Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Die närrische Gesellschaft.

Es war eines Nachmittags und wir saßen zu Hietzing im Saale, wo Strauß dirigirte. Unter der Menge schöner Damen entdeckte ich Maria. Sie sah bezaubernd aus und ließ sich den Hof machen von zwei jungen schönen Herren mit vortrefflichen Wiener Backenbärten. Zuweilen wendete sie sich auch behend gegen einen andern Nachbar, das war ein feister, alter Herr mit einem klugen, jovialen Gesichte, dessen ich mich dunkel aus Karlsbad erinnerte. Es war eines von den Gesichtern, die so viel Behagen über der Schlauheit einzelne Züge verbreitet haben, daß man Zutrauen für sie faßt und nur in seltenen Augenblicken daran denkt, es stünde Einem große Ueberlegenheit gegenüber. Marie, 39 der ich mein Kompliment machte, stellte mich ihm vor, und nannte ihn Onkel. Er war sehr artig, und lud mich ein, den Abend in Hietzing zu bleiben, er wohne mit seiner Nichte da, und sähe viel Gesellschaft.

Ich nahm es an, und als die Hauptaktion der Musik vorüber war, brachen wir auf; Herren und Damen folgten uns nach und nach, und als wir eine Viertelstunde in dem Landhause waren, das er bewohnte, bestand die Gesellschaft wohl aus zehn Personen, die sich im großen, ganz artigen Salon um den Theetisch gruppirte.

Man sprach von Strauß, von Musik, von den Wienern. Es wurde dunkel, der lustige Oheim, welcher eben allein sprach, schwieg mitten im Satze, sein heiteres Gesicht wurde ernst, steinern ernst, mit der Hand winkte er den Bedienten, diese verließen den Saal, und schlossen die Thüren.

Meine Herrschaften, sagte der Onkel mit fester Stimme. der Augenblick ist da, die Maske abzuwerfen: ich bin ein alter Arzt, sie sind mir 40 übergeben, um von einem partiellen Wahnsinne geheilt zu werden, der Sie in der verschiedensten Weise befangen hält. Sie, mein Herr Graf, haben übergeschnappt aus Hochmuth, Sie machen Verse und komponiren, und halten Jeden für einen Unwürdigen, der nicht auch Graf ist, Verse macht und komponirt. Sie wollen dort das gnädige Fräulein im grünseidenen Kleide heirathen, haben aber nie daran gedacht, sie glücklich zu machen, die Dame ihrerseits hat in ihrer großen Schönheit sich eben so wenig darum gekümmert, sie wollen repräsentiren Eins mit dem Andern, c'est tout.

Das ist moderner Ehewahnsinn; ich bitte, Herr Graf, gnädiges Fräulein, sich von der Gesellschaft abzusondern, und das eben beregte Kapitel gegenseitig mit Ernst durchzusprechen.

Die Gesellschaft war Anfangs einen Moment lang geneigt, zu lachen, und die Farce für einen dreisten Spaß anzusehen, der gebieterische Ernst des Onkels aber, den man niemals so gesehen, ließ dergleichen nicht aufkommen, man war vielleicht hier 41 und da der Meinung, seinem eignen Verstande sei etwas begegnet, und so fügte man sich der Reihe nach, theils aus Ueberraschung, theils, um den Alten zu schonen. Der Graf und das Fräulein standen auf, und die später Angeredeten und Beorderten gehorchten ebenfalls pünktlich.

Sie, mit der schwarzen Brille und dem zuversichtlichen Antlitze, Sie sind amtsverrückt. Weil Sie ein geschickter Jurist sind, so meinen Sie, damit sei es abgethan, und überheben sich der Welt und ihrer Bildung, halten Alles Uebrige höchstens für geduldet, sich selbst für eine fertige Hauptperson. – Sie blasser, dreister Mann, wissen Sie, wo Sie sind? In einen staubigen Winkel der Welt haben Sie sich gestellt, wo es keine Aussicht, keine Umsicht gibt – wissen Sie, was Bildung ist? Nichts Einzelnes. Und wenn Sie einmal in ein Buch kucken, was nicht juristisch ist, so sehen Sie stolz um, und wollen es angerechnet wissen, daß Sie sich aus Gefälligkeit ein hors d'oeuvre aufgebürdet. Dort im Bücherschrank steht Göthe's 42 Wilhelm Meister, lesen Sie so lange, bis Sie eingesehen haben, die Welt sei tausendfältig.

Sie, mein Fräulein mit dem glatten Scheitel, haben sich erziehen lassen nach Prinzipien, haben gelesen und gedacht Morgens und Abends, und nun ist Ihnen kein Mann wichtig und schwer genug, Sie theilen Körbe über Körbe aus, weil Ihnen die Freier nicht genügen, weil Sie nicht vom Morgen bis zum Abende über Aesthetik sprechen; Sie haben die Unbefangenheit des Herzens verlesen, die absichtlose, kindliche Liebe verloren, sind bildungstoll – setzen Sie sich mit diesem krausblonden Junker dort in den Winkel. Dieser rothbackige Nimrod ist Einfaltstoll, findet nirgends Bezug, Anknüpfung, nimmt Essen, Trinken, Jagdpferd, Nachbar ohne Gedanken hin – Sie können und müssen sich gegenseitig kuriren.

Sie, mein Herr Kapellmeister, der Sie sich drüben im Saale die Ohren zuhielten, um keinen Strauß'schen Walzer zu hören, weil er die Kunst entweihe, Sie sind kunstverrückt, verletzen durch 43 einen gemachten Esoterismus die freie Herrlichkeit der Erfindung, Sie werden dort am Pianoforte den Venetianer spielen, bis Ihnen die Finger erlahmen.

Sie, mein Herr, mit dem süßen Lächeln, der Sie Außerordentliches für die Menschheit zu leisten glauben, wenn Sie immer am Ersten und am Tiefsten den Hut abnehmen, immer voll Attention und Artigkeit scheinen, Sie sind ein Höflichkeitsnarr, denn Sie haben keinen Begriff von jenem außerordentlichen Bildungstheile, den wir Höflichkeit nennen, welcher auf unerschütterlicher Liebe und Nachsicht beruht, ein schönes christliches Element, eine Verläugnung des Egoismus ist in den feinsten Konsequenzen desselben. Unterhalten Sie sich mit unserm schriftstellernden Doctor, welcher trotz allen schönrednerischen Bildungsstrebens die Grobheit nicht verlernen kann. Sie dürften sich gegenseitig ausgleichen.

Und Sie Narr des Enthusiasmus mit den fliegenden Locken, Ihr Herz ist auch nicht aus den 44 Kinderschuhen zu bringen, an alle Opposition, die mit gewaltiger, zerstörender Kraft vorgetragen wird, schließen Sie sich an, alles Einzelne, wenn es flackernd auftaucht, befängt Sie, es ist keine gegliederte, im Gleichmaaß sich bewegende Kultur in Ihnen, drum können Sie nie etwas Dauerndes, Umfassendes wirken, Sie leben in Stückchen, wirken in Stückchen, zerstören aber dadurch im Ganzen, schwärmen für einen schlagenden Ausdruck, sind ohne Nutzen für organisches Bilden – associiren Sie sich hier mit diesem magern Herrn, der seit Jahren mit der Welt und ihren Bestrebungen fertig ist, und nur höhnisch lächelt. Er ist Konsequenztoll und läßt hinrichten, wenn er die Macht erhält, er läßt guillotiniren, wenn Jemand einen kleinen Stift seines Systems bezweifelt. Er kennt alle Philosophieen, alle Geschichte, alle Dinge, er ist ein ausgezeichnetes Buch, aber er soll ein Mensch sein, welcher der ewigen Wandelbarkeit der Welt nachgeben, sich modificiren kann, denn die Welt mit ihrer laufenden Geschichte ist klüger, als der Mensch.

45 Sie, Madame, mit dem schwarzen Anzuge, Sie sind jung und hübsch und gescheidt, und glauben gewiß, irrthümlich in diese Gesellschaft der Narren eingetreten zu sein. Das sind Sie nicht. Warum verschmähen Sie eine neue Heirath? Weil Sie Ihr jetziges Leben ganz bequem und artig finden, sich keinen neuen Chancen aussetzen wollen, Sie sind eigennutznärrisch – die Menschen bedürfen der Verbindung, sie bedürfen dazu der Geselligkeitsopfer; wer sich davon ausschließen will, ist lasterhaft gegen die Societät – besprechen Sie sich mit meiner Nichte Maria, die in der entgegengesetzten Narrheit befangen ist. Sie will nur den Leuten gefallen, kokettirt drum mit aller Welt, bildet sich alle Augenblicke ein, zu lieben, und bringt sich so am Ende ganz um die Fähigkeiten der Liebe, zersplittert sich in Atome. Der junge Herr da neben Ihnen Beiden mag der Konversation zuhören, er glaubt, meine Nichte zu lieben und ist rücksichtentoll: vor lauter Beziehung kommt er nicht zu sich, Alles will er beachten und verliert sich auf diese Weise selbst. 46 Ich glaube, er liebt Marien auch bloß aus Rücksicht, weil sie ihn liebevoll ansieht.

Und nun, meine verrückten Herrschaften, noch die Betheurung, daß Sie alle keine Oesterreicher sind, denn solche Spielarten kommen hier nicht vor; – morgen müssen Sie alle über die Grenze, und zwar unter meiner Anführung, denn ich bin selbst toll, naseweistoll, ich überhebe mich in Einsicht über Sie Alle, und schnappe somit selber über. Da ich aber am Längsten toll bin, so habe ich die meiste Routine und Methode, und deshalb schicke ich mich am Besten zum Anführer, wenn auch in dieser Behauptung wiederum der klarste Beweis meiner Verrücktheit ruht.

Still! kein Einziger lasse sich in der ihm angewiesenen Beschäftigung stören – Herr Kapellmeister! keine falsche Pause im Venetianer, Sie mein Herr kein leeres Kompliment!

Johann! den Thee!

Maria mit der ihr zugetheilten Gruppe, der schwarzen, schönen Wittwe und dem rücksichtsvollen 47 Liebhaber machte den Thee, die Bedienten reichten ihn umher, alle Uebrigen blieben in der beorderten Lage und schienen fast wie durch eine magische Kraft hineingebannt. Alles Neue, Unerklärte überrascht und fesselt, auch im Gehorsam – der Kapellmeister nahm sich gar nicht die Zeit, seinem Venetianer nur einen Augenblick zu rauben für die dampfende Tasse, er spielte immer rascher und rascher, man ward an die Pferde erinnert, welche den Koller kriegen und sich zu Tode laufen. Der Höflichkeitsnarr lief komplimentirend neben mir im Saale auf und nieder, und prallte öfters scheu nach der Seite mit klappernder Tasse und zitterndem Löffel, wenn mich eine Derbheit überraschte; der Jurist sah verdrießlich in den Winkel und trank Thee in leidenschaftlichen Zügen; er beschäftigte den Bedienten ununterbrochen; um Terrain für Grimm und Zähne zu gewinnen, verschmähte er Backwerk und fiel verheerend ein in's Butterbrod. Der Enthusiast hüpfte neben dem Consequenztollen her, und ließ die Tasse fallen, als dieser einen großen Gedanken, einen 48 erschütternden Fluch über die thörichte Welt entwickelte. Mitten durch diese und die übrigen Gruppen schritt majestätisch der Onkel, ebenfalls Thee trinkend.

Wir wollen uns zu der Gruppe am Theetische zurückbegeben, da sie allein für uns von Zukunft ist. Florentin heißt Mariens Liebhaber, die schöne Wittwe Diana. Sie sprechen von dem wunderlichen Onkel, Marie ist ungewöhnlich scheu geworden, Diana ernst und nachdenklich, Florentin allein spricht viel. 49

 


 


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