Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Dresden.

Dresden ist eine schöne Stadt an der Elbe, das weiß jedes Kind, und es wäre Luxus, über die Merkwürdigkeiten dieser Stadt noch etwas zu sagen, da jeder reputirliche Gebildete unseres Vaterlandes einmal da gewesen ist oder hinreis't. Es hat an die 60,000 sächsische Einwohner, von denen zwei Drittheile seit vielen, vielen Jahren an einer epidemischen und kontagiösen Krankheit leiden, nämlich am Stockschnupfen. Deshalb sprechen sie wie Ferdinand von Meißen aus dem bekannten Lustspiele »die Drillinge« und sind wegen dieses Meißen'schen Dialekts, und wegen des grammatisch verstorbenen Herrn Adelung überzeugt, daß sie »das reenste Hochdeitsch« sprechen. Von Dresden nach Meißen sind drei kleine Meilen, und man fährt sie in vier Stunden; ein Dresdner braucht lange nicht so viel Zeit, um die erste Sylbe dieser Porzellanstadt auszusprechen, es ist Verläumdung, wenn man das abläugnet. Schlechte Historiker sind der Meinung, Meißen sei die älteste Hauptstadt Sachsens gewesen, weil man noch heutiges Tages jeden Sachsen an der Aussprache dieser Stadt erkenne, aber die berühmte Porzellanfabrik daselbst hat wirklich Einfluß auf den Volkscharakter gehabt: kein deutscher Volksstamm faßt den Fremden so höflich, porzellanartig und delikat an, als der sächsische. Meißner Porzellan und sächsische Höflichkeit sind weltbekannt, aber es wissen's nicht alle Leute, daß dieses Porzellan und diese Höflichkeit die schneidendsten Scherben geben, wenn sie verletzt werden.

Ueber die Kunstanstalten Dresdens, das japanische Palais, grüne Gewölbe, die Rüstkammer und Bildergallerie läßt sich nur lauter Preisliches sagen, und die Leichtigkeit, in letztere Eintritt zu erhalten, zeugt von der liebenswürdigsten Liberalität.

105 Die Einwohner scheiden sich in streng gesonderte Gruppen: unter den höheren Klassen und den höheren Regierungsbeamten findet sich sehr feine, sehr geschmackvolle Bildung, vornehme, kultivirteste Manier. Sie erkennen, daß sie an Ludwig Tieck von Altmarkt einen bedeutenden Dichter besitzen, und wenn sie seine Vorlesungen und ihn selbst nicht besuchen, so geschieht's entweder, weil man das Eine nicht kann ohne das Andere, oder weil sie nicht vier bis fünf Stunden mäuschenstill sitzen mögen, oder weil ihnen die Schriften von diesem Manne das Liebste sind.

Ehe ich zu einer andern Klasse der Bewohner übergehe, noch ein Paar Worte über Ludwig Tieck für diejenigen, die ihn gar nicht kennen. Die Gicht hat ihn ein wenig zusammengeworfen, sonst trägt er noch die klarsten Spuren eines Mannes, der schön gewesen ist. Was den dichtenden Denker vor der blöden Menge immer auszeichnet, das Auge mit seinem Glanze und Drange, das ist ihm in aller Schönheit geblieben. Tieck ist ein sehr 106 überlegener Geist in der Gesellschaft, so lange ihm keine Usurpationsgedanken an die Literaturthrone in den Sinn kommen, er weiß wie ein überlegener Geist bei den groben Schmeicheleien zu schweigen, die ihm der Schwarm mit plumpen, fetten Händen auftischt, er spricht wie ein überlegener Geist, wenn ein literarisches Lebensthema berührt wird. Wie gewöhnlich macht er mehr Fait von dem, was unwichtig an ihm ist; er spricht mit größerem Nachdruck von seinen Studien, als von seinem Talente. Als er »den Tod des Dichters« geschrieben hat, da soll er äußerst geseufzt haben über die Masse dessen, was er lesen müsse, ungefähr wie ein Historiker, der eine unbekannte Geschichte schreibt, zu welcher eitel neue Quellen gelesen werden müssen.

Nun, das ist nichts der Rede Werthes, und es wird's ihm Niemand übel nehmen; aber die Damen dürfen auch nicht stricken in seinen Vorlesungen, das ist Stoff zu Debatten in Dresden geworden, die heute noch nicht ausgefochten sind: Das ist ein Hauptstoß für den Rest seiner 107 Popularität in Dresden geworden. Ueberhaupt darf man sich durchaus nicht den Dresdnern anschließen, wenn man sich erlaubt, dieß und jenes an Ludwig Tieck auszusetzen. Sie mögen ihn nicht um seiner besseren Eigenschaften willen, und weil er kein Philister ist, ihre Antipathie gährt aus widerwärtigem protestantisch-bornirtem Sauerteige. Was die Herren Winkler, Gehe, Böttiger mit ihren Kommittenten an Ludwig Tieck nagend aussetzen, ist dessen Garantie, daß er ein Dichter ist.

Seine Vorlesungen, die er mit großer Lebhaftigkeit, mit Stimmenabwechselung und solchem dramatischem Apparate hält, regen die wichtige Frage an, ob dieser Aufwand dem Vorlesen zukomme und ersprießlich sei. Vielleicht sind die Schattirungen diesem Genre der Darstellung am zuträglichsten, welche sehr fein und wenig markirt erscheinen, wie bei Skizzen ein anderes Maaß erfordert wird, als bei Gemälden, zu denen alle Hilfsmittel von Farben und dergleichen verwendet werden können.

108 Die Reisenden erzählen immer mit Staunen, und besonders die Berliner sind »wech« darüber, was die kleine Figur des großen Dichters für vortreffliche Brust und Lunge habe.

Eine andere Partie des Dresdner Publikums, die nichts gemein hat mit der erst erwähnten vornehmen, ist die Parthie der Hofräthe: sie ignoriren Tieck und vieles Andere. Als die Periode der Briefwechsel in unserer Literatur begann, da drohte eine Emeute unter ihnen auszubrechen, Kuhn, Kind und Genossen erschienen mit echauffirter Menge im Kasino –

Scheen guten Abend, Herr Hofrath –

Ei, scheen guten Abend, Herr Hofrath^

Wie befinden sich der Herr Bruder Hofrath?

Danke gehorschamst, Herr Bruder Hofrath –

    Es tritt eine Pause ein.

Den angepriesenen Briefwechsel schon gelesen, Herr Bruder Hofrath, zwischen Schiller und Geethe?

Ach ja, was meinen der Herr Hofrath dazu?

Unter uns gesagt – 109

Weeß es Gott, Bruder Hofrath, wenn mer alle unsere Briefe hätten drucken –

Hätten drucken lassen wollen, hab ich nicht Recht, hochgeschätzter Herr Bruder –

Die Welt hätte andere Dinge zu heeren gekriegt, als – als –

Sub sigillo, Herr Bruder, als diese Lappalien –

Der Vorhang fällt, die Herren rauchen weiter, und beklagen sich, daß die Solidität aus der Literatur verschwindet.

Daneben ist Dresden reich an seinen alten Räthen vom Appellationsgerichte &c., die mit dieser Klasse gar nichts gemein und eine feine literarische Zunge haben, ein stilles, gediegenes Urtheil.

Einige deutsche Städte führen wie die Studenten ihre Spitznamen, und sind oft unter diesen bekannter als unter den wirklichen; wer findet sich zum Beispiel noch heraus aus Athen und München, und München und Athen! Sogar das Bier kommt Einem nicht mehr zu Hilfe: auch an der Akropolis winkt der Bock und das perlende Seidel. Athen 110 grassirte sonst besonders auf Universitäten: da gab es Saal-Athen und Pleiß-Athen und sonstige, Weimar hieß par excellence Ilm-Athen, weil dort die leibhaftige Klassicität sich häuslich niedergelassen hatte.

So nannte die Dichterschule aus dem »linkischen« Bade Dresden nie anders als Elb-Florenz, und obwohl ich sonst nicht viel Gemeinschaftliches habe mit diesen Sängern des schwarzen Fracks, so hab ich doch Dresden auch immer gern Florenz genannt. Es findet sich wirklich viel Entsprechendes in Verhältnissen und Beziehungen dieser Stadt mit der toskanesischen Capitale.

Die Künste waren lange Zeit par excellence in Dresden zu suchen, wie einst unter den Medicäern in Florenz, der Hof und der Glanz war katholisch und zumeist mit italienischen Prinzessinnen liirt, welche italienische Sprache, italienische Oper veranlaßten; noch heute liegt in der Nähe des ernsthaft grüngrauen Schauspielhauses ein italienisches Dörfchen, wo man Knackwürste frühstückt, und leider 111 jetzt aus Grundsatz sächsisch parlirt. Paläste mit italienischen Namen, Denkzeichen an des prächtigen August-Zeiten, welcher im südlichen Europa, namentlich in Spanien so viel Abentheuer erlebt haben soll, finden sich noch vielfach und helfen erinnern an romanische Dinge und Töne.

Der kleine wohlhabende Staat Sachsen bot ebenfalls mancherlei Parallele mit Toskana: im Erzgebirge klöppeln sie Spitzen, in den toskanischen Bergen flechten sie Strohhüte, und so könnte man ein unnützes, tändelndes Spiel weiter ausdehnen – aber besonders die Lage von Dresden hob mir stets ein Bild von Florenz in den Gesichtskreis.

Dresden ist eine der Städte, wo ich gern ankomme, sie hat mir immer aus der Ferne das meiste Vergnügen gemacht. Aber man muß aus den schlesischen Grenzwäldern nach Sachsen reisen, um einen entzückenden italienischen Anblick zu finden: das bergige, sonnenfrische Bautzen, die schöne hügelige Straße von dort, links mit den blauen Bergen, welche hinabführt zu dem heitern Bischofswerda, wo 112 so hübsche Mädchen wohnen, und die Studenten im »Engel« willkommen sind, das Alles stimmt überaus empfänglich. Und nun kommt man auf die waldigen Berge, wo die breite Straße eilig hinabrennt nach dem Elbthale, und zwischen Fichten und Tannen und Landhäusern sieht man weit unten, hinten begrenzt von sanfter Hochebene, eine breite Stadt mit italienischen Thürmen, Kirchen und Schlössern, Florenz, die blühende, in weichen gefälligen Farben prangend und lockend.

Auf diesem Wege kamen Napoleons Garden herab, als die Alliirten bereits in die Stadt zu dringen versuchten, und der König von Sachsen sein Dresden verloren glaubte. Der Kaiser kam mit ihnen, erschien unten auf der prachtvollen Brücke, belebte durch seinen Anblick Alles, ließ seinen bärtigen Helden Wein und Speise reichen und führte sie in die Schlacht.

Aber nicht diese Erinnerungen sind's allein, welche so viel Zauber über diese Straße gießen, der Anblick Dresdens von hier aus hat so viel 113 Südliches, Fabelhaftes, daß er mir stets die buntesten Hoffnungen und Illusionen weckt.

Dresden wimmelt stets von Reisenden, es ist eine Winter- und Sommer-Saison, die ihnen Italien vertritt, die Brühl'sche Terrasse an der Elbe, von wo man hinab gen Meißen, hinauf bis in die Vorberge der sächsischen Schweiz sieht, klingt wieder von allerlei Sprachen Europas.

Hatte doch selbst für den so mäßigen Friedrich den Großen dies Dresden die lebhaftesten Reize; er hat hier als Kronprinz seine buntesten und muntersten Tage verlebt, und manche Historiker, die gar nicht drüber hinaus können, daß der große König keine Nachkommen gezeugt hat, bemühen sich sehr unnütz mit allerlei Operngeschichten in Dresden die Gründe für diese Erscheinung aufzufinden.

Auch Erinnerungen an die Zeiten der polnischen Krone treten Einem noch in den Namen mancher Paläste und Personen entgegen, Erinnerungen an die sächsischen Ehen mit italischen Prinzessinnen. Napoleon wohnte zum Beispiele während des 114 Waffenstillstandes in einem solchen italienisch benannten, abgelegenen Palais, dem Marcolinischen. Zwei Wachen schritten auf und ab, rings umher war es still, und innen bewegten sich die stürmischsten Fragen über Weltherrschaft.

So vielerlei Anregung bietet Dresden mit seinen hohen, steinernen Häusern, und so lange man die Leute nicht reden hört von »alleweile« und von der »sscheenen Witterung« kann man sich in mancherlei bunten Träumen schauckeln. 115

 


 


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