Joseph von Lauff
Kärrekiek
Joseph von Lauff

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44 IV Hannecke

»Jan, Jupp, Franz, Dores, Heinrich – ein, zwei, drei, vier, fünf junge Herren,« zählte Grades Mesdag zusammen. »Fünf junge, respektable Fresser auf einmal, macht fünf Leberwürste – stimmt akkurat.«

Bei dieser Gelegenheit machte er mit der flachen Hand einen horizontalen Strich durch die Luft, was so viel heißen sollte wie: vorgelesen, genehmigt und unterschrieben; punktum, streu Sand drauf.

Nach dieser Formalität, die er nie bei einer perfekt gewordenen Sache zu verabsäumen pflegte, geleitete er Pittje Pittjewitt, den Schweinetrog und die übrigen Anhängsel auf den hinteren Hofraum, wo die Schweinetragödie ihren Anfang nehmen sollte.

Der Bas war eine hohe, starkknochige, etwas vornüber geneigte Erscheinung mit stahlgrauen Augen und buschigen Brauen, unter denen die Blicke scharf wie Nadelspitzen beobachten konnten. Etwas Kaltes, Zurückhaltendes, Wortkarges lag in dem ganzen Wesen des Mannes, der noch nie um Haaresbreite vom Wege der Erkenntnis abgewichen war und dessen Lebensansichten in der ganzen Bürgerschaft in einer so lauteren und reinen Beurteilung 45 standen wie das weiße Leinenzeug, das Hannecke auf der kleinen Bleiche hinter dem Hause zu sonnen pflegte. Überall war Grades Mesdag ein gern gesehener und willkommener Gast; was er tat, trug den Stempel des Reellen an sich, und was er sagte, wurde gewertet und stand in Kurs wie preußische Banknoten. Auch im Gemeinderat und bei sonstiger Gelegenheit wurde der Bas gern gehört. Fuhr er mit der gestreckten Hand über den graumelierten Knebelbart, fügte er noch den horizontalen Strich durch die Luft hinzu und setzte sein obligates ›akkurat‹ unter das Ganze – dann klappte die Sache. Gewiß, der Bas hatte seine Absonderlichkeiten. Er war eine wortkarge Natur, die sich bei Gelegenheit zu Schroffheiten hinreißen ließ, aber dies verfing wenig und tat seiner Popularität keinen Abbruch. »Schade,« meinten die Leute, »daß dieser Mann einen zu kurzen Atem hat!« Und dem war so. Grades Mesdag hatte einen zu kurzen Atem.

An einem naßkalten Novembertage, an dem er auf einer Holzauktion geschlagene Pappelstämme für sein Geschäft erstanden hatte, war er krank und mit einem bösen Reißen in den Gliedern nach Hause gekommen. Aus dem Reißen hatte sich die fliegende Gicht gebildet, und diese war ihm aufs Herz geschlagen. An einem dieser kritischen Tage wähnte er sein letztes Stündlein gekommen. Schon hatte er die rechte Hand ausgestreckt, um mit schwachen Kräften den horizontalen Strich zu machen – aber der liebe Gott hatte ein Einsehen. Das ›akkurat‹ blieb dem Bas zwischen den Lippen hängen, und wenn auch mit 46 einem Herzfehler und einem kurzen Atem behaftet, er wurde den Seinen und seinen Mitmenschen erhalten. Und das war gut so. –

Pittje Pittjewitt legte den Gurt ab, stellte den Schweinetrog nieder, entfernte das Rad und öffnete die Tür des sauberen Stalles, in dem das Weihnachtsferkel seinem nicht beneidenswerten Schicksal entgegensah. An den langen Ohren zog er es aus seiner warmen Behausung. Drall, fett, speckig, schlitzäugig, fein beklaut und mit silberlichten Borsten geschmückt, aus denen die pralle Haut lieblich und in einem sanften Rosenrot hervorsah, erschien das Opferschwein vor unseren begehrlichen Blicken.

Uns lief das Wasser im Mund zusammen.

»Fein!« machte Franz Dewers und ließ dabei einen lichten Nasentropfen in den Schnee fallen.

Die Augen vom lateinischen Heinrich erstrahlten in einem überirdischen Lichte. Er sah die frischen Leber- und Mettwürste schon vor seiner Nase tanzen. Wie ein Spiegelkarpfen, den der nüchterne Verstand des Anglers auf den dürren Sand geworfen, schnappte er nach dieser Phantasmagorie in die Luft.

»Hat noch Zeit,« lachte Pittje Pittjewitt und hielt ihm die gespreizten Finger vor den Mund. »Aber da . . .!« und er zeigte nach einem schneebedeckten Pflaumenbaum, von dem verschiedene Blaumeisen lüstern und begehrlich herabsahen.

»Was sagst Du nun, mein Junge?«

»Instinkt,« meinte der Lateiner in wegwerfendem Tone.

47 »Hat sich was mit Deinem Instinkt,« entgegnete Pittje Pittjewitt. »Die verstehen ebenso gut wie Du, daß hier ein Ferkel abgestochen wird, und haben Verstand. Du wartest auf die Wurst, und die Meisen auf den Specknabel. Also – dieselbige Schose! – Punktum!«

»Streu Sand drauf,« ergänzte der Bas, legte die Pfeife beiseite, machte den wagerechten Strich und brachte mit Hilfe von Pittje Pittjewitt das Ferkel in die Marterkiste. Hierauf steckte er die Rechte in die Hosentasche, umklammerte mit dem Zeigefinger der Linken den zerbrechlichen Stengel der wieder aufgenommenen Tonpfeife und beobachtete in aller Gemütsruhe die weitere Tätigkeit von Pittje Pittjewitt.

Als das Weihnachtsferkel seine ersten Todes- und Angsttöne ausstieß, schlich ich mich auf leisen Zehenspitzen zu Hannecke Mesdag.

Hannecke saß in der vorderen, blautapezierten Stube, deren Fenster auf die verschneite Landstraße hinaussahen. Frisch gewaschene Tüllgardinen gaben dem kleinen Zimmer ein behagliches Aussehen. Alles und jedes in diesen vier Pfählen wies auf eine peinliche Sauberkeit und Ordnung hin. Kirschbaummöbel im Geschmack der sechziger Jahre bildeten die Einrichtung in der Guten Stube des Holzschuhmachers. Ein Ripssofa, dessen Rücken- und Seitenlehnen mit gehäkelten Schonern überdeckt waren, stand an der Längsseite des niedrigen Raumes. Davor befand sich ein runder Tisch, aus dem, unter einem Holzkruzifix von Kevelaer, die stattliche Hauspostille ihr 48 beschauliches Dasein fristete. Über der eingelegten Kommode hing eine mittelmäßige, mit grellen Farben illuminierte Lithographie von Pius dem Neunten, rechts und links flankiert von künstlichen Lilien, die Hannecke in geradezu vollendeter Weise aus Gaze, Batist und Seide herzustellen wußte. Pius der Neunte lächelte auf dem Bilde, und wie segnend hob er die Hand, an der Petri Fischerring erglänzte, über Hannecke Mesdag.

Die Tür, die zur Küche führte, stand offen. Dort machte sich Mutter Mesdag mit noch einigen Frauen aus der Nachbarschaft, die zur Hilfeleistung beim Schweineschlachten erschienen waren, am offenen Herdfeuer zu schaffen, über dem das Wasser in einem großen, kupfernen Kessel brodelte. Es sang und ächzte, zischelte und stöhnte in allen Tonarten, und der kupferne Deckel klapperte den Takt dazu. Ein heißer Wasserbrodem wirbelte in den weitausgelegten Rauchfang, dessen vordere Bekrönung mit Kannen und Zinntellern bestellt war. Ein beblümter Gardinenstreifen legte sich rings um den Absturz des weitvorspringenden Fanges.

Als ich ins Zimmer getreten war, hatte Hannecke Mesdag die Augen aufgeschlagen. Es waren wunderliebe, träumerische Augen, die mich anblickten. Hannecke streckte mir ihre beiden Hände entgegen; dann zog sie mich auf einen hochlehnigen Binsenstuhl, der an ihrer Seite stand, fuhr über mein lichtes Haar, und als das reine, innige Blau ihrer Augen meinen Blicken begegnete, da schien es mir, als wenn der ganze Blütenregen ihres eigentümlichen 49 Wesens über mich hinrieselte. Die Nähe von Hannecke Mesdag übte auf mich eine zauberische Gewalt aus. Das liebe Geschöpf war nicht wie andere Sterbliche. Wenn sie mit ihrer weißen, durchgeistigten Hand auf das Wasser und die Binsen des nahen Ravelins hinauswies, wenn sich ihre schönen Lippen leise bewegten, dann wurde alles zu einem Märchen in der kleinen, weltfernen Stube. Die Nixen aus dem nahen Ravelin kamen als lange Nebelstreifen gezogen, das Schilf, auf dem sich schmucke Libellen tummelten, nickte dabei durch die niedrigen Scheiben, und selbst die blutenden Herzen, die in bunten Scherben am Fenster standen und blühten, raunten und sprachen zusammen wie verständige Lebewesen. Eine geheimnisvolle Mischung von phantastischer Laune und Wirklichkeit wurde unter ihrer Wünschelrute gezeitigt. Das untätige Bügeleisen begann plötzlich in der Ecke zu klappern und unterfing sich, ein Liebesverhältnis mit der Klöppelschere in die Wege zu leiten. Das Raspeln und Schaben von Grades Mesdag wurde zu einem lieblichen Getön, zu dem Ritter und Edelfrauen in schleppenden Kleidern hofierten und mit zierem Schritt den Fackelschleifer begingen. Dann machte Hannecke eine neue Handbewegung, und ein anderes Bild tat sich auf. Der kleine Raum dehnte und wölbte sich. Mächtige Buchenstämme schatteten weithin, Glockenblumen läuteten durch die tiefe Stille des Waldes, die schöne Melusine saß am klaren Born und strähnte ihr Goldhaar, während das häßliche Rumpelstilzchen auf einem Ginsterbesen geigte und um die zierliche Rapunzelprinzessin 50 scharmierte. Flimmern und Goldduft, taufrisches Moos und Blättersäuseln! – Und die Hirschkuh der frommen Genoveva rauschte weithin durch Hartriegel und Haselgebüsch, die sieben Raben flogen von Baum zu Baum, auf dem Machandelstrauch saß der Wundervogel mit der goldenen Kette, und wundersam revierten die Klänge des Hifthorns durch die geheimnisvollen Gründe des Zauberwaldes. –

Hannecke war das einzige Kind von Grades Mesdag und mütterlicherseits eine ferne Anverwandte von Jakob Verhage, der durch mißliche Umstände gezwungen wurde, städtische Mildherzigkeit in Anspruch zu nehmen, um seine letzten Tage im Altmännerhaus beschließen zu können. Ein eigentümliches Etwas schwebte um die Gestalt und das ganze Verhalten von Hannecke Mesdag. Bis ins Jungfrauenalter hinein hatte sie ein vereinsamtes Leben geführt, wodurch eine gewisse Sonderlichkeit des Empfindens ihr Seelenleben beeinflußte, das sich vornehmlich durch ein unbewußtes Zusammenzucken vor jeder fremden Berührung und ein geheimnisvolles Hinträumen bemerkbar machte. Für gewöhnlich war ihre Sprache verschleiert, das Wesen des Traurigen und Müden beherrschte sie; doch wenn sie die Märchenwelt belebte, wenn sie die weiße, blaugeäderte Hand wie beschwörend ausstreckte, dann brach der metallreichste Ton aus der gehobenen Stimme, ein melodisches Klingen, das den Anschein hatte, als käme es von überirdischen Lippen. Mit ihrem Fühlen und Denken stand auch ihre äußere Erscheinung in 51 Wechselwirkung. Der Hauch des Madonnenhaften, der aber des Leidenschaftlichen nicht entbehrte, verklärte ihren überschlanken Körper, dessen jugendliche Formen nicht durch den Zwang des Schnürleibchens eingeengt wurden. Das leichte Gewand, mit dem sie sich zu bekleiden pflegte, das Ausgeprägte und Jungfräuliche in ihrer ganzen Erscheinung verliehen ihr das Aussehen einer Statue, die mit einem sehr dünnen und angefeuchteten Gewebe umhüllt war, ein liebliches Gebilde, von dessen zierlichen Gliedern und holden Rundungen, den duftigen und leise ineinander verschwimmenden Farbentönen ein geheimnisvoller Reiz ausstrahlte, der alle gefangen nehmen mußte, die in ihrer Nähe weilten. Die Nase war fein und durchsichtig, und die ausdrucksvollen Nasenlöcher zuckten manchmal über einem sanftgeschweiften Mund mit beweglichen Ecken. Die weiche Linie ihres Körpers wiegte sich bei jedem Schritt. Es waren wunderbare Augen, die groß, leuchtend und dennoch etwas verschleiert unter den langen Wimpern mich ansahen. Hannecke Mesdag war eine eigenartige Schönheit.

Nicht weit von der Fensternische stand ein mit einer leichten Papierhülle umkleideter Blumentopf, aus dessen Erdreich der lange Schaft einer weißen Lilie emporstieg. Alljährlich am einundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis topfte sie die Zwiebel ein, pflegte sie und freute sich, wenn das saftige und leuchtende Grün aus der warmen Erde hervorbrach. Um die Weihnachtszeit blümte sich der getriebene Schaft mit frommen Kelchen, die das Aussehen 52 der Schneeflocken hatten, die rein und schleierweiß vom Himmel fielen. Die entfaltete Blume diente ihr als Modell. Mit kunstgeübten Händen formte sie das lebende Gebilde nach, gab der zugeschnittenen Gaze mit biegsamem Draht Form und Gestalt, und wenn am Fronleichnamstag die Prozession mit fliegenden Kirchenfahnen und brennenden Kerzen durch die mit Maien und Kälberrohr geschmückten Straßen zog, wenn die kleinen Messingschellen hinter den Hausaltären bimmelten und der blaue Leibrock von Heinrich Hübbers und der Pittje Pittjewittsche Zylinder von ihren Inhabern über den geschnittenen Buchsbaum und Kalmus getragen wurden, dann hielten weißgekleidete Mädchen die künstlichen Lilien von Hannecke Mesdag in Händen, schritten zur Seite des Allerheiligsten und sangen mit ihren kindlichen Stimmchen das ›Meerstern, ich dich grüße, o, Maria – hilf!‹ in den blauen Himmel hinein.

Hannecke Mesdag liebte die Lilien. Auch in ihrem kleinen Garten hinter dem Hause pflegte sie diese geheimnisvollen Blumen, die im Lande Galiläa wild auf den Bergen wachsen, in dem heiligen Lande, wo der Flachs rosig blüht, und zu manchen Zeiten des Jahres die Nächte so hell und blendend sind, daß man das Leuchten der Sterne nicht sehen kann. –

Hannecke war aufgestanden und hatte die Tür, die zur Küche führte, geschlossen. Dann nahm sie meinen Kopf zwischen ihre Hände.

Ihre blühenden Lippen standen dicht vor meinem Mund. Ich sah sie mit großen Augen an.

53 »Ach, Hannecke!«

»Du bist gewiß mit irgend einem Anliegen gekommen,« sagte sie mit ihrer weichen und einschmeichelnden Stimme.

»Hannecke!«

»Soll ich Dir eine Geschichte erzählen? – Etwa die vom König Drosselbart, oder die von der schönen Regiswind, die in einem Hemde von Nesseln einherging?«

Ich schüttelte verneinend den Kopf.

»Was denn, mein Junge?«

»Hannecke, wir wollen Komödie spielen.«

»Was wollt Ihr machen?« fragte sie mit lachendem Munde.

»Komödie spielen,« wiederholte ich nach einigem Zögern, »und dazu ist nötig, daß der Rockelor meines Vaters mit Litzenwerk besetzt wird, und von meinem Hut müssen goldene Quasten bammeln. Auch die neue Bluse von meiner Schwester, die braunsammetne Bluse mit den großen Puffärmeln, muß umgearbeitet und mit breiten Silberborten betreßt werden. So tragen es nämlich die spanischen Großen auf dem Theater.«

»Und da soll ich wohl eine Theaterschneiderin abgeben?!« fiel Hannecke Mesdag mit hellem Gelächter dazwischen.

»Ach, Hannecke!«

»Gut denn,« meinte das liebe Mädchen, »aber nur unter einer Bedingung.«

54 »Ja – was denn, Hannecke?«

»Vater, Mutter und ich müssen dabei sein, wenn die Komödie losgeht.«

»Und ob!« bestätigte ich mit triumphierender Stimme. »Auch Jakob Verhage, Heinrich Hübbers und Pittje Pittjewitt werden eingeladen. Auch Wilm Verhage . . .«

Hannecke Mesdag verfärbte sich bei Nennung dieses Namens. Sie faßte sich aber, nahm wie vorhin meine Schläfen zwischen ihre weißen Hände und fragte von neuem: »Was spielt Ihr denn eigentlich?«

»Don Juan oder der steinerne Gast, und Jan Klaas als Porträtmaler.«

»Und wann?«

»Kurz vor Fastnacht.«

»Das ist noch lange hin.«

»Die Proben, Hannecke!«

»Ja so,« meinte sie leichthin. Dann erkundigte sie sich nach den Mitspielern.

»Jan Höfkens, Franz Dewers und der lateinische Heinrich. Mein Bruder, der lange Dores, wird die schöne Donna Elvira geben.«

Hannecke biß die Lippen zusammen. Eine allerliebste Heiterkeit spielte um ihre Mund und Augenwinkel.

»Also der lange Dores gibt die schöne Donna Elvira?«

»Ja, Hannecke, und weil Du so lieb bist, so möchte ich Dich noch um etwas bitten.«

»Bitte, mein Junge. Ich befinde mich gerade in der fröhlichsten Laune.«

55 »Sieh mal, Hannecke,« hub ich nach einigem Zögern an, »Du hast ja so ein schönes, himmelblaues Sonntagskleid, und da habe ich mir denn so gedacht, es würde ein passendes Elvirakostüm abgeben, wenn Du es mit weißem Kaninchenfell besetzen wolltest.«

»Für diese Unverfrorenheit möchte ich Dir einen Kuß geben,« lachte Hannecke in gehobener Stimmung.

Ein eigentümlicher Schauer durchfuhr mich. Ihr Gesicht näherte sich dem meinen. Sie hatte ihre Hände auf meine Schultern gelegt. Im matten Dämmerlicht des Abends sah ich, wie ihre Augen neckisch in die meinen hineinblitzten. Die Pupillen erweiterten sich unnatürlich, das feuchte Blau der Iris schillerte grünlich wie Katzenauge, und ich hatte schon die Lippen halb geöffnet, um das süße Versprechen, die liebe Verheißung in Empfang zu nehmen. Ein überwältigendes Gefühl der Seligkeit stieg in mir auf. Es war so still und feierlich um uns geworden. Nur der Wasserkessel nebenan orgelte in seltsamen Tönen herüber.

»Hörst Du's, wie der saust und summelt?« raunte Hannecke leise. »Das sind die Stimmen der Wassergeister,« fügte sie ergänzend hinzu und strich mir dabei mit ihrer weichen Hand das Haar aus der Stirne.

Mir kam es vor, als wenn auf ihren braungoldigen Flechten ein Krönlein flimmerte, in dem Edelsteine wie Glühwürmchen aufleuchteten. Ich hörte Glockenblumen läuten und sah bunte Falter durch den Tann gaukeln. Grüngoldige Eidechsen huschten über Pilze und 56 Farrenwedel, die gläserne Spindel der bleichen Waldfrau tönte klingend durch die weiten Räume und Gänge, und ich hielt mich selbst für das verwunschene Schneiderlein, dem von der holden Märchenprinzessin ein ganzes Königreich auf den Mund gedrückt werden sollte. Ich stand in Erwartung dieses zauberischen Kusses, als die Tür aufgerissen wurde und der lateinische Heinrich ins Zimmer stakelte.

Kopfüber war ich aus meinem Himmel gefallen.

Hannecke hatte sich gewendet.

»Scando tibi in tectum!« sagte der Störenfried. »Ich werde Dir gleich aufs Dach steigen. Draußen hängt längst das Schwein an der Leiter, Mutter Mesdag hackt schon die Leber und stopft sie mit der Grütze in die Pelle hinein – und Du . . .?«

Fragend sah er mich an. Ich konnte seinen Blick nicht aushalten. Eine ganze Fülle des Ketzerrichterlichen und Inquisitorischen hatte in dem Tonfall seiner Stimme gelegen. Beschämt verließ ich das entweihte Paradies und betrat mit ihm die Küche, wo Mutter Mesdag damit beschäftigt war, die in aller Eile angefertigten Grütz- und Leberwürste in das brodelnde Wasser zu legen. Die lüsternen Blicke von meinen Kumpanen stierten dabei in den verheißungsvollen Kessel hinein, der in den sonderbarsten Lauten stöhnte und ächzte, und auf dessen fettäugigem Inhalt die Würste wie kleine Inseln umherschwammen.

Der Bas zündete mit einem Pappelholzspan die Lampe an, denn der Abend sah schon mit düsteren Augen durch 57 die kleinen Fensterscheiben. Über die Schneedecke da draußen dehnten sich lange, bläuliche Schatten. Lustige, knisternde Funken stoben unter dem Kessel hervor und tanzten in den weiten Rauchfang hinein.

Das Schönste der ganzen Schweinetragödie nahm jetzt seinen Anfang. Mutter Mesdag stichelte mit einem scharfen Dorn in die schwimmenden Würste, daß sie knackten und das Fett mit einem hellen Quietschen aus der Pelle herausspritzte. Dann gabelte sie den Inhalt aus dem Brodelwasser und gab jedem von uns sein Deputat.

»Die könnte man essen – und das täte ich,« sagte Jan Höfkens. »Danke.«

»Fein!« bemerkte Franz Dewers. Dann führte er einen wahren Indianertanz auf.

Der Lateiner schwieg noch. Er stand in tiefer Betrachtung, die ihm überreichte Wurst als ein kleines Szepter in der Hand haltend. Plötzlich wendete er sich an Pittje Pittjewitt.

»Herr Pittjewitt,« fragte er diesen mit feierlichem Augenaufschlag, »haben Sie vielleicht in betreff des Schweineschlachtens und Wurstens kulturhistorische Studien gemacht?«

»Nein,« sagte der Angeredete.

»Dann möchte ich doch bemerken,« fuhr der Lateiner mit erhobener Stimme fort, »daß die alten Römer und Griechen die Wurst in ihrer jetzigen Gestalt und Zubereitung schwerlich gekannt haben. Dennoch ist nicht außer acht zu lassen, daß zeitgenössische Schriftsteller wie 58 Juvenal und Perronius Arbiter, letzterer in seinem berühmten Werke, dem Gastmahl des Trimalchio . . .«

Mutter Mesdag hielt sich die Ohren zu. dann schlug sie die Hände zusammen.

»Um Gottes willen!« fiel der Bas dem Lateiner in die Rede, »es bleibt sich ganz egal, was die alten Römer und Griechen gegessen haben. Dies ist Leber- und Grützwurst, und die essen wir – und auf Sinter Klaas seid Ihr alle zu einem Glase Punsch und auf Preßwaffeln eingeladen. – Nicht, Mutter?«

Frau Mesdag nickte zustimmend, und der Bas zog seinen horizontalen Bekräftigungsstrich unter die Sache. Die Angelegenheit war somit perfekt geworden.

Nach einer Stunde empfahlen wir uns.

Auf der Hausschwelle legte Pittje Pittjewitt seine Rechte auf die Schulter vom lateinischen Heinrich. »Na, Heinrich,« fragte er mit zugespitztem Mund, »wie denkst Du jetzt über die Blaumeisen?«

»Sie haben den Schweinenabel angenommen,« versetzte der Lateiner mit pastoraler Würde. »Ich bin belehrt und habe Einsehen gelernt.«

»Gut Ding, was sich ändert,« bemerkte Pittjewitt mit einem gerührten Anflug in der Stimme. Dann lüftete er die Troddelmütze und schüttelte dem Bekehrten kräftig die Rechte. Hierauf begab er sich auf den Hofraum der Mesdagschen Wohnung, um die Angst- und Marterkiste wieder fahrbar zu machen.

Wir waren vorausgegangen.

59 Die Nacht ging über die kleine Stadt hin. Safrangelbe Lichter, die aus den Fenstern und den kleinen Kramläden fielen, legten sich quer über die bläuliche Schneedecke. Der Himmel war licht und sternenklar.

Ich hatte meine eigenen Gedanken und dachte an Hannecke, die im Laufe des Abends nicht mehr erschienen war. Ich tröstete mich auf die nächsten Tage, und im Hinblick auf sie zitterte leise und ahnungsvoll durch meinen Sinn der Sankt Nikolaszauber.

Gute Nacht!


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