Wilhelm Langewiesche
Wolfs Geschichten um ein Bürgerhaus -- Erstes Buch: Im Schatten Napoleons
Wilhelm Langewiesche

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So hatte denn, was der alte Anton gleich vorausgesagt, das Schwalbenpaar, das im Frühjahr gerade über der Schnauze der knabensäugenden römischen Wölfin sein Nest sich gebaut, dem Hause wirklich Glück gebracht, ein anderes freilich, als es Frau Maria Magdalena sich ausmalte, so oft sie mit Pinchen und Regine von der Plattform der hohen Treppe aus den Vögeln zusah, wie sie ihre Jungen fütterten. Gleichwohl gab sie die Hoffnung nicht auf, daß auch die kleinen Mädchen der Liebe einer Mutter wieder froh werden möchten, und das betriebsame Familienleben, das an der Wand des Hauses in Federn und in Stein sich abspielte, blieb ihr Sinnbild und Versprechen eines Segens, damit Gott auch sein Inneres erfüllen werde.

Und rasch, im selben Jahr noch, begannen ihre Wünsche sich zu verwirklichen. Am 3. Oktober fuhr der alte Anton im neulackierten Kutschwagen die Großmutter, den Onkel Johannes und die weißgekleideten Enkelinnen nach Düsseldorf, wo im Zweibrücker Hof, der Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Wolf seine zweite Hochzeit hielt. Nicht mit der verblühenden Adelheid Ohnegroll, die er wohl nie gesehen hat, sondern mit der fünfundzwanzigjährigen Anna Reichardt, die er auf einer Rheinreise erst im August ganz zufällig auf dem »Herzog von Nassau« kennengelernt hatte und die, wie er selber, groß und kräftig, blond und blauäugig war, dazu heiteren, gütigen und tatkräftigen Wesens – »zur Mutter, Großmutter und Urgroßmutter prädestiniert«, versicherte Pastor Kranevoß, der sich auf Frauen verstand, in der »Gesellschaft« am Abend des Tages, an dem das Brautpaar ihm seinen Besuch gemacht hatte. – Der Kommerzienrat dagegen behielt Annas Eindruck von der Frau Pastorin wohlweislich für sich, aber er mußte herzlich lachen, so oft er daran dachte: »ein saurer Obstkuchen mit reichlich aufgestreutem Zucker« hatte sie gesagt ... Frau Maria Magdalena, ja, die hatte anfangs wohl ein wenig geseufzt, daß ihr Sohn »so ein ganz einfaches Mädchen« heiraten wolle. Mit solcher Bezeichnung hatte sie zweifellos recht, aber in einem schöneren Sinn als sie dachte. Übrigens half ihr Anna, noch ehe sie als Schwiegertochter sich persönlich vorstellte, als »Geheimratstochter« über diese Enttäuschung leidlich hinweg; es war also immerhin, wenn auch keine gute Partie, so doch wenigstens keine Mesalliance ... In der Tat hatte Annas Vater nach zwölfjährigem Dienst als Unteroffizier in eintönigen Jahrzehnten »es« bis zum Rechnungsrat am Garnisonlazarett gebracht, und als er dann kurz vor dem ewigen in den zeitlichen Ruhestand eintrat, war ihm der Titel durch den Reiz des Geheimen noch erhöht worden. Seine Frau war mit der spätgeborenen Tochter in Düsseldorf wohnen geblieben, weil Anna hier, nach harten Jahren auf dem Seminar und einem Hauslehrerinnenjahr in England, eine Anstellung als Lehrerin gefunden hatte. So war es denn nun in eigenster Sache, daß Friedrich Wilhelm Wolf zum erstenmal als königlich preußischer Kommerzienrat an eine Behörde sich wandte. Er erreichte ohne Mühe, daß Anna alsbald ihren Verpflichtungen enthoben und die von ihr vorgeschlagene Nachfolgerin angestellt ward.

Die Hochzeitsreise hielt sich an den Rhein, der im schönsten Schmuck des Herbstes stand und von der Fröhlichkeit der Weinlese erfüllt war ... Als der alte Anton am Abend des Tages, an dem Friedrich Wilhelm Wolf seine junge Frau die hohe Treppe hinauf heimgeführt hatte, das Hoftor schließen wollte, war die Hundehütte leer. Hauser, der Hund, war fort und kam nicht wieder, und dunkel wie seine Herkunft ist sein Verschwinden geblieben. Während Frau Anna dachte, daß bei beidem vielleicht ihr Schwager Johannes die Hand im Spiele hätte, machte Frau Maria Magdalena sich Gedanken darüber, ob Hauser, der Hund, ihr wohl im Himmel wiederbegegnen werde.

Mit der Zeit lernten die beiden Mütter einander manches nachsehen, aber daß Frau Maria Magdalena gleich beim ersten Besuch mit ihrer etwas weinerlichen Stimme versichert hatte, ihr Sohn hätte wohl an jede Tür klopfen dürfen – das blieb als eine letzte Schranke doch immer zwischen ihnen. Das Glück der Neuvermählten stieß sich hieran freilich nicht, und wenn der Kommerzienrat auch im Herbst durch Anton das zerfallene Schwalbennest und seine Spuren von dem steinernen Bildwerk entfernen ließ, so ward dieses selber im Hochsommer 1835 dafür auf die schönste Weise ins Menschliche übertragen: die alte Frau van Neersen war zwei gesunden Knaben beim Eintritt ins Leben behilflich, ohne daß Dr. Latschert sich sonderlich zu bemühen brauchte. – Daß der weisen Frau hierdurch ein schöner Plan heimlich zerstört ward, fiel ihr selber erst ein, als alles vorbei war. Sie hatte nämlich seit Jahren die Absicht, ihre Lebensarbeit auf dreihundert Kindlein zu beschränken und alsdann sich zu Ruhe zu setzen. Na nun aber unversehens Nummer dreihunderteins erschienen war, beschloß sie, noch weitere vierundzwanzig abzuwarten, um doch mit einer schönen und leidlich runden Zahl Feierabend zu machen. Und die junge blonde Kommerzienrätin sorgte, so viel an ihr lag, freundlich dafür, daß jene nicht allzu lange zu warten brauchte, indem sie selber so rasch wie möglich ihrem Manne noch drei Söhne schenkte, die nun freilich einzeln sich einfanden.

Und die sie nicht unterm Heizen getragen hatte, Pinchen und Regine, die trug sie um so treuer in einem Herzen, das, wie sie sagte, für ein volles Dutzend reichlich Platz hatte. Eine Versicherung, die jeder ihr aufs Wort glaubte. Aber ihr Mann bestach den Storch, und so mußte sie den Beweis schuldig bleiben.


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