Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Das Pfingstschießen.

»Pfingsten kam, das Fest der Freude,
Wo da grünen Feld und Haide –«

Seid ihr nie an blitzenden Sommertagen über Land gegangen; Alles war festlich, die Erde grün, der Himmel blau, die Vögel jubelten, die Bäume glänzten in Laub und Blüthen, seid Ihr dann nicht zuweilen einer kläglichen Lehmhütte vorübergekommen, aus deren Thür ein gelbes, verhungertes, im Elend verzehrtes, Antlitz blickte? Habt Ihr nie diesen schneidenden Kontrast gesehen, welcher wie ein Stoßdegen in's Herz dringt?

Nun, es gibt ein fast noch Schlimmeres, was Ihr wohl gesehen habt: Hunger läßt sich stillen; aber wie schmerzhaft berührt es uns, wenn wir aus 158 dem bewegenden Geräusche der Stadt, aus dem anregenden Kreise einer Familie oder Gesellschaft in ein armes Dörfchen gerathen, und hinter der handgroßen, zerbrochenen Fensterscheibe den Stumpfsinn, die Oede, die interessenlose Leere sitzen sehen mit braungelb ledernen, durchfurchten Wangen, todten Augen, gewelktem Munde. Niemals findet die kleinste Freude einen Weg über die morsche Schwelle, ohne Klang und Ton geht die Zeit in solchem düstern Loche vorüber, und solche Existenz wird auch noch Leben genannt!

So schlimm sind die Leute nicht dran in meiner Vaterstadt; sie ist fein und sauber und artig, die Mehrzahl der Bewohner kann täglich ein Stückchen Fleisch kaufen beim Schlächter an der Ecke, und etwas zu verschneiden, etwas zu schwatzen und zu klatschen oder zu diskuriren hat der Bürgersmann auch, es fehlt nicht an allen Interessen, wenn auch die geistigen nicht mehr so lebhaft sind, wie seit der Franzosenzeit und seit dem Reformationsjubiläum 1817, wo die Kirche und die Prediger und 159 die vernünftige Gottesverehrung reichlich durchgesprochen wurden. Seit jener Zeit sind die kleinen Provinzialstädte etwas in Verlegenheit gerathen über höheren Stoff; der steigende Luxus, die steigende Wolle und die Revolutionen, für welche sich diejenigen interessiren, welche viel Schulden haben, reichen doch nicht aus für sechs Wochentage und den langen Sonntag. Darum freue ich mich stets auf's Beste mit ihnen, wenn Pfingsten wiederkommt, Pfingsten mit seinen Festen, da verschwindet dem Sprottauer die träge Erde mit ihren Besorgnissen, Schulden und langweiligen Stunden, er putzt die lange Donnerbüchse zum Schießen, Königreiche blühen vor ihm auf, er kann wieder kräftig hoffen, die Erfüllung eines Schützenkönigthums mit 50 Thalern, zwei Grasflecken, zwei Gebräuen Bier liegt dicht vor dem Thore, ein tüchtiger Schuß kann sie bringen; die Nankinghosen, die gelben, werden zur Wäsche hervorgesucht, die langen Stiefeln acht Tage vorher geputzt, es ist keine Hoffnung da, im Tanze sein Glück zu machen; das Jahr hindurch gibt's 160 ausser dem Weihnachtsballe nur diese einzige Gelegenheit dazu, der Junggesell wird alt, und das rothbackige Rikchen hat sich noch immer nicht entschlossen – dies Pfingsten wird Alles in's Gleise bringen, vivat Pfingsten!

Um das stattliche Schießhaus, welches unweit jenes Kirchleins steht, waren die großen Buden schon aufgeschlagen, als ich Abends vorüberfuhr, diese stillen bretternen Häuser verschlossen eine reiche bewegte Zukunft, da wird getrunken und geküßt werden und Verhältnisse werden emporwachsen vor allerlei Art – objektiv betrachtender, leidenschaftsloser Mond, du hast mich einstens auch in den kindlichen, wohlfeilen Illusionen dieser Buden gesehen, als mir die Kultur der Welt noch sehr gleichgültig war. Die leuchtenden Birkengebüsche zitterten flüsternd und heimlich im leichten Nachtwinde, und es war mir, als vernähm' ich die Worte: Was thut Ihr stolz da draußen in der Welt mit Euren wandelbaren Dingen, der Mensch zum Menschen, das Herz zum Herzen bleibt ewig Mittelpunkt alles 161 Treibens dieser Welt, und es wird geliebt und gehofft und vertraut hier unter diesen Birken so schön, so stark wie anderswo. –

Und schöner: solch eine einsame, von der großen Poststraße abliegende Stadt ist ein Idyll auf der Landkarte, das schöne Mädchen, was mir die Hand reicht, wird von keinen Fremden gesehen, sie hat mich gewählt, nachdem sie alle Herrlichkeit vor sich erblickt hat, die ihr jemals geboten werden kann auf dieser Welt, sie ist mir nun ein Gut, von keiner unerwarteten Macht bedroht, mein ganz und gar; sie quält mich nicht mit Ansprüchen auf Zerstreuung, sie weiß bis auf jede Minute im Jahre, was in den kleinen Verhältnissen gewünscht und erreicht werden mag – es ist ein klassischer Zustand.

Wahrlich, sie saßen in der Vorstadt und in der Stadt noch vor den Thüren Abends um neun, wie sie gesessen hatten vor zehn Jahren, in Hemdärmeln mit langen Pfeifen, die Weiber mit Strickstrümpfen, der Mond machte die Gesichter bleich, aber ich erkannte sie alle, etwas ausgehöhlter waren 162 sie, aber unverändert. Man altert langsam in einer kleinen Stadt, man vertrocknet von innen heraus, und das wird spät bemerkt. – Noch wie sonst fragte sich Alles: wer mag in der Kalesche sitzen? noch wie sonst war solche Kalesche ein Ereigniß, das die Leute nicht schlafen gehen ließ, bevor es aufgeklärt war von Haus zu Haus.

– Als man sich bis zum andern Morgen drein gefunden hatte, daß Laube's Heinrich in der Kalesche gekommen, als der erste Anlauf von Begrüßungen der Vettern und Muhmen durchgefochten war, da ging ich unter im Pfingstschießen, die Signale schrien, die Jungen rannten mit verspäteten Bandelieren und Nankinghosen, die Trommeln wirbelten, die große Armee schien wieder im Anzuge zu sein – die Schützengarde rüstete sich zum Ausmarsch.

Das Modernisiren wird in wenig Jahren all' solche würdige Physiognomien verwischt haben, mit Recht war die alte Garde schon sehr erbittert und drohte mit Emeuten gegen die uniformen gelben Nankinghosen der jungen – es kann ein 163 archäologisches Verdienst begründen, wenn ich diesen Auszug der Kinder und Väter Sprottau's beschreibe. Beiläufig ist es mir auch ein Stolz, meine Vaterstadt zum Mittelpunkte einer ästhetisch-historischen Bestrebung gemacht zu sehen, vielleicht sticken die Enkel einst deßhalb meinen Namen auf eine der Fahnen, von welchen ich alsbald reden will.

Der erste Held des Tages ist ein Trompeter, genannt Horaz, er fängt bereits am frühen Morgen an zu blasen, als stammt' er von Josua, und wollte die Mauern Jericho's niederschmettern. Die Wichtigkeit seines Amtes – dunkelgrün und ockergelb sind die Farben, in denen er auftritt – erlaubt ihm übrigens kein triviales Gespräch, officiell zürnt sein aufgeblasenes Antlitz, kein Gassenjunge erhält Bescheid, und an diesem Tage erfährt's Niemand, daß er beim Blasen weniger stammelt als beim Sprechen. Von der Würde dieser festlichen Tage lebt Horaz den übrigen Rest des Jahres: wo er gefoppt wird, wo er anbetet und keine 164 Erhörung findet, da appellirt er an seine gelbwollenen Epaulets.

Später treten auf die Tambours, die sich zum Aerger ihrer Ehehälften seit mehreren Wochen die stacheligen Bärte haben wachsen lassen; sie tragen, wie Mephistopheles, rothe Hahnenfedern auf den Hüten und trommeln ohne Erbarmen. Die Jugend begleitet sie mit patriotischem Gefühle, ob des Spektakels, welchen drei Sprottauer machen können, in hellen Haufen.

Die alte und junge Garde versammelt sich einzeln, man wundert sich alle Jahre, daß die Herren Bürger nicht pünktlich kommen, man kann nicht antreten, weil noch die wichtigsten Mitglieder fehlen, man spricht über die Witterung, über Getreide- und Wollpreise, und ob der Herr Hauptmann reiten werde, oder nicht. Das war von jeher der wunde Fleck: durchschnittlich existirte gar kein Reitpferd im Städtchen, und der Herr Hauptmann war aller Frage überhoben, und ging in den blanken 165 Reitstiefeln stolz zu Fuße. Dieß ziehen die Männer vor, es gewährt mehr Sicherheit beim Marschiren; denn im andern Falle, wo ein Gaul zu haben war, traten größere Uebelstände ein. Die edle Reitkunst wird aus tausend Gründen in meiner soliden Vaterstadt nicht kultivirt, und die etwaigen Reitpferde bezeigten gewöhnlich eine unangenehme Aversion vor der kriegerischen Janitscharen-Musik, es waren Kinder des Friedens, und sie protestirten öfters energisch gegen den Schlachtenlärm. Diese Protestationen hatten ihr Unangenehmes: der Herr Hauptmann verschwand oft vor der Fronte, und erschien wieder mitten im dichtesten Haufen der Garde, welche sich bei solcher Gelegenheit gar nicht berufen fühlte, Stand zu halten, und patriotische Aeußerungen vernehmen zu lassen. Ja, es hat sich einmal zugetragen, daß der Herr Hauptmann in der Nähe des Schießhauses, als das Heer über die Brücke zog mit lustigem Zinken- und Glockenspiel, ganz allein unten mit seinem Rosse durch den Fluß geschwommen ist – erstarrt hat der Zug still 166 gehalten, die rasende Musika ist mit Mühe gedämpft worden. Tüchtig, wenn auch naß ist der absichtslos kühne Schwimmer, der Herr Hauptmann mit seinem Schimmel, wieder an's Land gekommen, und hat mit einer zweideutigen Bewegung Muth und Vertrauen wieder hergestellt. Des nächsten Jahres hat indessen die Frau Hauptmännin ein besonnenes Veto eingelegt, es ist von mehreren Seiten unverholen geäußert worden, daß die würdigsten Leiber der Stadt nicht fürder gefährdet seyn dürften, der Schimmel ist nie wieder vor der Front erschienen.

Dieses Jahr fand sich ein besonnener brauner Engländer vor, welcher die stürmische Zeit der Jugend hinter sich hatte, und von dem sich ehrbare, solide Bewegungen erwarten ließen. Er hatte die Proben mit schöner Ruhe bestanden, sogar Horazens Trompete hatte ihn nicht alterirt – der Herr Hauptmann erschien zu Roß, die Garde trat an, und setzte sich stattlich in Marsch. Nachzügler stürzten zwar noch aus manchen Häusern, und beflissene Gattinnen eilten hier und da im häuslichen Negligé 167 herbei, um dem Gemahle das vergessene baumwollene Schneuztuch, die grüne Fourierbinde zuzutragen, oder mit drei hastigen Stichen die lockere Kokarde fest zu nähen an das schlanke, schwarze Schiff, den geschweiften französischen Hut; aber nichts hielt mehr wesentlich den kriegerischen Ungestüm auf, sobald der alte klassische Marsch, das weltbekannte »Radabum« begonnen hatte.

Um diesen Marsch, der ein Stück deutscher Geschichte geworden ist, völlig zu würdigen, muß ich ein neues Kapitel anfangen. 168

 


 


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