Friedrich Christian Laukhard
Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale – Band II
Friedrich Christian Laukhard

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Zehntes Kapitel.

General Laubadère. – Frugales Frühstück. – Repräsentant Dentzel. – Seine Vergangenheit. – Empfang bei ihm. – Citoyenne Lutz. – Die Deserteurs auf dem Kaufhaus. – Handmühlen. – Zwistigkeiten zwischen Dentzel und Laubadère. – Ich versuche meinen Auftrag zu erfüllen. – Gespräche mit Dentzel. – Meine Vorschläge werden zurückgewiesen. – Peinliche Lage.

Es war ungefähr fünf Uhr morgens, als ich zum Divisionsgeneral Laubadère geführt wurde. Er war schon auf, und völlig in Uniform. Ich traf ihn in Gesellschaft einiger Offiziere, mit welchen er eben frühstückte. Er freute sich, als er vernahm, daß ich seiner Sprache mächtig wäre.

Die Franzosen verstehen größtenteils nichts als französisch; als ich daher einige seiner Fragen französisch befriedigt hatte, faßte er mich bei der Hand, hieß mich niedersitzen und an dem Frühstück teilnehmen. »Scheue dich nicht,« sagte er, »du bist bei freien Leuten, bei Leuten, welche wissen, daß andere auch Menschen sind wie sie, und welche niemanden verachten, als den freiwilligen Sklaven. Der freiwillige Sklave allein verdient Verachtung, und – fuhr er mit Hitze fort – wenn dieser freiwillige Sklav deswegen Sklave wird oder bleibt, damit er andere noch mehr, als er selbst es ist, zu Sklaven machen helfe, so verdient er Abscheu und Ausrottung, wie seine Tyrannen.«

Ich bezeigte dem General, wie meine Lage es erforderte, meine Einstimmung, und versicherte ihn – welches mir die Göttin Eleutheria vergeben mag, und welches ich nicht ohne Scham gestehen kann! –, daß eben diese Grundsätze mich vermocht hätten, die Preußen zu verlassen und Schutz und Beistand bei der Nation der freien Franken zu suchen. »Bravo!« sagte Laubadère und reichte mir ein Glas Wein, »du bist ein guter Kerl ( bon garçon). Betrage dich, wie es einem freien Mann gebührt, und du erlangst das französische Bürgerrecht, den besten Lohn, den die Republik dir geben kann!«

Das Frühstück war sehr frugal; Brot, Knoblauch und Wein war alles. »Nicht wahr,« sagte der General, »du wunderst dich, daß ich so schlecht frühstücke? Eure Generale essen wohl besser, das weiß ich: die sind nicht mit einem Stück Brot zufrieden.«

Laubadère und sein Generaladjutant Doxon (sprich Dosson) befragten mich sofort über die Beschaffenheit der Belagerung der Stadt Landau.

»Du bist,« sagte Doxon, »eben kein Dummkopf, das sieht und hört man dir an: also kannst und mußt du uns Auskunft geben, wie's draußen aussieht, was unsere Feinde im Schilde führen und was wir von ihnen zu erwarten haben.« – Ich mag nicht wiederholen, was ich damals gesagt habe, aber ich kann heilig versichern, daß ich kein Wort vorbrachte, welches für die Belagerer Nachteil hätte haben können.

Doxon führte mich nachher auf den Kirchturm, wo ich durch ein Fernrohr sehen mußte, um ihm die Stellung der feindlichen Lager und Batterien zu erklären. Er war mit dem, was ich ihm angab, zufrieden und nahm mich mit in den Gasthof »Zum Lamm«, wo wir noch eine Bouteille Wein ausleerten. Darauf ging es zum Repräsentanten Dentzel, bei welchem alle Gefangenen und Deserteure eingeführt werden mußten.

Dieser seltsame Mann war ehemals mein Bekannter gewesen, und, wenn ich nicht irre, so sind wir gar noch verwandt.Georg Friedrich Dentzel (1755-1824) ist später in der »großen Armee« Napoleons bis zum General aufgestiegen. Im Jahre 1806, nach der Schlacht bei Jena, war er Kommandant von Weimar. Seine dort bewiesene Humanität hat ihm eine ehrenvolle Erwähnung in Goethes »Tages- und Jahresheften« eingebracht. Er hatte die Schule zu Dürkheim besucht und hernach in Halle die Theologie studiert, sonst auch da recht lustig gelebt. In seinem Kandidatenstande suchte er Eingang bei Mamsell Sabinchen Michaelis, dem schönsten Mädchen in der ganzen Pfalz. Allein Mamsell Sabinchen trug damals die Nase höher, als daß ihr Dentzel hätte behagen können, sie gab der Liebelei eines Prinzen Gehör, und ward dadurch endlich ebenso unglücklich, als sie vorher schön war.

Dentzel, der bei Sabinchen nicht ankommen konnte, ließ seiner satirischen Laune freien Lauf und beleidigte durch allerlei Sarkasmen auf das Mädchen den Hofrat, ihren Vater, und den Herrn Prinzen von Leiningen selbst. Dies brachte ihn um alle Hoffnung, im Leiningenschen je versorgt zu werden. Er vettermichelte sich also in Landau bei verschiedenen französischen Offizieren an, und erhielt die Feldpredigersstelle bei dem Regiment Deuxponts. Da er ein heller Kopf und lustiger Bruder war, so ward es ihm leicht, dem trefflichen, äußerst humanen und liberalen Prinzen Maximilian von Pfalzzweibrück, der damals in Landau als Obrist stand, zu gefallen. Dieser Prinz war bei den Landauern sehr beliebt; als er daher den Dentzel zur Oberpfarrerstelle ihnen empfahl, erhielt dieser sie ohne Anstand. Er heiratete nachher die Tochter eines reichen Kaufmanns und lebte, einige Zänkereien mit seinen erzorthodoxen, intoleranten Kollegen abgerechnet, ganz ruhig und vergnügt bis auf den Ausbruch der Revolution.

Kaum hatte diese den Anfang genommen, so trat Dentzel sogleich auf ihre Seite und verfocht die Rechte des Volkes so stark und eifrig, daß man ihn als die höchste und stärkste Stütze des Patriotismus verehrte. Er wurde also angebetet von allen Landauer Patrioten, und was er angab, wurde gebilligt und ausgeführt. Um sich aber durch die Verwaltung seines geistlichen Amtes nicht zu schaden, gab er seine Pfarrstelle auf und hieß nun schlichtweg: Herr Dentzel.

Der erste Abgeordnete, den die Landauer nach Paris schickten, hatte da nicht so gehandelt, wie man es gewollt hatte; er wurde also abgerufen und Dentzel statt seiner auf die damalige Nationalversammlung abgesandt. Hier hatte er nun Gelegenheit, seinen Patriotismus zu zeigen, und tat dieses auch mit einer solchen Freimütigkeit und Uneigennützigkeit, daß man ihn schon im Jahre 1792 zu Missionen gebrauchte. So war er denn auch damals, als man über das Schicksal des unglücklichen Ludwig Capet stimmte, abwesend. Ich fragte ihn einmal, was er von der Hinrichtung dieses Fürsten hielte? »Jetzt,« antwortete er, »muß ich sie freilich billigen, indem sie geschehen ist; wäre ich aber am Tage der Verdammung des armen Teufels in Paris gewesen, er hätte eine Stimme für sich mehr gehabt, denn nimmermehr hätte ich für seinen Tod gestimmt.«

Robespierre und Marat schätzten Dentzel, und so war es ihm möglich, bei der Gründung der Republik seinen Einfluß mannhaft zu behaupten. Er erhielt daher auch 1793 im Juli die Mission zur Rheinarmee.

Als ich zu ihm hereintrat, sah er mich eine Zeitlang starr an.

»Wie heißt du?« fragte er endlich.

»Ich heiße Laukhard.«

»Von Wendelsheim?«

»Allerdings.«

»Willkommen, Bruder« (mir die Hand reichend), »im Lande der Freiheit! Nun, das war doch ein gescheiter Streich von dir, daß du deine Tyrannen verlassen hast. Komm', setze dich und erzähle mir was Neues!«

Ich setzte mich, und Mamsell Lutz (die man bald näher kennen lernen wird) mußte mir ein Glas Likör herbeiholen. Unser Gespräch betraf die Preußen, die Universität Halle, Jena und Gießen, den Eulerkapper, den D. Bahrdt, dessen eifriger Anhänger er gewesen war, die Revolution in Frankreich, die Belagerung und hundert andere ernsthafte Dinge und Possen. Der General Laubadere war unterdessen hinzugekommen. Gleich beim Eintritt rief ihm Dentzel entgegen: »Hier, General, ist mein Landsmann Laukhard, ein lustiger Bruder (un sacre gaillard), der mir sehr willkommen ist. Wir wollen einen tüchtigen Citoyen français aus ihm machen.«

Die gute Aufnahme des Repräsentanten setzte mich in muntere Laune: der Wein, den ich getrunken hatte, machte, daß ich ins Gelag hinein plauderte, und die Gesellschaft, welche aus Dentzel, dem General Laubadere, dem General Delmas (man spricht das s am Ende aus) und der hübschen Bürgerin Lutz bestand, war mit mir zufrieden.

Ich blieb zum Essen bei Dentzel und hatte das Vergnügen, den General Delmas, einen feurigen jungen Mann, näher kennen zu lernen. Die Citoyenne Lutz war die Tochter eines reichen Fleischers. Sie lag immer bei Dentzel und vertrieb ihm in Abwesenheit seiner Frau, welche er in Paris gelassen hatte, die Zeit, war aber auch gegen andere nicht sehr hart oder spröde.

Dentzel scherzte sehr dreiste mit ihr und ließ immer, nach Pfälzer Art, einiges aus der Zotologie mit einfließen. Wir sprachen natürlich Französisch, denn die beiden Generale verstanden kein Deutsch. Da ich nun oft die Wörter Monsieur und Mademoiselle hören ließ, so bestrafte man mich deswegen in Freundschaft und sagte mir, ich müßte bloß mit Citoyen und Citoyenne anreden und alles um mich her duzen, wie ich denn auch von jedem, selbst von der Lutzen, geduzt wurde.

Niemals habe ich meine Würde als freigeborener Mensch lebhafter gefühlt, als damals, da ich – dem Namen nach – verloffener preußischer Soldat, zwischen einem Repräsentanten der mächtigen französischen Nation und zwischen zwei Divisionsgenerälen saß und diesen so ganz in allen Stücken gleich gehalten wurde. Die Gedanken und Gesinnungen, welche damals bei mir rege wurden, lassen sich erraten; wenigstens gaben sie mir einen neuen Beweis zu meinem alten Prinzip, daß die Neufranken so lange unüberwindlich sein werden, als sie selbst nur es wollen. Ihr Gleichheitssystem ist ein Kitt, den nichts übertrifft.

Freund Dentzel trug mir auf, ihn fleißig zu besuchen, aber das Unglück wollte bald, daß ich von dieser mir damals gewiß sehr schätzbaren Erlaubnis keinen öfteren Gebrauch machen konnte. Als ich wegging, drückte er mir die Hand und versprach mir, auf alle Art und Weise für mich zu sorgen. Ich wußte damals noch nicht, daß mich diese Verheißung dereinst der Guillotine nahe bringen könnte.

 

Ich wurde auf die Liste der ausländischen Deserteure gesetzt und bekam mein Quartier auf dem ehemaligen Kaufhaus (Douane), wo ich noch einige zwanzig preußische, österreichische und Condésche Ueberläufer antraf. Die Verpflegung war gut, denn man gab uns wie den Volontären gutes Brot, frisches Fleisch, Speck, gesalzene Butter, Käse, Linsen, Erbsen und obendrein noch täglich zehn Sous Papiergeld. Ein Sergeant Schmid und ein Korporal hatten die Aufsicht, welche aber von keiner Bedeutung war, da ein jeder tat, was er wollte.

Ich muß diese hottentottische Gesellschaft etwas näher beschreiben: In einem allmächtig großen Gemach, wo wenigstens 100 Mann hätten logieren können, und wo Pritschen (lits de camp) in vier Reihen angebracht waren, befanden sich damals vier Kriegsgefangene und etwa 28 Ueberläufer. Einer davon war mit seiner Frau da, welche auch anderen zu Diensten stand. Der Kerl war von den Anspachschen Dragonern; wer ihm nur zu saufen gab, dem erlaubte er allen Umgang mit seinem Weibe. Die anderen waren teils Franzosen von Condés, teils von Rohans Korps: dann Polacken, Deutsche, Italiener, meist Lumpenvolk und Diebe. Nichts war vor diesem Gesindel sicher; sie stahlen einander selbst alles und verübten alle nur möglichen Exzesse. Viele waren mit ihren Pferden und Gewehren nach Landau gekommen und hatten sie dort verkauft. Da sie nun auf diese Art viel Geld hatten, so soffen sie in einem weg, und machten den fürchterlichsten Spektakel, rauften und schlugen sich wie unsinniges Vieh. Wie mir bei diesen Bestien zumute war, kann man sich leicht denken.

Die Frau des Dragoners hatte in der Stadt ein Hurenmensch aufgetrieben, welches von da an bei ihr zu schlafen pflegte. Dieser Nickel trieb sein schändliches Gewerbe auf die allerunverschämteste Art, sogar am hellen Tage. Zuweilen brachten die Deserteure obendrein noch andere Menscher mit, und so war denn unser Kaufhaus nicht selten einem Bordell ähnlich. Die schändlichsten Zoten wurden ohne Aufhören gerissen und die abscheulichsten Lieder gesungen, so daß unser Zimmer wirklich einer Räuberhöhle gleich sah. Der Sergeant Schmid, welcher fast immer besoffen war, und der Korporal lachten zu jeder Anordnung und halfen wohl noch gar mit, Lumpenstreiche ausführen.

Diese schöne Gesellschaft nahm gar noch täglich zu: denn täglich, oder vielmehr nächtlich, kamen immer noch einige Deserteure, so daß der Haufe dieses Gesindels bei unserem Abmarsch von Landau über 60 Mann stark war; und mit der Anzahl der Deserteure vermehrte sich auch die Unordnung.

Um aber doch diese Leute zu beschäftigen und durch Beschäftigung von schlechten Streichen abzuhalten, hatte der General befohlen, daß die deutschen Deserteure, wenn sie wollten, mit in den Handmühlen arbeiten könnten. Es warm nämlich acht Handmühlen angelegt, welche täglich 16 Mann, 8 am Tage und 8 des Nachts, im ganzen also 128 Mann, beschäftigten. Jeder dieser Arbeiter oder Handmüller bekam für 12 Stunden, wovon er aber nur 6 mahlte. 50 Papiersous. Auf diese Art mußte der Proviantskommissar bloß für diese Arbeiter täglich 320 Livres oder 80 Taler in Papier auszahlen. Es ist aber falsch, wenn man ausgesprengt hat. daß man die Deserteure in Landau gezwungen hätte, in den Handmühlen zu arbeiten. Gezwungen wurde keiner, aber wer kam, dem mußteArbeit gegeben werden: denn das hatte der General ausdrücklich anbefohlen, um den Deserteuren Beschäftigung und zugleich Gelegenheit zu verschaffen, sich etwas nebenher zu verdienen. Wer aber nicht kam. der wurde auch nicht einmal ermahnt, zu kommen, denn es fanden sich immer Franzosen genug, welche aus purem Patriotismus gern arbeiteten und drehten. Es war überdies auch leichte Arbeit, wobei man Tabak rauchen und plaudern konnte. Ich selbst habe einige Male auch gedreht.

Bei der Bäckerei waren ebenfalls einige Deserteure angestellt: als diese aber anfingen, das Brot zu stehlen und zu verkaufen, so wurden sie alle davon entfernt. Außer den 50 Sous erhielt noch jeder Arbeiter bei den Handmühlen und in der Bäckerei täglich eine halbe Bouteille Weißwein.

Es gefiel mir in der Gesellschaft der Deserteure durchaus nicht, ich suchte daher anderen Aufenthalt. Da ich noch mit Geld versehen war, so ging ich öfters in den Gasthof »Zum Lamm«, wo ich immer französische Offiziere antraf, welche froh waren, einen Preußen aufzufinden, der ihre Sprache inne hatte. Die Offiziere klagten einhellig über die zu geringe Garnison der Stadt und behaupteten, daß Custines Verräter oder Sorglosigkeit daran schuld wäre. Die Besatzung war damals nicht stärker als 8 Bataillone Infanterie, also höchstens 8000 Mann, wenn die Bataillone vollzählig gewesen wären. Aber das waren sie nicht; die meisten hielten kaum 500 Mann und darunter. Zudem lagen sehr viel Leute in den Hospitälern. Die Kavallerie vollends war für einen so wichtigen Platz gar nicht hinlänglich, daher denn auch keine Ausfälle geschehen konnten. Landau hat zur gewöhnlichen Besatzung in Kriegszeiten immer 12-14 000 Mann Infanterie und 1000 Mann Kavallerie nötig. – Mit Munition war Landau reichlich versehen. Die Kanoniere der Stadt, diejenigen Bürger, die seit 1790 nach der Angabe des berühmten und berüchtigten Lafayette im Artillerie-Wesen geübt waren, verrichteten die Dienste auf den Schanzen, Redouten usw. Ich kann diesen bürgerlichen Artilleristen das Zeugnis geben, daß sie ihr Handwerk recht tüchtig verstanden. Proviant war reichlich vorhanden, denn die Deutschen hatten versäumt, im Sommer die Felder um Landau noch vor der Ernte zu fouragieren. Das war ein großer Schnitzer, denn einer Stadt, die man belagern will – und das war mit Landau der Fall –, muß man keine Zeit zur hinlänglichen Anschaffung der Lebensmittel gestatten.

Dentzel und der General Laubadere waren keine Freunde. Woher ihr gegenseitiger Haß entstanden war, weiß ich nicht, aber sie haßten sich. Vielleicht war es dem Soldaten lästig, vom Bürgerlichen abzuhängen. Sie gingen zwar sehr freundlich miteinander um, und mußten dieses schon tun, da nach dem Gesetz ein General ohne den Repräsentant gar nichts unternehmen darf, und umgekehrt. Daher waren sie täglich beisammen.

Laubadère war ein stiller, gesetzter Mann, welcher nicht viel Wesens machte und auch niemals zu tief ins Glas guckte, ob er gleich den Wein nicht verachtete. Er war nicht mehr jung und mochte immer seine Fünfzig hinter sich haben. Außerdem suchte er nichts weniger als mit Kenntnissen zu schimmern oder gar witzig zu sein. Er war schlicht und recht, dabei ein tüchtiger Soldat, aber strenge und sehr auf seiner Hut.

Dentzel hingegen war ein feuriger, hitziger Kopf, der oft mehr schwatzte, als er verantworten konnte, und selten überdachte, mit wem er sprach oder zu schaffen hatte. Er liebte den Wein sehr und trank nicht selten mehr als zuviel, und dann plauderte er ins Gelag hinein. Er hatte gegen das Kommando des Generals Laubadere protestiert und wollte, daß Gillot es übernehmen sollte. Er sprach obendrein immer mit Herabwürdigung von Laubaderes militärischen Talenten und versicherte jedem, der es nur hören wollte, Delmas sei ein ganz anderer Mann. Diese Reden wurden dem General hinterbracht, und nun läßt sich ihre Wirkung denken. Zur Aussöhnung dienten sie gewiß nicht!

Hierzu kam, daß Dentzel, so sehr er Patriot sein wollte, so sehr er auch von Freiheit und Gleichheit sprach, im Grunde doch stolz und herrschsüchtig war. Das Gesetz will, daß alle Repräsentanten, wenn sie im Namen der Republik eine Verordnung ergehen lassen, sich im Namen der Nation Wir nennen sollen, doch ohne das von Gottes Gnaden dazu zu setzen. Niemand hat sich mit dem »Wir« wohl mehr gebrüstet, als eben Dentzel.

Wegen dieser Herrschsucht widersetzte sich Dentzel den Verordnungen und Einrichtungen des Generals Laubadère sehr oft, und traf andere, welche dem General natürlich auch nicht gefallen wollten. Außerdem hatte Dentzel, um die Garnison instand zu setzen, die Belagerung aufs längste auszuhalten, die Subsistenz der Soldaten um etwas schmälern lassen. Wenn nun die Garnison sich über dies oder jenes beschwerte, so schob Laubadere die Schuld allemal auf Dentzel, und dieser wurde auf die Art der Gegenstand des allgemeinen Hasses der Garnison.

So stand es mit Dentzel, als ich in Landau ankam, und meine Leser bescheiden sich schon von selbst, daß meine Mission viele Schwierigkeiten haben mußte. Ich fühlte dies gleich selbst, und doch war ich dumm oder unbesonnen genug, einen Streich ausführen zu wollen, für andere, der mir nicht gelingen, wenigstens nur äußerst schwer gelingen konnte, und Vorteile für mich aufzugeben, die ich weit leichter und gewisser hätte bewirken können. Pfui über mich und meine kurzsichtige Gutmütigkeit! Wenn ich noch jetzt daran denke, möchte ich mir allemal vor die Stirn schlagen vor Aerger, daß ich die schickliche Gelegenheit, die ich damals auf mehr als eine Art in Händen hatte, mich bei der Republik zu insinuieren und mein Glück zu machen, so fahren ließ und einem Hirngespinst nachrannte, welches mir weiter nichts als Gefahr und Not gewirkt und mich beinahe verrückt gemacht hat! Aber wie es geht! Wenn die Sache vorbei ist, dann erst sieht man ein, wie man sie zu seinem Vorteil hätte nützen können. Ich besuchte Dentzel zwei Tage nach meiner Ankunft förmlich, und da führten wir folgendes Gespräch:

Dentzel: Ja, ich glaube beinahe selbst, daß Landau noch am Ende den Deutschen in die Klauen fällt. Die Spitzbüberei bei uns ist gar zu groß.

Ich: Spitzbüberei? Doch wohl hier in Landau nicht?

Dentzel: Das will ich eben nicht behaupten. Aber gesetzt, daß unsere hiesige Garnison auch noch so ehrlich ist, so ist doch unsere Gefahr immer nicht klein.

Ich: Allerdings nicht, besonders wenn der Entsatz nicht bald kommen sollte.

Dentzel: Das ist eben der Teufel! Wenn Landau in den Händen der Republikaner bleiben soll, so muß es bald entsetzt werden. Wir allein sind viel zu schwach, um uns mit Vorteil lange zu behaupten. Aber glaubst du auch, Landsmann, daß wir auf Entsatz rechnen können?

Ich: Das mußt du besser verstehen als ich.

Dentzel: Den Teufel kann ich verstehen. Weiß ich denn, ob die Generale, welche uns entsetzen sollen, ehrliche Leute sind oder nicht. Wie, wenn sie sich bestechen ließen? Eure deutschen Herren sind Vokativusse, und unsere Monsieurs haben so allerhand Gesinnungen, worauf man nicht fest bauen kann.

Ich: Das weiß ich; es sind auch gar viele schon untreu worden.

Dentzel: Das ist leider sehr wahr. Schau, da war Lafayette, Luckner, Henriot und besonders die Halunken Custine und Dumouriez. Alle die Kerls und noch eine ganze Hetze ähnlicher Schufte sind abgefallen, und man hatte so sehr auf sie gerechnet!

Ich: Also denkst du, das könnte auch hier so der Fall werden?

Dentzel: Ich fürcht' es. Mir wenigstens kommt es vor, unsere Armee müßte schon da sein, wenn keine Schurkenstreiche vorgefallen wären.

Ich: Aber dann müßtest du wenigstens für deine Sicherheit sorgen.

Dentzel: Ja, da sorgt sich's was weg, wie ihr in Halle sagt: das Jahr ist lang! Doch es mag gehen, wie es will, ich bin ein ehrlicher Kerl. Ich schere mich den Teufel drum, tue das Meinige und damit holla.

Ich: Alles gut, aber –

Dentzel: Aber? Glaubst du denn, daß die Preußen mich hängen werden, wenn ich ihnen in die Hände falle?

Ich: Das wohl nicht. Aber du hast doch viel wider dich. Sieh, du bist ein Kind des Deutschen Reiches. Du weißt, daß nach dem Conclusum des Kaisers und des Reichsgerichts alle die als Verräter des Vaterlands erklärt sind, welche Deutsche von Geburt sind und doch im Dienste der Republik verbleiben. Dabei hast du einen sehr angesehenen Posten, du bist ein Mitglied jenes Konvents, welcher den König von Frankreich zum Tode verurteilt und alle Fürsten ohne Ausnahme für Verbrecher und Tyrannen erklärt hat. Du hast selbst in deinen Zetteln sehr ehrenrührig vom König von Preußen und vom Kaiser gesprochen.

Dentzel (aufmerksam): Das ist wahr. Aber Landau kann mit Sturm nicht erobert werden, dazu ist es zu fest. Also muß doch erst kapituliert werden, und dann erhalte ich meine Freiheit durch Akkord.

Ich: Wer steht dir dafür, daß man Landau nicht mit Sturm erobern werde? Und gesetzt, es würde bloß ausgehungert, so müßte die Garnison sich doch auf Diskretion ergeben. Aber wir wollen einmal eine Kapitulation voraussetzen: Wird Laubadère, der dir nicht grün ist, dich auch darin einschließen? Und wenn er es tut, wird er nicht, vielleicht aus Haß gegen dich, dich in die Hände der Feinde fallen lassen? Oder können die Belagerer nicht gerade auf deiner Auslieferung bestehen?

Dentzel: Du hast, meiner Seele, recht: Ich bin in einer hundsföttischen Lage!

Ich: Und, gesetzt auch, du kommst frei durch: können deine Feinde nicht falsche Klagen wider dich anbringen? Hat nicht schon mancher unter der Guillotine bluten müssen, der es nicht verschuldet hatte? Ich dächte, du sorgtest für deine Sicherheit!

Dentzel: Und würde ein Spitzbube wie Dumouriez, nicht wahr?

Ich: Nicht doch! Der ehrliche Mann sucht nur dann seine Sicherheit, wenn er der guten Sache nicht mehr nützen kann. Dann erst fügt er sich in die Zeit.

Dentzel: Das kann nicht sein! Es gehe, wie es will: ich bleibe der Republik getreu! Sie lebe oder fort von der Welt!

Die letzteren Worte sprach Dentzel mit vielem Feuer, und ich fand für ratsam, an mich zu halten, für diesmal nämlich; denn gleich am folgenden Tag hatte ich mit ihm diese neue Unterredung:

Dentzel: Freilich, wenn ich so recht Geld hätte, so ein 20 oder 30 000 Taler: Mordsakkerment, ich gäbe meinen Posten auf, setzte mich nach London oder Berlin oder sonst wohin, lebte frei und kümmerte mich um die ganze Welt nicht weiter. Es ist doch nur Hundsfötter in der Welt!

Ich: Hast du etwa Verdruß gehabt? Dentzel: Tüchtig! Heute habe ich mich schon mit dem Teufel und seiner Großmutter herumgezankt – da mit dem General und dort mit dem Großmaul, dem Maire; die Kerls wollen alles besser wissen.

Ich: Du sprachst zuvor von vielem Gelde: ich dächte, die Zeitumstände machten es dir leicht, soviel zu bekommen, als du nur magst.

Dentzel: Wieso?

Ich: Gestern schienst du zu glauben, daß Landau in die Hände der Deutschen fallen werde.

Dentzel: Das glaube ich auch heute noch.

Ich: Je nun, wenn es denn nicht zu retten ist, so muß man's hingeben, und das zur rechten Zeit, um einem Bombardement und Blutvergießen vorzubeugen.

Dentzel: Was gewinne ich aber dabei? Ich als Deutscher, als erklärter Rebell!

Ich: Sieh an! Wenn du jetzt Anstalt machtest, daß die Preußen Landau kriegten, so könntest du deine Sicherheit und deinen Vorteil so hoch treiben, als du willst!

Dentzel: Woher weißt du das? (Sehr nachdenklich.) Und dann die Mittel und Wege dazu, und dann ehrlich! Ich: Landsmann, bin ich sicher vor dir? Darf ich reden?

Dentzel: Was du willst, Landsmann. Ich verspreche dir, bei allem, was dir und mir heilig ist, ich werde dich nicht verraten.

Jetzt hielt ich dafür, daß es Zeit wäre, näher zu rücken. Ich gab ihm also ein Oktavblatt mit folgendem:

 

Wenn es geschehen kann, daß Mittel ausfindig gemacht werden, wie die Festung Landau, ohne gewaltsames Beschießen und Menschenblut, den gegenwärtigen Belagerern überliefert werde, so sollen die Angeber der gedachten Mittel das Recht haben, eine ehrenvolle Kapitulation nicht nur vorzuschlagen, sondern auch, neben einer vollkommenen Sicherheit ihrer Person, einer der Größe dieses Dienstes angemessenen Belohnung in Gelde gewärtig sein.

Dentzel (stutzt gewaltig): Hat das der Kronprinz von Preußen geschrieben?

Ich: Wie du siehst! In meiner Gegenwart hat er's geschrieben.

Dentzel (vergleicht den Zettel mit einem anderen Aufforderungsbillett von der nämlichen Hand): Richtig, richtig! Aber wahrlich, das ist zu arg!

Ich (mit forschendem Blicke): Nun? was denkst du dabei?

Dentzel (finster): Daß die Deutschen Vokative sind und mich zum Schurkenstreich verleiten wollen! Aber bei Gott, Laukhard! Zum Verräter bin ich noch zu ehrlich! Denn auch ich schwur Tod oder Freiheit, und eins von beiden muß mir werden wie meinen Brüdern, sonst hol' uns alle der Teufel!

Ich (verlegen): Sehr edel und großmütig.

Dentzel (mich starr in die Augen fassend): Und doch konntest du dich brauchen lassen, mich zum Gegenteil bereden zu wollen? Laukhard, Laukhard! Du bist, wie ich merke, noch immer der alte Unbesonnene, der gutmütig und schwach genug ist, sich ohne weiteres Nachdenken, wie ein unmündiges Kind, zu allem beschwatzen und verleiten zu lassen. So warst du sonst, und so, wie ich merke, bist du noch jetzt, und eben darum will ich mein gegebenes Wort für diesmal dir halten und schweigen. Aber merke dir's wohl, du bist verloren, wenn du dich noch einmal unterstehst, bei mir oder jemandem anders das mindeste zu wagen, was nur von ferne einer Verräterei ähnlich sieht. Ich rate dir, sei auf deiner Hut; von nun an werde ich auf alle deine Schritte und Tritte, auf alle deine Worte und Handlungen acht geben lassen. Und versiehst du es im mindesten, so bist du geliefert. Dies merke dir und geh'. Du wirst mir verächtlich, geh'! geh'!

Ich (entschlossen): Verächtlich? Ich bitte dich, Repräsentant, lies das Billett noch einmal, und du wirst sehen, daß du dich übereilst. Höre nur noch etwas gelassen zu. Sieh, wie du selbst einsiehst und neben dir jeder Einsichtige, eure Besatzung ist zu schwach, sich mit Vorteil gegen die Belagerer länger zu behaupten. So weit die Preußen und Oesterreicher jetzt vorgedrungen sind, und so wenig ihr auf die Ehrlichkeit eurer Generäle und den Ernst und die Bereitwilligkeit eurer Nation, wie es scheint, rechnen könnt, um Entsatz mit Sicherheit zu erwarten, so sicher mußt du einsehen, daß Landau den Preußen gewiß in die Hände fallen wird. Fällt es durch Sturm oder Bombardement, dann wehe dir, wehe der Besatzung! Zum Sturm und Bombardement hat der Kronprinz von Preußen Beruf und Mittel, und dennoch wünscht dieser menschenfreundliche Prinz, das auf friedlichem Unterhandlungswege an sich zu bringen, was am Ende unwidersprechlich sein werden muß. Und dies wünscht er, ohne die Häuser der Landauer einzuäschern, ohne Menschenblut zu vergießen. Repräsentant, kann ein Fürst je edler, je menschenfreundlicher denken? Und sieh, zu diesem guten Werk wirst du – du, dessen Pflicht es ist, für das Beste der Landauer Bürger und Soldaten zu sorgen und im Fall der Not aus dieser Not eine Tugend der Schonung und Erhaltung zu machen, du, sag' ich, wirst zu diesem guten Werk mit aufgefordert! – Ich tue das nun, und bloß darum willst du mich verächtlich finden? Bei Gott, Repräsentant, Menschenrechte zu retten kann dir nicht heiliger – Verräterei zu verabscheuen, kann dir nicht pflichtiger sein als mir! Hätte ich nicht alles nach meiner eigenen Ueberzeugung gerade so gefunden, wie ich es hier vor dir zergliederte, wahrlich, ich stände nicht vor dir! Geirrt kann ich haben, aber um Verräter an deiner Nation durch dich zu werden – o Dentzel, wenn ich dazu fähig wäre, dann lieber tot als lebendig!

Dentzel: Alles gut, Laukhard. Aber meine Pflicht und Ehre gebieten mir, das Aeußerste abzuwarten, und geht's dann nicht anders, wohlan! ich schwur auf Tod. Genug, du würdest mich sehr verkennen, wenn du mich auf irgend einen Fall einer Verräterei fähig halten wolltest. Und damit ist es alle. Von nun an besuchst du mich nicht weiter, gehst und bist – ich rat' es dir wohlbedächtig – forthin ganz auf deiner Hut!

Der Ton und die Miene, womit Dentzel das alles sagte, überraschte meine Erwartung sehr und brachte mich nicht wenig außer Fassung. Ich bedachte, wen ich vor mir hatte, schwieg endlich und ging. Aber von nun an war guter Rat teuer! Dentzel hatte das eigenhändige Billett des Kronprinzen von Preußen in Händen; Dentzel war nichts weniger als verschwiegen, und Wein war sein Lieblingstrank. Wie leicht war es nun möglich, ein Wörtchen fallen zu lassen, das mir meinen Kopf hätte kosten können! Den Beleg dazu hatte er in Händen. Er konnte, wenn er mir sein Wort nicht halten wollte, diesen sogar benutzen, seine Treue und Anhänglichkeit für die Republik zu beweisen und sich beim Nationalkonvent festeres Zutrauen und entschiedenes Uebergewicht über seine Gegner, vorzüglich über Laubadère, zu verschaffen. Das alles ließ sich als möglich denken. Ich dachte es ohne Unterlaß, und meine Seele schwebte auf der Folter der Furcht ohne Aufhören.

Und doch achtet man das alles in Berlin jetzt wie für nichts!

Da ich, wie die Folge zeigen wird, solange ich in Frankreich war, mehr denn einmal als der Verräterei verdächtig vor Gericht gefordert, auch zweimal förmlich deswegen eingezogen war, am Ende aber noch immer mit dem Leben davon gekommen bin, so muß man Dentzel das Verdienst lassen, daß er trotz allen seinen Schwächen dennoch der Mann gewesen ist, der französischen Nation ebenso treu zu dienen, als einem Unvorsichtigen Wort zu halten und dadurch dessen Leben zu retten. Daß Dentzel in dieser Rücksicht sich ein großes Verdienst um mich erworben hat, wird die Folge erst ausweisen.


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