr ähnlich sieht«, spottete der alte Druide. »Ja, du hast recht. Eine Familienähnlichkeit. Wie? Hättest du die andere nicht mit eigenen Händen ans Kreuz gebunden und nicht selbst ihren letzten Seufzer gehört, dann möchtest du wohl schwören, daß beide Frauen ein und dieselbe Person sind, daß Veronika von Hergemont lebt und nicht einmal verwundet ist. Ja, nicht einmal eine Schramme ist zu sehen, nicht einmal Schwielen von dem Strick um ihre Hände. Aber, sieh doch, Vorski, dieses friedliche Gesicht! Welche tröstende Heiterkeit, und auf Wort, ich glaube beinahe, du hast dich getäuscht und eine ganz andere Frau ans Kreuz geschlagen. Überleg doch einmal ... Nun, nun, nun? Was willst du denn von mir? Zu Hilfe, Teutates; der Prophet will mich kurz und klein schlagen.«

Vorski hatte sich wieder aufgerichtet und stand jetzt dem alten Druiden von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sein Antlitz war von Haß und Wut entstellt. Der alte Druide hatte ihn seit einer Stunde nicht nur zum Narren gehalten, sondern Vorski erkannte in ihm den unversöhnlichsten und furchtbarsten Feind. Eines solchen Menschen mußte er sich auf der Stelle entledigen, da sich die Gelegenheit dazu bot.

»Herrgott, schau mich nur nicht an, als ob du mich fressen wolltest. Mit welcher Sauce willst du mich verspeisen? ... Hilfe ... Mörder, willst du mich mit deinen eisernen Nägeln erwürgen oder ziehst du den Dolch oder den Strick vor? Ah, mit dem Revolver? ... Das ist mir auch lieber, es ist sauberer. Von sieben Kugeln haben ja bereits zwei meinen besten Kittel durchlöchert ... bleiben also noch fünf, also los!«

Jedes seiner Worte stachelte den Zorn Vorskis nur noch mehr an. Dieser hatte Eile, ein Ende zu machen und kommandierte:

»Otto ... Konrad ... seid ihr bereit?«

Er hob den Arm. Die beiden Gefährten richteten gleichfalls ihre Waffen auf ihn. Vier Schritte von ihnen entfernt, flehte der Greis lachend um Gnade.

»Aber liebe, gute Herren, habt doch Mitleid mit einem armen Teufel ... Ich will es ja auch nicht wieder tun ... Ich werde ganz artig sein, liebe, gute Herren.«

Vorski wiederholte:

»Otto, Konrad, aufgepaßt! Ich zähle eins ... zwei ... drei ... Feuer!«

Drei Schüsse knallten auf einmal.

Der Druide machte eine Drehung und fiel zu Boden, erhob sich wieder und rief mit klagender Stimme einem seiner Gegner zu:

»Getroffen! Durch und durch. Ein für allemal tot ... der alte Druide ist kaputt ... Schade um den alten Druiden, der so gern schwatzte.«

»Feuer!« brüllte Vorski. »Ja, so schieß doch, Dummkopf! Feuer!«

»Feuer, Feuer!« wiederholte der Druide! »Puff! Paff! Piff! Mitten ins Herz ... zweimal ins Herz ... dreimal ins Herz. Du bist dran, Konrad. Piff! Paff! Du bist dran, Otto, Piff! Paff!«

Die Schüsse krachten und hallten in dem großen Saale wieder. Die Komplizen sprangen vor ihrer Zielscheibe wie wahnsinnig hin und her, während der unverwundbare Greis bald zusammengekauert, bald in die Höhe springend, mit staunender Beweglichkeit tanzte und hopste.

»Teufel noch eins! Wie spaßig ist es doch hier in dieser Hölle und wie dumm bist du, mein guter Vorski. Geh, verdammter Prophet, geh! Nein, wie hast du das alles nur geschluckt: das bengalische Feuerwerk, die Kanonenschläge, den Hosenknopf, den Ring deiner alten Mutter! Kalbskopf!«

Vorski hörte auf zu schießen. Es war ihm klar, daß die drei Revolver heimlich entladen worden waren. Doch wie? Durch welch unerhörtes Wunder? Und was hatte das ganze phantastische Abenteuer zu bedeuten? Wer war der Dämon, der da vor ihm stand?

Er warf die nutzlos gewordene Waffe beiseite und betrachtete den Greis.

Wollte er ihn mit seinen Armen erdrosseln, erwürgen? Er betrachtete auch die Frau und wollte sich auf sie stürzen, aber er hatte offenbar nicht den Mut, länger diesen beiden seltsamen Wesen Trotz zu bieten, die außerhalb der Welt und der Wirklichkeit zu sein schienen.

Er machte plötzlich kehrt, rief seine Genossen und ging, von dem Gespött des Druiden verfolgt, durch die Grüfte zurück.

»Also du machst dich davon! Ja, was soll ich denn mit dem Gottesstein machen? Haha, läuft, als ob er Feuer im Hintern hätte! Hallo, hallo, leb wohl, Prophet!«


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