Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Prag.

Diese letzten Ereignisse fielen in die Mitte des Sommers 1833, und die Reisegesellschaft war erst seit wenig Tagen von Prag zurückgekehrt, als ich damals nach Karlsbad kam, und ein sanguinisches Reisefaible für Maria faßte. Ich erinnere mich sehr wohl eines schlanken jungen Mannes, der leichten aber langsamen Schrittes bei den Brunnen umherstrich im langen dunklen Sürtout. Es war ein ausdruckvolles, tragisches Gesicht, und obwohl die ganze Erscheinung im Grunde nach Einsamkeit zu dürsten schien, so sah man ihn doch immer jeglicher Ansprache mit der größten Bereitwilligkeit entgegenkommen, dieß war Florentin.

79 Aurelie war abgereis't; Maria ließ es sich angelegen sein, ihn zu ermuntern. Dieß wunderliche Mädchen konnte Niemand traurig sehen, und so hatte sich's denn ereignet, daß ich nach einem Vierteljahre diese beiden Leute in Wien als Verlobte wieder fand.

Der alte Onkel, welcher mit großer Aufmerksamkeit Florentins frühere Geschichte erforscht, das Wesen und Treiben desselben beobachtet hatte, sprach sich an jenem Abende in Hietzing frei und unumwunden drüber aus, wo er die Nichte sammt ihrem Bräutigam in die närrische Gesellschaft einschloß, und die Zuneigung von Seiten Mariens einer Koketterie zuschrieb, die sich selbst täusche, die Liebe Florentins aber nichts als eine erwidernde Rücksicht nannte, wie sie seinem höflichen Herzen noch hundertmal entsprießen könne.

Die mißhandelte Gesellschaft lös'te sich an jenem Abende noch in erträgliches Wohlgefallen auf; als es zehn Uhr schlug, erklärte der Onkel, die erste Probe sei hiermit überstanden, die Betheiligten 80 möchten in der angedeuteten Weise ihre Narrheit zu kuriren suchen; sobald er wiederkehre, solle ein specielles Examen statt finden. Damit nahm er den Arm seiner Nichte, führte sie an den harrenden Wagen und fuhr davon.

Im Fremdenverzeichnisse des schwarzen Rosses zu Prag fand ich an jenem regnerischen Abende seinen Namen, und der Kellner berichtete, daß die Herrschaften drei Zimmer im ersten Stock bewohnten, nämlich der alte Herr, sein Fräulein Nichte und die Wittwe im schwarzseidenen Kleide. Gestern sei auch Herr Florentin wieder angekommen.

Das war erklärlich: seine Höflichkeit konnte nicht gestatten, daß die eingegangene Verpflichtung mit Marien auf eine so brüske Weise gelös't würde.

Man hätte nicht glauben sollen, daß sich unter solchen Umständen ein behaglicher Verkehr habe gestalten lassen. Und doch war dem so. Der Onkel, welcher das Ganze humoristisch anzufassen, und dem Verhältnisse auf solche Weise eine angenehme Färbung zu geben wußte, wirkte dadurch auf's Beste 81 ein. Marie, die leichte, lose, faßte dieß mit ihrem glücklichen Naturel auf, und so ward die mißglückte Verlobung entweder leichtsinnig und heiter persifflirt, oder mit ungezwungener Manier ohne Beachtung gelassen. Diana war still und lieb dabei: wenn Florentin seine Wünsche über enges, häusliches Leben entwickelte, und Marie ihn deßhalb als einen jungen Philister verspottete, dann stimmte ihm Diana bei mit wenigen aber herzlichen Worten. Sie gab reizendes Detail zu seinen Bildern.

»Ich bin verloren,« pflegte er zu sagen, »für die bewegliche, kreisende Welt, ich werde in meine Heimath Oesterreich zurückkehren, irgend eine harmlose Gespielin meiner Jugend aufsuchen, und mir ein beschränktes, stilles Leben einrichten.«

Das wird Sie beglücken, setzte Diana hinzu.

Verhältnisse und Stimmungen waren auf diese Weise wohl geordnet, um uns für alle äußeren Eindrücke unbefangen zu erhalten; wir betrachteten die alte merkwürdige Stadt.

82 Sie ist durch die Moldau in zwei Theile geschieden. Auf dem rechten Ufer, also derjenigen Seite, die Wien zunächst liegt, ist die Alt- und Neustadt, auf dem linken an den Bergen hinauf und auf der Höhe selbst die berühmte Kleinseite und der Hradschin. Wien hat Paläste, in Prag präsentiren sie sich. Die grauen stolzen Schlösser von Stein auf der Kleinseite sprechen gewaltig vom böhmischen Adel, von seiner Macht, seinen Protestationen gegen die Kaiser, von all' der slavischen Herrlichkeit früherer Jahrhunderte. Auf der kompakten steinernen Brücke, welche die beiden Städte verbindet, steht der heilige Nepomuk, welcher sein Leben dafür geopfert hat, auf allen Brücken schweigend fortleben zu dürfen. Wie viel Leute, die ungerecht ersäuft wurden, sind in der Dunkelheit verloren gegangen: so wichtig bleiben Verhältnisse für Gedächtniß und Ruhm. Jedes Kind macht die Bekanntschaft des heiligen Nepomuk und läßt sich die Geschichte erzählen, wie er sich geweigert habe, dem wüsten, besoffenen König Wenzel das Beichtgeheimniß der Königin zu 83 verrathen, wie er von der Brücke hinabgestürzt worden in den Fluß, blitzende Hellebarden haben das Volk zurückgedrängt, fünf kleine Flammen sind leuchtend aus den Wellen getreten, als er untergesunken ist.

Maria, die lose, blieb lange vor der Statue rasten, und sagte: Er ist ein Märtyrer der Frauen gewesen, das ist seiner Renommee sehr zu Hülfe gekommen; es ist nicht genug, seine Helden nicht zu vergessen, wie Ihr Männer thut. Uebrigens muß man dieses Bild sehen, um eine Intuition in Nepomuks Zustände und Charakter zu gewinnen. Das ist ein gefälliger menschenfreundlicher Kopf, es ist ein natürliches Gefühl in diesen Zügen, und Nepomuk ist sicher nicht so blöde gewesen, wie man thörichter Weise voraussetzt – braver Nepomuk mit so viel Discretion für die schöne Königin, blauer Mann, wirklicher Märtyrer!

Auf dem Hradschin, dem stolzesten alten Herrscherschlosse, wohnte eben der Kaiser Franz, er war das letzte Mal in Böhmen, es war Sonntag und er gab Audienz. Die Menschen, welche zu bitten 84 hatten, man denke also, welche Schaaren strömten hinaus, um ihm an's Herz zu legen, die verlangsamen Gedanken schlafloser Nächte. Wahrlich, es ist ein göttliches Glück, Kaiser zu sein, Hunderten konnte er helfen an diesem Sonntagsmorgen, Hunderten konnte er die verwelkte Hoffnung anfrischen.

Alle Gänge des Hradschin waren mit Supplikanten angefüllt – nach vielen, vielen Jahren werden die Familien erzählen von jenem Morgen.

Wir treten in den wunderlich schönen Dom, wo ein rother Küster mit zusammengeleimter Perücke schlechte Merkwürdigkeiten zeigt; aber die Sonne brach draußen die Regenwolken und flog bleich in die langen Fenster über den massiven Sarg des heiligen Nepomuk, über das Grab der Ottokare. Es ist mir unsicher im Gedächtnisse, daß jener Sarg von blankem Silber war, aber ich kann nichts Positives sagen, da mir Muhamed's Sarg nicht aus dem Gedächtnisse will, der in der Luft schwebt an den unsichtbaren Kräften eines Magnets.

85 Der rothe Küster schnupfte am Grabe Ottokars – eine schlecht gemachte Perücke und eine Schnupftabakdose sind jeder Kirchenillusion tödtlich; es sollte Beides nicht geduldet werden. Die alten Fürsten der Kirche gingen im Nothfalle mit völlig nackten Köpfen, ich gedenke immer mit heiligem Schauer eines solchen Bildes, wo Bernhard von Clairvaux dem Kaiser Conrad Kreuzzug predigt – wenn Bernhard die Perücke und Schnupftabakdose meines rothen Küsters gehabt hätte, er würde keinen Kreuzzug zu Stande gebracht haben. Schnupftabak gestattet keine Begeisterung.

Es ist eine wilde Schönheit in dieser Kirche, der graue Tag und die bleichen Sonnenstrahlen mochten das ihrige dazu beitragen, eine böhmische, slavische Schönheit, etwas Unordnung unter massiven, stolzen Stoffen, keine weiche, künstlerische Kultur.

In diese Auffassungsweise paßt Ottokar; vielleicht ist er Schuld daran, ich sah fortwährend sein Grab offen, und hinter den Pfeilern ging er umher hastig, innehaltend, wild, halb in verschossenen, 86 vornehmen Sammt gekleidet, halb in Eisen, eine böhmische Mischung von Reichthum, Kultur und Wildheit. Es ist mir nicht mehr recht gegenwärtig, welcher Hebel mangelt in Grillparzers »König Ottokars Glück und Ende,« daß es kein überall verlangtes Stück geworden, aber ich erinnere mich deutlich schöner Bilder daraus, die mir immer einfallen bei Böhmen und böhmischen Königen: Kaiser hat er werden wollen, der stolze, hoch gewachsene Czeche, ein schweizerischer Edelmann, Rudolph von Habsburg wird ihm vorgezogen, knieend soll er, der schimmernde Fürst, dem schlichten Ritter huldigen. Der Uebermuth, der Zorn schäumt auf der Lippe; die Umstände werden ungünstig, er bezwingt seinen Stolz, beugt sein Knie unter einem bergenden Zelte – das Zelt fliegt auseinander, die Völkerschafter sehen den gebeugten Böhmerkönig; rasselnd, von Wuth gepeitscht, springt er auf; der Krieg um Tod und Leben wird entzündet, auf dem Wienerischen Marchfelde kommt es zur wilden Schlacht und Entscheidung, ob Oesterreich oder Böhmen oben sei.

87 Böhmen fällt, und ist Oesterreichs nimmer wieder Herr geworden, denn auch die rauhhaarigen Hussiten gingen unter.

Im abgetragenen schwarzen Kleide irrt der kleinmüthig gewordene Ottokar an den Burgthoren umher, auch seine kleinen Feinde demüthigen ihn, er ist zerbrochen; das stolze Böhmen stirbt mit ihm.

Wallenstein war der letzte Versuch dieses Landes: in den fanatischsten Religionskrieg trat er mit dem kühlsten theologischen Indifferentismus, und erlag, weil er keine Begeisterung mitbrachte und sich nicht mit zweiten Positionen begnügen wollte. Die ersten Stellen der Herrschaft sind immer nur dem Herzen feil, wenn es auch ein wildes und irrendes ist, der Kopf allein wird nur Minister.

Ein düsterer Palast ist in Prag noch übrig vom knöchernen Friedland, und auf den Schlössern im Lande begegnet man nur noch seinem Gedächtnisse, sonst ist der Name Waldstein verschwunden. Ich habe schon früher erwähnt, daß man ihn jetzt unschuldig macht, daß er für ein Opfer der Hofkabale 88 ausgegeben wird, der Erzherzog Karl soll Kisten gefunden, geöffnet und gleich nach Wien geschickt haben – wer nimmt den Schiller zurück und dem Volke das Bild aus der Cotta'schen Ausgabe?

Karl X. war durch die Anwesenheit des Kaisers vom Hradschin vertrieben, und es half uns nichts, die Stunde seiner Messe abzuwarten, welche er sonst täglich in dieser Kirche einzuhalten pflegt.

Ein Regenschleier lag über dem steinernen Thale, als wir heraustraten auf den Berg – ich hatte mich so lange gefreut, das pittoreske, gepriesene Prag zu sehen, und fand es in so schlechten Farben. Darum enthalte ich mich, ein Urtheil auszusprechen: ein wenig wüst und steingrau gefärbt mag es wohl am besten Tage sein. Dieß ist ein Grundmangel vieler deutschen Gegenden, welcher den noch so interessant gruppirten Erdmassen den Anstrich einer gewissen Aermlichkeit gibt. Das Wort pauvre drückt noch deutlicher aus, was ich meine. Bei ähnlichen deutschen Gegenden werde ich immer prosaisch an die Entstehung solch pittoresker Partieen 89 erinnert. Die Fluthen, die Ueberschwemmungen, welche einen großen Theil unserer Oberfläche geformt haben mögen, erscheinen mir wie erst gestern dagewesen, die Farben haben die Erdwunden nicht dicht genug bedeckt, und der Zufall einer solchen Bildung, in welche wir Tausenderlei hinein dichten möchten, stört ebenfalls meine Illusion.

Wer läßt sich beim Anblicke einer glänzenden Frauenschönheit gern daran erinnern, wie die Dame vor wenig Jahren ein mageres Fischlein gewesen sei mit abgeschnittenem Haar – die Unmittelbarkeit besticht; eine schöne Gegend erinnert nicht zuerst und zunächst an die Geologie.

Farben, Farben fehlten und fehlen Deutschland, daher unsre Ideologie, unsre blassen Ideale. Gott sei Dank, daß wir grüne Wälder haben, sie trösten unser Auge und Herz. Marie sang in das Thal hinunter:

Grünes England, grünes Deutschland
Deine Männer sind so weiß –
Kennst Du keine schwarzen Augen,
Augen glühend, brennend heiß? 90

Blasse Länder, blasse Liebe,
Herz, wo ist Dein Vaterland?
Mußt zum Wandern Dich entschließen
Nach dem dunkelbraunen Land!

Ich glaube, Mädchen, sagte der Onkel, Du wirst noch verrückt, voll bornirter, gemachter Leidenschaft, künstlicher Sehnsucht, Koketterie – Du kriegst in Deinem Leben keinen Mann.

Doch Onkel, doch! 91

 


 


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