Friedrich Christian Laukhard
Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale – Band II
Friedrich Christian Laukhard

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Sechzehntes Kapitel.

Mein Dienst bei den Sansculotten. – Collot d'Herbois. – Marsch nach Vienne. – Neufränkische Marschordnung. – Pontius Pilatus. – Empfang der Vienner Bürger. – Nach Grenoble. – Nachtlager in einem Beinhaus. – Abschied von den Sansculotten. – Avignon.– Der päpstliche Palast als Bordell. – Indische und christliche Galgen. – Der Volkshaß gegen den Adel. – Die piemontesischen Gefangenen. – Abschied von Avignon.

Es war mir leicht, die Gunst aller meiner Kameraden zu erwerben, sowohl der Offiziere, als der Gemeinen, denn die heißen alle Kameraden oder Brüder. Ich tat alles, was sie taten, schwadronierte wie sie, lief herum wie sie, trank wie sie, schimpfte auf Aristokraten und Pfaffen wie sie und war also in allen Stücken gerade wie sie. Mein Dienst erstreckte sich, solange wir in Lyon waren, bloß auf das Patrouillieren und zur Guillotine ziehen, um welche wir täglich, nachmittags um zwei Uhr, einen Kreis schließen mußten. Vor dem traurigen Spektakel schauderte ich wohl anfangs zurück, konnte aber hernach es gleichgültig oder doch ohne Zuckungen betrachten.

Einer von den Repräsentanten, welche damals in Lyon das schreckliche Amt, die Empörer zu strafen, ausübten, war der in ganz Europa bekannte Collot d'Herbois. Von diesem Mann habe ich in Lyon eben nichts Vorteilhaftes, doch auch nichts Nachteiliges reden hören. Aber nach meiner Rücklehr nach Deutschland habe ich erfahren, d'Herbois sei Komödiant gewesen und habe ehedem in Lyon gespielt, wo man seine elende Aktion brav ausgezischt habe. Nachher sei er Mitglied des Nationalkonvents geworden und habe die Bestrafung der Lyoner übernommen, vorzüglich, um sich wegen des ihm auf dem Theater in dieser Stadt wiederfahrenen Schimpfes zu rächen.

Ich kann nicht sagen, ob diese Theatergeschichte begründet sei, doch scheint es mir eben nicht sehr. In Lyon selbst habe ich nichts davon gehört, und dort war man eben nicht gewohnt, von den Volksrepräsentanten mit Schonung zu sprechen. Es gibt dergleichen Anekdoten mehr! So soll z. B. Robespierre ein naher Verwandter des im Jahre 1757 zu Paris hingerichteten Attentäters Franz Damiens gewesen sein und eben wegen dieser Hinrichtung die Bourbonen so sehr gehaßt haben. Es gibt überhaupt keinen Mann, der sich bei der jetzigen Revolution ausgezeichnet hat, dem man in den deutschen Zeitungen und Annalen nicht etwas anhinge. Und wenn man ja weiter nichts weiß, so sprengt man aus, General Pichegru sei doch nur eines Bauern Sohn, General Hoche ein Handwerker von Profession, General Lefebvre ein uneheliches Kind usw. Aber da Pichegru, Hoche und Lefebvre bewiesen haben, daß Bauernsöhne, Handwerker und Hurkinder große Helden werden können, welche Hochgeborene Durchlauchtigste, Hochwürdigste, Exzellente Generale zurückwerfen und besiegen, so kompromittieren solche Anekdotenkrämer am schändlichsten sich selbst und beweisen jedem denkenden Menschenforscher, daß eine alberne Plappergans weiter keine Rücksicht verdiene.

General Laporte wollte gegen das Ende des Jänner von Lyon nach Vienne, einer beinahe acht Stunden von Lyon gelegenen Stadt. Er ließ unter den Sansculotten bekannt machen, daß er ungefähr 600 Mann nötig habe; wer mit wollte, könnte sich melden. Diese Art, zum Marsch aufzufordern, vermeidet alles Passive, und der Anführer kann auf seine Leute um so zuverlässiger rechnen, je mehr es ihr eigener Wille ist, unter ihm zu agieren.

Ich hatte zwar Lust, noch in Lyon zu bleiben, aber meine Kameraden redeten mir zu, mitzugehen, weil sie vermuteten, daß da unten, in dem verfluchten Gebirge der Aristokraten, etwas für sie zu tun sein würde. Ich ließ mich also auch einschreiben und zog nebst anderen Haufen mit einem Trupp von 150 Mann, welchen ein Kolonel führte, nach Vienne. Auch unsere 150 Mann nannten sich sogleich Bataillon de la Montagne.

Vor dem Tore befahl der Kolonel, daß am andern Morgen um 11 Uhr alle in Vienne sein müßten; er müßte erst noch zurück in die Stadt und würde schon nachkommen. Darauf ritt er zurück, und wir machten, wie es jetzt unter den marschierenden Franzosen gebräuchlich ist, truppweise vorwärts. Der anführende Offizier oder General zeigt den versammelten Leuten gewöhnlich nur den Ort ihrer Bestimmung und die Zeit, wann sie diesen erreichen sollen, an, und überläßt es ihnen, ihren Marsch dann nach ihrer Bequemlichkeit darauf einzurichten.

Wer je ein preußisches Regiment hat marschieren sehen, der müßte sich sehr gewundert haben, wenn er bei unserem Trupp einen Soldatenmarsch hätte entdecken sollen; wer aber die Preußen aus Champagne hat ziehen sehen, der kann, was die Unordnung anbetrifft, sich so ungefähr vorstellen, wie die Ohnehosen von einem Ort zum andern wandern. Aber auch bloß nur, was die Unordnung anbelangt, denn wir waren alle nicht so siech und krank, nicht so hungrig und nicht so abgerissen, als die Preußen damals, ob wir gleich wegen der sehr verschiedenen Kleidung buntscheckig genug aussahen.

 

Als wir näher an Vienne kamen, erzählte ich meiner Kameradschaft, daß hier der Ort sei, wohin die alten Kaiser zu Rom die Staatsverbrecher gewiesen hätten, auch daß unter diesen Pontius Pilatus gewesen sei, der den Juden Jesus zum Tode verdammt hätte.

» Foutre,« fing einer an, »hat denn der Kaiser den Pilatus verwiesen, weil er den armen Teufel hat hinrichten lassen?«

»Freilich!« erwiderte ich, ob ich gleich wußte, daß Tiberius ganz andere Ursachen dazu gehabt hatte.

»Er hatte unrecht,« versetzte der Ohnehose. »Der Mosjöh Jesus hatte seine Strafe verdient, denn er hat die ganze Pfafferei gestiftet.«

»Nicht doch,« erwiderte ich, »die ist von herrschsüchtigen Bischöfen und Päpsten gestiftet. Jesus verabscheute sie, und es ist eine Lust, zu lesen, wie er die Pfaffen seiner Zeit, die Schriftgelehrten und Hohenpriester, wo er nur konnte, hernahm. Jesus, Brüder, war es, der es wagte, den Despotismus unter seiner Nation anzugreifen und ihr Freiheit und Gleichheit vorzupredigen. Ja, er war im eigentlichen Sinne ein Patriarch, und – wie die Muskadins es nehmen – der erste Sansculotte, der sein Leben zur Stürzung des damaligen Despotismus hingab, und nicht einmal soviel hatte, worauf er sein Haupt hätte legen können, viel weniger – Hosen!«

»Allerliebst!« riefen mehrere. »Wenn das wahr ist, so muß er mit ins Pantheon! Es lebe der Sansculotte Jesus! Es lebe die Republik!«

»Aber höre, Kamerad!« rief mir ein anderer zu, »nicht wahr, Pilatus ist verwiesen worden, weil er den Herrn Jesus hat kreuzigen lassen? Man muß niemand quälen, der sterben soll! Guillotinieren hätte er ihn höchstens sollen, dann wäre es noch so halb und halb gewesen. Es lebe das Gesetz!«

Dieser Zug verrät immer die Anhänglichkeit, die diese sonst so rohen Leute doch für das Gesetz, das alle Martern und Unmenschlichkeiten an Verurteilten verbietet, bei all ihrer Unwissenheit zeigten.

 

Die Ursache, warum Laporte einen Teil der starken Lyoner Garnison weggenommen hatte, war ein Befehl des Konvents, daß man mit guter Manier die Revolutionsarmee trennen und nach den Heeren auf den Grenzen schicken sollte.

Die Bürger zu Vienne hatten an der Lyoner Rebellion keinen Anteil genommen; sie wunderten sich also gar sehr, daß man sie, wie sie meinten, exequieren wollte, und versagten unserem Trupp den Eingang, ob sie gleich das Tor nicht sperrten. Die Ohnehosen, welche auf einer großen Wiese am Rhône versammelt standen, fluchten und schwuren hoch und teuer, daß sie eindringen und alle Muskadins morden wollten, die sich weigern würden, die braven Rächer der Republik aufzunehmen. Der Lärmen ward endlich allgemein, und Laporte hatte Mühe, die Ruhe unter ihnen herzustellen. Er ritt selbst in die Stadt und versicherte die Bürgerschaft, daß diese Einquartierung ganz und gar keine Exekution sei, und daß diese Truppen kaum drei Tage da bleiben würden. Auf diese Versicherung empfingen uns die Bürger mit Freudengeschrei, und unser Trupp kam in ein Kloster zu liegen.

»Das sind doch verfluchte Kerls, die Vienner!« sagten die Ohnehosen. » Foutre! man muß ihre Gesinnungen untersuchen!« In dieser Absicht zerstreuten sich nun fast alle in der Stadt hin und wieder, liefen in die Häuser und bekamen überall vollauf zu trinken, so daß endlich der ganze Trupp so ziemlich benebelt gegen Abend in das Kloster zurück kam. Hier gestanden sie denn, daß die Einwohner der guten Stadt Vienne rechtschaffene Citoyens, gute Patrioten und gute Jungens wären.

Wir blieben nur eine Nacht in Vienne, denn am andern Tag wurden wir beordert, abzugehen und die Straße nach Grenoble zu nehmen. Alle Ohnehosen steckten die Köpfe zusammen und fragten, was das wohl zu bedeuten habe? Aber selbst die Offiziere wußten keine Auskunft. Wir erhielten auf zwei Tage Brot, und nun: marsch! aus dem alten Vienne, wo die Straßen ebenso kotig sind, wie in der Vorstadt Glaucha zu Halle.

Fünf ganze Tage brachten wir unterwegs zu, obgleich es kaum 20 Stunden von Vienne nach Grenoble sind. Wir machten aber sehr große Umwege, um Dörfer zu erreichen und da auf gut sansculottisch zu trinken, d.h. ohne zu bezahlen; denn auf den Dörfern zahlt ein echter Ohnehose nichts.

Endlich sahen wir das friedliche Grenoble vor uns. Unser Marsch war eigentlich nach der italienischen oder Alpen-Armee angelegt. Mehrere Truppen der Revolutionsarmee waren nach der Rheinarmee, andere nach der Vendee und einige nach der Pyrenäenarmee geschickt worden. Wir harrten auf die Ankunft des Generals Laporte in Grenoble, aber wir warteten vergebens. Endlich befahl der Kommissär, daß wir abziehen und unseren Weg auf dem Chemin d'Etapes nach Marseille nehmen sollten; wahrscheinlich würden wir auf Mont Dragon in Garnison kommen.

Wir gingen also ab auf den fatalsten Wegen nach Valence zu. Auf den Bergen war es immer formidabel kalt und in den Tälern gewaltig heiß, obgleich nur erst der Februar anging. Auf diesem Wege kam ich mit einem einzigen Kameraden eines Abends in ein Dorf und war willens, mit ihm in die Dorfschenke einzukehren. Allein der Sansculotte machte mich aufmerksam, daß es nicht ratsam sein würde, indem wir zu schwach wären, einen Anfall von mehreren abzuhalten, uns den Bauern bei Nachtzeit so aufs Geratewohl zu überlassen. Bis Valence hatten wir aber noch vier französische Meilen. Als wir nun überlegten, was wir machen sollten, wurde mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche gewahr und tat den Vorschlag, hier zu übernachten. Wir gingen hin, fanden sie aber verschlossen und hatten das Herz nicht, sie mit Gewalt zu öffnen, um die Bauern nicht zu alarmieren. Wir entschlossen uns daher kurz und gut und krochen ins Beinhaus, rüttelten uns auf den Gebeinen etwas zurecht und schliefen ziemlich gut bis zum andern Morgen.

 

Vorzeiten würde ich mich gefürchtet haben, eine Nacht an so einem Ort zuzubringen, aber damals galt es mir völlig gleich. Die Toten haben mir meine Freiheit gewiß auch so wenig übelgenommen, als es die Gänse übelnehmen, wenn jemand auf ihren ausgerupften Federn sich hinstreckt. Ueberbleibsel sind Ueberbleibsel: diese von außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der Hunger das beste Gewürz der Speisen ist, so ist Müdigkeit die beste Förderung des Schlafes.

Als wir Valence verließen, war unser ganzer Trupp nur noch ungefähr 20 Mann stark, denn allerorten waren einige zurückgeblieben, nach Hause gegangen, krank geworden u.dgl. Wir begaben uns mit den Pässen, die wir hier erhalten hatten, über Montélimar und Carpentras nach Avignon.

Ungefähr im halben Februar – es mochte etwa der 12te sein – kamen wir nach Avignon, der Hauptstadt des ehemaligen päpstlichen Gebietes, und wurden wieder in ein Kloster einquartiert. Wo also vorzeiten die Hauptpropagandisten des Aberglaubens ihr Brutnest gehabt hatten, da logierten jetzt dessen Bestürmer.

Wir fanden hier viele Ohnehosen, auch einige Kriegsgefangene und Deserteure von den Piemontesen, welche Unfug über Unfug trieben.

Den zweiten Tag nach unserer Ankunft wollte ich mit einem Haufen Ohnehosen nach Marseille abgehen, aber der Kommissar war dawider. »Es ist wider das Gesetz,« sagte er, »daß du als ausländischer Deserteur der Republik Kriegsdienste leistest, doch magst du zum Repräsentanten gehen, und wenn der's erlaubt, so ist mir es recht.« – Ich indes hatte das Leben bei den Ohnehosen längst satt und wollte also lieber ohne Dienst für mich leben, trennte mich daher von meinen Kameraden.

Der päpstliche Palast zu Avignon steht auf einem Berge und sieht einem Zwingherrensitz aus den Zeiten des Faustrechts ähnlicher als einer Wohnung des Oberpriesters der Friedensreligion. Es ist ein solides mit hohen Türmen versehenes altes Gebäude. Ehedem bewohnte es der päpstliche Legat, doch stand der größte Teil der Zimmer leer. Bei der Revolution hat das Feuer in diesen heiligen Mauern vieles beschädigt, und als ich sie sah, waren sie der Aufenthalt des liederlichsten Gesindels, welches der Maire von Avignon aus der Stadt in die päpstliche Burg verwiesen hatte. Die schamlosesten Huren aus der ganzen Gegend trieben da also ungescheut ihr schmutziges Gewerbe, wo ehedem der Statthalter Christi gewohnt hatte! Ein seltsamer Wechsel der menschlichen Dinge!

Da die Bürger zu Avignon sich dem Papste entzogen hatten, so zernichteten sie auch alles, was an dessen Regierung erinnern konnte. Der Thron, worauf die alten Päpste gesessen, wurde vom Pöbel zerschlagen, ihre Grabmäler gänzlich zerstört und ihre Knochenreste hingeschmissen. Die vortrefflichen GemäldeNach Zeitungsmeldungen sind 1906, nachdem die Garnison aus dem Palast der Päpste, der zuletzt als Kaserne diente, verlegt worden war, die Bilder unter einer dicken Schicht Tünche entdeckt worden. und die Inschriften, wovon die Reiseschreiber so viel berichten, sind alle nicht mehr. Auch hier sind die Franzosen ihrem Grundsatz treu geblieben: daß man alle Symbole der politischen und religiösen Tyrannei zernichten müsse, gesetzt auch, man müßte die größten Meisterstücke mitzernichten, wenn man anders die von dieser und jener Tyrannei herkommenden Uebel aus der Wurzel heilen wolle.

Es ist wohl keine Stadt in ganz Frankreich, wo nach Verhältnis der Größe mehr Kirchen und Klöster sind, als in Avignon. Von weitem sieht die Stadt aus, als wären lauter Kirchen darin, wegen der vielen hervorragenden Türme. Aber schon zu meiner Zeit fing man an, Kirchen, Türme und Klöster einzureißen, und Avignon sieht ohne Zweifel jetzt nicht mehr so betürmt aus, als vorher.

Es gibt in Avignon viele Juden, denen aber der öffentliche Gottesdienst auch verboten ist, und die gleich den Christen mit ins Feld ziehen müssen. Vorzeiten wurden diese Leute hier sehr bedrückt und durften des Abends nach acht Uhr nicht ausgehen, oder jeder Christ hatte das Recht, sie auf alle mögliche Art zu mißhandeln. Wenn ein Jude gehenkt wurde, so hatten sie ihren eigenen Galgen jenseits des Rhône, denn die Regierung hatte den Grundsatz, daß es sich für einen Galgenchristen nicht schicke, neben einem Galgenjuden an einem und demselben Galgen zu hängen. Jetzt sind aber alle Galgen, Räder und Rabensteine in ganz Frankreich abgeschafft.

Als ich vom Kommissär zurückkam, der mich an den Repräsentanten gewiesen hatte, ging ich, noch ungewiß, was ich tun sollte, in ein Weinhaus und wechselte da im stillen, weil das nicht gut öffentlich anging, einen halben Karolin gegen Papier. Der Wirt, welcher mir gewogen ward, weil ich ihm bares Geld brachte, rühmte mich öffentlich in der Stube gegen seine Gäste als einen braven Mann, ob er mich gleich selbst erst seit einer Minute kannte. Die Gäste unterhielten sich mit mir, und ich erzählte ihnen manches meiner Abenteuer, welches ihnen zu gefallen schien. Unter anderen war ein Grobschmied da, ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, namens Neulot, der mehr als die übrigen sich mit mir einließ und endlich mir sein Haus anbot, wo ich, solange ich in Avignon bliebe, wohnen könnte. Ich nahm dieses Anerbieten mit Freuden an und zog gleich den folgenden Tag bei Neulot ein, welcher unweit des Rhône sein Haus hatte.

Er mißbilligte meinen Vorsatz, mit den Ohnehosen weiter herumzuziehen, und öffnete mir über sie die Augen merklich. »Die Armée révolutionaire ist eine Rute,« sagte er, »womit die Rebellen gezüchtigt werden mußten. Da aber die Rebellion jetzt ein Ende hat, so darf diese Armee nicht weiter existieren, die nur Unordnung verbreiten würde.« Er bewies mir hierauf, daß ich wohl tun würde, wenn ich mich ganz ruhig verhielte und dasjenige annähme, was die Republik den fremden Gefangenen und Deserteuren bestimmt hatte. – Neulot hatte recht; ich meldete also dem Kommissär meinen Entschluß, für mich zu bleiben, und von diesem Tage an erhielt ich täglich 1 ½ Pfund Brot und 10 Sous an Geld, nebst noch 2 Sous fürs Quartier, da ich bei einem Bürger und nicht in einem Nationalgebäude wohnte.

Neulot ließ mich täglich mit sich essen und nahm mich fast alle Abende mit ins Weinhaus, wo ich unter dem Namen »Grand Prussan« sehr bekannt war.

Ich half meinem Neulot fleißig in seiner Schmiede, zog den Balg und schlug auch mit zu, wenn er grobes Eisen schmiedete. Das gefiel ihm und seiner Frau, und diese machte mir, um mir ihren Dank zu zeigen, oft warmen Wein, woran die Leute sehr gewöhnt sind, ob sie ihn gleich durch das Wärmen verschlimmern.

Zu Villeneuve, jenseits des Rhone, bin ich auch einigemal mit meinem Neulot gewesen und kriegte hier einmal einen heftigen Zank über die Frage, ob der Adel schon an sich ein Verbrechen sei und ob man jeden, der adlig sei, für einen Feind der Republik halten könne. Mein Gegner behauptete diesen Satz gerade hin, ich aber beschränkte denselben sehr. Als wir nicht einig werden konnten, stand er endlich auf mit den Worten:

»Citoyen, es scheint, daß auch du ein – Edelmann bist. In Deutschland soll so unter einem jeden Strohdach ein solches Insekt hausen, du bist also wohl auch einer von diesen sacrés mâtins.«

Und dahin ging er.

Nachdem ich ungefähr neun Tage in Avignon zugebracht hatte, wurde eine große Anzahl kriegsgefangener Piemontesen daselbst eingebracht. Unter diesen waren viele Deutsche, auch ein Landsmann von mir. Dieser Mensch erzählte mir soviel Gutes und Rühmliches von dem Heldenheer Seiner Majestät von Sardinien, den Robespierre den petit roi Sarde nannte, daß ich leicht einsah, dieses Heer würde in alle Ewigkeit gegen die Franzosen nichts ausrichten, wie es denn auch nichts ausgerichtet hat.

Gleich den anderen Tag gingen einige Piemontesen nach Miradel, einem ehemals päpstlichen Schlosse auf einem Berge, eine starke Stunde von Avignon, wo ich auch schon gewesen war und wo man Wein haben konnte. Als sie sich vollgesoffen hatten, gingen sie fort, kehrten aber zurück, als es finster war, plünderten den Wirt rein aus, füllten ihre Brotbeutel mit Speck, Brot und Weinflaschen und flüchteten sich in die Gebirge, um nach der Schweiz oder nach Italien zu entwischen. Aber einige Gendarmen hielten sie an und brachten sie zurück; sie wurden sofort auf vier Monate eingesteckt.

Der Repräsentant befahl nun, daß man alle Kriegsgefangenen und Ausländer weiter ins Innere von Frankreich bringen sollte, um sie von der zu nahen Grenze mehr zu entfernen.

Die Gefangenen sollten nach Toulouse gebracht werden, und der Kommissär wollte mich mit dahin schicken. »In Toulouse findest du auch Preußen,« sagte er; aber ich wußte, daß nur Spanier und Sardinier da waren. Auch hatte ich keine Lust, mit den Piemontesen zu gehen, in deren Gesellschaft es mir gar nicht gefiel. Ich stellte also dem Kommissar vor, daß mich Hauptmann Landrin, dessen Zeugnis ich ihm vorwies, deswegen nach Mâcon empfohlen hätte, damit ich Dienste bei der Republik haben könnte. Da nun dieses nicht anginge und ich mich selbst von den Ohnehosen getrennt hätte, so wäre es doch billig, daß er mich wieder zu meinen alten Kameraden gehen ließe.

»Du hast recht,« erwiderte der Kommissar. »Du wirst ohne Zweifel deine Preußen in Mâcon oder in Langres oder in Dijon oder da herum treffen: in Lyon kannst du das Nähere hören, und dahin will ich dir einen Paß geben.«

Das geschah.

Mein ehrlicher Grobschmied war mit meiner Abreise nicht zufrieden. Da ich einige Kenntnisse vom Gartenbau hatte, so meinte er, ich könnte in Avignon ganz gut fortkommen, wenn ich nur gärtnern wollte, und dürfte nicht wie ein Landstreicher herumfahren. Aber meines Bleibens war nicht mehr.

Ich brachte die letzte Nacht in Gesellschaft meines Wirtes und einiger anderer Bekannter in der Weinschenke zu und ging früh mit einem schweren Tornister, den mir die Wirtin mit Speck, Brot, Oliven und einer Branntweinflasche gefüllt hatte, betrübt, eine Stadt zu verlassen, wo mir es gut gegangen war, wieder auf die Wanderschaft.


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