Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Die Saison in Gräfenberg.

Aus so und so viel Gründen hielt ich mich in Breslau dießmal gar nicht auf. Es war noch Alles in Ordnung: die Einen lobten das Theater, die Andern tadelten es, man nahm sich den Kaffee noch im Papier gewickelt mit, wenn man in den Kaffeegarten ging, man beklagte sich wie sonst, daß kein ordentliches Journal bestehen könne, und wunderte sich darob wie sonst; man sagte, Breslau sei doch viel schöner als Berlin, und es werde wohl wieder regnen, wenn im Tempelgarten Illumination sein solle. Kurz, es war noch Breslau, eine große Stadt, die mit tüchtigen Lebenskräften in einer ganz 221 abgelegenen Provinz kauert, und dadurch genöthigt ist, mit allen kühnen Wünschen und Strebnissen eine Provinzialstadt zu sein und zu bleiben.

Ueber Ohlau nach Neisse führte mein Weg. Ohlau steht in sehr schlechtem Geruche wegen seines Tabaks, der vom schlesischen Bauer und Ackerbürger verbraucht wird. Uebrigens gehört das hiesige Blatt noch zur Aristokratie unserer Tabaksblätter, der eigentlich jakobinische Knaster gedeiht in Wansen. Dieser tragische Name Wansen ist hinreichend, eine Dame in Ohnmacht zu werfen.

Es ist eine stille, uninteressante Fläche bis Neisse. In einem kleinen Städtchen, was man passirt, war ein großer Brand gewesen, ein großer Transport Pulver begegnete mir noch, die schwarzen Fähnchen auf den Wagen, die vorreitenden Soldaten, die Kutscher ohne Tabakspfeifen, ein bleicher Sonnenschein, unter welchem ein trockner, kalter Wind einherstrich – Alles das gab einen Eindruck bleierner Art, und die Post schlich langsam im Sande, Neisse wollte nicht kommen. Endlich gewinnt man 222 eine Anhöhe, und die alte Festung und dahinter die Gebirgsanfänge zeigen sich. Die Luft erwärmte sich zum Regen, und mit ihm gelangten wir durch die vielen Außenwerke in die Stadt.

Es war ein warmer, wolkiger Tag, als ich sie des andern Morgens in einer leichten Kalesche verließ. Nebel und Wolken machten das Gebirge vor mir unsicher und romantisch. Aber es war Elastizität in der Atmosphäre, und ich begrüßte mit Heiterkeit die österreichische Grenze. Es waren meine alten Bekannten von Hirschenstand, Peterswalde, Triest und von der Linie in Wien, die Herren Mauthbeamten, wir erkannten uns auf der Stelle an den hübschen Zwanzigkreuzern, drückten uns die Hände und schieden in Eintracht. Uebrigens schützt sie gegen Deserteurs der steinige Weg zur Genüge, welcher sich bei den meisten österreichischen Zollstädten findet. Niemand kann ohne Lebens- und Wagensgefahr in Eile vorüber. Ich wage nicht zu entscheiden, ob dieß auf einem Princip [beruht.]

223 Jetzt befand ich mich dann in dem Stückchen Landes, was man in der Geographie »Oesterreichisch Schlesien« nennt, oder Troppau, Jägerndorf und Teschen, das kleine Terrain, für welches der siebenjährige Krieg nicht hingereicht hat, und welches zwischen Schlesien, Ungarn, Mähren und Böhmen eingetheilt ist in hohe Berge und tiefe Thäler.

Die Berge rückten immer näher und enger zusammen, und als ich nach einigen Stunden in das Städtchen Freiwalde kam – eine andere Leseart ist Freienwalde – da war rings die Gegend zugestellt von steilen Bergen, was man sagt, mit Brettern vernagelt. Die Himmelsgegenden waren wie verrückt worden durch die mannigfachen Windungen des Weges, die Wolken fielen in sanften Regen herab, ich war unsicher in einer neuen Welt und wußte weder vor- noch rückwärts.

Das ist aber nothwendig, wenn man unbefangen in eine neue Welt treten soll; darum fuhren auch die Orden ihre neuen Mitglieder immer mir verbundenen Augen durch allerlei wirrsame Gänge, 224 darum verbrannte Cortez seine Flotte – ich fühlte mich in Freiwalde der neuen Wassergewalt völlig hingegeben, und fragte demüthig im Wirthshause, wie weit es noch nach Gräfenberg sei.

Es ist nämlich zu sagen, daß ich meine Exilzeit zu Kollegien für meinen Leib benutzen wollte: nun hatte ich gelesen, da oben in einem ganz abgelegenen Bergwinkel, wo keine Zeitungen hinkämen, kurire man Alles mit kaltem Wasser; dieß lockte mich. Die Gesundheit, das Geld und die politische Stellung sind heutiges Tags der Mittelpunkt menschlicher Bestrebungen geworden. Man will gesund, reich und frei sein, wie man zu andern Zeiten poetisch oder vornehm oder liebenswürdig sein wollte. Die Motionen in Sachen der Politik sind bekannt genug. In Sachen des Geldes geht es direkt darauf los, daß vielleicht schon in zehn Jahren kein Amt, keine Position mehr bestehen wird ohne einen Nebenzweig von Industrie. Jedermann wird neben seiner laufenden Thätigkeit ein Geschäft suchen, um seine Hände in dem auf- und abwogenden Meere 225 des Erwerbs und Geldverkehrs zu haben; fixe Gehalte, sie seien noch so hoch, werden für Armuth gelten, die Poesie des Glücks wird ein nothwendiges Bedürfniß werden, Alles wird Kaufmann sein müssen, wie Alles gebildet sein muß.

In Sachen der Medizin liegt die Umwandlung vor Aller Augen. Der allein seligmachende Glaube der Allopathie ward angegriffen von Reformatoren, die wiederum, wie damals, ihren Sitz in Sachsen hatten, die bald folgende Cholera spielte den dreißigjährigen Krieg und entblößte die Schwäche der Parteien auf eine tödtliche Weise. Aller katholische, unfehlbare Glaube an die bisherige Wissenschaft ward erschüttert, ward aufgelös't, und wir befinden uns nun im neuen Stadium der Spekulationen, der Entdeckungen und Erfindungen.

Von den verwickeltsten Zuständen in Wissenschaft und Kunst geht die Welt meisthin zu den Einfachsten und Ursprünglichsten über. Ein unbefangenes Element, das Wasser, wird auch jetzt plötzlich der Mittelpunkt vieler Versuche.

226 Der Herr Professor Oertel in Anspach hatte Jahre lang über die Vortrefflichkeit des Wassers geschrieben, man sprach nicht mehr vom Wasser, ohne des Professors Oertel zu gedenken und umgekehrt; aber er drang, wie Johannes Huß, nicht tief genug in die ungläubigen Herzen, man verketzerte ihn spöttisch. Da trat nun da oben, wo die letzten Berge der Sudeten ihre steinernen Arme hinüber ausstrecken nach den Karpathen, ein schlichter Landmann auf, errichtete eine vollständige Heilanstalt, und setzte das Wasser ein in alle Majestätsrechte der legitimen Medizin. Vincenz Prießnitz ist sein Name, und Gräfenberg heißt der Ort, wo die neue Quelle Siloah über die Steine herunter fließen soll.

Darnach erkundigte ich mich im Gasthofe zu Freiwalde.

Die blasse, lange Wirthstochter lächelte mitleidig, und beschied mich kurz: Auf dem Gräfenberge hinter der Stadt sei das Oertchen gelegen, eine halbe Stunde lang fahre man hinauf. Uebrigens seien 227 schon so viel Gäste da, daß ich keinen Platz mehr fände, und überhaupt scheine es ihr sehr kurios, daß ich nach dem Wasser hergefahren komme, sie tränken es in Freiwalde schon seit undenklichen Jahren, und es hätte noch kein Mensch was darin gefunden.

So geht's allen Propheten in ihrem Vaterlande. Und die lange, blasse Dame mit den sehnsüchtigen Locken hinter dem Ohre war obenein selbst krank, sie litt an jenem Erwartungsübel, welchem so viele Mädchen verfallen, wenn sie zu reiferer Erkenntniß kommen, und das Heirathen zu hassen anfangen. Das ist jener Zeitpunkt der malkontenten Mädchen-Romantik, wo sie Hölty und die lyrische Poesie verehren, die reelle Welt aber, und besonders die Männer abstrakt verachten. Wir pflegen es auf Clauren und die Romane überhaupt zu schieben, es ist aber diese Romantik ein ganz natürliches, tellurisches Uebel wie die Grippe; in Freiwalde giebts keine Bücher und keine Bildung, ich habe späterhin ganz umsonst eine respektable Prämie für die 228 Braut von Messina geboten, ich brauchte einige Verse des Chors zum Motto eines Nekrologs, aber Niemand konnte die Prämie verdienen.

Natürlich schlug ich der Dame mit den klösterlich schmalen Lippen die Wasserkur vor, aber sie äußerte sich sehr verächtlich darüber, und fragte mich schneidend: ob ich wirklich so dumm sein, und glauben könne, daß ihr Wasser, nichts sagendes, nichts fühlendes, kaltes Wasser helfen werde.

Ja, erwiderte ich schüchtern – sie aber ging hinweg mit einem unangenehmen Blicke voll Verachtung über den Mangel meiner Lebensart, und warf mit der magern Hand die Thüre heftig in's Schloß.

Eine Religion wird aber stets am Meisten durch die Zweifler befördert, ich setzte mich voll neuen Wasservertrauens in den Wagen, und war voll Angst und Sorge, keine Wohnung zu finden. Mein Eifer war so groß, meine Hoffnung so gewaltig, daß ich fest bei mir beschloß, im schlimmsten Falle eine kleine Hütte zu bauen, wie man sie auf 229 Kartoffelfeldern anlegt, wenn kein Ort zu ermitteln wäre, wo ich mein Haupt hinlegen könnte.

Es regnete indessen immer arbeitsam, aber so durchsichtig weiter, daß ich die Gegend wie durch einen dünnen Flor erkennen konnte. Es war ein tiefes Bergthal, in welchem ich aufwärts fuhr. Der Wagen keuchte durch einen schmalen Weg, und als uns plötzlich ein herabkommender Bauerwagen begegnete, da war die Noth groß.

Links vom Wege kamen allmählig einzelne Bauerhäuser zum Vorschein, welche zerstreut an der Lehne des Berges hinauflagen, und nach einer Wendung des Weges erblickte ich einige größere Wohnhäuser – das war Gräfenberg, das ersehnte Bad in den Pyrenäen. Hinter den Häusern lief ein buschiger Berg noch weit in die Höhe, rück- und seitwärts standen blanke Berge, und auf den Bergen lagen Wolken, tief unten über die grün und gelben Berge flog der Strichregen.

Der Weg wurde immer steiler, und als wir vor dem kleinsten der massiven Häuser hielten, da 230 mußten wir Steine vorlegen, damit der Wagen nicht eigenmächtig zurückrannte. In diesem Hause wohnte Prießnitz, ich war an Ort und Stelle.

Zwei Leute gingen im Zimmer auf und ab; sie sahen sehr abgewaschen und etwas pauvre, roth und bläulich im Gesichte aus. Auf dem Tische standen zwei Flaschen Wasser, daraus schenkten sich die ohnedieß schon frierenden Leute ein.

Ich ignorirte Novize erlaubte mir einige bescheidene Fragen nach der Lebensweise in Gräfenberg, zum Beispiele:

»Sie entschuldigen, meine Herren, was genießen Sie wohl hier zum Frühstücke?«

Antwort: Wasser.

»Also bekommt man wohl erst zum zweiten Frühstück – –«

Wasser.

Es fing mir an kühl zu werden, und das eine der vor mir herumspazirenden Schlachtopfer, ein kleiner Mann ohne Taille, in einem abgeschabten grünen Röckchen, was ihm zu kurz geworden war, 231 schenkte sich zitternd ein neues Glas ein, und stürzte es hinunter.

»Aber des Mittags, meine Herren, erhält man doch –«

Wasser – war die einstimmige Antwort; sie schien mir wie Unkenruf aus einem Teiche zu kommen.

Der Kleine im grünen Röckchen seufzte, und strich mit der Hand über die unschuldigen blauen Augen, und das unwirsche, spärliche blonde Haar, was seinen Hinterkopf bedeckte.

Pfui doch, Herr Lieutenant, sprach der Andere, und verschlang ein großes Glas Wasser – ohne Wanken und Seufzen im Feuer, Lieutenant! Noch eins Lieutenant!

Es war eine alte, ausgegurgelte Kommandeurstimme; am Gesicht blieb nicht viel zu unterscheiden, das war durch Dunkelroth und altes Fleisch verwischt; weiße starre Härchen wuchsen aus dem Kopfe, ein alter pensionirter blauer Sommerrock schlotterte 232 um den hohen Leib und die breiten Glieder – ich behielt kaum den Muth, weiter zu fragen.

»Aber, meine Herrn, Nachmittags oder Abends wird es wohl etwas Andres geben, als –«

Wasser, wieder Wasser – kam's seufzend aus der einen, heroisch aus der andern Kehle.

Ich sank erschöpft auf einen Stuhl, es war mir, als sei ich unter Sarastro's Leute in der Zauberflöte gerathen.

Da erschien ein schwarzer Mann in einem gebrauchten schwarzen Frack; er hatte etwas Gutmüthiges in dem von Pocken gezeichneten Gesichte, und seine Begrüßung war zutraulich, obwohl er wenig sprach – es war Prießnitz selbst.

Die Wohnung war der sorgliche Gegenstand unsers Gesprächs, er stand lange schweigsam vor mir, das Auge sah sinnend auf einen Fleck, ich erhielt keinen Bescheid. Schon sah ich mich in der Kartoffelhütte, denn das radikale Verfahren vor 233 mir flößte mir unter Schrecken doch lebhafte Zuversicht auf Erfolg ein.

Er ging hinweg, kam zurück, ging wieder, aber ich erfuhr nichts – die Herren von Sarastros Gefolge tranken unterdeß fortwährend Wasser, der kleine Lieutenant stöhnte, der große Bramarbas pfiff das Mantellied.

Endlich kam Prießnitz und erklärte mir, daß ich in einer Bauerstube eine Ecke bekommen könnte, alles Andere sei besetzt.

– Da saß ich denn des Abends in meiner Ecke auf dem harten Bett, und sah in die Dämmerung hinein, drüben im andern Winkel verzehrten meine Wirthsleute im Dunkeln ihr kümmerlich Abendessen; sie sprachen kein Wort und verschlangen stumm die Kartoffeln vom vorigen Jahre mit gutem Salze; als sie fertig waren, knieten sie auf die Bank, das Gesicht nach der hölzernen Mauer richtend, beteten ihren Rosenkranz, und krochen dann still zu Bette.

234 Es war todtenstill in der niedrigen Stube, die Mäuse kamen aus ihren Schlupfwinkeln, der Mond brach draußen durch die Wolken, und es schien mir in dem gefärbten, unsichern Lichte, was durch die kleinen, schlechten Scheiben brach, als säße die Wasserkur wie ein blaßblaues Gespenst auf der Ofenbank.

Ich eilte hinaus, schob den hölzernen Riegel von der Hausthür, und wollte in die Nacht hineinlaufen, um mich in andere Gedanken zu laufen. Aber das geht in Gräfenberg nicht, am Wenigsten des Abends, denn das Terrain ist so abschüssig, bergig und ungleich, daß es nur einen einzigen Weg giebt, der fünfzig Schritt lang ebene Fläche gewährt – alles Andere ist Berg und Thal, ich wäre mit meiner nächtlichen Wasserkurstimmung unzweifelhaft auf die Nase gefallen. Resignirend setzte ich mich neben meiner Wohnung auf ein Stück Bauholz – die Wolken waren auseinander gedrängt, der Mond schien hell. Dem Antlitze des Hauses gegenüber lag eine Scheune, und diese beiden 235 Gebäude bildeten einen vortrefflichen Rahmen, den einige, sich an die Häuser lehnende Bäume noch schöner machten.

Es lag eins der wunderbarsten Bilder dazwischen, das ich je gesehen: der Blick läuft schnell und doch nicht jach in einen Thalkessel hinab, in welchem sich wie ein italienischer Pinienhain ein mäßiger mit Fichten bewachsener Hügel erhebt – dahinter wie schwarze Ewigkeit stehen ungeheure Berge, die nur wenige hundert Fuß niedriger sind als die Schneekoppe im Riesengebirge. Es ist besonders der »Altvater,« der mit rundem, kahlem Haupte hinübersieht nach Galizien und Ungarn, und die »Hochschaar,« welche über Mähren nach Wien hinabschaut. Man findet selten so weite, tiefe Thäler, unmittelbar von den höchsten Bergen eingeschlossen; die höchsten, vornehmsten Leute kommen nicht leicht in so nahe Berührung mit der untersten Klasse.

Und über diesen dunkelgrünen und blauen und schwarzen Abschüssen schwamm der Mond mit seinem lächelnden Lichte, und oben von Prießnitzens Hause 236 her klang ein dünner Chor von Männerstimmen, die in Ermangelung des Wasserliedes ein altes Weinlied sangen. In ganz Gräfenberg war aber nicht ein Tropfen Wein zu finden – hatte es nicht den Anschein, als ob die alten Götter von Barbaren aus der Welt getrieben seien. Das Gerüst war geblieben und die alte Sprache, aber sonst nichts. War es nicht jenes nüchterne wunderliche Gefühl, als wenn sparsame, mäßige Christen in einer Aufwallung nach Gott – Bacchus schrein.

Verworrene Zustände von menschlicher Nüchternheit und irdischer Romantik in Gräfenberg, und wie lächerlich war ich moderner Exul mitten darin. Als ob ich eine neue Welt entdecken gewollt, war ich Sorgen und Verfolgungen in eine wäss'rige Langeweile entflohn.

Am andern Morgen begann das neue Leben um vier Uhr, die Wasserkur begann an meinem eignen Leibe. Man wickelte mich in wollene Decken, warf noch ein Bett über mich, und überließ mich meinem Schicksale. Als nach einigen Stunden dies 237 Schicksal im Schweiße meines Angesichts lechzte, ward mir kaltes Wasser eingeflößt. Dies befördert die Transspiration auf's Aeußerste, und wenn diese nun den ganzen Körper aufgelös't hat, da wird das Deckbett weggehoben, und, ein weißer Bettelmönch wandelt man in der wollenen Hülle hinaus zum Teiche Bethesda.

Diese Bäder sind meist dicht an den Häusern angebracht, und werden fortwährend von dem in Rinnen und Röhren herabkommenden Bergwasser angefüllt, sind also stets lieblich eiskalt und frisch. Nach meinen unsichern Abendschwärmereien mußte der Mond schlechte Mitternacht gehalten haben, denn als ich in jener Decke meinen Gräfenberger Brautgang hielt, flog mir der Schnee in's Gesicht.

Wirklich tritt nach ungefähr einer Minute völlige Erwärmung in dem kalten Wasser ein, die indeß bald neuer Kälte weicht. Diese zweite Kälte muß eigentlich abgewartet werden, sie schüttelt innen und außen den Menschen zusammen. Die Furcht vor dem Schlagflusse und dergleichen fatalen Zufällen 238 ist übrigens hierbei eine völlig ungegründete, die schwächsten Personen erleiden gefahrlos diesen Wechsel, und es wird täglich die Bemerkung gemacht: je gründlicher und heftiger die Transspiration vorher, desto wohlthuender ist das kalte Bad darauf. Ein Bad von solcher Kälte ist ohne vorhergehende Transspiration viel empfindlicher. Man darf auch dabei nicht außer Acht lassen, daß der vorhergehende Schweiß durch nichts Echauffirendes erzeugt wird, daß man bei offnen Fenstern liegt, daß die Lungen in vollkommner Ruhe dabei sind.

Nun kleidet man sich an, und trinkt Wasser; der Frost treibt gewöhnlich zum Laufen hinaus, und man sieht da die frierenden Badegäste überall auf den Bergen herumtraben. Der gewöhnliche Weg ist nach einem der Gräfenberge, von denen die kleine Ortschaft den Namen hat, nach der sogenannten Koppe, die nur zehn Minuten von den Häusern entfernt ist.

Auf dieser Koppe ist eine wunderbare Janusaussicht: rückwärts das alte fabelhafte Gesicht der 239 hohen Berge und des tiefen ernsten Thales, das sein Gesicht in tausend Formen wechselt, bald eine neue Schlucht mit einem Dorfe zeigt, bald eine verbirgt – vorwärts aber öffnen sich die Berge, und jung und blau und rosig liegt die Fläche des preußischen Schlesien vor den weiter und weiter suchenden Blicken, am Fuß der Koppe steht still wie ein Weihnachtsbild das Städtchen Freiwalde, worin die magre Wirthstochter ärgerlich harrt.

Dieser Platz ist alle Tage neu, und wenn mich das kalte Wasser noch so quälte, auf dieser Koppe fand ich einen fröhlichen Moment.

Nun geht's zum Frühstücke in den Speisesaal. »Wasser!« hatte ich gestern gehört, und ich war darum nicht sehr eilig.

Seinem kleinen Wohnhause gegenüber hat Prießnitz ein großes Haus gebaut, in welchem die meisten Badegäste wohnen, und worin sich auch der Speisesaal befindet, denn es wird wie im Kloster Alles gemeinschaftlich genossen. Was in diesem Hause nicht Platz findet, wird in den fünf bis sechs in 240 der Nähe liegenden Badehäusern untergebracht. Da nun aber der Zudrang so groß wird, daß auch diese Räume nicht mehr ausreichen, so hat Prießnitz den Bau eines noch größeren Hauses begonnen, was jetzt wohl fertig seyn mag, ein neues Wasserschloß. Und jetzt kennt der Leser den Umfang Gräfenbergs; es ziehen sich zwar noch einige Bauerhäuser tiefer unten in's Thal hinab, aber die werden nur im äußersten Nothfalle benutzt, weil sie zu weit entfernt sind. Einige Wochen nach meiner Ankunft trat allerdings dieser Fall ein: wie zwei Wassernixen stiegen täglich zwei verschleierte Edeldamen an meinem Hause vorüber den Berg hinauf.

Es wird zwar zum Frühstück wieder Wasser getrunken, aber daneben werden auch Milch, Brot, Semmel, Butter und frische Beeren verspeis't, und der Schrecken erregende Major präsidirte mit würdigen Thaten.

Im Laufe des Vormittags geht man nun eine halbe Stunde weit hinauf in den Wald – das Thal rückwärts wird mit jedem Tritte schöner, und 241 die Ermüdeten nimmt ein kühler, schauernder Forst auf. Da säuseln die hohen Buchen und die südlich aussehenden Tannen, da ist es still und einsam, nur die Bergwasser, Prießnitzens Medizinarten, rauschen. Den Vögeln ist Gräfenberg zu hoch, ich habe deren sehr wenige gehört, die Wasserkur ist ihnen zu traurig.

Durch diesen schallenden Forst schreitet man eine Strecke, und findet plötzlich in einer Vertiefung die sogenannten Douchen. Da stürzt ungefähr Zimmer hoch ein starker Wasserstrahl aus der Rinne herab. Unter diesen Strahl postirt man sich in paradiesischer Unbefangenheit, und überläßt sich zehn Minuten seinen schmeichlerischen Ausdrücken.

Darauf folgt ein so entschiedner Frost, daß die Gliedmaaßen eigenmächtig nach allen Richtungen fahren – Gott sei Dank, daß jetzt die Zeit da ist, wo ich das bloß zu beschreiben brauche, was ich so innig empfunden. Man trabt wie ein nasser Pudel, der seine heillosen Kunststücke gemacht, durch den Wald zurück. Ich habe aber täglich inne gehalten, 242 wenn ich heraustrat und von der steilen Waldesgrenze dies wunderbare Berg- und Thaltheater erblickte. Mancherlei Bergformationen liegen in meinem Gedächtnisse, aber die Originalität dieses Gräfenberger Kessels hat mich alle Tage von Neuem überrascht, ich habe diese absonderliche Gegend täglich in neuen Verhältnissen zu erblicken geglaubt.

Die warme Sonne empfing mich Durchkälteten dann immer so lieb wie eine sorgliche Mutter, ich dankte ihr von Herzen, daß sie sich nicht auch in die Wasserverschwörung mische, setzte mich auf einen Stein, und kuckte in die blau, grün und gelben Berglehnen, und wartete unser Mittagsglöckchen ab.

Diese Situation will ich mir zurückrufen, wenn ich einen mittelalterlichen Roman schreibe: schweigsam wie die Kirche, abgesondert wie das Kloster liegt tausend Schritte unter mir das friedliche Gräfenberg, in der ganzen Natur regt sich nichts – plötzlich klingt hell das Glöcklein auf Prießnitzens Hause, wie das heimliche Klosterglöckchen zur 243 Gräfenberger Andacht, zum Wassertrinken und nebenher zum Essen rufend.

Dies ist der einzige Moment, dessen ich ohne Schmerzen gedenke – das Wasser spielt allerdings des Mittags wieder eine Hauptrolle, und das ist ein schlechter Ritter, der nicht wenigstens seine Flasche leert, aber man ißt auch tüchtig dabei. Prießnitzens, des immer schweigenden Vorsitzers Grundsatz lautet, das Wasser verarbeite Alles. Je mehr man trinkt, desto mehr kann man essen.

Der Major würzte sein Präsidium mit donnernden Geschichten – die Serviette, breit unter seinem Antlitze herabwallend, war ein unbeschriebner Friedensschluß neben dem blutrothen Kriege. Er hielt auch tüchtig auf Anciennität und Standesordnung, ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich als zweideutige bürgerliche Figur zu Gräfenberg eine sehr untergeordnete Rolle spielte: eine Gewürzkrämerin aus Breslau, die meine Grundsätze in Zweifel gezogen hatte und ein Gutsbesitzer intriguirten lebhaft gegen mich, und während ein 244 leberbrauner Schulmeister und ein kontrakter Tuchmacher, die nach mir eingetroffen waren, avancirt wurden, blieb ich auf dem letzten Schemel, und erfreute mich nie einer Aufmunterung im Dienste vom Herrn Major. Ein bürgerliches Fräulein von Mähren gewährte mir für diese schmerzhafte Erniedrigung einigen Trost. Sie sprach nämlich zuweilen mit mir, und da sie in die Rangliste aufgenommen war, so erhielt mich diese leise Anknüpfung doch so weit in der Gesellschaftsbalance, daß ich keinen offenen Eklat erlebte. Diese Bürgerin mit republikanischen Manieren war sehr massiv, massiv war ihre Naivetät, ihre Schönheit, ihre Jugend. In diesem Urorte, bei dieser Urmethode, bei all diesen vorhandenen Urelementen sprach sie sehr an, der Major bevorrechtete sie offenbar in absoluter Weise, und als es nicht mehr alle Tage schneite, erschien er eines fröhlichen Mittags in seinem blauen Nankingrocke. Dieser färbte nach des Besitzers fluchartiger Versicherung seit drei Jahren nicht mehr 245 ab, und umschloß den würdigen Leib mit nachgiebigen Falten.

Die Tischgesellschaft ist so munter, und Gräfenberg ist überhaupt dasjenige Bad, wo die Kranken am muntersten sind, wenn sie keine Zahnschmerzen haben – frisch sind sie immer, das kalte Wasser weckt auf. Der Hauptstamm der Bevölkerung bestand aus alten und jungen Kriegshelden, Feldzüge aller Art, Wunden der Flasche und der Waffen sollten geheilt werden; viel Pension ward zu Gräfenberg verzehrt, viel Heldenthaten lebten auf, manch langes Epos ließe sich singen; natürlich fehlte es auch wie nirgends in der Nähe des preußischen Staats an Referendarien, das Jus befängt den Unterleib.

Drei Kriegsgelehrte und zwei Rechtsgelehrte, ein Gutsbesitzer, der die Wissenschaft über die Achseln ansieht und sechs Leute die Alles wissen, dies ist der Stamm jener Gesellschaft. Außerdem war ein Kriegsrath da, welchen ich hier nur andeute, da er mir auf Zinsen im Portefeuille ruht – er hatte 246 im Kriege zu viel Zuglöcher in die Magazine gemacht, und das war seinem Beutel und dem Podagra sehr gut bekommen. Er war ein sehr ein hübscher Mann, wie sie sagen, er rauchte jeden Tabak, er glaubte Alles, trug schwarze Kamaschen und war für die Aufklärung, so weit sie keinen Schaden bringt.

Außerdem war die Gesellschaft ganz leidlich, besonders da man keine Zeit dafür hatte, denn Nachmittags begann wieder die Morgenprocedur mit Schwitzen und Baden, und wenn es dunkel wurde, war man müde.

Ehrlich gestanden, es gibt keinen Ort, wo man die Langeweile so wenig gewahr wird, als Bad Gräfenberg – ich bin vor Zahnschmerzen nicht dazu gekommen, und den Kriegsrath schützte das Tabakrauchen, was bekanntlich auch gegen die Cholera hilft. Besonders Ohlauer und Wansener Blatt.

Einzelne Züge von Gräfenberger Patienten und von Gräfenberg sind noch: Allgemeine Verachtung der Aerzte, namentlich der allopathischen, gewöhnliches Beiwort für dieselben: Mörder und 247 Giftmischer – Unterhaltung über Homöopathie – man findet weit und breit keine Medizin, in Gräfenberg selbst nicht einen Tropfen, alle Uebel, die ausbrechen, werden mit kaltem Wasser kurirt, Leute, die mit Fieber hinkamen, verloren es nach wenig Tagen – man bedauert die Welt, welche noch nichts von der Wasserkur weiß – man lies't keine Zeitung, besonders darum, weil man keine hat, die spekulative Politik ist für China – es hieß einmal, der Herr Major bekomme die Wiener Zeitung, aber sie sei zu lang, als daß er sie wegleihen könne, er werde allein kaum fertig damit – außer Professor Oertels dickem Wasserbuche habe ich kein Buch gesehn, es machte viel Aufsehn, als ein junger Mann aus Löwenberg, der an der Rückendarre litt, den »Dohnschütz und seine Gesellen« mitbrachte – des Abends wird wieder geläutet, und man verspeis't wie am Morgen Milch, Butter und Brot – wer den Andern nicht grüßt, gilt für ungebildet – der Barbier kommt für die Bärtigen männlichen Geschlechts immer den dritten Tag aus 248 Freienwalde herauf, und wirkt auch wohl im Freien, wenn's nicht zu stark regnet. – Der Herr Major ist pensionirt, und Niemand erinnerte sich, daß er je etwas anders gewesen wäre; seine Jugend fällt in die Zeit des Kartoffelkrieges, seinen Namen hab ich nie gehört – wer nicht laufen kann, wird mit Ochsen zur Douche gefahren – wer nicht darunter stehen kann, setzt sich auf einen Stuhl; dieser braucht des Wassers wegen kein Polster zu haben – wer am meisten Wasser trinkt, wird am meisten bewundert; sonstige bürgerliche Verdienste werden in Gräfenberg ignorirt, wie billig – der Witz ist schlecht angeschrieben, und es hat in dieser Beziehung nur folgende Anekdote Gnade gefunden: der ewige Jude, welcher bekanntlich nicht sterben kann, holt sich einmal auf seinen Wanderungen den Schnupfen, und wendet sich, um diese Unbequemlichkeit los zu werden, an einen allopathischen Arzt. Nach einiger Zeit ist der ewige Jude kurirt, das heißt: er ist todt. –

249 Die Anstalt und Erfindung in Gräfenberg ist aber wirklich von großer Wichtigkeit, und Vincenz Prießnitz ist eine beachtenswerthe historische Erscheinung. Nach alle dem, was ich von ihm gesehen habe, ist er ein sinnender, aufmerksamer Mann voll Bravheit und Rechtlichkeit. Er kennt den menschlichen Körper und hat seine Wasserkur bei tausend verschiednen Fällen versucht. Keineswegs fanatisch für seine Heilmethode ist er doch der Ueberzeugung, daß mit Ausdauer die meisten Uebel durch Wasser gehoben werden können. Er gibt sehr viel darauf, daß das Wasser keineswegs abstumpfe, und allerdings ist man nach mehreren Wochen noch eben so empfindlich dafür als im Anfange der Kur.

Es ist nicht mein Zweck und meine Fähigkeit, ein medizinisches Urtheil abzugeben; ich habe nur Mittheilungen versucht, um jene im äußersten Winkel Deutschlands verborgene Methode bekannt zu machen. So viel ich gesehen habe, wirkt es auffallend günstig gegen Uebel, die zum Theil äußerlich sind, wie Lähmungen, Geschwulst, Ausschlag, Gicht u. dgl.; 250 Ausschläge sind fast immer die Uebergänge zur Heilung, chronische innere Krankheiten hab ich weniger vor Augen gehabt – man darf aber keinen Augenblick vergessen, daß es sehr langsam wirkt, und daß man ihm viel Zeit gestatten muß. Es regt alle Uebel auf, und wohl mag es geschehen können, wie in Gräfenberg die Legende geht, daß man sich einen neuen Körper antrinken und anbaden kann.

Dawider freilich mag ich auch nichts einwenden, daß die Wissenschaft eine so plumpe Heilmethode lächelnd ansehen mag.

Mögen die Leser jene Hauptsache nur nicht vergessen, daß jenes Gräfenberger Wasser nämlich unschuldiges, alltägliches Bergwasser ist, ohne den geringsten Beisatz von Mineralien oder dergleichen, blasses Wasser, wie man es allerwärts finden kann, unverdorbene Gottesgabe, überall nachzuahmen, wohlfeil und anspruchslos. 251

 


 


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