Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Das böhmische Mädchen.

Maria war und blieb ein ausgelassenes Kind, der Onkel hatte seine liebe Noth. Als wir vom Berge herabstiegen, gab sie mir den Arm und erklärte mir die Landschaft – sie war ja schon damals in Prag gewesen, wie Aurelie mitreis'te – bei schönem Sonnenscheine muß es ein romantischer Anblick sein, den vielleicht nur Heidelberg in Deutschland übertrifft. Die Städte dehnen sich an beiden Ufern des Flusses und an den Bergeshängen hin, tief unten erzählt schwarzgrau der Wischerad von alter, unheimlicher Slavenzeit, inmitten der Moldau liegen zwei große Inseln, die Schützen- und Färberinsel, genannt »Groß- und Klein-Venedig,« dort tummelt sich Sonntags der Böhme, und es war 92 Sonntag. – »Wir wollen heute unter das Volk gehen,« sagte Maria, »ich habe eine kleine Mannsgarderobe für Gebirgsreisen bei mir, die leg' ich an, und so streichen wir herum. Aber Florentin muß mit uns gehen, hören Sie warum: Ich habe hier ein schlichtes Mädchen beobachtet, das in unserer Nähe wohnt. Die geht heut Abend zu Tanze, ich glaube, sie heißt Rosalia. Das Böhmerland würd' ich wiederzusehen glauben, wenn mir dieß Mädchen in Afrika begegnete. Es ist eine schlanke Gestalt mit raschen Bewegungen, ein blasses Gesicht mit dunklen, meist verschlossenen Augen, die einzelnen Theile des Antlitzes stehen nicht in ganz richtigem Verhältnisse zu einander, die Lippen sind schmal und fest auf einander gedrückt, aber der Eindruck des Ganzen mag für die Männer pikant und herausfordernd sein. Es bewerben sich Viele um das Mädchen, sie nimmt aber wenig Notiz davon, nur einem jungen Burschen gestattet sie ein wenig mehr Vertraulichkeit. Dieser Franz hat eine auffallende Aehnlichkeit mit Florentin, des Abends geht sie 93 unter unsern Fenstern mit ihm spazieren. Vorgestern musicirte und sang ich bis tief in die Nacht hinein, mein Zimmer war dunkel, und ich trat vor dem Schlafengehen noch einmal an's offene Fenster, der Mond schien hell, bei Florentin war noch Licht, ich hörte, wie er sein Fenster schloß, und drüben aus dem Schatten huschte eine verhüllte Gestalt, in dem Häuschen, wo Rosalie wohnt, verschwand sie, ich erkannte sie am Gange.« –

Florentin hatte auf all diese Dinge nicht Acht gehabt, und mit gewöhnlicher Höflichkeit fügte er sich Mariens Bitten, sie zu begleiten. Er bat Diana, auch von der Partie zu seyn; es war dieser indessen zu gewagt und unternehmend, der Onkel schüttelte den Kopf zur dreisten Maskerade seiner Nichte und murrte, aber das tolle Mädchen kehrte sich nicht daran, und um 9 Uhr des Abends suchten wir den Ort des Tanzes auf.

Die Aufgabe war nicht leicht, und wäre uns ohne das im Mondschein herum spazierende Paar Franz und Rosalie kaum gelungen. Marie knüpfte 94 sogleich Unterhandlungen an, von Rosalien war sie oft gesehen worden, es war zu vermuthen, daß dieß Mädchen sie erkennen würde, und deshalb schien es gerathener, Rosalie selbst in's Geheimniß zu ziehen.

Diese letztere benahm sich mit einer seltenen Mischung von schüchternem, blödem Wesen und hastiger Dreistigkeit, ihre verriegelten Augen sprangen oft plötzlich über Florentin's Gestalt hinweg, und hafteten dabei einen Moment lang starr und forschend nach den Blicken desselben.

Man stieg einige Stufen nieder in ein Souterrain, es waren Gewölbe, die mit spärlicher Beleuchtung ausgestattet Räume zum Zechen und Tanzen darboten. Ein dumpfes Wesen ging durch die vereinzelte Gesellschaft, nichts von der Wiener Lustigkeit, von schlesischer Schwatzhaftigkeit war zu bemerken, ich konnte mich eines unheimlichen Eindrucks nicht ganz erwehren, und auch Marie an meiner Seite verlor die heitere Zuversicht. Es fehlte wirklich nicht ganz an dem Eindruck, welchen 95 eine Räubergesellschaft machen kann, die unter Schloßruinen sich für stete Gefahren zu entschädigen trachtet. Der Tanz im größten Gewölbe war wild, aber still, die schlanken Bursche sahen uns forschend von der Seite an mit ihren dunklen, schnellen Augen.

Florentin, der sich Anfangs in diesem Volkselemente ganz unglücklich befand, wurde durch Rosalien, die er auf Mariens Drängen zum Tanze aufgezogen hatte, von Lokalität und Umgebung abgeleitet. Das Mädchen legt sich ihm so fest in den Arm, all' ihre Bewegungen erhielten eine so bestimmte Leidenschaftlichkeit in Bezug auf ihn, daß seine erwachenden Sinne alles übrige Besorgliche verdeckten, was sonst in dieser Lage sein Wesen sicherlich übermannt hätte.

Es gehört auch in den Bereich eines guten Herzens, ein Liebesverlangen, was ihm nahe tritt, nicht hart zurückzuweisen. Es ist dieß eine der gefährlichsten Brücken: wie viel Menschen gewähren aus bloßer Theilnahme, aus Mitgefühl, oft aus Mitleid Liebesbezeigungen, die sie sonst versagt 96 hätten. Das einmal Gethane ist der ausgehobene Schritt zum zweiten. Gewohnheit stumpft die Motive ab, und die Lüderlichkeit wird aus der Gutmüthigkeit geboren.

Diese Perspektive störte indessen Florentin an jenem Abende nicht, das still und entschlossen Leidenschaftliche Rosaliens beschäftigte ihn lediglich. Marie, der Schalk, sah schadenfroh drein, als sich Florentin neben das Mädchen setzte, als Franz entrüstet aufstand.

In den nächsten Tagen änderte sich das natürlich, Florentin erkannte, daß die Ruhe eines Mädchens auf dem Spiel stehe, wenn er seinem Gelüste nicht Einhalt thue. Er verdammte ohnedieß von Hause aus jene leichtsinnigen Aventuren, welche geflissentlich allen Zukunftskeim zertreten. Diese aphoristische, rasche Ergreifung der Lebensäußerungen war seinem Charakter schnurstracks entgegen.

Er trat also nicht mehr an's Fenster, um Rosalien zu sehen, ging ihr nicht mehr zu Gefallen über die Straße – die verschiedenen Ansichten über 97 Absolutismus nöthigten mich indessen, per Extrapost nach der sächsischen Grenze zu fahren, und diese Verhältnisse in Prag schwanden aus meinem Sinne, verdrängt durch andere.

Es war um die Zeit des Kongresses von Münchengrätz, und die Monarchen waren eben in Theresienstadt, als ich vorüberfuhr. Zu Leitmeritz, das nur etwa einen langen Kanonenschuß von jener Festung entfernt liegt, erzählte die Tischgesellschaft ein Langes und Breites von einem wunderlichen Vorfalle. Der Marschall Maison, designirter Ambassadeur nach Petersburg, sei unberufen auf einem unscheinbaren Stellwagen vor dem Schlosse in Theresienstadt erschienen, im Gegensatze zum Fuhrwerke, mit voller Marschallsuniform angethan und habe eine Audienz nachgesucht.

Es gibt keine schönere Ironie, als wenn man nach Jahren die drohenden Demonstrationen der Politik wiedererzählt, welche zu ihrer Zeit Stürme und Erdbeben erwarten ließen, und spurlos vorüber gegangen sind. Darum bleibt das Provociren auf 98 die nächsten Dinge in den staatlichen Angelegenheiten immer und ewig Kannegießerei, die Strömungen der Geschichte gehen tief und leise unter der Oberfläche; aber die Leitmeritzer hätten mir damals schwerlich eine Reise unter europäischem Frieden bis an die sächsische Grenze garantiren mögen. Und die Grenze war etwa noch 6 Meilen entfernt.

Ich kam hier in einen neuen Gebirgscharakter, überall tauchten schmale blaue Spitzen auf, ein meilenweiter Kreml mit hundert Thürmchen gruppirt sich die Gegend, und im weiten Kessel derselben liegt behäglich und wohlig hingelagert das weiche Töplitz.

Wie so gern hätte ich hier eine Zeitlang geruht, friedliche Frauengesichter studirt, in den Geschichten stiller Augen gelesen; dieser Badeort erschien mir so glücklich neutral, so novellenfromm, so ganz von Sammt und Seide und Zufriedenheit. Aber es ging nicht; bei kalter Mondesnacht fuhr mich der schläfrige Postillon über die Culmer und Nollendorfer Höhe, wo der König von Preußen selber, 99 Kleist und Ostermann das wieder aufwachende Glück Napoleons erdrückten. In diesem engen Passe, wo Vandamme die von Dresden retirirende Armee der Alliirten aufhalten, abschneiden sollte, auf diesen Waldbergen, der Grenze zwischen Oesterreich und Sachsen wurde Napoleon's Zukunft in Deutschland zertrümmert. Augenzeugen erzählten mir, wie sie den gefangenen Vandamme gesehen hätten: ein schöner, strotzender Mann, überfüllt von französischem Muthe und Uebermuthe, soll er wie ein gefesseltes wildes Roß geschäumt und sich geberdet haben. Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, daß er später in Karrikatur grassirte, wie er in Sibirien Zobel schoß und fror; wir waren so lange und so hart gedemüthigt worden, daß wir auch das Unglück verspotteten, um unsern endlich wieder aufathmenden Empfindungen einen Reiz zu verschaffen.

Die kalte Nacht gab mir größere Empfänglichkeit für Vandamme's Unglück, und Sachsen machte den wohlthätigsten Eindruck auf mich durch eine warme Poststube in Pirna. –

100 – Was mag aus dem blassen böhmischen Mädchen geworden sein, dachte ich alle Tage in Dresden, was aus Florentin?

Nach einigen Wochen holte mich die Gesellschaft aus dem »schwarzen Roß« ein; Florentin war nicht bei ihr, Marie war nicht so ausgelassen wie sonst, der Onkel mürrisch, Diana hatte zuweilen verweinte Augen. Langsam, stückweise erfuhr ich, was vorgegangen.

Rosaliens Leidenschaft war in helle Flammen ausgebrochen, sie hatte Franz verabschiedet, dieser war in wilder Entrüstung Florentin zu Leibe gegangen, und die ärgsten Excesse hatten gedroht. Florentin hatte es für das Beste gehalten, die Flucht zu ergreifen.

Ich will hier der Zeit voreilen, und seine späteren Schicksale erzählen. Er flüchtete sich auf ein Landgut an der böhmisch-sächsischen Grenze, und in den Wäldern und Thälern und Dichtern fand er allmählig seine Fassung wieder. Es überraschte und bestürzte ihn eine Zeitlang, daß die 101 Bilder Aureliens und Mariens ganz aus Gedächtniß und Herzen verwischt waren, dagegen Dianens treue Augen klar und lockend und verheißungsreich täglich vor seine Seele traten. Dieser neue Wechsel seiner Wünsche hatte ihm viel Betrübliches, und er gestand sich's mit herber Empfindung ein, daß es sein schwankender Mann, sein weicher, leicht hin und her bewegter Charakter sei, welcher dieß verschulde. Eine einfache, treue Ehe, meinte er, werde ihn retten – offen und ehrlich schrieb er Alles an Diana, und fragte und bat, ob er in ihre Nähe kommen dürfe. Sie antwortete sanft und gut, aber ablehnend. Er schrieb wieder, die Correspondenz wurde lebhafter, er faßte sich eines Tages ein Herz, und fuhr nach Dresden, wo Diana bei einer alten Freundin lebte. Marie mit ihrem Onkel war längst abgereis't.

Florentin's wirklich treues, braves Gemüth, das nur durch die Verhältnisse und die gutmüthige Schwäche seiner Höflichkeit, in so wunderlichen Wechsel gerathen war, blühte auf zur schönsten, 102 wohlthätigsten Blume – das einfache gute Herz Dianens konnte dem tiefsten Eindrucke nicht widerstreben, sie gestand ihm eine Neigung, die sie vom ersten Bekanntwerden für ihn empfunden, Florentin ward von Glück und Seligkeit so überwältigt, daß er an sich halten mußte, um nicht aller Welt sein Heil zu erzählen, und Jedermann zu umarmen, der ihm auf der Elbbrücke begegnete.

Es ist daraus eine Ehe geworden, von welcher die Frauen sagen, sie leben wie die Engel im Himmel, diese beiden Leute.

»Ja wohl,« wird Florentin sagen, wenn er dieß lies't, und »aber ich war der unglücklichste Mensch und verkam im Elende, wenn ich nicht in Diana meine völlige Ergänzung fand.« 103

 


 


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