Wilhelm Langewiesche
Wolfs Geschichten um ein Bürgerhaus -- Erstes Buch: Im Schatten Napoleons
Wilhelm Langewiesche

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Wer zu des Maire Zeiten den Hof durch das schmiedeeiserne Tor verließ, sah sich auf der Bachstraße, die, die Hauptstraße in immer gleichem Abstand begleitend, nur an dieser Seite mit Häusern bestanden war. An ihrer anderen Seite floß ein Bach, der sich keines eigenen Namens erfreute, sondern kurzweg »die Bach« genannt ward. Jenseits des Baches dehnten die Gärten sich aus, mit denen die Stadt hier in die weite und fruchtbare Ebene überging. Die war leicht gewellt und mit ihren zerstreuten, unter Obstbäumen halbversteckten Dörfchen, ihren vielgewundenen hellen Wegen, einzelnen Baumgruppen und mancherlei unregelmäßigen Streifen niedrigen Buschwerks heiter, fast lustig anzusehen, denn die Verkoppelungsideen einer weisen Königlich Preußischen Staatsregierung schliefen noch im Dunkel fast eines Jahrhunderts.

Auch dem schmiedeeisernen Tor des Wolfschen Hofes gegenüber setzte, stattlicher als die andern, eine Brücke über den Bach. Die führte zu dem großen alten Garten, der der Familie schon vor der Erbauung des neuen Hauses jahrzehntelang gehört hatte. Der Eintretende mußte zunächst die große runde Gruppe alter Bäume und Sträucher umgehen, die den Einblick in den Garten von der Bachstraße aus verhinderte, wie denn auch die Grenzen ringsum durch alte Bäume und dichtes Gesträuch geschlossen waren. Die Mitte des Gartens war baumlos, und gegliedert durch einen in seine Tiefe führenden Hauptweg, der von vielen Nebenwegen rechtwinkelig geschnitten oder in mäßigen Abständen begleitet ward. Buchs faßte die Wege ein und nicht Kies, sondern feiner, roter Sand bedeckte sie, der nicht geharkt, sondern gewalzt und gefegt werden mußte, denn der Maire wünschte bequem und unhörbar zu gehen. Auf den Beeten gediehen Obst, Gemüse und Blumen, und der Stolz auf deren besondere Fülle, Güte und Schönheit war in der Wolfschen Familie erblich. Im letzten Teil des Gartens aber hörten Beete und Querwege auf, hier durchschnitt der Hauptweg eine große Rasenfläche, um dann zwischen zwei Zedern, die die weiche niederrheinische Luft zu wahren Prachtstücken hatte gedeihen lassen, vor der Tür eines weißen Gartenhäuschens mit bescheidenen Andeutungen von Rokoko zu enden. Das Häuschen enthielt einen größeren Raum, dessen Einrichtung, wenn auch nicht mehr prächtig, so doch noch ganz wohnlich anmutete, obwohl der Name »Gartensaal« trotz der großartigen chinesischen Tapete nicht ganz zu passen schien, und zwei kleine Nebenzimmer. Aus den tief hinuntergehenden Fenstern des Gartensaals hatte man an den Zedern vorbei hübsche Blicke in den Garten. Überraschend schön aber war die Aussicht über das weite Land von einem der Nebenzimmer aus, in dem ein paar Stufen zu einem behaglichen Fensterplatz emporführten. Besonders zur Zeit der Flachsblüte. Dann war der kleine Raum von Licht und lauter Bläue erfüllt. Denn unter dem zartblauen Himmel dehnte sich hier im Flimmern der Sommerluft der wunderblaue Teppich eines schier endlosen Flachsfeldes aus.

Das Gartenhaus hatte seine Geschichte, die nicht immer Pastor Piepers Beifall gefunden haben würde, am wenigsten die Blätter, die sein Schwiegersohn, der Maire, im letzten Jahr seines Junggesellenlebens beschrieben hatte.

Nicht lange nach dem Tode seines Vaters war nämlich dem »Wölfche« eines Tages in Köln ein schönes großes Fräulein über den Weg gelaufen, das von einem französischen Offizier aus Bayern entführt, in Wesel verlassen worden und nun auf der Heimreise sein wollte. Das hatte er ohne sonderliche Mühe zu einem kleinen Umweg und heimlichen Sommerfrischlern verleitet und vorläufig hier einquartiert, die Verfolgung solch werten Gastes der Kutschersfrau anvertrauend. Die sah sich dadurch täglich in nicht geringer Verlegenheit, denn wie richtig sie auch die Gesamtlage beurteilte – was hinter der niedrigen Stirn ihres dunkelhaarigen Schützlings vorging, mochte es nun wenig oder viel sein, das blieb ihr völlig verborgen. Denn sie verstand von dem, was jene ihr erzählte, nicht viel mehr als von den Liedchen, die das fremde Mädchen zuweilen mit dunkler und ein wenig belegter Stimme sang, wobei sich der einfachen Schönheit des länglichen Antlitzes der Ausdruck einer unschuldigen und unbewußten Schelmerei verband:

Wann i erst außi schau, wos Lüfterl is schö blau,
sich i die Stadt, die schö, mit die zwoa Kirchturm steh.

Nach Verlauf einiger Wochen, als I.P.Wolf schon erwog, wie er sich des fremden Fräuleins auf eine gute Manier wieder entledigen könne, fand er bei seinem abendlichen Besuch das Gartenhäuschen leer. Der hübsche Vogel war entflogen. Doch sieh da: Am Spiegel stak ein Brief, darin Mamsell Kathi in großen, unsichern Schriftzügen ihm kundtat, sie sei der geraden und wohlgepflegten Wege seines Gartens überdrüssig und wolle hinfort lieber wieder auf den unterhaltsameren ihres früheren Lebens wandeln.– »Laß fahren dahin, laß fahren!« tröstete sich der Maire, der seinen Schiller kannte.

Im folgenden Sommer aber las Pastors Lenchen, die blonde und ein wenig kurzsichtige Frau Maria Magdalena, als I. P. Wolfs vielbeneidete junge Gattin im Gartensaal ihren Freundinnen St. Pierres Paul und Virginie vor, denn sie war eine schöne Seele und hatte das Lehrhafte.


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