Joseph von Lauff
Springinsröckel
Joseph von Lauff

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2

Röschen Jungklaas saß vor ihrem dünnwadigen, engbrüstigen Spinett und spielte die ›Klosterglocken‹ von Wely.

Die grauen Schatten des kalten Wintertages häkelten sich bereits durch die niedrige Stube, allein es war noch immer hell genug, die einzelnen Gegenstände deutlich erkennen zu können. Alles gab sich schlicht und einfach, aber freundlich und seßhaft. In einer Ecke näselte ein blankgewichstes Öfchen, dessen Aufsatz zwei hellgescheuerte Messingschlangen umringelten. Ein großblumiges Sofa nahm die eine Längsseite des Zimmers ein, geschmückt mit perlgestickten Schonern und Schlummerrollen, so recht dazu angetan, ein gediegenes Mittagsschläfchen zu gewährleisten. Daneben stand eine opulente Glasservante, ausstaffiert mit Tassen und Täßchen, Vasen und Väschen und lieben Erinnerungen aus längstverblichener Jugendzeit, während sich auf der gemaserten Plattform ein ausgestopfter Kakadu breit machte, umgeben von Nippsachen, Ammonshörnern und großzinkigen Seemuscheln, die in allen Farben des Regenbogens perlmutterten. Darüber hing unter Glas und Rahmen ein amtliches Schriftstück, dessen Inhalt Röschen immer zum besten gab, wenn sie vornehmen Besuch hatte, und dann las sie mit Stolz und gehobener Stimmung und mit Augen, in denen ein helles Wasser glitzerte: »Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, haben Uns bewogen gefunden, dem Steuerempfänger Franz August Kasimir Jungklaas in Anbetracht seiner großen Verdienste um Staat und Vaterland Unseren Königlichen Rothen-Adler-Orden vierter Klasse zu verleihen und ertheilen demselben über den rechtmäßigen Besitz dieser Auszeichnung das gegenwärtige Beglaubigungsschreiben mit Unserer eigenen Unterschrift und dem beigedrückten Königlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 14. Mai 1824. Friedrich Wilhelm. – »Und dieser Franz August Kasimir Jungklaas,« fügte alsdann Röschen hinzu, »ist mein Vater gewesen, und wäre es ihm verstattet worden, noch weiter zu leben und seinem wohlgeneigten König zu dienen, den Rothen-Adler-Orden dritter Klasse hätte er sich zweifellos auf die Brust heften können, sich selber zur Freude und seinem König zur Ehre,« und dann schluchzte sie still vor sich hin und hing das amtliche Schriftstück wieder an den vergoldeten Nagel, und es war eine Weihe und ein seliger Friede in der Stube des bereits gealterten Mädchens, wie nicht in der Kirche zu finden . . . und jetzt saß Röschen Jungklaas vor ihrem magerstimmigen Spinett und spielte die ›Klosterglocken‹ von Wely, während der Kanarienvogel ganz sacht in die Weise hineindämmerte und spitze Schneekristalle gegen die Scheiben klimperten.

Wie gesagt, Röschen zählte bereits zu den gealterten Jungfrauen, hatte Vergißmeinnichtaugen, straffgescheiteltes Haar und beiderseits zwei zierlich gedrehte Schmachtlocken hängen, die bei jeder Bewegung in ein gelindes Schaukeln gerieten. Die niedliche Figur steckte in einem bunten Kleidchen von Zitz, das sich über einer breitausgelegten Krinoline straffte und steifte. Die resedafarbigen Volants glitten über rahmweiße Strümpfe und Lastingschühchen mit Spitzen von Glanzleder. Alles an Röschen Jungklaas war wie aus dem Ei gepellt, war adrett und wie aus einem Raritätenkasten genommen. Ein Maßliebchen auf einer jungen Frühlingswiese konnte sich nicht lieblicher und freundlicher geben. Nur in ihrem bereits etwas verhutzelten Antlitz, das in jungen Tagen schön gewesen sein müßte und auch jetzt noch des Zaubers nicht entbehrte, standen Blicke, die von einer stillen Resignation und von schönen Hoffnungen erzählten, die sich bis jetzt nicht erfüllt hatten. Allein diese Augen waren gütig und menschenfreundlich und sprachen an wie die schönen Bibelworte, die da lauten: »Und da ich meinem Freunde aufgetan hatte, war er weg und hingegangen. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief ihn, aber er antwortete mir nicht,« und wer genauer zusah, konnte auch heimlich drin lesen: »Alles verstehen, heißt alles verzeihen,« aber nur andeutungsweise, mit einem gewissen Vorbehalt und getragen von den Schwingungen einer ängstlichen Seele.

Schon frühzeitig hatte es Röschen gelernt, ihre Hände zu regen und sich auf eigene Füße zu stellen. Die ihr nach dem frühen Tode der Eltern überkommenen Besitztitel waren nicht groß, aber sie verstand es, sie auszumünzen und sich hierdurch ein sorgenfreies Dasein zu schaffen. Ihr Geschäft rentierte sich, und ihr Ruf als Modistin wetteiferte mit dem ihrer gefeierten Kolleginnen in der benachbarten Kreisstadt. Für ihre Feinplätterei, in der mehrere junge Mädchen angestellt waren, hatte sie eine treffliche Stütze in Christine Jordans gewonnen, die nebenher den Haushalt besorgte, sich als die Getreuste aller Getreuen erwies und in Röschen das lieblichste aller lieblichen Wesen erkannte. In Röschen glaubte sie ihr Alpha und Omega gefunden zu haben, ein zärtliches Abbild echter Jungfräulichkeit, die Zierde der Stadt und die Krone aller Modistinnen zwischen Kleve und Xanten. Gewiß, ein zarter Lavendelduft umspielte bereits das liebenswürdige und honorige Mädchen, mehr als vierzig Jährchen hatten ihren blonden Scheitel berührt, und die niedlichen Krähenfüßchen um Augenwinkel und Mundecken waren nicht mehr fortzuleugnen; aber was sollte das alles?! Ihre Taille war wie die einer Wespe, ihr Lächeln wie das Lächeln einer Zentifolie, und wenn sie im Schmuck ihrer weitausgelegten Krinoline, angetan mit Kapotthütchen und seidenem Cachenez, ihre Lastingschühchen auf und nieder bewegte und in den Kirchenstuhl hineinwippte, dann steckten die Frauenzimmer die Köpfe zusammen und tuschelten heimlich: »Nein, dieses Röschen! Die Mamsell ist weiß Gott noch in der Lage, 'nen Mann glücklich zu machen« – eine Ansicht, die auch Christine Jordans vertrat, eifrigst verfocht und mit allen Mitteln einer gesunden Kombinationspolitik zu verwirklichen suchte . . . und sie war dabei auf den quieszierten Aktuarius des Königlichen Friedensgerichtes verfallen, von dem schönen Grundsatz beseelt, die klugeingefädelte Angelegenheit habe aufzuspringen wie die Knospe einer köstlichen Christrose in stiller und glorreicher Weihnacht. Alles schien auch zu ihren Gunsten zu sprechen. Die angeregten Tee- und Kaffeevisiten nahmen ihren präzisen Verlauf, die knusperigen Waffeln animierten, und die verschiedenen Sechsundsechzig-Partiechen machten den Eindruck, als wenn sich zarte Bande zu flechten begönnen, als mit einem Male, so aus dem Nichts heraus und gegen alle Gepflogenheit, gegen Etikette und Anstand . . . unglaublich und doch wirklich und wahrhaft geschehen: der Herr Aktuarius Aloys Furtwanger war seit Martini nicht mehr über Röschens Schwelle getreten und hatte selbst den Kirchenstuhl, den er sonst mit ihr zu teilen pflegte, ängstlich gemieden, eine unbestrittene Unterlassungssünde, die unangenehm auffiel und Veranlassung gab, das Freundschaftsverhältnis zwischen den allgemein geachteten Leutchen als wenigstens erschüttert hinzustellen.

Vornehmlich hatte Christine schwer darunter zu leiden. Sie zermarterte und zerquälte sich und bot alles auf, die aus dem Leim geratenen Dinge wieder in Schick und Richte zu bringen. Soeben hatte sie damit ernstlich begonnen, hatte den Abtrünnigen zur Rede gestellt und klapperte jetzt, noch ganz benommen von der heiklen Szene, in die warmdurchkachelte Stube hinein, weißübersprenkelt von eisigen Flöckchen, die langsam in dem warmen Hauch des traulichen Öfchens zergingen.

Die ›Klosterglocken‹ verstummten.

Röschen erhob sich und sah ängstlich in das gerötete Antlitz der stattlichen Dame.

»Nun?« fragte sie schüchtern.

»Mamsell, ich habe ihm gegenüber meine unmaßgebliche Meinung geäußert.«

»Wieso das?«

»Eck hefft em geseit, aberst feste und mit allen Schikanen.«

Ihre Stimme war wie die eines unnachsichtlichen Gerichtsbeamten geworden.

»Das hätten Sie nicht tun sollen, Christine.«

»Warum nicht? Dickfellige Karnickels und unsichere Kantonisten muß man an ihre Pflichten erinnern, sonst hat man das Nachsehen und kuckt in 'nen Kasten hinein, wo nichts mehr nicht drin sich befindet.«

»Da haben Sie Ihre Rechte überschritten, Christine. Sie sollten in gütiger und sachlicher Weise ihm dartun, daß ich mich freuen würde, wenn die alten Beziehungen wieder Grund und Boden gewönnen.«

»Ist promptens erledigt.«

»Und daß es mir angenehm wäre, mit ihm an Sonn- und Feiertagen wieder Sechsundsechzig zu spielen.«

»Auch dieses.«

»Und daß er es aufgeben möchte, in auffallender Weise meine Person während des Hochamts zu meiden.«

»Eck hefft em geseit,« wiederholte die Alte mit scharfer Betonung eines jeden Wortes und unter dem harten Geklingel ihrer rotgoldenen Ohrgehänge, »aberst nochmals gesagt: feste und mit allen Schikanen, denn Dingen, die nach einer gewissen Biesternis schmecken, muß man auch mit einer gewissen Biesternis seines Herzens begegnen.«

»Mein Gott!« seufzte Röschen, »Sie sind doch nicht zu weit gegangen, Christine? Sie müssen immer bedenken: der Herr Aktuarius ist eine feinbesaitete Seele, ein Mann der Einsicht und des stillen Sinnierens. Sein Fühlen und Erwägen erinnert an den zarten Schmelz von Schmetterlingsflügeln, und seine Forschungen auf dem Gebiet der kleinen Tierwelt haben Anerkennung gefunden und sind in allermanns Munde.«

»Ach, das mit die ›Flohhatz‹! Kann mir gar nicht imponieren, Mamsell, und das, was er mir von dem ›Jesuiterhütlein‹ erzählt hat, besagt nur zu deutlich, daß er auf 'nem minderwertigen christkatholischen Standpunkt herumturnt. Besonders aufzuwarten, Mamsell – es handelt sich hier um pressantere Dinge, und dessentwegen bin ich ihm äußerst deutlich gekommen.«

»Dann haben Sie Ihre Anweisungen weit überschritten.«

Über Röschens Antlitz flog ein ängstliches Zittern.

»Woso denn?« begehrte die Alte auf und zog die Zipfel ihres gehäkelten Seelenwärmers straffer zusammen. »Er hat Ihnen doch ein reguläres Eheversprechen gegeben.«

Röschen trat entsetzt einige Schritte zurück.

»Was hat er gegeben?« fragte sie tonlos.

»Ein Eheversprechen, gehorsamst zu melden.«

»Nein,« sagte die Ärmste und betupfte mit ihrem Spitzentuch die geröteten Augen, in denen ein helles Wässerchen aufglitzerte, »ein solches hat er niemals gegeben.«

»Aberst ein halbes, Mamsell?«

»Auch das nicht. Es ist niemals davon die Rede gewesen, weder in Gedanken, noch in Worten und Werken.«

»Nanu!« sagte Christine und tat so, als wäre sie aus allen Himmeln gepurzelt. »Nu wird's hellichter Tag oder stockfinstere Nacht, je wie man's nimmt. Er ist doch allsonntags bei Sie in der Guten Stube gewesen.«

»Ich kann es nicht leugnen,« versetzte Röschen unter verhaltenen Tränen.

»Und hat unsern Rodongkuchen, unsern piekfeinen Mokka und Peking genossen. Besonders aufzuwarten unsern Mokka und Peking von Harkopp & Söhne.«

»Auch das gebe ich zu.«

»Dann müssen Sie auch zugeben, Mamsell, daß er mit Ihnen Sechsundsechzig gespielt hat, ganz solo, ganz mit Ihnen alleine und vielfach, wenn schon so'n angenehmes Schummern durch die Gardinen hindurchkuckte. Und wenn einer solches besorgt, wenn einer immerzu kommt, verliebte Nasenlöcher macht, unsere Waffelns mangiert und kein Licht haben will, wenn die Karten sich schon mit 'nem gewissen Düstern umziehen – wenn einer so was unternimmt und das mit einer, die als reines Mädchen ihre jungfräulichen Tage vertan hat, der hat ihr auch vor Gott und von Rechtswegen die Ehe versprochen.«

»Mein Herr und mein Jesus!« schrie Röschen und mußte sich an ihrem Spinett halten, um nicht in die Knie zu sinken, »wie kommen Sie auf solche Geschichten, auf solche Beschuldigungen? Wer sagt Ihnen das? Wie wollen Sie das alles beweisen? Wer gibt Ihnen das Recht dazu, solche Ungeheuerlichkeiten auf die Lippen zu nehmen?«

»Mein Standpunkt und mein gerechter Instinktus,« versetzte Christine, und die fünf Finger der rechten Hand lagen beschwörend auf ihrem stattlichen Busen. »Und warum er zeitweilig abgeschwenkt hat,« fuhr sie mit erhobener Stimme fort, »solches kann ich Ihnen auch belegen, denn ich gehöre zu denen, die ihre Beobachtungen machen, ohne dabei als 'ne neugierige Henne verschlissen zu werden. Sie müssen nämlich wissen, Mamsell« – und die resolute Person streckte sich hoch wie ein Scheumann im Kornfeld – »da steckt ein gewisses Faktotum dahinter. Und dieses Faktotum befindet sich in unserem eigenen Hause – und dieses Faktotum ist in unserer Feinplätterei beschäftigt – und dieses Faktotum benennt sich Nellecke und ist dem alten Kaptän Moritz van Dornick die seine, demselben Moritz van Dornick die seine, der im Altmännerhaus wohnt. Tür an Tür mit dem Leinweber Johannes Terstegen. Und das ist die Wahrheit, und so was kann ich auf meine erste heilige Kommunion nehmen und mit meinen zehn Fingern bekräftigen, so wahr mir Gott helfe von jetzt an bis in alle Ewigkeit, Amen.«

Röschen war bleich geworden wie der Schnee, der draußen die Fensternische umglitzerte. Sie ließ ihre Lider herunter wie jemand, der willens ist, in weite Fernen zu lauschen. Dann aber: mit einem Ruck trat sie näher, griff nach der Hand Christinens und zitterte am ganzen Körper. Ihre lichten, vergißmeinnichtblauen Augen gerieten ins Flammen.

»Und da wollen Sie behaupten, Christine, da wollen Sie sagen: dieses Fräulein van Dornick, der ich gut war und die ich wie meinen Augapfel hütete . . .«

Christine unterbrach sie mit einer großen Handbewegung.

»Besonders aufzuwarten, Mamsell – von Nellecke will ich absolut nichts behaupten, denn sie soll ja so halber mit dem jungen Terstegen verlobt sein, der auf Schulmagister studiert hat und in Obermörmter 'ne powere Lehrerstelle bekleidet. Nein, von ihrer Seite ist keine Befürchtung zu hoffen. In dieser Beziehung muß ich Ihnen mit der kalten Schulter beglücken; denn sie hält Gott vor Augen und ihren Stand als Jungfer in Ehren. Aberst von seiner Seite, Mamsell, von dem Herrn Aktuarius seiner . . . denn ich frage mir immer: Warum hockt er allzeit mit dem alten Moritz zusammen, der gotteslästerlich flucht, immerzu priemt und, wie Herr Johannes Terstegen behauptet, mal an seinem furiosen und immerwährenden Punschtrinken eingeht?«

»Das sind keine stichhaltigen Gründe, Christine, die den Angefeindeten zu belasten vermögen.«

Ihre Stimme fröstelte bei dieser Einwendung wie Espenlaub, und abermals tupfte sie sich mit ihrem Spitzentuch gegen die geröteten Augen.

»Zugegeben, aber ein würdiges Sprichwort besagt: Wer die Tochter liebt, sucht die Mutter zu freien. Da aberst in vorliegendem Fall sich letztere nicht mehr auf Erden befindet, hat sich die Zuneigung auf den alten Moritz gewendet, der, wie ich annehme, mit dem Herrn Aktuarius äußerst dakkor ist. Und besonders aufzuwarten, Mamsell – sie hat ihm schon längst in die Augen gestochen, ich meine: sie ihm und nicht er ihr vom konträrigen Standpunkt, und darin liegt für ihn der Hase im Pfeffer, obgleich ich jetzt freundlicher denke, weil er auf meine richterliche Frage: Herr Aktuarius, nu dürfen wir uns wieder in der angenehmen Hoffnung befinden? gesagt hat: Wir dürfen, wir dürfen! – so daß wir annehmen können: die früheren Tage mit den netten Kleinigkeiten des Lebens sind wieder im Anzug, was ich für äußerst lieblich und bedeutsam ansprechen möchte.«

»Und für Fräulein Nellecke,« setzte die Mamsell ergriffen hinzu, »lege ich meine Hände ins Feuer.«

»Ich gleichfalls dito,« konstatierte Christine.

»Auch für ihn,« folgerte Röschen in schmerzlicher Ergebenheit, »auch für ihn möchte ich dasselbe behaupten; denn alles in allem genommen: er ist mir von jeher ein liebevoller Freund und Berater gewesen, dabei ein Kavalier vom lautersten Wasser. Und wenn er meine Fingerspitzen berührte . . . ich sage Ihnen, Christine, wenn er meine Fingerspitzen berührte . . .«

Ihre Worte erstickten. Sie mußte sich abwenden, um nicht von der Erinnerung überwältigt zu werden.

»Ja, wenn er meine Fingerspitzen berührte . . .«

»Schon möglich,« sagte die Alte, »aber Vorsicht ist von jeher die Mutter des Porzellanschrankes gewesen. Wir müssen ihm gegenüber Beobachtung halten. Wir müssen zusehen, wie er sich mausert, und ob er gewillt ist, den alten, gediegenen Adam wieder gegen den neumodischen in Umtausch zu nehmen . . . und die Zeit wird lehren, ob seine Plüschpantoffeln und Ihre feinen Saffianschühchen . . .«

»Um Himmelswillen! was wollen Sie damit sagen, Christine?!« freute sich Röschen und war nahe dabei, ihren verhaltenen Jubel laut werden zu lassen.

»Allens was recht ist und was ich vor meinem Herrn und Erlöser verantworten werde,« versetzte Christine, »und damit will ich mich in die Bügelstube begeben und nachsehn, ob die Feinplätterei schon an die Herrschaften verschickt ist, denn morgen rufen sie: Prosit Neujahr! und müssen sich aufs Nobelste herausmunterieren. Mamsell, ich habe die Ehre.«

So Christine, und als Röschen Jungklaas sich umsah, war sie allein in der Stube. Wie ein Wirbelwind drehte sich das Gehörte in ihrem Köpfchen herum.

Sie wußte vorderhand nicht ein und aus. Sie mußte sich setzen, und sie setzte sich auf das blumige Sofa neben der schönen Glasservante mit dem ausgestopften Kakadu, den Ammonshörnern und großzinkigen Seemuscheln, die in allen Farben des Regenbogens perlmutterten. Gottergeben legte sie die Hände zusammen.Ihre feuchten Blicke fielen auf das amtliche Schriftstück, und sie dachte dabei an ihren heimgegangenen Vater, der Königlicher Steuerempfänger gewesen war und im Leben etwas vorgestellt hatte . . . und ihre Gedanken gingen in längstverschwundene Tage zurück, wo sie unter vielen Mißhelligkeiten ihre Feinplätterei eröffnet hatte, ihr Spitzen- und Modeunternehmen, und sie konnte zufrieden sein mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit, denn alles blühte und grünte um sie wie in einem Frühlingsgarten, und selbst der Herr Pastor sagte ihr bei jeder Gelegenheit: »Bei Ihnen, Fräulein Röschen, muß der liebe Gott gerne verweilen, denn er gibt Ihnen doppelt und dreifach und hat Sie erhoben unter den Modistinnen in der ganzen Umgebung« und dann verließ er sie stets mit einem gütigen Lächeln. Und ihre Sehnsucht trat leise über den Hausflur, glitt über den knisternden Schnee und verfolgte den Weg, den der Herr Aktuarius eingeschlagen hatte, ganz heimlich und unauffällig, eingemummelt und der Zukunft gedenkend. Sie schloß die vergißmeinnichtblauen Augen, während die Lippen einen Namen stammelten, der ihr schon seit Jahren lieb und teuer gewesen.

»Aloys Furtwanger!« hauchte sie glücklich. »Ach, diese Melodik! So könnte ein Dichter heißen. Aloys Furtwanger!« und sie vergaß alles Leid, das er ihr durch sein Fernbleiben angetan hatte, und dachte nur an die zukünftigen Tage. –

Inzwischen war der einsame Herr Schritt für Schritt über die Grabenstraße gepilgert, und zwar etwas benommen und verweht durch die Auseinandersetzungen, die er mit der alten Christine hatte durchfechten müssen. Wenn er sein Gewissen erforschte, so konnte er es nicht für ganz einwandfrei und selbstlos erklären. Das bedrängte ihn ernsthaft, obgleich er sich sagen mußte: »Strenggenommen habe ich mir nichts vorzuwerfen, habe nichts getan gegen Sitte und Ordnung und bin zeitlebens ein leidlicher und korrekter Beamter gewesen. Und das mit Röschen?! Freilich ist mir zeitweilig der Gedanke gekommen, ihr zuzuflüstern: Nun, meine Tochter, fürchte dich nicht. Alles, was du sagst, will ich tun, denn die ganze Stadt meines Volkes weiß, daß du ein tugendsam Weib bist. Aber dann wieder klang es mir zu: Sie ist schon aus dem ersten Schmelz heraus, ist in die sanfte und milde Atmosphäre der Kamille getreten, und wenn sie auch noch immer bezaubert: die Äpfelchen des Paradieses . . . Leider, leider!« – und der kleine, zierliche Herr im Zylinder, das drollige Männchen, das in seinem braunen Überzieher wie eine Bunzlauer Kanne aussah, wurde alert und übermütig, schlug mit seinem Rohrstock eine sirrende Volte und sagte: »Leider, leider! denn mein Herz sehnt sich nach Betätigung, nach Anmut und Jugend, nach kerniger und blühender Jugend.« Ach, Gott, ja! die Auferstehung des Fleisches war in ihm, und sie entfaltete sich in der harten Luft wie ein klingelndes Schneeglöckchen in laulichen Märztagen, und dann wieder wurde er im Weiterschreiten ernst und nachdenklich und bröselte still vor sich hin: »Indessen jedoch, du bist unvorsichtig und unbedachtsam gewesen, hättest die Etikette beobachten müssen und die gewohnten Visiten nicht einstellen dürfen. Dieses Verhalten – das ist dein Fehler, deine Unbesonnenheit und dein großes Unrecht gewesen. Aloys Furtwanger, emeritierter Aktuarius am hiesigen Friedensgericht, das muß anders werden, ganz anders . . .

Aber was half ihm das alles? Die heiße innere Glut gewann abermals die Oberhand, und trotz Winterweh und Winterleid begann das vermickerte Kerlchen hellauf zu singen:

»Rundgesang und Gerstensaft
Lieben wir ja alle;
Darum trinkt mit Mut und Kraft
Schäumende Pokale!
Bruder, deine Liebste heißt . . .

Er schickte sich an, den Namen seiner Angebeteten durch die frostigen Schneekristalle zu rufen, als er jählings verstummte, wie Zacharias, der Oberpriester, verstummte, als er den Rauchaltar des Herrn bediente, denn ein dralles, schmuckes Mädchen überholte ihn, grüßte und ging eiligst vorüber – ein Mädchen in derben Schuhen, aber leicht gefesselt, kerzenaufrecht, rosig überhaucht und die straffe Büste von einer schlichten, wollenen und mit Kaninchenfell verbrämten Jacke verhüllt – ein Mädchen, als schritte ein lachender, lockender Frühlingstag durch den vergrämelten Winter . . . und trug ein Körbchen mit geplätteter Wäsche im Arm, und wandte sich dem Altmännerhaus zu, wo es bald darauf im Portal des weitläufigen Gebäudes verschwand, um nicht mehr gesehen zu werden.

»Nellecke!« flüsterte er mit verzückten Augen, schlug zum andern eine sirrende Volte mit seinem silberbeknopften Rohrstock und sagte mit erhobener Stimme: »Ha, das war sie, da ging sie! Herz, was willst du noch mehr?! Und dieses mein Herz sehnt sich nach Betätigung, nach Anmut und Jugend, nach saftigen und prallen Weinbeeren!« und dann Hub er wieder zu singen an:

»Toujours fidèle et sans souci,
C'est l'ordre du Crambambuli!

Darum trink mit Mut und Kraft
Schäumende Pokale!
Bruder, deine Liebste heißt . . .?

Nellecke!« gab er sich selber die Antwort. »Nellecke, Nellecke!«

Er rief es laut und gediegen, und er konnte auch laut und gediegen rufen, denn er war allein auf weiter Flur und niemand war bei ihm, der imstande war, ihm das süße Geheimnis vom Munde zu nehmen. Nur die spitzen Schneesternchen hasteten lautlos vorüber und betteten sich auf die weiße Decke, die immer höher und flaumiger wurde.

Herr Aloys Furtwanger war nicht wieder zu kennen. Unentwegt hingen seine Blicke an dem grauen Gemäuer, dessen Giebel und gewalmte Dächer dunstig in den Abendhimmel hineinwuchsen.

Das Altmännerhaus war ein Gebäude aus dem fünfzehnten Jahrhundert, aus Klinkern gefügt und zur Förderung der Heiligen, zur Mehrung und Erhöhung der gottesdienstlichen Feier und zur Verwandlung des weltlichen, vergänglichen Gutes in geistliches, unvergängliches um Jesu Christi willen von dem Herrn Provisor Balthasar Heysing und seiner Herzallerliebsten, der ehrsamen Frau Maria Salomea, gestiftet und den bresthaften Menschen dargebracht worden. Über dem Hauptportal befand sich ein Bildstock des mannhaften Ritters und Drachentöters Sankt Georg. Darunter stand in Stein gemetzet zu lesen:

»Hic habitat pauper, dives miserere precantis;
Da, centena dabit restituetque Deus,
«

welches der hochedle und wohlgelehrte Landdechant hujus loci, Herr Stephan van Hag, also verdeutschte:

»Siehe, hier wohnet der Arme; du, Reicher, erbarme dich seiner;
Gib! denn hundertfach weist Gott dir ja alles zurück.«

So der achtbare und löbliche Herr Stephan van Hag. Aber nicht nur bedürftige und bresthafte Leute fanden hier liebevolle Aufnahme, sondern auch solche, die den Lebenssturm und die Anfechtungen des Daseins hinter sich hatten, die sich nach Ruhe sehnten und willens waren, gegen Hinterlegung ihres Ersparten die geruhsame Nacht zu erwarten und die goldenen Bilder, die ihnen die Anschauung des ewigen Gottes verhießen.

Zu diesen gehörte auch Moritz van Dornick, der Schiffskapitän, der Jahrzehnte hindurch den Kohlenfrachter ›Maria, sei mit uns‹, in Firma Matthias Stinnes & Söhne, zwischen Duisburg-Ruhrort und Rotterdam betreut und geführt hatte, und der hochbetagte Leinweber Johannes Terstegen, dessen Sohn Lambert im benachbarten Obermörmter als Lehrer fungierte. Die beiden Herren wohnten Tür an Tür und hatten mit Aloys Furtwanger innige Freundschaft geschlossen, und weil nun Moritz van Dornick ein wäscheblaues Zimmer, Johannes Terstegen ein weißgekalktes innehatte, so hieß jener im Volksmund allgemein der ›blaue‹, dieser der ›weiße Mynheer‹, zwei Titulaturen, die sie mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Würde zu tragen verstanden und sich ehrlich freuten, also angesprochen zu werden.

Im Erdgeschoß des weitläufigen Gebäudes, und zwar hinter dem dritten und vierten Fenster von rechts gerechnet, hatte sich Moritz vor Anker gelegt, und diese Fenster waren es gerade, die der Herr Aktuarius mit einem besonderen Wohlgefallen betrachtete und von denen er sich nicht losreißen konnte, obgleich sie nichts Merkwürdiges zeigten, es sei denn, daß man die beiden strotzenden Meerzwiebeln, die in braunglasierten Töpfen hinter den angelaufenen Scheiben standen, als solches hinnehmen wollte. Auch die sauberen Vorsetzer boten keinen nennenswerten Reiz dar. Schlichte Häkeleien . . . und dennoch beäugte er sie, als müsse er die umsponnenen Rahmen wie mit Nadelspitzen durchstechen, um hinter ihnen das entschleierte Bild von Sais zu finden.

Endlich setzte er sich wieder in Bewegung. Nur noch einige Schritte und er hatte sein Anwesen erreicht, das wie eine Nürnberger Spieldose aussah, gelblich gestrichen und mit krapproten Fensterläden versehen. Es lag dem Altmännerhaus schräg gegenüber und gerierte sich zwischen den übrigen Häusern wie ein Teltower Rübchen, das sich unterfing, mit dickleibigen Zuckerknollen Freundschaft zu halten. Es erinnerte an eine Arche Noah, an eine Kokosnußschale, an ein winziges Ding, von dem man nicht wußte, was man seiner Kleinheit wegen eigentlich damit anfangen sollte. Trotzdem machte es einen behaglichen und wohnlichen Eindruck, tat zier und zimperlich und blinkte wie die vergoldete Schnupftabaksdose des Herrn Bürgermeisters, die, wenn er sie aufklappte, schöner glitzerte als die blanke Scheibe des ansteigenden Mondes.

Herr Aloys Furtwanger hatte seinen Drücker gezogen.

Inzwischen war es noch grimmiger und kälter geworden. Die Schneesternchen fielen emsiger und dichter. Der Dezembernebel kam weißer herauf. Wie verwaschene Tücher senkten sich die Schatten des Silvesternachmittages über Giebel und Dächer. Der Laternenmann ging schon von Straße zu Straße, um die Lampen in den öffentlichen Laternen ins Leuchten zu bringen, wenngleich man auch noch nicht sagen konnte: Es ist Abend geworden.

Nein, es war noch nicht Abend geworden. Es war noch immer sichtig, wenn auch diesig auf Erden.

Aloys war gerade dabei, den eisernen Bart im vereisten Schlüsselloch knarren zu lassen, als drüben im Erdgeschoß des Altmännerhauses ein Fenster aufgerissen wurde und eine verrostete, aber mächtige Stimme ertönte: »Auf ein Wörtchen, Herr Aktuarius. Heda, hallo!«

Der Angerufene wandte sich um.

Moritz stand drüben im Rahmen und gestikulierte, was das Zeug halten wollte.

»Heda, holla!« rief er noch einmal.

»Was soll's, Herr van Dornick?« gab der Verdutzte zurück, noch immer den Drücker im Schlüsselloch.

»Wir lassen Sie bitten, ich und der weiße Mynheer!«

»Weshalb denn?!«

»Menschenkind!« brüllte ihm Moritz entgegen, aber mit einer Stimme, die imstande war, einen gestrandeten Dreimaster wieder flott und segeltüchtig zu machen, »Sie könnten doch eigentlich wissen: Silvester und so! Für Punsch und Futterage ist bestens gesorgt . . . und da müssen Sie kommen . . .«

»Wenn ich denn als Partner, beziehungsweise als stiller Teilhaber . . . das heißt auf mein eigenes Konto . . .«

»Blexem! Immer toujours wie Sie wollen! Aber wir bitten uns aus: in meiner Behausung. Punkt acht wird begonnen.«

Damit war auch schon das braunrote Gesicht des alten Herrn hinter dem zugeschlagenen Fenster verschwunden.

Gleichzeitig wurde von irgend einer Seite laut und deutlich gerufen: »Springinsröckel!« – ein Name, auf den der Herr Aktuarius hörte wie die Spiegelkarpfen auf den Ton einer Schelle.

Warum? Das soll uns das folgende Kapitel erzählen.

Er wandte den Kopf, sah aber niemand.

Er mußte sich getäuscht haben. Da staubte er sorgfältig den Flutterschnee von seinen Beinkleidern und Schuhen herunter, drehte das Schloß um . . . und Aloys Furtwanger, auch ›Springinsröckel‹ geheißen, trat vorsichtig und sacht über seine Schwelle.  

* * *

3

O dieser Friede, diese Weihe, diese Sauberkeit und diese peinliche Ordnung in dem bescheidenen Zimmer, das der Herr Aktuarius jetzt betreten hatte!

Drüke Anstoots, die Aufwartefrau, die täglich einige Stunden herüberkam, um dem einsiedlerischen Junggesellen das Anwesen unter Lack und Firnis zu halten, war eine gütige Fee, ein Tischleindeckdich, ein Heinzelweibchen, und dabei hatte dieses Heinzelweibchen zweihundert Pfund klevisch Gewicht auf ihre Schultern geladen, war steif wie eine Siegellackstange und dennoch befähigt, wie eine Angorakatze über die Dielen zu gleiten. Unter ihren Händen formte sich alles wie bildsames Wachs, wurde jedes Stäubchen beseitigt, hatten die Spinnentiere kritische Tage erster Ordnung durchzumachen, rumorte das Kanonenöfchen wie ein übermütiger Kobold, strebte auch das Kleinste und Geringfügigste dahin, das unscheinbare Tuskulum zu einem Tempelchen der Freude und des Behagens herzurichten.

Und so auch heute.

Der blankgewichste Wärmespender hatte zartglühende Bäckchen. Dicht neben ihm erhob sich ein Stuhl, über dessen Lehne der Schlafrock des Herrn Aktuarius so zurecht gelegt war, daß sein Inneres die molligen Strahlen aus unmittelbarer Quelle in Empfang nehmen konnte. Die gestopfte Pfeife stand neben der Schreibkommode. Der Fidibusbecher befand sich in Reichweite. Ein Schwefelhölzchen war in seinem Döschen so eingeklemmt worden, daß man es sofort zur Hand hatte, um Feuer zu schlagen. Die Rübsenöllampe fußte, zum Anzünden fertig, unmittelbar neben dem porzellanenen Fidibusbecher. Kurz, es war alles geschehen, dem Siedelmann die späten Nachmittagsstunden des Silvestertages so angenehm wie nur möglich zu machen. Er quittierte dieserhalb auch mit einem dankbaren Lächeln, legte Stock, Hut, Überzieher und den Bratenrock im Nebenzimmer ab, hüllte sich in die Falten des mit Flanell gefütterten Schlafrocks, setzte die Pfeife in Brand, drückte sich in den bequemen Lehnstuhl hinein, der die ganze Fensternische ausfüllte, und sah auf die Grabenstraße hinaus, die immer dunstiger, insichgekehrter und vereinsamter wurde.

Nur wenige Menschen gingen vorüber. Obgleich sie Holzschuhe an den Füßen trugen, verloren sich ihre Schritte wie das Wuchteln von Fledermausflügeln, so sacht und geheimnisvoll sogen die gespreiteten Daunendecken jedes Geräusch ein, auch das geringste, das etwa versuchte, wie ein Mäuschen zu zwitschern. Die gegenüberliegenden Giebel erinnerten an vermummte Gestalten. Was diese dunklen Mauern nicht alles umschlossen! Ein wenig Freude, ein wenig Sorge und viele Gedanken und Hoffnungen für die Tage des kommenden Jahres, das feierlich heraufschwebte und schon verständnisinnig mit den Glocken fummelte, als wenn es sagen wollte: »Wartet nur ab, bald hat meine Stunde geschlagen. Ihr werdet wissend werden und weinen und lachen, je nachdem die herben und freudigen Lose eure Schwelle betreten.« Schon hier und da hellten etliche Fenster auf, so die beim blauen Mynheer und die bei seinem bejahrten Nachbar, dem Leinweber Johannes Terstegen. Ein paar andere Lichter kamen gerade von der Straße. Es waren die Laternen, die das Altmännerhaus auf beiden Seiten flankierten. Mächtige Dunstkreise hüllten sie ein, und in diesen Dunstkreisen spielten unzählige weiße Fünkchen, gleich Millionen von Eintagsfliegen. Sie glänzten wie Silber.

Aloys Furtwanger verfolgte das geschäftige Treiben mit wachsamen Blicken.

So vergingen Viertelstunden um Viertelstunden.

Von dem nahegelegenen Rathaus brummte die Turmuhr.

Erst fünf! und ringsumher hatten sich schon graue Fäden und Garne gesponnen. In der kleinen Stube zerflossen die Gegenstände. Tische und Stühle und die vollgepfropften Bücherregale waren kaum noch zu sehen. Alles verträumt und verschlafen! Nur das kleine Öfchen schaffte wie ein emsiger Pyrotechniker, funkte und spritzte und ließ helle Partikelchen in den Aschenkasten purzeln. Bei jedem Niedergleiten lief ein helles Blinkfeuer über die blankgescheuerten Dielen.

»Wollen man Licht machen,« sagte der Aktuarius, erhob sich aus seinem Sinnen und Träumen, zündete den Docht an und setzte sich wieder.

Jetzt erstrahlte der ganze Raum in lieblicher Reinheit. Eine Fülle der Dinge kam zum Vorschein, die das Auge verwirrte. Wohin man auch sah – überall wegte und regte es sich wie in dem Laboratorium eines Zauberkünstlers. Man wähnte bei einem Gelehrten zu sein, bei einem Weltweisen, bei einem, der die Quadratur des Zirkels zu ergründen suchte, bei einem, der mit versunkenen Weltperioden auf du und du stand und sich mit der winzigen Tierwelt befreundet hatte, als wenn er ihre Sprache und die Gesetze ihrer Lebensbedingungen verstünde. Schachteln bei Schachteln und Kästchen bei Kästchen! Zwischen allerlei Gesteinarten, bei verkieselten Farnen und Moosen, den Blattnarben der Sigillarien und ähnlichen Gewächsen der Urzeit befanden sich Abdrücke von Rädertierchen und Echinodermen, zierlich geordnet und bereichert durch einen Gipsabguß von Scheuchzers Homo diluvii testis, eine Rarität erster Ordnung, die er dem Wohlwollen eines befreundeten Geologen verdankte. Und dann wieder . . . auf Stellagen und Anrichten reihten sich kleinere und größere Glaskasten nebeneinander, angefüllt mit den Präparaten von Käfern und Immen, von Netz- und Gitterflüglern, von Schnabelkerfen, Spinnentieren und Asseln – eine Welt für sich, wunderseltsame Formen und Gegenstände, registriert wie die Akten bei einem Königlichen Friedensgericht, während eine gewählte Bücherei die Wände bedeckte: gesuchte Editionen, voluminöse Bände, teils naturwissenschaftlichen, teils klassischen Inhalts, so, wie bereits gemeldet, des Johannes Fischart ›Jesuiterhütlein‹, das ›Glückhafte Schiff‹, ›Aller Praktik Großmutter‹ und die vielgelesene ›Flohhatz‹; dann Achim von Arnims sämtliche Schriften und die seines Schwagers Clemens Brentano, ferner des krausen und gespensterhaften E. T. A. Hoffmann gesammelte Werke mit den köstlichen Tondruckbildern von Theodor Hosemann; vor allen Dingen Shakespeares Dramen, übersetzt und niedergelegt von Johann Joachim Eschenburg, weiland Literaturhistoriker und Professor am gefeierten Carolinum zu Braunschweig. Des Herrn Zachariä Dichtungen schlossen sich an. Ihnen gesellten sich die von Pfeffel und Gellert, von Ebert und Hagedorn und die des trefflichen Papas Gleim, und wenn dessen ›Preußische Kriegslieder von einem Grenadier‹ der Herr Aktuarius in die Hände bekam und seine Blicke auf das ›Siegeslied nach der Schlacht bei Lowositz‹ fielen, dann nahm er einen martialischen Schritt an, deklamierte frisch von der Leber herunter und schlug mit der Pfeife den Takt dazu:

»Gott donnerte, da floh der Feind!
Singt, Brüder, singet Gott!
Denn Friederich, der Menschenfreund,
Hat obgesiegt mit Gott.

Auf einer Trommel saß der Held
Und dachte seine Schlacht,
Den Himmel über sich zum Zelt
Und um sich her die Nacht.

Großartig, was?!« und er rezitierte den gewaltigen Kantus bis zum letzten Vers herunter.

Sein liebstes Buch aber blieb dennoch besagten Johannes Fischarts launige ›Flohhatz‹ oder der ›Wunder Unrichtige und Spottwichtige Rechtshandel der Flöhe mit den Weibern. Weiland beschrieben durch Huldrich Elloposcleron, auch Jesuwalt Pickhart benamset‹, ein seltener Erstdruck aus dem Jahre 1573, in Leder gebunden und ediert in der Offizin von Bernhard Jobin in Straßburg.

Dort lag es, das Büchlein, ihm gerad gegenüber, auf einer sauber gespreiteten Kommode aus Kirschbaumholz, mitten zwischen einem Kunterbunt von winzigen Sachen und Sächelchen, von denen man auf den ersten Blick so recht nicht wußte, wozu und warum man sie eigentlich ins Leben gerufen hatte. Da waren niedliche Wippen und Schlitten, ein Karussell mit Pferdchen und Gondeln, Kanönchen und Kutschen, Drehörgelchen und Rutschbahnen, klitzekleine Trommeln und Schubkarren – alles aus Kartenblättern geschnitten, zusammen gepappt und mit feinen Gold- und Silberfädchen durchsponnen. Die meisten Gegenstände befanden sich unter umgestülpten Wein- und Wassergläsern, denn sie waren so minuziös und windig verfertigt, waren so leichtgeflügelt, daß der geringste Lufthauch sie auf Nimmerwiedersehen hätte fortführen können. Und was das Lustigste schien: hinter diesen Sachen und Sächelchen, dicht an die Wand gerückt, stellte sich eine mit grünem Papier überkleisterte Schachtel, eine Art von Berglehne, die mit kleinen Holzbäumchen umstellt war, ähnlich denen, wie man sie in den Nürnberger Spieldosen findet. Auf diesem improvisierten Hügel nun, inmitten der spinatgrünen Bäumchen, ragte eine Art von Luginsland auf, ein putziges Etwas mit Türmchen und Giebeln, mit Türen und Fallgattern, auf dessen höchster Zinne sich eine Flaggenstange erhob, von der doppeltes Tuch in schwarz-weißen Kulören herunter bammelte. In diesem köstlichen Bauwerk lebte und wirkte . . . Ihr müßt nämlich wissen und ich erzählte bereits: der Herr Aktuarius war ein Stoiker und Bastler, ein tiefgründiger Kenner der Naturwissenschaften. Vornehmlich liebte er es, sich mit der Kerfenwelt ins Einvernehmen zu setzen, und als er eines Tages die ergötzliche, kuriose und lehrreiche ›Flohhatz‹ gelesen hatte, schloß er innige Freundschaft mit einem besonders tüchtigen, kräftigen und lebensfähigen Vertreter der Kavaliere im braunen Leibfrack, einem prächtigen Pulex irritans, dem exzellentesten Turner und Akrobaten, der ihm je vor Augen gekommen, belehrte ihn nach bestem Können und Wissen, sprach mit ihm wie mit einem denkenden Wesen und fühlte sich veranlaßt, ihn seiner Springkünste und seiner sonstigen Fertigkeiten wegen ›Springinsröckel‹ zu nennen. Nicht dieses allein. Er tat noch ein übriges, schnitt und kleisterte aus Visitenkarten das erwähnte Luftschloß zusammen, illuminierte es mit den passenden Farben und wies dieses Anwesen, unter dem Titel ›Villa Springinsröckel‹, seinem verzogenen Liebling als Wohnsitz an, was dazu beitrug . . . Gott, die Menschlein sind heute so komisch, haben ihre Schrullen und Absonderlichkeiten und können sich nicht genug daran tun, ihre heimlichen Glossen und niedlichen Sticheleien an den Mann zu bringen! Denn es währte nicht lange, da klebte dem ehrenwerten Herrn Aktuarius der Name der Villa am eigenen Leibe, was dann wieder den Autor dieser kuriosen niederrheinischen Geschichte veranlaßte, der gegenwärtigen Erzählung den Titel ›Springinsröckel‹ zu geben . . . und nun saß Herr Aloys Furtwanger, auch Springinsröckel geheißen, in seinem Lehnstuhl am Fenster, wölkte seinen A. B. Reuter durch die lichten Filigrannetze der Rübsenöllampe, dachte an Röschen Jungklaas und dann wieder an Nellecke, machte die große Pilgerfahrt in sein vergangenes Leben und in die Tage, die ihm noch bevorstanden, ließ sich von den Ahnungen des späten Silvestertages umschauern und sagte still vor sich hin: »Also heute Abend bei Moritz! Auch der weiße Mynheer ist geladen. Treffliche Menschen die beiden! Trefflich, sehr trefflich! Vielleicht auch . . . Ach, wenn sie doch käme!«

Er verschluckte die letzten Worte, wagte den schönen Gedanken nicht auszudenken, erging sich vielmehr in Dingen und Erinnerungen, die sich mit seiner eigenen Person und seinem eigenen Dasein beschäftigten, während die Tabakwölkchen sich allmählich verzwirnten, verwebten und ineinander flochten, um schließlich zu einer straffen, weißen, transparenten Fläche zu werden. Und siehe: auf dieser weißen, straffen, transparenten Fläche ließ eine unsichtbare Wunderlaterne allerlei Bilder erscheinen, heitere, sonnige Bilder und solche, die anmuteten, als wenn sie durch einen kalten, regnerischen, vergrämelten Novembertag zögen. Nicht lange – und der Herr Aktuarius Aloys Furtwanger schrumpfte zusammen, wie von einer Wünschelrute um Jahrzehnte rückwärts gezaubert. Er wurde immer unansehnlicher und zwerghafter, er wurde zu einem ganz kleinen Jungen mit semmelblonden Haaren und großen Brombeeraugen – und er sah sich in einem Laden stehen, wo eine herzhafte, biedere und zupackende Ellenkrämerin, die sich Miekske Beiderwand nannte, hinter einer schmalen Theke hantierte, ihrer Klientel Band, Litzen und Kattunstreifen zumaß und dabei immer noch Zeit hatte, dem Kleinen über die lichten Haare zu fahren und ihm die gütigen Worte zu sagen: »So, Aloys, nun geh' man. Nun geh' man zur Schule. Nun wird's Zeit, denn es macht schon auf zweie. Jetzt lerne recht tüchtig, auf Avkat oder so was. Oder gar auf Heerohme. Dann freut sich auch deine selige Mutter im Himmel.« Hierauf wandte sie sich an die umstehenden Bauernfrauen und Hökerweiber und fügte erklärend hinzu: »Er ist nämlich das Söhnchen von der Puppenspieler-Marie; wissen Sie: von derselben schönen Marie, die hier die Püppchen tanzen ließ und dann elendiglich einging, als sie bei den Barmherzigen Nönnchen lag und an ihrer Liebe absterben mußte. Er aber wurde mir vom hohen Magistrat, um Gotteswillen und der christkatholischen Nächstenliebe wegen, in Pflege gegeben, um aus ihm ein properes Menschenkind und eine Stütze der bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Und seien Sie überzeugt, meine Damen, das tu' ich und will ich, so wahr ich hoffe, mit meinem letzten Vaterunser vor meinem Heiland und Seligmacher bestehen zu können.«

Eine allgemeine Rührung bemächtigte sich der ganzen Gesellschaft.

»Gott, diese Märtyrerin!« sagte eine hagere Frau mit straffgescheiteltem Haar, das wie Roggenstroh aussah, eine gutherzige Frau, die unter der alten Linde ihren Kramstand hatte und in der Stadt herum mit Eiern und holländischer Butter hausierte. »Ich hab' sie noch gekannt und mit leiblichen Augen gesehen. Hatte die einen Plie und ein feines Benehmen, um so traurig auf die weißen Hobelspäne zu kommen! Heute rot und morgen schon mit's Totenlaken behaftet. Aber ist denn nicht irgendwo ein Anhalt zu kriegen? Ich meine: da muß sich doch einer befinden . . . da muß doch einer kommen und sich als Vater bekennen. Der kann sich doch nicht wie der heilige Geist benehmen und hinterher sagen: Ich habe ihr statt Bettinlett man 'nen poweren Strohsack gegeben. Das wäre ja hundsmiserabel. Um tausend Gotteswillen, meine liebe Jungfer Beiderwand, weiß Sie denn gar nichts?«

»Gar nichts,« gab die brave Ellenkrämerin zurück, »absolut gar nichts. Die egyptische Finsternis ist klares Wetter dagegen. Nur alljährlich, so um Martini herum . . . Doch nicht rühr' an die Sache. Warum auch? Das kümmert mich nicht und kümmert die andern erst recht nicht. Ich weiß nur: ich habe meine Pflicht zu befolgen, mir gegenüber und dem hohen Magistrat gegenüber, um Aloys was lernen zu lassen und ihn zu einem tüchtigen Menschen zu machen. Das übrige wird der liebe Gott schon erfüllen.«

»Da hat Sie ganz recht,« legte sich jetzt eine Großbäuerin ins Mittel, die aus der Nachbarschaft stammte und aussah wie ein wandelnder Edamer Käse. »Damit kann Sie sich nur ganz alleine befassen, denn das Kind ist Himmelsgut und Ihr überantwortet worden, somit Ihr Eigentum und Ihre alleinige Sorge. Die kann Ihr niemand nicht nehmen. Aber was ich sagen wollte, meine Verehrte . . . Ja so! Was ist der Aloys doch für ein niedliches Jüngsken. So'n göttlicher Amor,« und damit hatte sie den Kleinen schon an ihren stattlichen Umhang gezogen und ihm einen saftigen Kuß auf das Mäulchen geklebt.

»So, und das gibt dir die Tante, und sei recht artig und fleißig, auf daß wir mal feststellen können: der Aloys Furtwanger hat auf Geistlicher studiert, ist Ehrendomherr oder Bischof in Münster geworden.« Gleichzeitig drückte sie ihm ein Kastemännchen in das glückliche Händchen, wobei ein klares Wasser in ihren Augen stand, das sich langsam in Bewegung setzte und von ihren Wangen niederträufelte.

»Bedank' dir auch schön,« sagte Miekske, »denn so'n Kastemännchen ist ein Kapitel für sich und 'ne liebliche Sache. So was ist nicht alle Tage zu haben.« Und da bedankte sich Aloys, senkelte das blanke Geldstück in die Tasche, willens, es später seiner Sparbüchse einzuverleiben, nahm Fibel und Schiefertafel und trabte durch einen heiteren Sommernachmittag zur Schule, um hier den Grundstein für sein späteres Dasein zu legen. Entweder Advokat oder Bischof! Eins von beiden. Ein Drittes gab's nicht für ihn, denn so wollte es seine Tante Miekske und die behäbige Großbäuerin aus der Nachbarschaft haben.

Und die Jahre vergingen. Aloys nahm zu an Frömmigkeit, Weisheit und Verstand, und was die Hauptsache war: er war eine Leuchte in der Christenlehre geworden. Er fühlte sich glücklich, war wohlgelitten bei jung und alt und stündlich bemüht, der guten und fürsorglichen Jungfer Beiderwand Freude und Ehre zu machen. Das Leben in der Natur hatte es ihm angetan. So jung er auch sein mochte, er achtete auf alles, was um ihn keimte und grünte, die Flügel regte und die Fühlerchen streckte. Es freute sich an dem Nicken der Binsen, dem Stäuben der Haselblüten, dem köstlichen Schimmer der Wasserlinsen; er sah die rätselhaften Asseln hantieren und den Ameisenlöwen, diesen Räuber in der Kerfenwelt, seine Sandfallen drehen und seine harmlosen Opfer berücken. In der jugendlichen Seele jubelte das frohe Gesinge einer Lerche. Sie hatte noch nichts Arges erfahren. Da eines Tages . . . über die frohen Schwingen seines lebhaften Geistes war der Mehltau des Häßlichen gefallen, und mit diesem Mehltau behaftet, kam er nach Hause, setzte sich traurig in eine Ecke und schluchzte still vor sich hin.

Da trat Miekske Beiderwand auf ihn zu, nahm ihn beiseite und fragte: »Mein Junge, was hast du?«

»Ich weiß nicht, aber meine Mitschüler lachen mich aus.«

»Warum lachen die Bengels?«

»Weil sie immerzu sagen . . .«

»Was sagen die Ströppe?«

»Ich wäre neben der Bank gefallen, und meine Mutter wäre man bloß eine ›solche‹ gewesen . . . und dann lachen sie allzeit.«

Miekske verfärbte sich.

»Ich verstehe so recht nicht,« meinte sie tonlos. »Du mußt mir die Geschichte noch mal wiederholen, aber langsam und so, daß ich kein Wörtchen verliere,« und das arme Kerlchen tat, wie ihm geheißen, und stammelte mit tränenerstickter Stimme, ohne den Sinn des Herausgestotterten selbst zu begreifen: »Sie sagen, ich wäre neben der Bank gefallen, und meine Mutter wäre auch eine ›solche‹ gewesen.«

Miekske war bleich wie die kalkige Wand einer Sterbekapelle geworden. Aber nicht lange. Die helle, lodernde Wut schoß ihr ins Gesicht und weckte lichte Funken in ihren glühenden Augen. Jedermann kannte Miekske Beiderwand, und jedermann wußte: sie war das selbstloseste, gutmütigste, sanfteste Geschöpf von der Welt, das keinem Huhn hätte 'ne Feder ausrupfen können. Jetzt aber . . .

»Also das sagen die Bengel?!« flammte sie auf. »Das sagen sie von dir und deiner himmlischen Mutter? Früher wagte sich keins der bösen Mäuler an ihre Ehre heran. Wo sie erschien, da flogen die Mützen herunter, und jetzt, wo sie tot ist, da wollen sie kommen . . . Gut so, gut so! indessen jedoch, dann werde ich dir sagen, wer du bist und wer deine Mutter gewesen. Vorher jedoch: geh' auf die Kammer und ziehe dein Bestes an. Ich tue dasselbe.« Und als der kleine Aloys nach einer Viertelstunde wieder vor ihr stand, mit gescheiteltem Haar und in seinem Sonntagsröckchen, da präsentierte sich Miekske in einem abgewetzten Seidenmantillchen, im Schmuck eines schlichten Kapotthütchens, auf dem drei knallrote Schirtingrosen auf langen Drahtstengeln schwankten, und sagte: »Jetzt komm' man; wir wollen den hochwürdigsten Herrn Dechant beehren.«

Kurz darauf standen sie vor dem geistlichen Herrn, einem würdigen Vertreter seines Standes, allgemein verehrt und geliebt in seinem Kirchensprengel. Dieser nun sah sie mit gütigen Blicken an und fragte: »Womit kann ich dienen, Fräulein Beiderwand?«

»Hochwürden, darf ich einige Fragen riskieren?«

»Ich bitte darum.«

»Na denn,« versetzte die Jungfer und legte die Rechte auf den semmelblonden Kopf ihres Schützlings: »Hier der ist wohl bei Ihnen in die Christenlehre gegangen, Hochwürden, und tut es bis jetzt noch?«

»Ja, er ist bis heute mein Schüler gewesen.«

»Und waren Sie mit ihm zufrieden, Herr Dechant?«

»Ja, Fräulein Beiderwand, und ich kann wohl in seiner Gegenwart sagen: Er hat sich zum Primus aufgeschwungen, zum Primus, von dem ich eine abgeklärte, gottwohlgefällige und schöne Zukunft erhoffe.«

»Meinen herzlichsten Beifall, Hochwürden, und meinen verbindlichsten Dank für getätigtes Zeugnis . . . und Sie sind auch der Ansicht: er hat sich stets in properer Weise gegen seine Mitschüler und Kameraden benommen?«

»Stets in der besten.«

»Das wollte ich hören, Herr Dechant,« gab sie zurück und tat einen Atemzug, als müsse sie ein schier unüberwindliches Hindernis nehmen, »denn jetzt erst komme ich auf meinen eigentlichen Zustand, sozusagen auf meinen schwerwiegenden Turnus zu sprechen. Sie wissen ja alles, Hochwürden, und kennen ja das mit seiner unbewußten, wenn auch schönen und lieblichen Mutter, und wie mir der kleine Aloys von Magistratswegen oder, um es mit präziseren Worten zu sagen, als Himmelskind in den Schoß gelegt wurde?«

»Ich bin völlig im Bilde; denn war ich es nicht, der ihr mit meinem Konfrater aus Kranenburg den Heimgang leichter machte und sie zur ewigen Ruhe geleitete? Die Ärmste! Sie hatte geliebt, und ihr mußte viel verziehen werden. Heißes Blut und eine leichtfertige Nacht! Allein ihr wurde vergeben, denn ich weiß: der Herr war bei ihr und nahm ihr den letzten Seufzer von den Lippen. Fräulein Beiderwand –« und seine Stimme erhob sich – »ich sah niemals ein so friedliches und seliges Sterben.«

Die Augen der Angeredeten schwammen in Tränen. Mit beiden Händen suchte sie nach der Rechten des Geistlichen und faßte sie und stammelte mit glücklichen Worten: »Herr Dechant, mein lieber Herr Dechant, das ist ja himmlisch und überaus liebreich zu hören . . . aber da kommen nun welche, seine Mitschüler und Kameraden, und lachen ihn aus und quälen und zermartern ihn und setzen ihm zu und sagen ihm, ohne vor Scham und Entsetzen in den Boden zu sinken: Aloys, du bist neben der Bank gefallen, und deine Mutter ist man bloß eine ›solche‹ gewesen.«

»Das ist ja infam,« trumpfte der Kleriker auf, »das heißt ja, dem Knaben sein Höchstes nehmen, ihm die Mutterliebe aus dem jungen Herzen reißen. Ich danke Ihnen persönlich für Ihr mannhaftes Auftreten. De mortuis nihil nisi bene. Über die Toten soll man nur Gutes reden. Sie ruhen auf dem Friedhof des Herrn. Er hat sie in seine Scheuer gesammelt. Ihm gehören sie zu. Er nur allein hat zu richten, zu rechten. Das Weitere in der Angelegenheit sei mir überlassen. Dem Knaben soll nichts mehr geschehen. Auch seiner Mutter nicht. Dafür werde ich sorgen. Der nächste Sonntag wird Sie darüber belehren. Gehen Sie mit Gott; er wird Erlösung bringen und Sühne und Gerechtigkeit. Leben Sie wohl, Fräulein Beiderwand,« und damit taumelte die Jungfer, den Kleinen an der Hand, aus der stillen Dechanei, wo sie soviel Trost und Hoffnung gefunden, noch ganz benommen von dem, was sie Liebes und Ansprechendes gehört und empfangen hatte.

Draußen aber legte sie sich wieder in ihre dünnfadige Mantille hinein, warf den Kopf in den Nacken, den Kopf mit dem Kapotthütchen und den steifen Schirtingrosen, nahm einen herzhaften Schritt an und sagte: »Komm', Aloys, jetzt gehn wir zu Muttern,« und sie wallfahrteten durch die einsamen Straßen, wo das Gras zwischen den Pflastersteinen sein üppiges Dasein fristete und fast hinter jedem dritten Fenster ein weißes oder graues Kätzchen miaute, und sie schritten zum Tor hinaus und verfolgten die lange Straße mit den kanadischen Pappeln bis dorthin, wo dunkle Lebensbäume aufragten und hinter einer schmiedeeisernen Tür alle diejenigen ruhten, die der Herr zu sich entboten hatte.

Und sie gingen durch die Gräberreihen bis zur Höhe des Kalvarienberges. Hier befand sich ein niedriger Hügel, mit Efeu bewachsen, mit einem schlichten Holzkreuz geschmückt, auf dem geschrieben stand: »Hier ruht in Gott Maria Emerentia Furtwanger, geboren am 10. Dezember Anno Domini 1798 zu Nürtingen. Gestorben dahier im Jahre des Heiles 1819 am 3. des Märzen. Ich harre des Rufes.«

Und Miekske Beiderwand betupfte sich mit ihrem Taschentuch die Augen, deutete auf die einfache Stätte und schluchzte: »Aloys, nun will ich dir sagen, was deine Mutter gewesen. Hier liegt sie, und wer den Stein gegen sie aufhebt, der hebt den Stein auf wider Jesum Christum, den Herrn, der da kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Ich habe sie gekannt, deine Mutter, und wer sie gekannt, dem war es immer so, als wenn er ein Heiligtum sähe. Aloys, und wenn man am Himmelfahrtstage in die Wiesen hineingeht, dem Tage also, von dem das Evangelium redet: Er aber führete sie hinaus bis gen Bethanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr gen Himmel . . . an diesem Tage, da blühen die Blumen am reinsten und schönsten, und so schön und rein wie die Blumen am Himmelfahrtstage ist auch deine Mutter gewesen. Dies meine Ansicht, und wenn sie auch vorzeitig welkte und absterben mußte, das ist daher gekommen, weil ihr Antlitz zu überirdisch und ihre Liebe zu heiß war. So was kann der beste Mensch nicht vertragen. Er geht in die Irre, sitzt schließlich mit gefalteten Händen im Straßengraben und kann den gestrigen Tag nicht mehr finden. Ist Sünde dabei? Ja und nein, aber der Herr hat vergeben und sie mit sich genommen in den ewigen Garten, wo die Blumen heiliger blühen als hier und die Sterne heller brennen als bei uns zwischen Himmel und Erde. Und dein Vater, Aloys, dein leiblicher Vater! Er lebt noch, er ist noch unter uns; denn alljährlich, so um Martini herum . . . Aber warum das? Da ist ein Geheimnis dabei, und dieses Geheimnis hat deine Mutter mit sich genommen für immer und ewig. Allein der Tag wird kommen« – und Miekske Beiderwand machte eine große Bewegung – »ja, der Tag wird kommen . . . Doch darüber wird der Erlöser im Himmel befinden, wie er es beschließt in seiner allmächtigen Vorsehung. Deine Mutter jedoch . . . ehre und liebe sie . . . und wer sie mit unreinen Fingern betastet . . . verflucht soll er sein, verdammt bis in den tiefsten Abgrund der sumpfigsten Hölle. So – und wenn wir daheim sind, dann gehst du in die Beste Stube hinein. Da hängt ein kleines Bild, aus schwarzem Papier geschnitten, über dem Sofa. Ein Vermächtnis von ihr. Es wurde in ihrem dürftigen Nachlaß gefunden und mir vom hochwürdigen Magistrat übergeben. Das bekuck' dir alltage, falte die Händchen und bete: Liebe Mutter, sieh gnädig auf mich herab, schirme und schütze mich und stehe mir bei in der Stunde des Todes.«

Eine halbe Stunde später waren sie wieder zu Hause und standen lange und in tiefer Andacht vor der Silhouette im schwarzen Ebenholzrähmchen, um am Sonntag darauf die Predigt des Herrn Dechanten zu hören.

Der aber begab sich zur Kanzel, im weißen Röckling, das Barett auf dem Hinterkopf, die stahlgrauen Blicke fest auf seine Gemeinde gerichtet, und sagte: »Und es geschah, daß die Jünger kamen und meinten: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrete. Er aber entgegnete ihnen: Wenn ihr betet, so sprechet: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme zu uns. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Allein er wetterte auch in harter Betrübnis: Es ist unmöglich, daß nicht Ärgernisse kommen. Doch wehe dem, durch welchen sie kommen! Es wäre ihm nützer, daß man einen Mühlstein an seinen Hals hängete und würfe ihn ins Meer, denn daß er dieser Kleinen einen ärgere. Und ich verkünde euch allen« – und seine Sprache wandelte sich, wurde grimm und zorngewaltig – »Ärgernis ist gegeben worden in meinem Kirchensprengel. Was die Alten sungen, das haben deren Kinder weitergegeben, unbedachtsam und mit geliehenen Worten. Aber sie verletzten um so schlimmer und häßlicher. Was tat euch der kleine Furtwanger Leides an? Warum laßt ihr seine arme Mutter nicht schlafen im Grabe? Weshalb macht ihr nicht halt vor den Toten? Wer besser und reiner ist denn sie, der trete vor und rufe: Hier bin ich! Der sage mir im Angesicht des allgegenwärtigen Gottes: Ich habe niemals gesündigt, bin niemals in Versuchung gekommen. Gebt Frieden, oder ich muß die Hand wider euch strecken und fluchen. Gebt Frieden! sonst: dieses Auge – es flammt euch zu Boden,« und da sahen die Schuldigen verstört vor sich hin, die alten und jungen, gelobten Einsicht und Einkehr, und siehe: seit dieser Stunde vergoldete die liebe Sonne wieder zwei Menschenherzen, eines, das tot war, und eines, das noch unter den Lebendigen weilte.

Gebt Frieden!

Aloys Furtwanger fuhr aus seinen Träumen und Erinnerungen, war jetzt wieder sein gegenwärtiges Ich, und seine Blicke gingen nach der kleinen Silhouette im Ebenholzrahmen, der gleichen Silhouette, die vor vielen Jahren über dem Sofa von Miekske Beiderwand gehangen hatte.

»Meine Mutter!« sagte er tief ergriffen, mit fahriger Stimme, denn seine Gedanken waren bei der, die er niemals gekannt, und die ihm doch das Leben gegeben hatte, wobei seine Rechte sich hob und die Stirne berührte, als habe er dort etwas Wehes von den Schläfen zu wischen. Gleichzeitig war es ihm so, als klinkte die Haustür, als ginge jemand über den Flur und von hier in die Nebenkammer, die zur Anrichte führte. Vielleicht Drüke Anstoots, die Aufwartefrau, die erschienen war, um das Nötige für den Abend fertig zu stellen. Möglich, schon möglich! und er trat aufs neue in seinen vorigen Zustand, verjüngte sich wieder und wurde zu einem lebensfrohen Mann, der bereits das Abiturientenexamen hinter sich hatte und nahe daran war, sich die Würde eines Auskultators um die Schultern zu legen. Allein das neidische Geschick bestimmte es anders. Mit brutaler Faust stieß es Miekske Beiderwand in eine Verlähmung hinein, verwies sie auf lange Jahre hinaus in ein schmerzliches Siechtum, und als die Ärzte gleich bei Beginn des Unfalls erklärten: »Die kann nicht mehr werden,« da wußte er, was seine Pflicht war und was er seiner Pflegemutter schuldete. »Mein Gut ist dein Gut,« beteuerte er ohne langes Besinnen und verwendete die tausend Taler, die ihm alljährlich zufielen, mit heller Freude dazu, ihr um das jammerselige Dasein ein Rosenkränzlein zu flechten. Daß er mit diesem Akt der Dankbarkeit und Liebe sein Studium aufgeben und der höheren juristischen Laufbahn Valet sagen mußte, forderte die Natur der Dinge. Allein, er nahm sie hin, wie sie nun einmal lagen, fügte sich willig und gab sich zufrieden mit der Stellung eines mittleren Beamten am Königlichen Friedensgericht, ein pflichttreuer Konzipist, der seine Ambitionen verabschiedete, um einem teuren Wesen die letzten Pfade zu ebnen, obgleich seine Lebensfreudigkeit kränkelte und seine Haare ergrauten. Aber auch jetzt noch hielt er sich tapfer und schaffte, wurde zum duldsamen Samaritan und suchte im engen Verkehr mit Gottes Wirken und Weben, mit seinen Wundern in Welt und Flur, in den Ackerkrumen des Feldes und den Altwassern des nahen Rheines das Verlorene wieder zu finden. Neue Rätsel gingen ihm auf und fanden ihre Lösung, Rätsel, so viele wie die Tropfen im Eimer, unzählige, wie die goldenen Zeichen des Himmels, wenn sie über ihm standen in kalten, lichthellen Winternächten. Vornehmlich huldigte er dem Schöpfer in seiner unermeßlichen Kleinwelt. Halleluja! der Tropfen am Eimer . . . und Klopstocks ›Frühlingsfeier‹ bewegte ihn, entflammte sein Sinnen und Denken. Seine Lippen stammelten:

»Nur um den Tropfen am Eimer,
Um die Erde nur, will ich schweben und anbeten!
Halleluja! Halleluja! Der Tropfen am Eimer
Rann aus der Hand des Allmächtigen auch!«

Nach fünf Jahren starb Miekske. Einer Heiligen ähnlich, so starb sie, einer Heiligen ähnlich, so wurde sie zu Grabe geleitet, einer Heiligen ähnlich, so führten sie Cherubim und Seraphim in das neue Jerusalem ein, und es war viel Trauer in der kleinen Stadt um die heimgegangene Jungfer. Am meisten aber trauerte Aloys. Er konnte geraume Zeit hindurch des Tages nicht froh werden. Ein Stück seiner schönen Jugend war ihm vom Herzen gerissen. Dann wieder: nach weiteren fünfzehn Jahren gab er sich einen energischen Ruck und sagte sich richtig: »Der Aktenstaub bedrückt meine Brust, das ewige Einerlei in den dumpfen Räumen des Friedensgerichtes macht mir die Seele wirbelsinnig. Meine Interessen liegen auf einem anderen Gebiet. Prozesse und Schöffensitzungen bieten mir nichts. Hier finde ich nicht das Geheimnis meiner Sehnsucht. Aber ich finde es im Rauschen des Waldes, im Gespinst der Raupe, im Säuseln der Binsen. Meine Pension und was ich sonst noch besitze, genügt mir zum Leben . . .« und er ging hin, legte den feinsten Kanzleibogen vor sich hin, schnipselte eine funkelnagelneue Gänsefeder zurecht und schrieb seinen Abschied. Er wurde ihm in Gnaden und unter Verleihung des Königlichen Kronen- Ordens vierter Klasse von seinem wohlgeneigten König bewilligt. Bald darauf saß er als pensionierter Aktuarius in seinem eigenen Häuschen auf der Grabenstraße, lebte ausschließlich seinen Neigungen und Absonderlichkeiten, aß tagtäglich in der ›Goldenen Kugel‹, spielte mit Röschen Jungklaas sein Partiechen Sechsundsechzig und schloß innige Freundschaft mit dem blauen und dem weißen Mynheer, die ihm schräg gegenüber im Altmännerhaus wohnten.

»Komisch, sehr komisch!« sagte er höchst überrascht, als er aus seinen Träumen erwachte und die ausgebrannte Pfeife beiseite stellte. »Ich glaube, da klopft jemand. Herein!«

Da lispelte die Tür auf, und Drüke Anstoots trat auf Zehenspitzen ins Zimmer. Sie ging wie eine Miezekatze auf Samtpfoten, so geräuschlos und heimlich konnte sie sich auf den gebohnten Dielen bewegen.

»Mynheer,« meinte sie mit verhaltenen Lauten, »ich wollte nicht stören, aber Herr van Dornick hat schon 'rüber geschickt. Es wäre nun Zeit, läßt er sagen.«

»Drüke, wie spät ist es denn?«

»Es geht auf halb neun«, Mynheer.«

»Mein Gott! da hätte ich ja bald mein gegebenes Versprechen vertan und verschlafen. Nein, diese alten Bilder und Erinnerungen! Aber schon gut! Drüke, Sie können gehen, Sie brauchen heute nicht für mein Abendessen zu sorgen. Aber hier ein Prosit Neujährchen! Schon im voraus, und alles Gute für die kommenden Tage,« und er drückte ihr einen harten Taler in die fleißige Rechte.

»Merci, Mynheer! Möge der Herr Jesus-Christus Sie immerzu schützen und in seiner gnädigen Begutscheinigung halten. Danke auch vielmals . . .« und als Drüke sich glückstrahlend entfernt hatte, legte der Herr Aktuarius neue Vatermörder an, schlug einen Knoten in sein schwarzseidenes Halstuch, zog den Bratenrock über und machte Anstalten, die frischgestärkten und blendendweißen Röllchen unterzustreifen. Zuvor aber nur eines, denn er war noch seinem Zimmerkollegen verpflichtet.

Mit leisem Pfeifen trat er an die schmucke Kommode, öffnete das Türchen an der putzigen Villa und sagte: »Springinsröckel, en avant! Du sollst dein Abendbrot haben,« und siehe: mit meisterlichem Sprung kam der braune Kavalier aus seinem Tempel gefahren, bedachte sich nicht lange, sondern glitt in den Ärmel hinein, dem das Röllchen noch fehlte.

Dann: »Fertig!«

Die table d'hôte war zu Ende. Gleich darauf sah sich das flohliche Sanktum Sanktorum verschlossen und das noch fehlende Röllchen an Ort und Stelle befördert.

Na also! auch der Herr Aktuarius war fertig, nachdem er sich noch in seinen wollenen Tröster gewickelt, den Paletot angezogen und den Zylinder aufgesetzt hatte. Mit einem tiefen Seufzer schraubte er den Docht der Lampe herunter, pustete das schwindsüchtige Licht aus und tastete sich langsam ins Freie.

Das Gestöber hatte nachgelassen, war so gut wie fortgewischt worden. Nur noch feine Kristallsplitter hingen in der Luft. An den meisten Stellen zeigte sich bereits der stahlblaue Himmel. Die gegenüberliegenden Häuser standen festlich beleuchtet. Es war Silvesterabend geworden, ein klarer, glasharter, herzhafter Silvesterabend. Auch das kleinste Nebelfleckchen hatte sich eiligst verflüchtet . . . und drüben vom Firmament blinzelten die Sterne wie traute Liebesseelchen, die sich vom Gottesreich aus die verschneite Erde besahen.

* * *


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