Johann Caspar Lavater
Von der Physiognomik
Johann Caspar Lavater

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XXI.
Augen.

Augen, die sehr groß, und zugleich äußerst blauhell, beynahe durchsichtig sind, wenn sie im Profil angesehen werden, sind von leichter und großer Capazität; aber zeigen zugleich äußerst empfindliche, schwer zu behandelnde, argwöhnische, eifersüchtige, sehr leicht gegen jemand einzunehmende Charakter an; auch sind sie von Natur, wie zur Wollust, so zur Ausforschungs-Begierde sehr geneigt.

XXII.
Augen.

Kleine, schwarze, hellfunkelnde Augen – unter starken, schwarzen Augbraunen – tiefliegend, bey spöttischem Lächeln; sind selten ohne Schlauheit, Tiefblick, Feinanstelligkeit; – sind sie ohne spöttischen Mund, so sind sie tiefsinnig kalt, Geschmackvoll, elegant, genau – und – mehr zum Geitz, als zur Generosität geneigt.

XXIII.
Augen.

Augen, die, im Profil anzusehen, mit dem Profil der Nase beynahe gleich laufen, ohne jedoch (à fleur de tête) vorzustehn, und unter den Augenliedern sich vorzudrängen – zeigen immer eine schwache Organisation, und wenn nicht entscheidende Gegenzüge sind, blöde Geisteskräfte.

XXIV.
Augen.

Augen, die keine Falten, oder sehr viele kleinliche, lange Falten werfen, wenn sie sich fröhlich oder liebend zeigen wollen, sind immer nur an kleinlichen, blöden, schwachmüthigen Charaktern, oder total Imbezilen zu sehen.

XXV.
Augen.

Augen mit langen, spitzen, besonders horizontalen Winkeln – das ist, solchen, die nicht abwärts gehen – mit dickhautigen Deckeln, welche den Augapfel halb zu bedecken scheinen, sind sanguinisch genialisch.

XXVI.
Augen.

Augen, die groß, offen, helldurchsichtig, unter parallelen, scharf gezeichneten Oberaugliedern schnell-beweglich funkeln, – haben sicherlich allemal fünf Eigenschaften –

Schnellen Scharfblick,

Eleganz und Geschmack,

Zornmüthigkeit,

Stolz, und

Furiose Weiberliebe.

XXVII.
Augen.

Augen mit schwachen, schmalen, kahlen Augbraunen, und sehr langen, hohlen Wimpern, zeigen – theils schwächliche Leibs-Disposition, theils phlegmatisch-melancholische Geistesschwäche.

XXVIII.
Augen.

Ruhend-kräftige, schnell-treffende, sanft-durchdringende, wolkigt-serene, schmachtende, schmelzende, langsam sich bewegende Augen; Augen, die hören, indem sie sehen, geniessen, schlürfen, ihren Gegenstand gleichsam mit sich selbst tingieren und kolorieren, ein Medium des wollüstigsten und geistigsten Genusses sind – sind nie sehr rund, nie ganz offen, nie tiefliegend, oder weit hervorstehend, nie stumpfwinklicht, oder abwärts spitzwinklicht.

XXIX.
Augen.

Tiefliegende, kleine, scharf-gezeichnete, glanzlose, blaue Augen unter einer beinernen, beynahe perpendikularen Stirn, die unten sich etwas tief einsenkt, obenher merklich vorwärts rundet – sind zwar nur an scharfsinnigen und klugen, doch meistentheils stolzen, argwöhnischen, harten und kaltherzigen Charaktern wahrzunehmen.

XXX.
Augen.

Wie mehr das obere Augenlied, die Haut unten über dem Augapfel, vorstehend und abgeschnitten scheint, den Augstern beschattet, oben sich unter den Augknochen zurückschiebt; desto mehr Geist, Feinsinn, Verliebsamkeit, genialischer Geschmack; treusinnige, beherzte, zuverläßige Delikatesse.

XXXI.
Augen.

Augen, die in dem Momente – da sie sich mit dem heiligsten Gegenstande der Adoration beschäftigen, nicht venerabel sind, nicht Ernst und Ehrfurcht einflößen, wenn sie unbemerkt bemerkt werden – werden nie Ansprüche weder auf Schönheit, noch Empfindsamkeit, noch Geistigkeit machen können. Traut ihnen nie! Sie können nicht lieben, nicht geliebet werden – Kein Gesichtszug voll Wahrheit und Kraft kann neben ihnen statt haben.

Und welches sind solche Augen? Unter andern – alle sehr weit hervorrollende, bey schiefen Lippen – alle tiefliegenden Kleinen, unter hohen, perpendikulären, hartknöchernen Stirnen – mit Schädeln, die von der Scheitel bis zum Haarwuchs steil abgehen.

XXXII.
Augen.

Augen, die den ganzen Stern, und über und unter dem Stern noch weißes zeigen – sind entweder in einem gespannten, unnatürlichen Zustande; oder finden sich nur an unruhigen, leidenschaftlichen, halbnärrischen, nie an ganz korrekten, reifen, gesundgeistigen, ganz zuverläßigen Menschen.

XXXIII.
Augen.

Gewisse, weit offene, vorrollende Augen bey faden Gesichtern sind eigensinnig ohne Standhaftigkeit, dumm mit Prätension von Weisheit, kalt, und wollen gern warm scheinen, und sind höchstens hitzig, ohne einwohnende Wärme.

XXXIV.
Augenbraun.

Eine nette, dichte, dachförmige, schattende Augbraun, an welcher keine wilde Auswüchse vorstehen, ist immer ein zuverläßiges Zeichen eines gesunden, männlich-reifen Verstandes; selten von originellem Genie; nie von volatiler, duftiger, amoroser Innigkeit und Geistigkeit.... Staatscabinets-Männer, Rathgeber, Planmacher, Prüfer, aber sehr selten kühne, fliegsame Wagegeister der ersten Größe.

XXXV.
Augenbraun.

Horizontale Augenbraunen, dicht, reich, nett – zeigen immer Verstand, Kälte des Herzens, planreichen Sinn. Wilde Augenbraunen sind nie an einem sanften, horchsamen, schmiegsamen Charakter.

Hoch über den Augen schwebende, kurze, dichte, unterbrochene, nicht lange, nicht breite – sind meistentheils bey Gedächtnißreichen, schlauen, schmiegsamen, frömmelnden Charaktern.

XXXVI.
Augenbraun.

Dichte, schwarze, starke, abwärtssinkende Augbraunen, die auf den Augen hart anzuliegen scheinen, tiefe, große Augen beschatten, und von einer scharf eingeschnittenen, ununterbrochenen, langen Wangenfalte, die bey der leisesten Bewegung Verachtung, Trotz, kalten Hohn zeigt, begleitet sind, und über sich eine sichtbar knöcherne Stirn haben – sind nur als Rathgeber – wenn man sich rächen, oder sich die Wolfslust des Wehethuns machen will, zu brauchen; sonst so ausweichend, wie möglich; und das Ausweichen so verbergend, wie möglich, zu behandeln.

XXXVII.
Nase.

Eine physiognomisch-gute Nase wiegt unaussprechlich viel in der Waage der Physiognomik – Sie kann durch nichts, was es sey, überwogen werden. Sie ist die Summe der Stirn, und die Wurzel des Untertheils des Gesichts. – Ohne zarte Beugungen, kleine Brüche, oder merkbare Schweifungen, giebt es keine physiognomisch-gute oder geistig-große Nase.

Ohne kleine Einsenkung, oder Vertiefung beym Uebergang der Stirn zur Nase – es sey dann, daß die Nase stark gebogen sey – denkt an keine physiognomische Größe der Nase.

XXXVIII.
Nase.

Sehr abwärts sinkende Nasen sind nie wahrhaft gut, wahrhaft froh, oder edel, oder groß. Immer sinnen sie Erdwärts, sind verschlossen, kalt, unherzlich, unmittheilsam, oft boshaft-witzig, übellaunig, oder tief hypochondrisch, oder melancholisch; obenher gebogen, furchtbar, wollüstig.

XXXIX.
Nase.

Nasen, die vornen etwas aufwärts gehen, und bey der Wurzel merklich vertieft sind, unter einer mehr perpendikulären, als zurücksinkenden Stirn – sind von Natur geneigt zur Wollust, Bequemlichkeit, Eifersucht, Eigensinn, dabey aber können sie feinsinnig, redlich, Gaabenreich, gutmüthig seyn.

XL.
Nase.

Nasen ohn' allen auffallenden Charakter, ohne Nüance, ohne Beugung, ohne Undulation, ohne einige angebliche Bezeichnung – können zwar bey vernünftigen, guten, allenfalls auch edeln Charaktern gefunden werden, nie bey großen und vorzüglichen.


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