Friedrich Christian Laukhard
Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale – Band II
Friedrich Christian Laukhard

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Fünfzehntes Kapitel.

Ich entschließe mich, bei den Franzosen Kriegsdienste zu nehmen. – Das Nationalkleid. – Wanderung nach Mâcon. – Die Etapes. – Die Ohnehosen. – Ich schließe mich ihnen an. – Sansculottische Gewalttätigkeit. – Lyon oder Commune affranchie. – Die Lyoner Rebellion. – Chailler. – Racheschwur gegen Lyon. – »Rebellenblut für die Hunde«. – Die Füsilladen. – Todesverachtung. – Ein heldenmütiges junges Paar. – Dienstbetrieb bei den Sansculotten. – Ihre Auffassung von ihrer Aufgabe. – Ich trete in ein Sansculottenbataillon ein. – Warum ich vergnügt war.

Am 11. Jänner kamen wir nach Besançon.

Die Gesellschaft mit meinem braven Landrin sollte nun ein Ende nehmen; er war bloß beordert, die Gefangenen und Deserteure nach Besançon, oder wie dortherum die gemeinen Leute sprechen, Sanson, zu bringen und dann mit seinen Volontären nach der Moselarmee zu seinem Bataillon du Var zurückzukehren.

Ich bezeigte ihm schon unterwegs darüber mein Leidwesen und versicherte ihn, daß es mich freuen sollte, wenn er mich mit zu seinem Bataillon nehmen könnte. »Gern wollte ich das tun,« antwortete er, »aber es ist einmal verboten, bei der Armee gegen den Feind feindliche Deserteure oder Gefangene anzunehmen; sei aber deshalb ohne Sorgen! Ich will mich erkundigen, wie ich dir helfen kann. Noch heute spreche ich dich wieder.«

In Besançon nahm mich Landrin mit in sein Quartier und ging hernach fort auf die Munizipalität und zum Kriegskommissar. Gegen acht Uhr des Abends kam er voller Freuden wieder, gab mir die Hand und sagte: »Du bist geborgen, Freund, du kannst in unsere Dienste treten, wenn du willst.«

Ich versicherte ihn, daß ich dies herzlich wünschte.

»Nun wohlan denn,« fuhr er fort; »ich habe dir einen Paß nach Mâcon, oder, wenn's da nichts ist, nach Lyon, ausgewirkt; da findest du ausländische Bataillone, welche der Republik in der Armée revolutionaire dienen. Willst du dahin?« »Von ganzer Seele,« war meine Antwort.

»Gut; übermorgen früh gehst du ab. Nun trink, Citoyen, und sei fröhlich: es lebe die Republik!«

Niemals hatte ich den ehrlichen Landrin munterer gesehen, als den Abend, und er versicherte mich, seine Heiterkeit käme daher, daß er mir hätte dienen können.

Den folgenden Tag verhandelte ich meinen Rock und Weste gegen einen habit de police oder habit national, d.i. einen blauen Rock mit weißen Klappen und roten Aufschlägen und Kragen nebst weißer Weste.

Frankreich war ehemals die Garderobe von ganz Europa: alles machte die französischen Flittermoden nach. Aber seit der Revolution hat die Erfindung der Moden in diesem Lande aufgehört: die Nation ist ernsthafter geworden. Jetzt geht jeder, wie er will, doch schlicht und ungezwungen, wie es freien Männern ziemt. Die meisten tragen die Kleidung der Volontäre, um im Fall der Not zur Verteidigung des Vaterlandes gleich bereit zu sein. Dies ist Pflicht für jeden, und jeder ist darauf gefaßt und eingerichtet. Das Wort Soldat ist abgeschafft, und wenn man es hier und da auch noch hört, so hat es doch keine häßliche Nebenidee von Sklaverei, Sittenlosigkeit u. dgl.

Den Nachmittag ging ich mit dem Hauptmann zum Kriegskommissar, wo ich einen Paß nach Mâcon erhielt.

Ich blieb den Abend noch bei meinem Hauptmann; früh aber zogen wir beide auf verschiedenen Wegen aus Besançon: er nach der Moselarmee mit seinen Leuten; ich nach Dôle zu. Er drückte mir beim Abschied recht freundlich die Hand, schenkte mir noch 30 Livres in Papier und ermahnte mich zur ewigen Liebe der Freiheit, als dem ewigen Glück der Menschen. Ich weinte beim Abschied von diesem Biedermann; auch die Volontäre gaben mir die Hand und wünschten mir alles Glück.

Ich war nun ganz allein und ging bis zum ersten Etape, ungefähr fünf Stunden weit, wo ich über Nacht blieb. Das Wort Etape wird wohl meinen Lesern größtenteils unverständlich sein, ich will es daher erklären, zumal da es kein deutsches Wort gibt, das es völlig ausdrückt.

Seit der Revolution hat man aus allen Gegenden des innern Frankreich nach den Grenzen zu gewisse Stationen angelegt, welche ein reisender Soldat täglich bequem zurücklegen kann. Auf diesen Stationen muß er allemal seinen Paß zeigen und ihn unterschreiben lassen. Dann bekommt er Freiquartier, eineinhalb Pfund Brot, ein halb Pfund Fleisch und eine Bouteille Wein. Solche Stationen heißen Etapes und die Versorger derselben Etapiers. In allen größeren Städten sind Kriegskommissare, welche von Station zu Station dem Reisenden noch obendrein 3 Sous für jede Stunde bezahlen müssen. Daß man nun gerade nach den Etapes gehen, folglich oftmals, wie es sich fügt, Umwege machen müsse, versteht sich von selbst.

In Mâcon, einer altfränkischen Stadt an der Saône, traf ich zum erstenmal einige von den echten Ohnehosen an. Ich muß ihre Organisation ein wenig näher beschreiben.

Als im Jahre 1793 Lyon rebellierte und Toulon in die Hände der Feinde fiel, da ward dem Konvent bange, das ganze mittägliche Frankreich möge sich zur royalistischen Partei schlagen. Man hielt daher die Rebellen zu Lyon und Toulon gerade für die gefährlichsten Feinde der Republik, und das mit dem größten Recht. Die Nationalmacht war auf den Grenzen. Es wurden also in aller Eile Truppen zusammengerafft und in diese Gegenden geschickt. Jeder Offizier hatte das Recht, anzunehmen zum Dienst der Republik, was nur wollte; ja wer 20, 30 bis 40 Mann zusammen hatte, durfte sich zu ihrem Anführer aufwerfen und blieb es. Daß nun bei diesen Leuten sich allerlei Gesindel einstand, läßt sich denken; aber die Not war dringend, und man durfte auf diesen Mißstand nicht lange Rücksicht nehmen.

Diese so errichteten Korps hießen mit einem Namen die Armée révolutionaire, und waren die echtesten aller Ohnehosen oder Sansculottes.Sans-culottes heißt bekanntlich Ohne-Hosen. Einmal zielte man mit dieser Benennung auf diejenigen, welche gestrickte, fleischfarbene und so glatt anschließende Beinkleider trugen, daß es schien, sie trügen gar keine oder wären ohne Hosen. Diese Glättlinge nannte man nachher »Muscadins«. Eigentlich aber nannten die Höflinge und der Adel alles, was zum Volke gehörte, und zwar zur derben, zerlumpten oder uneleganten Klasse, die den Hof- und Adelsdruck am tiefsten gefühlt hatte und darum beim Ausbruch der Revolution am bittersten auf sie eindrang, verachtungsvoll »Sansculottes«. Freilich hatten diese gemeinen Leute selten Culottes oder Kniehosen an, wie die Vornehmeren sie trugen. Der Name Sansculottes, der nachher zur Gegenverachtung als Ehrenname beibehalten wurde, hat weit schrecklichere Folgen in Frankreich gehabt, als in den Niederlanden der Schimpfname »Gueux« oder Bettler. Daß aber mit derartigen Leuten sich etwas recht Tüchtiges ausrichten lasse, beweisen die blutigen und entsetzlichen Belagerungen von Lyon und Toulon.

Nachdem Lyon erobert war, gingen viele dieser Truppen nach den Grenzen, viele aber blieben in den Städten von Lyonnais, Dauphiné, Provence usw., damit man sie, wenn ja noch einige Reste von Rebellion sich regen sollten, sogleich bei der Hand haben könnte.

Bei dieser Armée révolutionaire waren mehrere Bataillone, welche aus ausländischen Deserteuren und Kriegsgefangenen zusammengesetzt waren, und sich den Ruhm der Tapferkeit miterwarben. Zu so einem Bataillon sollte ich denn auch stoßen nach der Absicht des braven Landrin.

In Mâcon meldete ich mich beim Kriegskommissar, und dieser sagte mir, das deutsche Bataillon sei in Lyon; ich könnte aber hier nähere Nachricht einholen, da Sansculotten in Mâcon lägen, welche erst vor einigen Tagen von Lyon gekommen wären.

Ich war über diese Nachricht froh und suchte und fand eine Schenke, worin es vor Sansculotten strotzte.

Kaum hatte ich mich hingesetzt, als ein derber Ohnehose mich anredete und fragte, wo ich herkäme und wo ich hin wollte.

Ich: Will nach Lyon und suche Dienste.

Er: Was bist du für ein Landsmann?

Ich: Ein Deutscher. Ich habe den Preußen gedient, bin aber nach Frankreich gekommen, die gute Sache unterstützen zu helfen.

Er: Bravo! (Trinkt mir zu.) Auf das Wohl der Republik. Also du gehst nach Lyon! Kannst übermorgen Gesellschaft haben; es gehen einige von hier dahin. Dienst kriegst du auf alle Fälle, foutre! Jetzt sauf!

So hatte ich denn schon Bekanntschaft mit den Sansculotten. Ich fand unter ihnen einige recht artige feine Leute; aber größtenteils waren es rohe ungeschliffene Wagehälse, wie man sie bei einem solchen Freikorps wohl nicht anders erwarten durfte. Von militärischer Disziplin mochten sie eben nicht viel halten; denn sie versicherten mehrmals unter tausend Flüchen, daß sie den Offizier in Stücke hauen würden, der ihnen etwas anderes befehlen wollte, als gegen die Aristokraten zu marschieren: sie seien bloß da, um den verfluchten Aristokraten die Hälse zu brechen. Die Leute da herum wären fast alle von dem Kaufmannschaftsteufel besessen und zwackten den armen Künstlern, Handwerkern und Taglöhnern ihren Verdienst ab bis aufs Verarmen. Wenn nur sie den vornehmen reichen Herrn spielen könnten, dann kümmerte sie die Not und Armut aller derer nicht, die Tag und Nacht bis aufs Blut für sie sich abzehren müßten. Hier wäre eigentlich der Geldadel recht am Brett; und wo der herrschte, da gelte der Arme weniger als nichts. Das Blatt aber müßte jetzt ganz gewendet werden; das abgezwackte Gut müßte wieder an seinen rechten Herrn kommen, und da helfe kein Mitleid. Das war so der rechte Sansculottismus!

Ich hatte vom Kommissar einen Logiszettel bekommen, aber meine nunmehrigen Kameraden, die Ohnehosen, ließen mich nicht mehr von sich, und ich mußte die Nacht bei ihnen auf ihrer Kaserne, in einem ausgeräumten Kloster, zubringen. Einige Male gingen wir in Bürgerhäuser, wo die Leute uns zu trinken gaben, ohne etwas dafür zu fordern; denn die Ohnehosen waren sehr dafür bekannt, daß sie nicht gerne bezahlten. In allen öffentlichen Gesellschaften führten sie das große Wort, und: »Es lebe die Republik; der Teufel ersticke die verfluchten Sch... von Aristokraten!« war allemal ihr letztes Wort.

Den dritten Tag nach meiner Ankunft zu Mâcon ging ich mit vier Sansculotten auf Lyon. Wir blieben unterwegs in allen Kneipen wenigstens eine halbe Stunde, zechten derb und zahlten sehr selten. Ich hatte noch viel bares Geld, auch noch Geld in Papier, wollte also immer zahlen, aber meine Begleiter ermahnten mich, das ja nicht zu tun; das ganze Land da herum stecke voll Aristokraten und Freunden der Pfaffen; und die müßten noch froh sein, daß ein braver Sansculotte ihnen ihren Wein trinke, ohne sie totzuschlagen.

Die revolutionäre Armee war ein Hauptstück des Schreckenssystems. Wo solche Leute hinkamen, fuhr alles zusammen, und kein Mensch unterstand sich, nur den Mund zu öffnen, aus Furcht, es könnte ihm ein Wort entfahren, das der Sansculotte als konterrevolutionär und aristokratisch deuten könnte, und dann war er verloren. Der Ohnehose gab ihn an, und man schmiß ihn sofort ins Gefängnis, woraus der Ausgang gar schwer war. Die Regierung konnte aber damals dem abscheulichen Unwesen der Sansculotterie noch nicht mit Strenge steuern; hätte man sie mit Schärfe behandeln wollen, so würden sie sich wahrscheinlich auf die Seite derer geschlagen haben, die immer noch mißvergnügt waren, d. i. der eben bezwungenen Aristokraten. Und dann hätte man neue Sansculotten haben müssen, um die alten zu Paaren zu treiben; und diese frischen Ohnehosen hätten es am Ende vielleicht noch ärger gemacht als die ersten.

Daß aber der Konvent die Ausschweifungen der Sansculotten nicht billigte, erhellt aus den Dekreten, welche in der Folge gegen dieses Gesindel gegeben wurden, und aus den Anstalten der Volksrepräsentanten, die Truppen der revolutionären Armee aus jenen Provinzen wegzubringen.

 

Wir kamen gegen Abend, ich glaube, es war den 22. Jänner, nach Lyon. Meine Begleiter gingen nach ihren Kasernen, ich aber zum Kriegskommissar, dem ich meinen Paß und das mir von Landrin gegebene Zeugnis vorwies, und ihn bat, mir doch an die Hand zu gehen, wie ich mich in Zukunft verhalten sollte. Er gab mir meine Zettel auf Brot, Fleisch, Wein und Quartier und bestellte mich für das übrige auf den anderen Morgen.

Lyon hieß damals » Commune affranchie«, weil diese Stadt sozusagen aus den Sünden der Aristokraten wie aus einer Sklaverei gerissen und der Freiheit wiedergegeben war. Sie hat diesen Namen auch so lange behalten, als die Jakobiner den Meister öffentlich spielten; nachher wurde der alte Name Lyon wieder hervorgesucht.

Zu Anfang der Revolution waren die Lyoner ganz auf Seiten der Assemblée nationale, aber sobald sie sahen, daß eine republikanische Verfassung statthaben solle, gleich änderten sie ihre Gesinnung. Bei dem vorgeschlagenen System des Föderalismus waren nirgends eifrigere Verteidiger dieser Fratze, als eben die Herren zu Lyon; denn da dachten sie doch wenigstens die zweitvornehmste unter den 84 fränkischen Republiken auszumachen. Aber nichts wollte ihnen weniger in den Kopf, als die allgemeine Freiheit des Handels, weil dadurch alle ihre Monopolen wegfielen; so patriotisch dachten die Lyoner! Nachher kam es zum offenen Kampf zwischen den Aristokraten und Jakobinern, und diese wurden teils in den Gefechten getötet, teils aus der Stadt gejagt, teils gefangen genommen und in diesem Fall meist hingerichtet. Dieses Los traf in besonders grausamer Weise den Anführer der Freiheitsfreunde, Chailler. Er blieb mutig bis zum letzten Atemzug: noch auf der Blutbühne küßte er die dreifarbige Hutschleife; und dafür wurde sie nach seiner Hinrichtung zum Spott an seinen abgehackten Kopf genagelt.

Wenn die Guillotine recht geht, so muß der Kopf auf einen Schlag herabfahren; wenigstens kann er nur noch an der unteren Haut hängen bleiben. Aber bei Chaillers Hinrichtung wurde das Messer so eingerichtet, daß es dreimal fallen mußte, ehe der Unglückliche sterben konnte. Dieser Umstand von der Barbarei der Lyoner ist in Frankreich allgemein bekannt, und bloß aus dieser Ursache ist hernach auch der Henker oder Guillotineur hingerichtet worden: er hatte gegen das Gesetz einen Menschen bei der Exekution gemartert.

Auch die Volksrepräsentanten mußten jetzt Lyon verlassen und begaben sich nach Paris, wo sie von allem, was in der rebellischen Stadt vorgefallen war, genaue Nachricht gaben. Der Konvent faßte denn, nach strenger Untersuchung der Sache, ein Dekret ab, daß die Stadt Lyon für rebellisch erklärt, erobert, geplündert und von Grund aus zerstört werden sollte. Zwischen der Saône und dem Rhône sollte eine Schandsäule errichtet werden mit der Inschrift, daß hier dereinst eine berühmte Stadt gestanden, welche aber rebellisch geworden sei und deshalb nun so jämmerlich daniederliege.

Chailler wurde des Pantheons würdig erklärt, und beinahe in allen Städten wurden Straßen und Hospitäler nach seinem Namen benannt. Er, Le Pelletier und Marat hießen lange Zeit die vornehmsten Märtyrer der Freiheit.

Der Befehl des Konvents wurde nicht buchstäblich an Lyon ausgeführt, aber schlimm genug ist es der einstmals stolzen Stadt ergangen.

Ich ging noch am Tage meiner Ankunft hin und wieder herum, fand aber wenig Straßen, wenig Winkel, wo das Elend der Zerstörung nicht sichtbar gewesen wäre. Ganze Reihen Häuser waren weggebrannt, und gerade die allerschönsten. Kirchen, Klöster und alle Gebäude der ehemaligen großen Herren waren ruiniert. Als ich an die Guillotine kam, floß das Blut derer, welche wenige Stunden vorher waren geköpft worden, noch auf dem Platze. Dieser Anblick machte mich schaudern. Ich trat in eine nahe Schenke zu einem Haufen Ohnehosen und sagte, es würde doch hübsch sein, das Menschenblut dort wegzuschaffen.

»Warum?« antwortete einer, »das ist aristokratisches Rebellenblut, das müssen die Hunde auflecken. Hast du heute guillotinieren sehen?«

»Nein.«

»Nun gut. morgen spielt man das nämliche Spiel; dann kannst du zuschauen.«

Die Leute sprachen vom Kopfabschlagen, wie wenn sie vom Nußklopfen gesprochen hätten. »Alles, was aristokratisch ist, muß sterben!« war allemal der Refrain. Man ging bei der Untersuchung auch nicht immer sehr genau zu Werke, und es war schon hinlänglich, vom Adel oder Priester gewesen zu sein, um den Kopf zu verlieren, wenn man auch sonst nichts begangen hatte. » La noblesse, la prêtrise ce sont des crimes,« hieß es, und das Urteil war fertig.

Die Guillotine reichte zum Hinrichten nicht zu, und so schoß man die unglücklichen Schlachtopfer vor dem Tor mit Kartätschen tot, und was da nicht gleich auf der Stelle blieb, das expedierten die Sansculotten mit ihren Säbeln und Bajonetten. Und doch waren alle Grausamkeiten, welche durch die Guillotine und die Füsilladen in Lyon vorgingen, noch lange nicht hinreichend, die Wut und Rachsucht der Ohnehosen zu begnügen. Sie hatten gehofft, Lyon sollte nach dem ersten Konventsbeschluß geplündert und verbrannt werden, und als dieses nicht geschah, da murrten sie laut.

Die zum Tode Verurteilten gingen größtenteils mit vieler Gleichgültigkeit, ja manche mit wahrer Frechheit zum Richtplatz, ja es war sozusagen wider den guten Ton, Betrübnis oder Furcht vor dem Tode sehen zu lassen. Ein Beispiel muß ich hier erzählen.

Die achtzehnjährige Gattin eines jungen Lyoners hatte ihrem Bruder bei den Emigranten etwas von ihrem Schmuck schicken wollen, damit er es verkaufen und davon leben könnte. Der Brief, worin kleine Diamanten sehr künstlich unter dem Siegel versteckt lagen, wurde aufgefangen, und nach der Eroberung der Stadt wurden der Mann und die Frau eingezogen und inquiriert. Die Frau leugnete, daß ihr Gatte um das Geschenk für ihren Bruder gewußt hätte, er aber widersprach und gestand, daß er allerdings darum gewußt, ja sogar zur Absendung derselben geholfen habe. Da nun das Gesetz alle die zum Tode verurteilt, die einem Emigranten die geringste Hilfe leisten wollen, so wurden die beiden jungen Eheleute, welche weiter keinen Teil an der Lyoner Rebellion genommen hatten, zur Guillotine abgeführt.

Sie erschienen beide auf dem Blutgerüst, hielten sich fest umschlungen und sagten sich ganz unbefangen die zärtlichsten Dinge. Endlich riß die junge schöne Frau sich los und sagte zu ihrem Gatten, der sie wieder umarmen wollte: » Hâtons ce moment, mon ami: c'est pur nous rejoindre bientôt!« Sie legte sich sofort aufs Brett, und ihr Kopf flog herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihn die teuren Wangen seiner Freundin noch einmal küssen zu lassen, und als dies geschehen war, übergab er sich mit größter Gleichgültigkeit den Händen des Henkers. Als dieser beide Köpfe dem Volk hinwies, schrie auch keine Seele: »Es lebe die Republik!«, wie doch sonst gewöhnlich; alle schauten, in stumpfem Schmerz verloren, vor sich hin und bewiesen dadurch, daß sie noch nicht alles Gefühl für Natur und Menschlichkeit verloren hatten. Diese Geschichte war lange das Gespräch des Tages und wurde mit sehr humanen Glossen begleitet.

»Natur!« riefen viele. »Edle allmächtige Natur, was ist gegen dich Kunst, Politik und Tod!«

 

Den Tag nach meiner Ankunft ging ich zum Kommissar, wie er mich bestellt hatte. Er las das Zeugnis des Hauptmanns Landrin sehr aufmerksam durch und sagte dann: »Ja, du kannst hier vielleicht ankommen als Volontär bei den Truppen der Republik, aber da muß ich dich an einen Kolonel weisen. Gehe hin auf die Place Marat zum Kolonel vom Bataillon Montagne, der nimmt dich ohne Zweifel.« Ich traf nun zwar den Kolonel nicht, wohl aber einen anderen Offizier, der mich, nachdem ich mein Anliegen eröffnet hatte, sogleich mitnahm und in die »Ecurie« führte, wo eine ganze Kompanie Ohnehosen beisammen Quartier hatte. Diese Ecurie war vorzeiten ein prächtiges Gebäude nahe an der Saône und hatte einem Prinzen zugehört. Man nannte diesen Palast seit der Revolution Ecurie oder Pferdestall, um dadurch die Lebensart der ehemaligen Prinzen in Frankreich durchzuhecheln, die ausgezeichnetes Futter gehabt hatten, ohne es zu verdienen, und ebenso zügellos sich gebärdeten, wie jedes unbändige Pferd.

Hier fand ich Ohnehosen von allerlei Volk, Deutsche, Italiener, Spanier und Holländer, meistens Deserteure; auch Kriegsgefangene mitunter, welche man zur Zeit des Aufstandes im mittäglichen Frankreich bewaffnet hatte. Die meisten aber waren durchgängig Franzosen, und so war ihr Nationalinteresse durch ihr Uebergewicht vor dem Privatinteresse der Rebellen und Ausländer gesichert. Bei dem Anblick dieses buntscheckigen Gemisches von Leuten, welche noch größtenteils die Uniform der Herren trugen, denen sie kurz vorher gedient hatten, fielen mir die Volouen der Römer ein, von welchen der große Diktator sagte, sie seien immer gut genug, für das gemeine Wohl zu fechten. Ich konnte daher bei der wunderseltsamen Karikatur nicht lachen, die diese Miliz beim ersten Anblick machte.

Als der Offizier und ich ankamen, schrie er: »Citoyens Sansculottes, hier bring' ich euch einen Deutschen, der aber französisch spricht. Er will brav werden, wie ihr!« – » Vive la république!« schrie mir gleich der ganze sansculottische Schwarm entgegen. Ich erwiderte diesen Zuruf mit den nämlichen Worten und war sofort gleich unter den Burschen bekannt.

Ich wollte mir nun auch Kameraden nach meinem Geschmack suchen, mit welchen ich näheren Umgang pflegen könnte. Den deutschen Deserteuren traute ich wenig, also machte ich mich an einige französische Sansculotten – sie nannten sich selbst so oder Revolutionaires: Soldaten wollten sie nicht heißen, auch nicht einmal Volontaires –, redete freundlich mit ihnen und bat sie, mit mir ins Wirtshaus zu gehen, wo ich eine Bouteille zahlen wollte. Drei gingen mit, und da ich mit Papier und Geld noch ziemlich versehen war, so ließ ich sie gut bewirten.

Die Ohnehosen, alle drei aus Auvergne, waren fidele Brüder, die bald meine Freunde wurden. Sie gaben mir weitläufige Nachricht von dem Zweck ihres Berufes:

»Wir sind bloß da, die Rebellen, die Verräter des Vaterlandes, die Aristokraten, Edelleute und Pfaffen totzuschlagen. Bei uns heißt es kurzweg: Friß, Vogel, oder stirb! Pardon geben oder nehmen sind uns unbekannte Dinge. Du solltest nur gesehen haben, wie unsere Brüder da draußen vor dem Rackernest Lyon zusammenstürzten! Alle Tage kamen Hunderte, oft Tausende um: aber das machte uns nicht irre. Wir marschierten über die Leichen unserer Kameraden und kriegten doch endlich das Rebellennest. Schade nur, daß wir es nicht abbrennen durften! Recht tust du übrigens, daß du zu uns dich gesellst, aber den Tod darfst du nicht scheuen! Foutre! Es lebe die Republik!«

Das war so die Instruktion, die die Ohnehosen mir gaben, und daß sie echt war, hab' ich aus vielen Beweisen eingesehen. Ich fragte auch, wie sich die Ausländer bei ihnen aufführten, und hörte da zu meiner Freude, daß die Deutschen allemal brave Ohnehosen wären, besser als die Spaniolen und noch besser als die Italiener, welche man vorwärts stoßen müßte. Aber wer einmal bei ihnen sei, der müßte wohl brav werden; denn wollte er sich fürchten und weichen, so stieße ihm sein nächster Kamerad das Bajonett in den Wanst, und dann wäre er schon bezahlt.

Der Dienst der Ohnehosen in Lyon bestand, außer den Wachen, welche sehr stark und allemal mit scharf geladenen Gewehren besetzt waren, darin, daß sie Tag und Nacht scharfe Patrouillen machten und alle Tage einen Kreis um die Guillotine schlossen; denn alle Tage wurden mehrere hingerichtet. – Ich fragte auch nach den ausländischen Bataillonen, hörte aber, daß sie nicht mehr existierten, sondern verteilt wären.

Den folgenden Tag ging ich in Begleitung mehrerer Ohnehosen zum Kolonel, welcher ehedem ein ehrlicher Seifensiedergeselle gewesen war, aber bei der Eroberung von Lyon seine Bravour auffallend bewiesen hatte. Er sah mich freundlich an, und nachdem er verschiedene Fragen über meinen Patriotismus und über meinen Haß gegen alle Aristokraten und Pfaffen getan hatte, sagte er: » Tu peux exister avec nous; tu auras bientôt un fusil.« Das war mein ganzes Engagement.

Handgeld ist überhaupt bei den Franzosen schon längst nicht mehr Mode; denn sie meinen, durch Annehmung eines Handgeldes verkaufe der Mann sich und seine Haut und werde leibeigen. Wer aber so niederträchtig oder so dumm sein könnte, sich um irgend einen Preis zum Leibeigenen zu verkaufen, der verdiene Verachtung und sei nicht wert, daß er das Vaterland und die Würde und Rechte des Menschen verteidigen helfe.

Der Soldateneid ist auch abgeschafft, wie jeder andere. Wer schwört mehr Eide, sagen sie, als die Söldner der Fürsten, und wer achtet sie weniger, als wieder diese? Dies zeigt die Menge ihrer Deserteure. Der Kolonel hatte nicht einmal nach meinem Namen gefragt, und erst einige Zeit nachher schrieb mich der Sergeant ins Register. Sogar der Korporal, welcher das » Prêt« oder die Löhnung und das Brot besorgen mußte, machte bloß ein Zeichen in sein Buch, daß er nun einen Mann mehr zu besorgen hatte.

 

Ich war sehr vergnügt, nun bei den Sansculotten zu existieren, und trank mit einigen Kameraden bis den anderen Morgen auf das Wohl der Republik und der Sansculotterie.

Warum ich vergnügt war?

Je nun, meine Herren, weil ich bei einem Korps existierte, wovon ich mich losmachen konnte, sobald ich wollte:In Preußen war der Soldat auf Lebenszeit verpflichtet. denn kein Sansculotte ist gebunden. Auch sah ich die Möglichkeit vor mir, irgend etwas zu tun, was mich der Republik hätte empfehlen können. Und nun die Ehre, einer freien Nation zu dienen! Vielleicht war ich auch darum vergnügt, weil ich das Besondere liebe.

Und ich, als Sansculotte, war doch wohl etwas Besonderes?


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