Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Personen.

Ein Land wie Oesterreich ist nur halb erklärt ohne seine einzelnen Persönlichkeiten – die Persönlichkeiten sind Witterung dieses Staates, Regen oder Sonnenschein.

Nur wenn hiervon die Rede ist, so kommen wir stets wieder als auf den Mittelpunkt, auf den schon früher genannten Fürsten Metternich zurück.

Man hat gesagt, was mich berechtige, diesem Manne die größten historischen Motive unterzulegen; was mich zu der Meinung nöthige, er sei nicht bloß das Produkt einer Position, sondern ein Schöpfer dieser Stellung selbst.

Bald nach dem Erscheinen jenes beregten Artikels hätte ich keine andere Antwort geben können, 4 als folgende: Hinter der politischen Leitung eines Staates, besonders nach außen hin, über der ganzen historischen Figur eines Staatsmannes, die mehrere Jahrzehende unter den wechselvollen und bedeudendsten Vorgängen aufgewachsen ist, bildet sich für den aufmerksamen und ein wenig poetischen Beschauer eine Physiognomie, welche die eine Seite der laufenden Geschichte wie im Mikrokosmus aufgeprägt enthält. Ein Irrthum hierbei, wenn die Phantasie zu sanguinisch ist, bedeutet und stört wenig: was dem Manne fehlt, ergänzt die Stellung; auch der Leiter einer historischen Richtung wird von dieser getragen, verändert, gebildet; solch eine Richtung wird Atmosphäre, der historische Gedanke erzieht, täuscht und gestaltet wie die Liebe. Geschichte gleicht darin mineralischen Quellen, welche alle Stoffe, die in lange Berührung mit ihnen treten, gleichförmig überkrusten; – aus gleichen Gründen sind Umgangs-Ausdrucksformen, ja sogar Uniformen von so großer Wichtigkeit, um eine gleichmäßig wirkende Macht zu erhalten

5 Nach historischer Combination mußte Fürst Metternich eine größte historische Figur und eine gedankenreiche historische Person sein, auch wenn ein Gegensatz bekannt gewesen wäre.

Die Geschichte hat Wunder und Heilmittel in derselben Hand: wenn Zufälligkeiten eingreifen und wichtig werden, so bemächtigt sie sich ihrer auf eine solche Weise, daß sie ihren Charakter, oder hierbei ihre Charakterlosigkeit verlieren, sie ist immer die stärkere Natur, welcher die geringere einverleibt wird, wie wir dieß bei Ehegatten sehen: die mächtigere Individualität geht auf das Kind über, wenigstens auf den Körper.

Solch Gegentheiliges war aber in keiner Weise vom Fürsten Metternich bekannt, und die Kombinationen bleiben ganz ungehindert; – seitdem hab' ich nun auch durch Leute, welche mit der Person des Fürsten in nähere Berührung gekommen sind, vollkommene Bestätigung meiner theoretischen Definition dieses Staatsmannes erhalten, und könnte dieß 6 mit mannichfachen Details belegen, wenn es nothwendig und angemessen wäre.

Fürst Metternich ist wirklich der deutsche Kavalier, welcher sich, bewußt und entschlossen, der revolutionären Richtung Europa's entgegengestellt hat. Faseleien sind die Gerüchte, als hätte er irgendwie und wo mit Napoleon harmonirt, weil dieser dem deutschen Grafen geschmeichelt habe – Metternich ist Napoleons Todfeind gewesen von Marengo bis Waterloo.

Es versteht sich von selbst, daß die Todfeindschaft eines Staatsmannes allerlei Höflichkeit zuläßt.

Nach Napoleons Sturze hat die Verlassenschaft des Diktators, der Liberalismus und der Orient seine größte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.

Was wir jetzt vergessen haben, ist, daß der Liberalismus in den Jahren 23 – 27 für die Regierungen am Bedrohlichsten war: die Kongresse waren vorüber, die Spanier durch Frankreich Ferdinand VII. wieder unterworfen, ein Staatssystem war festgestellt, was den Ansichten der 7 Revolutionssöhne nicht zustimmte, der Liberalismus war damals in voller Kraft unentweihter Jugend, viel mehr mit Staatskapacitäten ausgerüstet, als später, der akute Zustand von Anno 30 mag in Wahrheit nicht so schwierig gewesen sein.

Von diesem Standpunkt aus betrachte man des Fürsten Metternich Wirksamkeit in den zwanziger Jahren.

Sein Verhältniß zu Gentz ist ferner ein sehr verschieden angesehenes und besprochenes: die Leute fühlen sich immer erleichtert, wenn sie für ungewöhnliche Erscheinungen recht nahe liegende, triviale Erklärungsweisen aufraffen können, die eigne Schwäche und Unbedeutendheit fühlt sich beruhigt, wenn sie kein Geheimniß, kein Unerklärtes im Weltleben anzunehmen braucht. Was war bequemer, als die geistige Welt Metternich's durch einen Hintermann zu erklären, für dessen Posten Gentz so passend war. Von diesem lag es schwarz und weiß in Schriften zu Tage, daß er die in Rede kommenden Staats-Interessen geistig beherrsche, dieß war 8 den Leuten hinreichend, welche sich von einer noch anderen, inneren Welt gedrückt fühlten, so lange sie nicht den Vorder- und Nachsatz derselben gedruckt vor sich hatten.

Ganz anders war in Wirklichkeit das Verhältniß dieser beiden Erscheinungen. Es ist bekannt, daß Gentz, in Breslau geboren, in Berlin aufwachsend, in Königsberg studirend und später wieder in Berlin lebend, langsam und unsicher zu einer Position kam. Von Hause aus, wunderlich genug, allem Anscheine nach, sehr dürftig begabt, entwickelte er, als sich die inneren Kräfte entfalteten, in gleicher Zeit die glänzendsten äußeren Fähigkeiten, ungeregelt, verschwenderisch zu leben. Solch' eine gewisse Ungesetztheit ist ihm treu geblieben, und man möge ermessen, wie bedenklich sie just an seiner späteren Stellung war, wo er ein Hauptrepräsentant des gesetzten, geordneten Conservatismus wurde. Als er seine anfängliche Schwärmerei für die Revolution durch die Erscheinungen in Frankreich, durch die Reden Burke's in England 9 zusammenstürzen und einem Streben nach zweckmäßiger Erhaltung weichen sah, als er in England von Pitt wie ein verbündeter Feldherr empfangen, und wie ein großer Alliirter vom Kontinente entlassen war, als er sich in der neuen Position zu Wien als kaiserlicher Rath wieder fand, da ist es ihm dem Fürsten gegenüber keinen Augenblick entgangen, daß sie nicht zwei Streiter seien, aus ein und demselben Fleisch und Blute.

Charakter, Axiome und Geschichte der Ansichten, Mittel und Wege, Zweck und Zukunft sind verschieden gewesen und verschieden geblieben. Mochten sie bei den drängenden Aeußerlichkeiten in den jederzeitigen Maaßregeln oft zusammentreffen, es ist ein Zeichen historiographischer Armuth, sie sonst miteinander zu identificiren.

Der Konservatismus des Ritter von Gentz war eine Ergänzung im Drange der Umstände, war eine Spekulation, die nur einem politischen und historischen Verhältnisse gemäß nach Oesterreich kam; der Konservatismus des Fürsten Metternich ist eine 10 Position, welche mit der österreichischen Existenz bis ins innerste Leben verwachsen ist, welche, ganz ungleich jener modernern Form, keine Schattirungen, sondern wie eine antike Figur nur Leben oder Tod kennt.

Diese Ansicht wird selbst durch manches Detail aus dem Privatleben und der Arbeitsweise dieser Staatsmänner bestätigt: es ist bekannt, daß Fürst Metternich, der alles Wichtige selbst arbeitet, schnell, rasch, scheinbar unvorbereitet, fast zu jeder Tageszeit, wo der Kourier die Anregung bringt, an das Geschäft geht; die Verhältnisse, Beziehungen, Perspektiven, das Hoffens- und Fürchtenswerthe liegen fest, gegliedert, zweifellos in seiner Anschauung der Zustände, jeder neue Fall findet alles Frühere an sicherer Stelle. Es soll nicht leicht eine Kanzlei geben, welche so leicht und rasch erledigt, als die des Fürsten Metternich.

Hierher gehört die Bemerkung, daß der Fürst über sprachlichen Ausdruck, feine, gebildete Form, eine überaus reife, in Goethescher Kunst gestählte Macht und Ansicht besitzt.

11 Abgesehen von diesem Letzteren, – denn die Sprache beherrschte auch Gentz mit leidenschaftlicher Kraft und Tüchtigkeit, – war dessen Produciren von ganz anderer Art. Seine Forderungen bewegten sich in ungemessenen, welthistorischen Kreisen, er stand nicht inmitten eines unabänderlichen Conservatismus sondern nur auf der Peripherie desselben, sein System war schwerer und verwobener, Möglichkeiten und weite Zukunft bedrängten ihn, – er ging langsam, schwer an die Aufgaben, brauchte Zeit zur Arbeit, verwarf sie öfter, Charakter und Stellung waren mehr von Sanguinität durchströmt, die Geburt seiner Arbeiten war oft, besonders in der letzten Zeit schmerzhaft und peinigend.

Wer in dem Allen noch keine Veranlassung findet, diese historischen Figuren auf keine Weise in Eins zu schmelzen, der möge sich des Ritters von Gentz erinnern, als das Wetter der Julirevolution krachend einschlug. Er war wie Talleyrand 1815, da Napoleon von Elba zurückkam, zerschmettert und hielt Alles für verloren.

12 Ganz anders Fürst Metternich, der die zwanziger Jahre für so gefährlich erachtete.

Folgende Anschauungsweise gibt vielleicht eine erklärende Einsicht: des Fürsten Metternich Politik beruht mehr auf einer praktischen Realität, sie fürchtet in sicherem und festem Takte weniger die geistige und moralische Wirkung in's Weite, ist das Nächste beseitigt, so ist auch das Fernere abzuwehren, sie hat Menschen und Völker mit ihren ganzen, mannigfachen Individualitäten vor Augen, vermöge deren sie niemals wie ungestörte Begriffe schnurstracks ein logisch nothwendiges Ziel erreichen, sondern tausend Störnissen und Wendungen ausgesetzt bleiben, für deren Benutzung der richtige Moment immer eintritt.

Gentzens Politik war ein Idealismus, ein reines Produkt des Gedankens, in welches die Wechselfälle der Persönlichkeiten nicht eingerechnet waren; zum Beweise, wie ihn die Realität überraschen konnte, dient sein Wesen als Göthe gestorben war. Es entsetzte ihn, es riß ihn aus allen Fugen, daß dieser Todesfall nicht einen erschütternden, vielfach 13 gestaltenden oder zerstörenden Eindruck machte – Ritter Gentz war ein deutscher Poet und Gelehrter, dessen großer Verstand ihn mit zur Leitung Europa's gehoben hatte, der aber mitten in der derbsten Wirklichkeit, die künstlichen Ideenschlüsse der Wissenschaft, die träumerische Stimmung eines Professors nicht verläugnen konnte.

Wenden wir uns nun von dieser Hauptfigur zur übrigen haute société Wiens. Sie blickt vornehm auf Alles herab, was über Wien geschrieben wird, denn sie ist exklusiv, und hat noch keinen Fürsten Pückler gefunden, der in ihre Boudoirs gedrungen wäre, und das beschrieben hätte, wie es jener zum ersten Male über die eigentlich aristokratische Gesellschaft Englands gethan. – Die deutschen Schriftsteller haben es mit der populace zu thun, mit Allgemeinheiten, Prinzipien, sie konstruiren nach Formeln, – was kümmert das die Exklusiven! Weiß er nichts von unsern Specialitäten, so weiß er nichts. Und sie haben gar nicht so Unrecht. Diese höhere Gesellschaft Wien's hat eine ganz 14 andere Geschichte, ein ganz ander Leben, gäbe einen ganz neuen Roman, wenn Jemand des Stoffs inne werden könnte. Eine Salon- und Boudoirgeschichte des Wiener Kongresses zum Beispiele nähme es vielleicht an Interesse und Wichtigkeit mit Flaßan auf. Welch' reizende, welch' interessante Weiber sind dagewesen! Was hat es für pikante kleine Nachtessen, Quiproquo's, Intriguen gegeben! Bei Quiproquo's fällt mir unter der Menge dessen, was ich verschweigen muß, die Kühnheit eines süddeutschen Herren ein, welcher dem Publikum als sehr redselig, auswärtige Politik um jeden Preis an den Mann bringend, bekannt ist. Die schöne, freundliche Dame, von welcher hier die Rede, sitzt eines Abends mit einem Preußen am Theetische, und erzählt ihm, daß sie noch den Besuch eines Mannes erwarte, welcher ihn sehr frappiren würde, nämlich des Ministers Stein.

Das ist nicht möglich, ruft der Preuße, absolut nicht möglich. Stein, dieser strenge, ernste Mann hat nichts mit Rendezvous zu schaffen.

15 Nous verrons, Msr. – in diesem Augenblicke meldet der Bediente Se. Excellenz, den Herrn Minister von Stein – treten Sie dort hinter die spanische Wand, und erkennen Sie, wie artig und galant auch ein strenger, finsterer Minister sein mag.

Dieß geschieht – in's Zimmer tritt, nicht Herr von Stein, sondern Herr von – jener redselige Deputirte, welcher es für gut befunden, zu schnellerer Karrière den Namen des Ministers zu benutzen.

In deutscher Geschichte fände die Novelle schwerlich irgend reichere Nahrung als in Wien während der Kongreßzeit; – es war Alles Novelle innen und außen und um und um: ein totaler Sieg, an welchen man kaum geglaubt hatte, ein neu zu vertheilender Besitz, überall Spannung und Interesse, das Stehendste, Stabilste auf Wechsel und Veränderung angewiesen, die lebhaftesten, entschlossensten Figuren aller Nationen im Zusammenfluß, die lebendigsten, geistreichsten Frauen daneben, eine Welt mit tausend Stellungen feil und im Aufstriche – was mußte dieß Alles für Zustände wecken.

16 In der haute société derjenigen Zeit, von welcher in diesem Buche zumeist die Rede, ist mir nur die Herzogin von Sagan bemerkbar worden, als eine von denen, welche schon zur Zeit des Kongresses geglänzt hat. Außer ihr bildeten während meines Aufenthaltes die Herzogin von Cöthen, die Fürstin Metternich und deren Mutter, die damals noch lebende Frau von Tatitschef, Gemahlin des russischen Gesandten, den ersten Zirkel. Sogar jener Salon der berühmt schönen Gräfin Fuchs war nicht mehr ganz ausgezeichnet, weil er es schon ein wenig zu lange gewesen war. Die Bekanntschaft mit einem Kavalier, den wir kurzweg Xavier nannten, hat mir eine Menge Details verschafft, womit ich mein Glück machen könnte, wenn es mir nicht zu langweilig vorkäme, Klatschereien zu erzählen, die keine weitere Anknüpfung an sonstige Interessen haben. Ein Calembourg, auf jene Exklusiven bezüglich, ist mir noch im Gedächtniß, der sich gesprochen nicht übel producirt. In einem jener exclusiven Salons, dem der Gräfin Fuchs nämlich, war 17 es sehr schwer, unter die wirklich Eingeweihten aufgenommen zu werden, Anciennität, Zufall, Stand machten Alles, – wenn ich von Stand spreche, so versteht sich's von selbst, daß nur die Schattirungen unter dem hohen Adel gemeint sind, Anderes kommt nicht in Frage. Ein junger, schöner geistreicher Kavalier, der nicht zu den Exclusiven gehört, fragt einen häßlichen, welcher eine superfeine, auserlesene Gesellschaft bei der Gräfin den Tag vorher mitgemacht hat, wer Alles da gewesen sei, und bedauert, nichts davon gewußt zu haben – oh,Monsieur – sagt der Häßliche und wirft sich in die Brust, il n'y avait absolument que la crème.

Mais – erwidert der Andere – le petit lait (d) y était donc –

Xavier, Xavier, wie wird es dir ergehen, daß du solche Dinge erzählt hast, der du selbst nur durch Nebenumstände begünstigt Zutritt haben mochtest. Er kannte die Gräfin Fuchs sehr genau, desgleichen die Herzogin von Sagan und deren Schwestern, die Fürstin Paul Esterhazy, die Generalin 18 Kißeleff und fast alle Damen solchen Ranges, die durch ihre Stellung in der Welt Aufsehen erregen, und deren Verhältnisse und Leben in vielem Betrachte interessant sind. Er berichtete manches Unterhaltende und Pikante aus diesem Kreise, was anderen Orts einmal besprochen werden kann, wenn mir die Exklusiven nicht den lebhaften Wunsch nach dem Gegentheile ausdrücken.

Man findet es sonst häufig, daß die höchste und beste Gesellschaft einer großen Residenz der nationalen Sphäre weit entrückt ist, sie hat nichts so individuelles; mit einigen Ausnahmen, natürlich besonders derjenigen, welche aus der Fremde hingekommen sind, ist dies in Wien nicht der Fall. Der vornehmste Oesterreicher ist ein Oesterreicher.

Es wird Niemand so thöricht seyn zu behaupten, daß die vornehmen Cerkles geistlos seien – ein gewisser Mutterwitz, mitunter eine einzelne, sehr solide, anspruchslose Bildung finden sich nirgends so häufig als in Wien, aber, wenn dies vorausgeschickt ist, darf man zugeben, daß viele 19 Leere zu finden sei, welche nur zum Theil durch große Frische des Naturels erträglich wird.

Ueberraschungen in diesem Betracht ereignen sich mannigfach; solch ein gewisses Niveau der Kultur, wie es sich im Norden vorfindet, existirt eigentlich in Wien nicht. Ich verstehe darunter jene gewisse Belesenheit, kourante Kenntniß geläufiger Interessen, eine Konvenienz des Antheils an bestimmten Dingen. In Wien findet man dieser Weise oft das Außerordentliche: Die größte Verbildung, und den Mangel jeder, auch der kleinsten.

Eh' ich dies Terrain verlasse, muß ich noch zweier Frauen gedenken, die eine sehr eigenthümliche Position eingenommen haben; sie sind jener ersten Gesellschaft nicht beizuzählen, obwohl sie in der Wiener Societät von großer Bedeutsamkeit geworden sind. Es ist Frau von Arnstein und Frau von Geymüller. Die Letztere wird vielfach Semiramis genannt, und ihre Beziehungen sind darum so interessant, weil sie aus geringem Stande plötzlich in die glänzendste Sphäre gehoben wurde, und sich von 20 vornherein so sicher und zuversichtlich darin bewegte, als ob sie von Jugend auf dafür erzogen und bestimmt gewesen sei. So überwiegt ein starkes Naturel Alles, was beigebracht und gelernt werden kann; die Herren werden geboren, auch in den vornehmsten Ständen. Vom einfachen Mädchen ging sie ohne Weiteres zur vornehmen Dame über, die einen Palast in der Stadt, einen andern vor dem Thore, ein Landhaus und Schmuck und Geld hatte, so viel sie brauchen wollte. Und ohne überrascht zu werden handhabte sie dies, als müßte es so sein; den genialen Menschen gehört die Welt, es ist ihnen eine Zufälligkeit, ob sie ihnen zu eigen wird oder nicht. Aus diesem Grunde erklärt sich's, daß die alltäglichen Leute es oft durchaus nicht zu erklären wissen, wie Der oder Jener so rücksichtslos handeln, Geld verbrauchen, im Großen zuschneiden könne – sie haben allerdings keinen Maaßstab dafür, Der oder Jener hat den seiner unversiegbar im Innern quellenden Kraft, er fragt nicht, was er hat, sondern nur was er will; wofür ist ihm die Welt da, als um 21 zu gewähren was sie anregt. In kleinen Verhältnissen, bei ungünstigen Umständen werden hieraus die Verschwender, welche für den letzten Thaler einen Spazierritt machen, welche mit der Polizei kollidiren; bei günstigen Umständen und großen Verhältnissen entspringen aus diesem Fond die Herren der Welt.

In Blüthe der Schönheit und des Glanzes stand diese Semiramis während des Wiener Kongresses, und die hohen Herrschaften wetteiferten um ihre Gunst; Kaiser Alexander, der allem weiblichen Reize ritterlich huldigte, ward zum Oefteren neben ihr gesehn.

Das wunderliche Schicksal nahm denn auch die ungewöhnliche Energie dieser außerordentlichen Dame auf das Strengste in Anspruch: der schöne, stolze Leib ward mit einem unheilbaren Uebel geschlagen, und sie trug das schwere Geschick ungebeugt, ohne Klage, wie ein Kaiser, der um jeden Preis Kaiser sein will, eine glühende Krone trägt. – Dies stolze Ergeben in eine unabwendbare Nothwendigkeit 22 gehörte ebenfalls zur Größe ihres Charakters. Und so starb sie dahin. – Haben wir Dichter für solche Urkraft, haben wir deren? Die mögen diese Wienerische Semiramis besingen.

Die Gelegenheit benutzend, reihe ich die Schilderung einer anderen ausgezeichneten Dame aus Wien hier an, wie ich sie dem Berichte eines seinen Beobachters verdanke, es ist die der Frau von Arnstein.

»Wer in dem Zeitraume von einigen und dreißig Jahren, die theils aus dem Ablaufe des achtzehnten und theils aus dem Beginne des neunzehnten Jahrhunderts sich zusammenreihen, der wird unfehlbar den Namen Arnstein unter die bedeutendsten und werthvollsten rechnen, welche der Aufenthalt in jener großen Hauptstadt seinen dankbaren Erinnerungen eindrücken mochte. Die vornehmsten Fremden, regierende Herren und Prinzen, Gesandte, hohe Militärpersonen, Geistliche, Kaufleute, Künstler, Gelehrte, alle Klassen der Gesellschaft, fanden dort gefälligen Eingang, gebildete Unterhaltung, glänzende Geselligkeit. Nicht geringer war die Zahl derjenigen, welche 23 minder begünstigt durch ihre Stellung in der Welt, nicht sowohl Genuß, als vielmehr Schutz und Anhalt in diesem Kreise suchten, und hier mit großer Theilnahme und Freigebigkeit gefördert wurden. Wir lassen hier den Werth und die Wirksamkeit des großen Banquierhauses natürlich außer Betracht, und sprechen zunächst nur von den Beziehungen, die sich der geselligen Erscheinung anschließen, und für welche die Frau vom Hause so sehr der wahre und einzige Mittelpunkt ist, daß ohne ihre persönliche Macht und Auszeichnung dergleichen lebensvolle Gebilde gar nicht denkbar sind. Und in der That war dies auch hier der Fall. Die Frau des Hauses war durch ihre seltnen Eigenschaften, durch ihren Muth und ihre Beharrlichkeit die Schöpferin einer Fülle von Leben um sich her, die Fürstin einer großartigen, weitgreifenden Geselligkeit geworden, welche eben so wohlthätig als reich und glänzend sich den Zeitgenossen darbot. Uebrigens hat dieser Name Arnstein auch schon eine literarische Existenz, nicht nur widmet das Conversations-Lexikon ihm 24 einen eignen, wiewohl sehr kurzen und daher ungenügenden Artikel, sondern auch in manchen Büchern und Aufsätzen, z. B. vom Kapellmeister Reichardt, von Bartholdy, in den Briefen der Frau von Varnhagen &c., wird dessen vielfältig ehrenvoll gedacht.

Die Baronin Fanny von Arnstein war in Berlin geboren. Seltsam, wie der Austausch zwischen verschiedenen Ländern oft den Talenten und Wirksamkeiten nützlich ist! Manche Fähigkeiten entwickeln sich im Auslande, die in der Heimath nicht so gedeihen konnten, eine andere stillere Bahn durchschritten seyn würden. So empfing Preußen seinen Derfflinger und seinen Gneisenau aus Oesterreich, so dieses seinen Gentz und Adam Müller aus Preußen. Trotz aller Verschiedenheit in diesen Beispielen sei es uns erlaubt, die Frau von Arnstein im Allgemeinen dem Gewinn beizurechnen, den in dieser Art Wien von Berlin gezogen hat. Sie war eine Tochter des reichen und klugen Banquier Itzig, der die große Zahl von elf oder zwölf Kindern in solchem 25 Wohlstande und solcher Bildung hinterließ, daß jedes der Geschwister für reich gelten konnte, und persönlich in der Welt eine ehrenvolle und nach Umständen bedeutende Stellung einnahm. Doch der mitgebrachte Reichthum war es keineswegs, wodurch Frau von Arnstein in Wien glänzen konnte, sie fand in jedem Betracht größeren vor, sowohl in den eigenen als in den umgebenden Verhältnissen. Allein die frühe Gewohnheit, sich in Fülle und Glanz zu bewegen, und der Nachdruck, welchen äußere Hilfsmittel jedem persönlichen Dastehn und Benehmen ertheilen, geben ihrem Eintritte in den neuen Lebenskreis unstreitig gleich den größten Vortheil. Sie bedurfte dieses Vortheils, um größere geltend zu machen. Eine hohe, schlanke Gestalt, von Schönheit und Anmuth strahlend, vornehmen Tons und Betragens, lebhaften, feurigen Ausdrucks, scharfen Verstand und Witz mit fröhlicher Laune vereinend, nicht ohne Belesenheit, und fremder Sprachen wie der eigenen mit Meisterschaft kundig, war sie in Wien eine höchst auffallende und merkwürdige 26 Erscheinung; die Eigenschaften, welche nur wenigen Frauen der höchsten Stände anzugehören pflegen, sah man staunend in einer Jüdin glänzen, deren unter der segensreichen Regierung Friedrichs des Großen gediehene Geisteskraft und Bildung nur um so stärker in einer Stadt wirken mußten, wo man diese letzteren Vorzüge wenig verbreitet fand, aber zu schätzen und zu begehren bereits angefangen hatte. Das Wirken Kaiser Joseph's des Zweiten trug in Wien schon Früchte und drang in alle Verhältnisse noch immer tiefer ein. Eine günstigere Zeit konnte sich nicht darbieten! Ein angenehmes, jeden Tag zahlreichen Gästen aus allen Klassen offenes Haus, die reichste Bewirthung, der Zusammenfluß ausgezeichneter Fremden, die Verbindung adliger Ansprüche und Sitte mit bürgerlicher, ja nicht einmal bürgerlicher sondern ganz ausnahmsartiger Stellung, die unbedingte Herrschaft einer liebenswürdigen, thätigen Frau, die Alles um sich her belebt und entzündet, dies Alles in einer üppigen Hauptstadt, dem Mittelpunkte vieler Staaten und Völker, 27 wo die höchste Ueppigkeit, das behaglichste Wohlleben, mit stolzer Vornehmheit und rohen Vorurtheilen, aber auch mit lebensfrischer Einfalt und Gutmüthigkeit vereint im Schwange gingen: man denke sich diese Elemente in täglicher Berührung, in unausgesetzter Wechselwirkung, und man wird es nicht zu viel finden, wenn wir behaupten, das Haus der Frau von Arnstein habe die vielen Jahre hindurch wie eine Missionsanstalt gewirkt, und die Vorsteherin habe das Verdienst einer Vermittelung, die ohne sie nicht zu Stande gekommen wäre, und deren Folgen unberechenbar in den Strom des allgemeinen Lebens übergegangen sind!

Lange Zeit war das Haus der Frau von Arnstein in Wien schlechthin das einzige seiner Art, und wenn später viele andere, sicher kein gleiches, entstanden sind, so ist gerade das auch ein Verdienst der ausgezeichneten Frau, durch welche diese Bahn erst eröffnet und für Nachfolgende gangbar gemacht worden ist. Die freie, geachtete, dem Zwang der Vorurtheile enthobene Stellung, deren später und 28 jetzt die mosaischen Glaubensgenossen in Wien sich erfreuen, ist ganz unläugbar erst mit und durch das eindringende Wirken und Walten der Frau von Arnstein gewonnen worden.

Ein tragisches Ereigniß, was zu jener Zeit in den öffentlichen Blättern vielfach besprochen worden, drohte den Gang dieser vielfachen Lebensentwicklung zu stören, gab ihnen aber nur neuen Schwung. Ein Fürst Karl von Liechtenstein befand sich unter den Anbetern der schönen, glänzenden Frau; seine Neigung steigerte sich zur Leidenschaft, und diese war mit solcher Verehrung verknüpft, daß er mehrmals heftig in sie drang, eine Christin zu werden und seine Hand anzunehmen, welches sie aber, wie jede zu heftige Bewerbung mit kluger Festigkeit ablehnte. Ein Domherr, Freiherr von Weichs, brachte ihr gleichzeitig seine eifrigen Huldigungen, und da er in seinem geringen Erfolge die Begünstigung seines Nebenbuhlers sehen wollte, warf er den tödtlichsten Haß auf diesen; er nöthigte ihn zum Zweikampfe, in welchem der Fürst tödtlich getroffen fiel. Dieser 29 Vorgang brachte ganz Wien in Aufregung. die vornehmsten und mächtigsten Familien waren dabei betheiligt. Doch die tief erschütterte Frau, die ganz ohne ihre Schuld der Anlaß dieses Unglücks geworden war, erfuhr von allen Seiten die stärkendste Theilnahme und Tröstung, der Hof und die Stadt wetteiferten, ihr zu huldigen; es fanden sich die unzweideutigsten Zeugnisse der Großmuth, des Edelsinns und der Selbstverläugnung, mit der sie das ganze Verhältniß behandelt hatte. Daher konnte sie auch getrost mit ganzem Herzen sich dem tragischen Eindrucke hingeben, den sie ihr ganzes folgendes Leben hindurch, sagt man, nie ganz wieder verwunden habe. Jedermann fand ihre Trauer gerecht und schön, und sie durfte ohne Scheu den Mann beweinen, der als ihr Ritter das Leben geopfert hatte. Wir erinnern uns, in der Reise eines Engländers, dessen Buch uns aber nicht zur Hand ist, gelesen zu haben, daß Frau von Arnstein den Todestag des Fürsten von Liechtenstein stets mit stiller Trauer gefeiert, und sich in ein schwarzes Kabinet 30 verschlossen habe, was ganz dem Andenken des Verstorbenen geweiht war, und worin sie auch zu andern Zeiten manche Stunden in andächtiger Stimmung und Abgeschiedenheit zuzubringen pflegte. Niemand hat sich jemals rühmen können, dieses Kabinet gesehen zu haben; die Sage war aber allerdings sehr verbreitet, und galt allgemein für gegründet.

Um die Wirkungen eines Lebens zu schildern, das Tag für Tag und Jahr um Jahr in ununterbrochenem Leisten besteht, bedürfte es der Umständlichkeit von Memoiren und bis in's Kleinste gehender Darstellungen. Wir können uns hierzu weder Zeit nehmen, noch liegt uns genugsamer Stoff beglaubigt vor. Wir fassen aber einen großen Theil des Lebens der Frau von Arnstein bündig zusammen, wenn wir ihre unbegränzte Wohlthätigkeit rühmen, ihrer zärtlichen Liebe zu ihrer einzigen Tochter erwähnen, die durch Schönheit, Geistesbildung und Lieblichkeit ganz einer solchen Mutter würdig heranwuchs, und wenn wir ihre für Oesterreich leidenschaftliche Vaterlandsliebe hervorheben, bei der gleichwohl auch die 31 zärtlichste Anhänglichkeit an Berlin und Preußen sich geltend erhielt. Der Titel eines Landsmannes war ihr heilig, und erwarb jede Freundlichkeit und Hilfe. Unermeßlich waren die Wohlthaten, welche sie in die Nähe und Ferne ausströmte, mit herzlichem Mitleid, aber auch mit kluger Einsicht und unverdrossener Thätigkeit. Sie hat vielen Menschen ein dauerndes Lebensglück bereitet, vielen den Weg des Reichthums aufgethan, manchen solche Summe geschenkt, die für ein selbstständiges Vermögen gelten konnte.

Während des Konsulats von Bonaparte machte sie eine Reise nach Paris. Sie kehrte mit sehr ungünstigen Eindrücken aus Frankreich zurück. Die späteren Kriege und feindlichen Ueberziehungen, welche Oesterreich erlitt, erfüllten sie mit glühendem Hasse gegen Napoleon und die Franzosen; sie sprach diesen Haß leidenschaftlich selbst in Gegenwart der Feinde aus, und man konnte ihr nicht gefälliger schmeicheln, als wenn man ähnliche Gesinnungen an den Tag legte.

32 Nach dem Kriege von 1809, dessen Ausgang ihr wie ein persönliches Leid auf dem Herzen lastete, wandte sie ihre thätigste Mithilfe auf's Neue den Armen zu, deren Zahl durch den Krieg und seine Nachwehen sehr vermehrt war. Eine Gesellschaft adeliger Damen trat in Wien zusammen, um Nothleidende zu unterstützen; es waren die vornehmsten und angesehensten des Kaiserstaats, aber sie glaubten sich unvollständig und der besten Einsicht und Thätigkeit beraubt, wenn sie nicht Frau von Arnstein als Mitglied zählten. Dies war die größte Ehrenauszeichnung, welche der trefflichen Frau widerfahren konnte; jedes Vorurtheil sank vor der Macht der ächten Gesinnung und Thätigkeit. Sie war nicht nur die einzige ihres Glaubens unter diesen Fürstinnen und Gräfinnen ersten Ranges, sondern auch die einzige Frau nicht so hohen Adels.

Mit ihrer Wohlthätigkeit ging ihre Gastfreiheit in schönster Eintracht. In ganz ungewöhnlichen Maaßen übte sie diese herrliche Tugend. Ihr Haus in der Stadt (am hohen Markte), ihr Landhaus 33 auf dem Wege nach Schönbrunn (bei den drei Häusern genannt), ihr Landhaus in Baden, alles war zur Aufnahme zahlreicher Gäste eingerichtet, ganze Familien wohnten dort, und genossen der wechselvollen, stets angeregten Geselligkeit, die ganze Welt wurde täglich aufgenommen und bewirthet.

Die Befreiungskriege von 1813 und 14 erfüllten ihr Herz mit Entzücken, an beiderlei Vaterland, dem angebornen und dem angelobten, an Preußen und Oesterreich, konnte sie dasselbe Eine Gefühl erlaben. Sie gab unendliche Beiträge und andere Hilfsmittel für die Verwundeten und sonstige Kriegsbedürftige.

Der Wiener Kongreß, der auf den Sturz Napoleons folgte, der Winter 1814 und 15, war der höchste Gipfel von Freude und Ruhm für Frau von Arnstein, die reichste Blüthenzeit ihres geselligen Ansehens und Wirkens. Schönheit und Liebenswürdigkeit glänzten in jüngeren Verwandten und Freundinnen, die sie ihrem Hause schon früher angeeignet hatte. Alle Personen höchsten Ranges und 34 ausgezeichnetster Bedeutung, Frauen und Herren, Fremde und Einheimische, fanden sich in ihren Sälen ein. Man konnte an demselben Abende den Herzog von Wellington, den Kardinal Consalvi, den Fürsten von Hardenberg, die Grafen Capodistrias und Pozzo di Borgo, den Freiherrn von Humboldt, die Prinzen von Hessen-Homburg, die Grafen von Bernstorff, von Münster und von Neipperg, und viele Andere solchen Ansehens aus der gedrängten Menge auslesen. Besonders hatten die Preußen hier die angenehmste Stätte, wo sie mit den Reizen der Fremde alle Behaglichkeit der Heimath genießen konnten. Sie wurden um so leichter dort eingeführt, als der nachherige preußische Generalkonsul und Geheime Legationsrath Bartholdy, der Neffe der Frau von Arnstein, in der Zahl der mit dem Staatskanzler Fürsten von Hardenberg nach Wien gekommenen Staatsbeamten war.

Nach dem zweiten Sturze Napoleons entschloß sich Frau von Arnstein zu einer Reise nach dem Rhein und darauf nach Italien. Sie kehrte 35 kränkelnd zurück, und leider allzubald hatten die Ihrigen den Verlust der herrlichen Frau zu betrauern, die in ihrer Art wohl immer einzig bleiben wird, in sofern die Umstände schwerlich einer solchen Persönlichkeit, auch wenn sie je wiederkehrte, in solchem Maaße entsprechen können. Ihre Lebenswirkung wird bleiben, auch wenn der Name so leicht zu vergessen wäre; aber auch dieser ist Tausenden zu dankbarer Erinnerung eingeschrieben! Ihrer hilfreichen Gesinnung und Thätigkeit, so wie dem geselligen Glanze, den sie verbreitete, begegnet man noch immer in dem fortgesetzten Walten einer edlen Tochter, so wie zweier ihrer geliebten Schwestern, deren die eine längere Zeit ihre Hausgenossin war, die andere, gleich ihr in Wien verheirathet, einem nicht minder großen Lebenskreise mit Geschmack und Einsicht vorsteht, und die Alle in den Tugenden, welche sie ausübte, sie von jeher unterstützten und mit ihr wetteiferten.

Wir würden uns freuen, durch diese Mittheilung andere ergiebigere aus jenem reichhaltigen 36 Wiener Leben hervorzurufen. Wir möchten besonders wünschen, daß eine lebhafte Schilderung, welche der verstorbene Ober-Präsident zu Cöln, Graf von Solms-Laubach, ehemaliger Reichshofrath in Wien, von seiner vieljährigen verehrten Freundin, der Frau von Arnstein, schon in früherer Zeit entworfen, unter seinen Papieren aufgefunden, und an geeignetem Orte bekannt gemacht würde.

Zum Zeichen, wie sehr man irren kann, wenn man die Personen einer Völkerschaft unter eiserne Allgemeinheiten zwängt, erwähne ich noch eines Censors in Wien, den man Nachmittags in seinem Garten vor dem Thore besucht, und in welchem übrigens der Stockösterreicher keinen Augenblick zu verkennen ist. Dieser Mann ist so leidenschaftlicher Verehrer von Rahel, dieser Vertreterin kühnster Spekulation, daß er des Preisens kein Ende finden kann; sein Name ist »Rupprecht, Kaiserlicher Censor;« in seinem schönen Garten hat er zweiundsechzig Varietäten und viele Abarten der herrlichen Blume Chrysanthemum Indicum, und er liebt diese 37 Blume so, daß er ein Buch über Geschichte, Bestimmung und Pflege derselben in 211 Seiten geschrieben hat. In dieses Buch, was seine sonstige Liebe enthält, hat er dem Gatten Rahels, Herrn Varnhagen von Ense, folgende Verse geschrieben:

Die Hohe, der ich lebend nie genaht,
Wie heiß muß ich sie noch im Tode lieben!
Goldblumen pflegte Sie auf Deinem Pfad,
Gold war's, was sie gedacht, empfand, geschrieben;
Drum schmücke, wie Deinen Wanderstab,
Die edelste Blume das edelste Grab!

Es sollte mir leid thun, wenn der Kaiserliche Censor, Herr Rupprecht, erschrecken sollte, daß öffentlich von seinen stillen Neigungen gesprochen wird; er charakterisirt auch. 38

 


 


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