Johann Caspar Lavater
Von der Physiognomik
Johann Caspar Lavater

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Zweyter Abschnitt.

Die Physiognomik ist keine eingebildete, sondern eine würkliche Wissenschaft.

Es ist der gemeine Gang aller menschlichen Dinge, daß ihr Misbrauch sie zuletzt ganz und gar verächtlich macht. Nichts mag vielleicht mehr gemisbraucht worden seyn, als die vorgegebene Kenntniß, den ganzen Charakter, ja wohl gar die künftigen Schicksale des Menschen betreffend; und daher vermuthlich ist die wahre Physiognomik selbst lächerlich, und den eingebildeten Wissenschaften beygezählt worden.

Allein das soll uns im mindesten nicht abschrecken, die Würklichkeit dieser Wissenschaft zu untersuchen. Doch wollen wir da uns ja nicht mit Autoritäten und Zeugnissen eines Salomons, Aristoteles, Bacons, Pernettis, Parsons oder Gellerts behelfen, sondern die Vernunft und die Erfahrung sollen gefraget werden; und sie allein sollen uns antworten.

Sagt uns die Vernunft nicht, daß jedes Ding in der Welt eine äußere und innere Seite habe, welche in einer genauen Beziehung gegen einander stehen? daß jedes Ding eben darum, weil es das und kein anders Ding ist, etwas an sich haben müsse, wodurch sein Unterschied von jedem andern erkannt werden kann?

Sagt sie uns nicht, daß, wenn überhaupt zwischen der Seele und dem Körper, dem Innern und Aeußerlichen des Menschen eine genaue Uebereinstimmung statt hat, die unendliche Verschiedenheit der Seelen oder des Innern der Menschen, nothwendig auch eine unendliche Verschiedenheit in ihrem Körper und ihrem Aeußerlichen zuwege bringen müsse?

Vorausgesetzt also, daß die Charaktere der Menschen in jedem Sinne verschieden seyn, so ist, nach dem Urtheile der Vernunft, zugleich vorausgesetzt, daß die unmittelbaren mit dem Charakter des Menschen verknüpften Aeußerlichkeiten verschieden seyn müssen. Also muß, wenn eine Verschiedenheit statt hat, dieselbe überhaupt erkennbar seyn; sie muß also der Gegenstand einer würklichen Wissenschaft werden können.

Fünf Silhouetten.
»Eine edle Gesellschaft; zwar nicht lauter Dichter. Aber – die Gesellschaft gefällt mir so wohl zusammen, daß ich sie nicht trennen möchte, und nicht anderswo, wie ich anfangs dachte, sondern gerade hier einrücken will –
Nicht Eine gemeine Seele.«
[1]Johann Martin Miller (1750-1814) [2] Matthias Claudius (1740-1815) [3] Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819)

Wenn in der Welt nichts ohne zureichenden Grund geschieht; wenn es unleugbar ist, daß jede, auch die geringste Würkung in der Natur eine mechanische Folge der allgemeinen Gesetze ist, denen ihr anbetenswürdiger Urheber dieselbe unterworfen hat; wenn hiemit alles sogenannte Willkührliche aus dem Gebiete der Philosophie und dem Reiche der Natur verbannet werden muß; so sehe ich nicht ein, wie der, der daran zweifelt, ob die Physiognomik eine würkliche Wissenschaft sey, das ist, zweifelt, ob die Verschiedenheit des innern Charakters der Menschen eine erkennbare Verschiedenheit in seinem Aeußerlichen mit sich führe, auf den Namen eines Philosophen oder Naturforschers den geringsten Anspruch machen könne. Es empört sich in der That der menschliche Verstand gegen einen Menschen, der behaupten könnte, daß Leibnitz oder Newton in dem Körper eines Stupiden, eines Menschen aus dem Tollhause, der große Metaphysiker oder Mathematiker hätte seyn können; daß der eine von ihnen im Schädel eines Lappen die Theodicee erdacht, und der andere im Kopfe eines Mohren, dessen Nase aufgedrückt, dessen Augen zum Kopfe heraus ragen, dessen Lippen, so aufgeworfen sie sind, kaum die Zähne bedecken, der allenthalben fleischicht und rund ist, die Planeten gewogen, und den Lichtstrahl gespaltet hätte.

Der gesunde menschliche Verstand empöret sich gegen einen Menschen, der im Ernst behaupten könnte: ein starker Mensch könne aussehen wie ein schwacher; ein vollkommen gesunder, wie ein vollkommen schwindsüchtiger; ein feuriger, wie ein sanfter, kaltblütiger. Er empört sich gegen einen Menschen, der behaupten könnte: Freude und Traurigkeit, Wollust und Schmerz, Liebe und Haß, hätten dieselben, das ist, gar keine Kennzeichen im Aeußerlichen des Menschen, und das behauptet der, der die Physiognomik ins Reich der eingebildeten Wissenschaften verbannet. Er verkehrt die Ordnung und die Verknüpfung der Dinge, wodurch sich die ewige Weisheit dem Verstande so preiswürdig macht.

Man kann es nicht genug sagen, das Willkührliche ist die Weisheit der Thoren, die Pest der gesunden Naturlehre, der Philosophie, und der Religion. Dies aus allen dreyen verbannen, ist das Werk der Weisheit und Wahrheit.

Lasset uns die Ungereimtheit dieses Willkührlichen in Absicht auf die Physiognomik noch mit einigen Beyspielen darthun. Laßt uns sehen, ob man nicht alle Vernunft mit Füßen trete, wenn man zwischen dem innern Charakter und dem äußerlichen Willkührlichkeit annimmt. Läßt sich nicht zum voraus aus der Vernunft sagen, daß ein krankes und blödes Auge ganz anders als ein gesundes und scharfes aussehen müsse? daß ein vollständiger physiologisch gesunder Körper seine natürlichen unmittelbaren Merkmale haben müsse? Muß nicht nothwendig ein Körper, dessen Gliedmaßen und Einrichtung nichts fehlet, ein andres Aeußerliches haben und darstellen, als ein physiologisch mangelhafter; muß es also nicht gewisse Kennzeichen geben, wodurch sich diese Verschiedenheit des Aeußerlichen bestimmen läßt? Erhellet also nicht daraus, daß der physiologische Charakter des Menschen aus seinem Aeußerlichen bestimmbar sey?

Ist es nicht ferner aus der Vernunft erweislich, daß ein melancholisches Geblüt nicht die Farbe des sanguinischen oder phlegmatischen haben könne? daß folglich die Leibesfarbe, welche größtentheils durch das Geblüt und die Säfte bestimmt wird, nach der verschiedenen Beschaffenheit derselben verschieden seyn müsse? Ist diese Verschiedenheit sinnlich oder erkennbar, so wird sie ein Gegenstand der Wissenschaft. Es gehört also nicht zu den eingebildeten Wissenschaften, den Temperamentscharakter des Menschen aus seinem Aeußerlichen zu bestimmen.

Der medicinische Charakter, das ist, die gegenwärtige zufällige Beschaffenheit unsers Körpers in Ansehung seiner Gesundheit, sollte die nicht ihre bestimmten, erkennbaren, und angeblichen Merkmale haben müssen? Kann man es nicht aus der Vernunft darthun, daß die Schwindsucht unserm Angesichte kraft ihrer Natur eine solche und solche Modification geben; daß die ausgetretene Galle die Haut und Augen so und so färben müsse? daß eine heftigere Wallung des Geblüts diese gegebene Farbe erwecke? Sind das blos willkührliche, oder in der Natur und dem unmittelbaren Zusammenhange des Aeußern und Innern gegründete Zeichen? Also ist es überhaupt keine blos eingebildete Wissenschaft, den medicinischen Charakter eines Menschen aus seinem Aeußerlichen zu bestimmen.

Der physische Charakter eines Menschen, oder seine Beschaffenheit in Ansehung der Stärke und Festigkeit überhaupt, muß ebenfalls, auch nur von vorne her zu schließen, seine eigenen bestimmbaren Merkmale haben. Wenn wir in unserm Leben keinen Menschen gesehen hätten, würde uns nicht die bloße Vernunft lehren, daß ein zarter, feiner Körper eines Jünglings ganz anders aussehen müsse, als ein fester robüster Körper eines Mannes? daß große, dicke, feste Knochen, eine rauhere und zähere Haut, nicht denselben Eindruck, wie zarte und weiche auf uns machen können? Also muß auch der physische Charakter des Menschen aus seinem Aeußerlichen überhaupt erkennbar seyn.

Wir gehen weiter zu dem intellectuellen Charakter, oder der Verstandes- und Geistesbeschaffenheit des Menschen. Wird uns nicht schon die bloße Vernunft auch in Ansehung dieser lehren, daß auch ihre Verschiedenheit ganz natürlicher und nothwendiger Weise eine Verschiedenheit in dem Aeußerlichen mit sich bringe? Wird sie uns nicht sagen, daß Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand, bey gleichen Nerven, gleichen Lebensgeistern, gleichen Säften, gleicher Beschaffenheit und Lage des Gehirns, unmöglich so verschieden seyn könnten, wie wir sie würklich unter den Menschen antreffen? Wird sie uns nicht sagen, daß bey einem solchen Gehirn, einer solchen Feinheit und Empfindlichkeit der Nerven die sinnlichen Eindrücke lebhafter, folglich das Gedächtniß, die Einbildungskraft, der Witz, und endlich der Verstand feiner seyn müsse, als bey einer ganz andern Constitution? Wird sie uns nicht sagen, daß die Verschiedenheit des Gehirns und seiner Lage nothwendiger und natürlicher Weise den Contour und Bau des anfangs weichen und faserichten Schädels bestimmen müsse? Daß die Verschiedenheit des Nervensaftes, der Lebensgeister, kurz desjenigen Vehiculi, welches die sinnlichen Wahrnehmungen von der Oberfläche des Körpers zum Mittelpunkte der Nerven bringt, auch eine Verschiedenheit in gewissen feinen Aeußerlichkeiten verursachen oder veranlassen könne?

Der moralische Charakter oder die sittliche Gemüthsbeschaffenheit des Menschen, sollte nicht auch diese, nach dem bloßen Urtheile der Vernunft, aus dem Aeußerlichen des Menschen erkennbar seyn? Sollte eine sanftmüthige, bescheidene, friedfertige Seele den Muskeln des Angesichts diejenige Wildheit, Strenge, Furchtbarkeit geben können, welche das Gesicht eines rohen, harten, zornigen, und unerbittlichen Menschen verunstalten? Ist es nicht, wenn es auch keine Erfahrung bestätigte, für die bloße Vernunft schon zum voraus, wo nicht gewiß, doch äußerst wahrscheinlich, daß der moralische Charakter eines Menschen großentheils von dem physischen im weitern Verstande, und von seinem intellectuellen Charakter abhange; daß folglich, wenn diese, die Prämissen, aus dem Aeußerlichen erkennbar sind, auch der moralische zugleich mit aus eben diesem Aeußerlichen erkennbar seyn könne und müsse?

Der habituelle Charakter, das ist, diejenigen Modificationen, die sich durch öftere Wiederholungen derselben Bewegungen, dem Aeußerlichen eines Menschen angehängt oder aufgedrückt haben, müssen die nicht wiederum nothwendige und natürliche Folgen gewisser Bestrebungen, Gesinnungen, und Situationen der Seele seyn? Ist es nicht schon, für die bloße Vernunft, im höchsten Grade wahrscheinlich, daß die Wiederholung gewisser Bewegungen der Muskeln, welche Bewegungen mit gewissen Affecten oder Gemüthszuständen unzertrennlich verknüpft sind, endlich eine solche Falte, eine solche Merkbarkeit verursachen müssen, welche leicht ein Gegenstand der Wissenschaft werden können?

25. Frauenspersonen.
»Wenn unter diesen Gesichtern allen ein außerordentliches ist, so ist's 11. vielleicht 22. und durch den mittleren Theil des Gesichts 8. Häusliche Treue und Geschäfftigkeit im kleinen Zirkel, in der Küche und auf dem Estrich haben 1, 2, 3, 4, 5, 10, 13, 15, 25. in der Stube 17. im Waschhause 21. Herzgute hausmütterliche Mädchen frohen Sinnes, leichter, munterer Bewegung sind 7 und 9, 12, 14, 16. Etwas ernsthafter, bedächtlicher 19, 20. trockner 6. witziger 24. galant und theatralisch 18, 23.


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