Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Die Gebirgsnovelle.

Es war des Sonntags, und dem Tage zu Ehren kuckte die Sonne mitunter durch die Regenwolken, daß ich Muth gewann, mich aufzumachen und auf den Bergen und Wäldern herumzuklettern.

Tief im Bergforste hatte ich Weg und Steg verloren, und es war mir sehr erwünscht, in der grünen Einsamkeit einen Burschen daherschreiten zu sehen; dem Anscheine nach war's ein Bauer, der aus der Kirche kam. Die Sonne und das Wetter hatten sein Antlitz gebräunt und gefärbt, und als ich näher zusah, da dünkte es mich, er könnte höchstens dreißig Jahre alt sein, wenn auch die Hände, welche das Gesangbuch und den Stock 252 hielten, dick, rauh, zerarbeitet aussahen. Ich begrüßte ihn, er dankte freundlich, nahm seinen harten Sonntagsfilz ab, und beschied mich mit guter Miene meines Weges. Unterdeß holte er sein rothgeblümtes baumwollenes Sacktuch hervor und trocknete sich den Schweiß von der Stirn – das gab Anlaß, ihn zu fragen, warum er so rasch gegangen sei, und da er offen und treuherzig war, so erfuhr ich, ein Stück mit ihm schreitend, seine ganze Geschichte. Ich kann seinen Dialekt nicht wiederholen, aber doch etwa die Art seiner Darstellung:

Schau'n Sie, sagt er, ich bin von dort drüben hinter dem Berge her, der nach der Hochschaar zu liegt, und wie sie mich da sehen, da bin ich ganz und gar, nur eine Jacke und ein Hemde, ein Paar stramme Lederhosen und feste Stiefeln habe ich für die Werktage, aber ich habe frisch und rüstig sein müssen um es so weit zu bringen, und weiter wird's wohl nicht möglich sein, ich hab's heute der Margareth geraderaus sagen müssen, 's ist ihr nahe gegangen und 's hat mir auch herzlich weh 253 gethan, aber 's ist nun einmal nicht anders auf der Welt. –

Ich fragte ihn nach Margarethen. – Nu junger Herr, sagte er, daß ist die Margareth bei Müller Vincenz, sie dient schon in's vierte Jahr dort, und ist mein Schatz; aber Du lieber Gott, an's Heirathen ist halt gar nicht zu denken, das hab ich ihr heute sagen müssen, der liebe Herrgott muß es doch nicht haben wollen – nehmen Sie mir's nur nicht übel, daß ich so flink schreite, wir haben zu lange miteinander geklagt, ich und Margreth, und wenn sie sich bei unserm Bauer um den Tisch setzen und 's fehlt einer, da ist's an allen Ecken nicht recht. –

Ich hatte nichts zu versäumen, ging mit ihm und ließ mir erzählen. Diese kleinsten Verhältnisse, diese unscheinbaren, und doch unübersteiglichen Schwierigkeiten, diese Ergebung in den traurigsten Zustand hatte für mich etwas sehr Ueberraschendes. So niedergeschlagen, so durchdrungen von einer innern Atmosphäre der Armuth hatte ich mir den Bauer 254 nicht gedacht, der doch im steten unmittelbaren Verkehr mit der producirenden Schöpfung, in der Kraft körperlicher Tüchtigkeit meines Erachtens muthiger sein müßte. Aber Sommer und Winter, Saat und Ernte, die regelmäßige Wiederkehr unabänderlicher Gesetze, gänzlicher Mangel jedes Ungewöhnlichen, ununterbrochenes Ringen um das Nothdürftige drücken den Landmann unsere Tage nieder.

Andreas war der zweite Sohn seines Vaters, das kleine Haus und Gärtchen war an den Erstgeborenen gekommen, eine verlahmte Schwester mußte von diesem mit erhalten werden – sie will doch auch alle Tage essen, und wenn zwei Jahre um sind, braucht sie einen neuen wollenen Kittel, er sitzt sich zu Schanden, wenn man ihn auch nicht in der Arbeit abreißt; da mußt' ich mir denn einen Dienst suchen, und mich wacker regen, um so weit zu kommen, wie ich bin, und – nur der Himmel mag mir's vergeben, mit der Margreth hab ich mich freilich übereilt, daß ich sie zu meinem Schatze machte. Aber, junger Herr, Sie können 255 mir's glauben, ich weiß selbst nicht, wie's gekommen ist, und als wir zum ersten Male miteinander gesprochen hatten, da dacht ich: na vielleicht schickt der Himmel ein Paar gute Jahre, und der Bruder rafft sich ein Wenig, und gibt uns die kleine Bodenkammer mit ein, wo die Schwester schläft, und was ich etwa sonst noch für Gedanken hatte. 's soll aber nicht sein: gestern Nacht kam wieder ein Frost, und hat dem Bischen Ernte des Bruders den Rest gegeben, und jetzt hab' ich's der Margreth sagen müssen.

Ich brachte ihn drauf, wie er mit Margreth bekannt geworden sei, um ihn heitrer zu stimmen.

Sehen Sie, sprach er, 's war um Georgentag, wo die vornehmen Stadtleute in Freienwalde ihre Kinder zum ersten Mal wieder barfuß gehen lassen, da kam ich Sonntags in die Kirche. 's Wetter war so schöne, daß einem das Herz im Leibe lachte, alle alten Leute, die neben mir in die Kirche nach Freienwalde gingen, freuten sich über das Frühjahr, und sagten, das könnte eine gesegnete Ernte werden: 256 die Schneedecke war den Winter durch warm gewesen für die Saaten, und geregnet hatte es in den letzten vierzehn Tagen auch, die Winterung hatte ihre gehörige Feuchtigkeit und 's schönste Gedeihen, der alte Vater Willer Christoph sagte, wir sollten's nur nicht besprechen, und den lieben Gott schönsten's bitten. So gingen wir hier durch's grüne Holz, 's war schier grüne, wenn auch noch nicht ganz, die Vögel waren schon alle wieder da, und munter und fleißig, und wie wir dort unten auf die Lehne kamen, wo man nunter sehen kann in's Städtel, da hörten wir die Glocken in die Kirche läuten; ich kann ihnen gar nicht sagen, wie fromm und hübsch mir zu Muthe war, und sehen Sie, an demselbigen Morgen begegnete mir drunten bei den ersten Zäunen in Freienwalde Margreth, sie hatte auch ihren Sonntag just, und ging in die Kirche, und sagte zu uns »Gelobt sei Jesus Christ,« und wir sagten alle gar herzlich »in Ewigkeit Amen.« Der alte Willer Christoph aber meinte sachte zu mir: Kuck mal Andreas, das wär so a Madel!

257 Und von der Stunde an hab' ich sie nicht mehr vergessen können. Na, sie würde Ihnen auch gefallen, wenn Sie sie sehen sollten, sie hat ein Paar kohlenschwarze Augen, und ist schmuck groß und rüstig.

Das ging nun so den ganzen Sommer durch, wir sahen uns alle vierzehn Tage in der Kirche – denn ich hatte mir's behalten, wann sie ihren Sonntag hätte, und am Michaelstage da faßt' ich mir ein Herze, und sprach sie an, als ich sie just alleine bei den Scheunen fand, und sie stand mir auch Rede, und wir fragten einander, wie wir hießen und wo wir her wären. Nu, so ging's halt wieder, zur Kirmes im Freienwalde, da macht' ich mir einen zeitigen Feierabend und ging 'nüber und in's Wirthshaus. Ich dachte, Margreth wird sich's wohl denken, und sie hatte sich's auch gedacht, und stand unter den Mädeln im Winkel; ich zog sie zum Schießer auf, und wir waren den Abend seelenvergnügt. Sie hatte ihre Kuh schon besorgt, und brauchte nicht vor Zehne heim zu gehen. Um drei 258 Viertel ging ich denn a Stück mit ihr, und da haben wir uns zum ersten Male beim Mondschein einen Schmatz gegeben, und ich hab's ihr gesagt, daß ich dächte, wenn noch so a gut Jahr käme, mein Bruder würde uns die Kammer geben – wie ich jenen Abend durch's Holz nach Hause gekommen bin mit dem lichten Mondscheine, das kann ich mein Lebtag nicht beschreiben. Als ich mich aber niederlegte, da hab' ich's auch der Margreth und dem lieben Herrgott schönstens gedankt, und Sie können mir's glauben, junger Herr, ich bin noch nicht so gottesfürchtig gewesen als damals, und des Morgens war ich immer der Erste auf'm Zeuge. 's hat mir freilich nichts geholfen, na, ich muß denken, der Herrgott hat's nicht gewollt; aber wenn ich an die Margreth gedenke, die heute zu mir sagte: Andres, ich laß Dich nicht, es mag gehen wie's will – sehen Sie, lieber Herr, da kommt mir's Wasser aus den Augen, als wenn ich noch in die Schule ginge, und 's arbeitet in mir, als müßte ich sterben. –

259 Ach, wer doch aller Welt helfen könnte? sprach ich zu mir auf dem Heimwege, wenigstens den Liebespaaren, deren Glück so wohlfeil ist. Meine Kasse war zu spärlich, saß ich doch selbst ausgestoßen, verlassen in diesem abgesonderten, äußersten Winkel deutscher Welt, und wußte noch nicht, wo sich mir ein Loch des Zugangs wieder öffnen würde. Aber ich rechnete auf den alten Major, ich wollte ihn bereden, eine Sammlung zu sanktioniren für Andres und Margreth. Mit diesen Gedanken kam ich auf die Blöße, welche hinabfällt zu unserer Wasserkolonie – eine tiefe Wehmuth übermannte mich. Menschenjammer, Menschenfeindschaft, wo ist Deine Wurzel zu finden, daß man sie ausreuten könne ganz und gar? Mein Leben und das Schicksal dieses Liebespaares waren eben wie diese Gegend, über welche dunkle Strichwolken zogen und trotzigen Regen warfen, aller Horizont war von himmelhohen Bergen verbaut, und wenn ich sie überfliegen könnte, wohin käme ich dann? Nach Mähren, nach Ungarn – verstohlen lief ein Sonnenstrahl in die 260 einzige Lücke der Gegend hinein, nach Schlesien; ich setzte mich auf einen Feldstein, und ließ mich beregnen, und war voll Trauer –

Und hast Du mich verlassen,
Welt, die ich so geliebt?
Doch will ich die Liebe nicht lassen,
Die mir nur Thränen gibt. –

Da läutete das Mittagsglöckchen in Gräfenberg – sollst mir eine Tröstung sein, Du stärkender Ruf. Wir machen ja immer die Dinge außer uns zu dem, was eben in uns waltet – und heut ist ja auch Posttag in Freienwalde, vielleicht kommt endlich eine Nachricht aus der Welt. Es waren beinahe vier Wochen vergangen, und ich hatte nichts erfahren, als Lafayettes Tod, als ob die Freunde und die Civilisation gestorben wären, so still war es für mich geworden.

Ja, ich fand einen Brief, aber darin für mich nur die traurige Nachricht, daß die bleiche Kerkersorge dicht an meinen Fersen sei, daß ich die größte Eile brauchte, ihr zu entrinnen. So blieb denn 261 keine Zeit übrig für Andres und Margreth – armes Volk im Gebirge! Und wie reich ist die Armuth, wenn sie Liebe im Herzen, ein so gewaltiges übermannendes Interesse hat! Aber die Armuth dieser Leute beruht darin, daß sie keinen Muth zur Phantasie findet, und elend verkümmert in beschränkter Verzagtheit.

Meiner schwarzäugigen Wirthin trug ich auf, sich nach den Liebesleuten umzusehen, ich würde ihr schreiben, und sie sollte mir dann vom Schulmeister einen Brief aufsetzen lassen, über das, was sich zugetragen. Sie konnte es zwar nicht begreifen, wozu das Alles, solch ein Interesse war ihr zu fein gewoben, sagte aber doch »Ja,« und mit des nächsten Tages Frühe ward ich auf dem harten Wagen von dannen geschüttelt. Auf die eintönige Gräfenberger Ruhe folgte schneller Wechsel und Sturm; dieß ahnend, fuhr ich traurig zwischen den Waldwänden der Berge, an den rauschenden Gebirgsbächen dahin, und es war mir ein ordentlicher Trost, daß sich nirgends ein Ausweg zeigte in offenes Land, 262 hinter diesen Bergen, in den hölzernen Hütten unter diesen Leuten, welche das Wort Politik nicht kannten, war ich am Sichersten.

Aber des Mittags öffneten sich Zugänge in die Ebene, der Bischofssitz Johannisberg winkte, und bald hatten wir ihn erreicht. Das Wort Johannisberg duftet wie eine Blume, und wenn's hier auch nicht das rheinische war, es hatte doch auch seine schönen Blätter. Am Abhange des Gebirges liegend sieht es weit hinein in die lichte schlesische Ebene, und ist still und behaglich wie jeder Sitz wohl gepflegter Geistlichkeit. Eben so still und sanft lächelnd sieht das Schloß des Bischofs auf das Städtchen herab – ich denke mir stets in solcher Sommerresidenz eines hohen geistlichen Herrn große, hohe, mit Sammttapeten ausgeschlagene, Zimmer, wenig aber eingeweihte, verständige, freundliche Bediente, in einer Ecke der Zimmerreihe wohnt der Prälat mit seiner liebenswerthen, röthlichen Gesundheit, an der andern wohnt seine lustige Nichte, die auch sehr gesund ist und zufrieden lebt mit Essen, Trinken, 263 kleinen Spaziergängen und Fahrten und kleinen Scherzen. Im rothtapezirten Gemache, was etwa in der Mitte liegt zwischen ihren Wohnungen, kommen sie zusammen zu heiterem Genusse der Gaben Gottes, der Aussicht, des Geflügels, der anmuthigen Wallungen des Menschenherzens, der süßen Rebe und eines heiteren Verses – Hoch liegt das Schloß, man sieht in's Land, doch Niemand sieht in's Fenster. –

So verträumt' ich mir meine bedenkliche Position; ich wollte dem geistlichen Herrn das Schicksal von Andres und Margreth empfehlen; aber er war nicht da; zur Cholerazeit hatte er sich in die reine Gebirgsluft hergeflüchtet, jetzt war er gar gestorben, der alte Herr. Das Bild wollte also gar nicht passen zu meinem romantischen Prälatentraume; – ich fuhr weiter, die bedenklichen Grenzämter kamen, wo einem politischen Schriftsteller das größte Unglück begegnen kann; ich stieg aus und suchte Feldspath. Bei solcher Gelegenheit sieht man recht ein, wie nützlich die naturhistorischen Studien sind. – Nach 264 einer halben Stunde war mein Durst gestillt und ich begegnete dem Wagen wieder.

Die besten Dinge in der Welt werden beiläufig gefunden – ich habe freilich in der Gegend von Patschkau nichts entdeckt, als einen Ausweg. 265

 


 


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