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Vierter Abschnitt.
Der Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts.

I. De la Mettrie

In Frankreich begann schon früh im achtzehnten Jahrhundert jene Epoche destructiver Schriftstellerei, deren stürmisches Anschwellen man nur zu oft mit dem Materialismus in einen ungenauen Causalzusammenhang gebracht hat Wir massen uns nicht an, die wichtige Frage, warum der Materialismus in England conservativ gewirkt hat, während er in Frankreich eins der stärksten Fermente, wurde, bis auf den Grund zu lösen. Eins aber zeigt uns namentlich ein Blick auf Voltaires Leben und Wirken unwidersprechlich: Der wüthende Hass der freien Geister gegen die Fäulniss der bestehenden Zustände in Frankreich begründet sich nicht auf den Materialismus, oder etwa gar auf das Streben materialistische Anschauungen allgemein zu verbreiten. Voltaire, dessen innerstes Princip der Hass gegen den Druck des Bestehenden war, ist kein Materialist. Er ergriff bei seinem Studium der Engländer gewisse materialistische Sätze wie eine vom Zaun gebrochene Waffe. Um den Zusammenhang kümmert er sich nicht. Er ist nicht dazu geschaffen, irgend ein System ruhig und beschaulich zu durchdenken. Voltaire ist weit eher Belletrist, Politiker, Prophet wenn man will, als Philosoph und nur in der Negation kann man Consequenz von ihm erwarten. Will man denn aber doch gewisse Grundzüge feststellen, so findet man, dass der Urheber des berüchtigten Écraser l'infame ein grosser Freund einer geläuterten Teleologie ist, und dass er es mit dem Dasein Gottes vielleicht ernsthafter nimmt, als irgend einer der englischen Deisten. Ihm ist Gott ein überlegender Künstler, der die Welt nach Gründen weiser Zweckmässigkeit geschaffen hat. Ging Voltaire auch später entschieden zu einer finstern, das Uebel in der Welt mit Vorliebe darstellenden Anschauung über, so lag ihm doch nichts ferner, als die Annahme blind waltender Naturgesetze.

Voltaire wollte nicht Materialist sein. Es gährt offenbar in ihm ein roher, unbewusster Anfang des Kant'schen Standpunktes, wenn er wiederholt auf das Thema zurückkommt, welches die bekannten Worte am schärfsten ausdrücken: »Wenn kein Gott da wäre, so müsste man einen erfinden.« Wir finden die Gottesidee in uns als Grundlage des sittlichen Handelns, lehrt Kant. Voltaire meint, wenn man Bayle, der einen atheistischen Staat für möglich hielt, fünf- bis sechshundert Bauern zu regieren gäbe, so würde er alsbald die Lehre von der göttlichen Vergeltung predigen lassen. Man kann diesen Ausdruck seiner Frivolität entkleiden und man wird Voltaires wirkliche Ansicht darin finden, dass der Gottesbegriff für die Erhaltung der Tugend und Gerechtigkeit unentbehrlich sei.

Ungleich idealistischer ist freilich Rousseau, der in seinem Streit mit den Holbachianern geradezu als Fanatiker gegen den Materialismus auftrat, und der doch in der Literatur des Umsturzes eine so hervorragende Rolle spielt. Auch Voltaire nahm später gegen das Systeme de la nature Partei, ohne sich jedoch jemals bis zu intolerantem Eifer fortreissen zu lassen. Auch in der Anthropologie war Voltaire im Grunde niemals entschiedener Materialist – wenigstens nicht auf die Dauer. Als er aber noch als junger Mann in England lebte, ergriff er die Ansichten der Deisten und vor Allen auch Lockes mit grösster Begier als Werkzeuge zur Zerstörung des Kirchenglaubens. Hier fand sich denn bald ein Punkt, in welchem er über seine Lehrmeister hinausging.

Locke nämlich, der sich nur an die Thatsache hält, dass das ganze geistige Leben der Menschen aus der Thätigkeit der Sinne fliesse, lässt es doch dahin gestellt, ob es nun die Materie sei, welche das von den Sinnen zugeführte Material aufnehme, und also denke oder nicht; er nimmt sogar eine materielle Seele an, aber als tabula rasa. Gegen diejenigen aber, welche beständig darauf fussten, dass das Wesen der Materie, als das der Ausdehnung, dem Wesen des Denkens widerspreche, hatte Locke die ziemlich oberflächliche Bemerkung fallen lassen, es sei gottlos, zu behaupten, dass eine denkende Materie unmöglich sei; denn wenn Gott gewollt hätte, hätte er doch vermöge seiner Allmacht auch die Materie denkend erschaffen können. Diese theologische Wendung der Sache gefiel Voltaire; denn sie versprach einen erwünschten Anhaltspunkt zu Händeln mit den Gläubigen. Voltaire dachte sich in diese Frage mit solchem Feuer hinein, dass er sie nicht mehr mit Locke unentschieden liess, sondern vorübergehend wirklich Materialist wurde.

» Ich bin Körper,« sagte er in seinen Londoner Briefen über die Engländer, » und ich denke; mehr weiss ich nicht. Werde ich nun einer unbekannten Ursache zuschreiben, was ich so leicht der einzigen fruchtbaren Ursache, die ich kenne, zuschreiben kann? In der That, wer ist der Mensch, der ohne eine absurde Gottlosigkeit versichern dürfte, dass es dem Schöpfer unmöglich ist, der Materie Gedanken und Gefühle zu verleihen?«

Wie aber der Materialismus bei Voltaire nur gelegentlich als Waffe erscheint, so ist er in dieser Zeit auch da, wo er auf seiner eignen Basis ruht und consequent durchgeführt wird, doch nie ohne Beziehungen auf den grossen Kampf der Zeit. Ja, der consequenteste der französischen Materialisten, De la Mettrie, zieht sogar den Kampf gegen die Fesseln der Sittlichkeit mit in den Bereich seines Strebens. Dieser Umstand, verbunden mit der dreisten Absichtlichkeit, mit der er den Menschen schon im Titel seines Hauptwerkes als »Maschine« hinstellt, hat wohl vorzüglich dazu beigetragen, den Namen De la Mettries zu einem Schreckbild zu machen, bei dem auch die tolerantesten Schriftsteller keinen günstigen Zug mehr anerkennen wollen, und dessen Verhältniss zu Friedrich dem Grossen als ganz besonders ärgerlich betrachtet wird. Und dennoch war De la Mettrie, trotz seiner cynischen Schrift über die Wollust und trotz seines Todes in Folge unmässigen Verschlingens einer Pastete, wie uns scheinen will, eine edlere Natur als Voltaire und selbst als Rousseau; freilich auch ungleich schwächer als diese zweideutigen Heroen, deren gährende Kraft das ganze achtzehnte Jahrhundert bewegte, während De la Mettries Wirksamkeit auf einen ungleich engeren Raum beschränkt blieb.

De la Mettrie könnte also vielleicht der Aristipp des neueren Materialismus genannt werden; allein die Wollust, welche er als Zweck des Lebens schildert, verhält sich zu Aristipps Ideal wie eine Statue Poussins zur mediceischen Venus. Seine berüchtigtsten Erzeugnisse haben weder grosse sinnliche Energie noch verführerischen Schwung und scheinen fast in pedantischer Befolgung eines einmal ergriffenen Grundsatzes künstlich gemacht Anderseits sind seine ernsthaften Ausführungen naturphilosophischer Art durchaus nicht so frivol und oberflächlich, als man gemeiniglich ohne ihnen einen Blick zu gönnen annimmt, und um das Studium der Medicin hat sich De la Mettrie wirkliche Verdienste erworben. Friedrich der Grosse schreibt ihm, gewiss nicht ohne allen Grund, eine unerschütterliche natürliche Heiterkeit und Gefälligkeit zu und rühmt ihn als eine reine Seele und einen ehrenhaften Charakter. Bei alledem wird jedoch der Vorwurf der Leichtfertigkeit zum mindesten an diesem Charakter haften bleiben. Als Freund mag er gefällig und aufopfernd gewesen sein; als Feind war er, wie es besonders Albrecht von Haller erfahren musste, boshaft und niedrig in der Wahl seiner Mittel.

Julien Offray de la Mettrie wurde geboren zu St. Malo, den 25. December 1709. Sein Vater betrieb ein Handelsgeschäft, das ihn in den Stand setzte, seinem Sohne eine gute Erziehung zu geben. Als dieser seine academischen Vorstudien absolvirte, zeichnete er sich so aus, dass er sämmtliche Preise erhielt. Seine Gaben waren vorzüglich rhetorischer und poetischer Natur. Er liebte die schöne Literatur leidenschaftlich; allein sein Vater bedachte, dass ein Geistlicher besser zu leben habe als ein Dichter, und bestimmte ihn für den Dienst der Kirche. Er wurde nach Paris geschickt, wo er unter einem Jansenistischen Professor die Logik studirte, und in die Ansichten dieses Lehrers arbeitete er sich so hinein, dass er selbst eifriger Jansenist wurde. Er soll sogar ein Buch geschrieben haben, welches den Beifall dieser Partei davontrug. Ob er auch die schwärmerische Sittenstrenge und Neigung zu pietistischen Bussübungen, durch welche die Jansenisten sich auszeichneten, sich angeeignet habe, wird uns nicht überliefert. Jedenfalls kann diese Richtung bei ihm nicht von grosser Dauer gewesen sein.

Bei einem Aufenthalte in seiner Vaterstadt St. Malo machte ein dortiger Arzt ihm Neigung zum Studium der Medicin und es gelang, dem Vater beizubringen, »dass ein gutes Recept noch mehr eintrüge als eine Absolution.« Mit grossem Eifer warf der junge De la Mettrie sich auf die Physik und die Anatomie, promovirte in Rheims und lebte eine Zeit lang als praktischer Arzt, bis er sich im Jahre 1733, gelockt durch den Ruf des grossen Boerhaave, zu erneutem Studium, nach Leyden begab.

Um Boerhaave war damals, obgleich er bereits nicht mehr las, eine seltne Schule strebsamer junger Aerzte versammelt. Die Leydener Universität bildete einen Mittelpunkt medicinischer Studien, wie er vielleicht nie wieder bestanden hat. Um Boerhaave selbst scharten sich seine Schüler mit einer unbegrenzten Verehrung. Der grosse Ruf dies Mannes hatte ihm bedeutende Reichthümer erworben, zwischen denen er so schlicht und einfach lebte, dass nur seine grosse Wohlthätigkeit und Freigebigkeit Zeugniss davon gab. Man rühmte ausser seiner eminenten Lehrgabe vornehmlich seinen Charakter, sogar seine Frömmigkeit, obwohl er in dem Rufe des Atheismus gestanden und seine theoretischen Ansichten schwerlich jemals geändert hatte. Auch Boerhaave nämlich, wie De la Mettrie, hatte mit der theologischen Laufbahn begonnen, die er wegen seiner unverholenen Anhänglichkeit an die Spinozistische Philosophie hatte verlassen müssen; denn Spinozismus galt den Theologen für Atheismus.

Zur Medicin übergegangen war der gediegene, durchaus auf das Positive gerichtete Geist des grossen Meisters weit entfernt davon, auf Grund seiner naturalistischen Weltanschauung mit den Vertretern andrer Principien Händel zu suchen. Ihm genügte sein Wirken und Streben, aber dennoch kann seine ganze Richtung der Verbreitung materialistischer Anschauungen unter seinen Schülern nur günstig gewesen sein.

Frankreich war damals in der Medicin im Verhältniss zu England, den Niederlanden und Deutschland entschieden zurück. Daher unternahm De la Mettrie eine Reihe von Uebersetzungen Boerhaavescher Werke, um einer bessern Methode Eingang zu verschaffen; einige eigene Schriften folgten, und bald war er mit den unwissenden Autoritäten von Paris in bittre Händel verwickelt. Unterdessen practicirte er mit grossem Erfolg in seiner Vaterstadt, zugleich unablässig mit der medicinischen Literatur beschäftigt. Der positive Geist seines Lehrers wich nicht sobald, und obschon er bei seiner sanguinischen Unruhe bereits medicinische Händel zur Genüge hatte, so liess er doch die Philosophie nicht ruhen.

Im Jahre 1742 kam er nach Paris und erhielt dort durch einflussreiche Empfehlungen eine Stelle als Militärarzt bei der Garde. Als solcher machte er einen Feldzug in Deutschland mit, und dieser Feldzug entschied über seine zukünftige Richtung. Er wurde nämlich von einem hitzigen Fieber befallen, und benutzte diese Gelegenheit, um über den Einfluss der Blutwallungen auf das Denken an sich selbst Beobachtungen anzustellen. Er kam zu dem Resultate, dass das Denken nichts sei, als eine Folge der Organisation unserer Maschine. Von diesem Gedanken erfüllt, versuchte er während seiner Genesung mit Hülfe der Anatomie die geistigen Functionen zu erklären, und er liess seine Vermuthungen unter dem Titel einer Naturgeschichte der Seele drucken. Der Regimentsfeldprediger schlug Lärm, und bald erhob sich wider ihn ein allgemeiner Schrei der Entrüstung. Seine Bücher wurden als ketzerisch erkannt, und er konnte nicht ferner Arzt der Garde sein. Unglücklicher Weise hatte er sich um dieselbe Zeit verleiten lassen, einem Freunde zu Liebe, der gerne Leibarzt des Königs werden wollte, auf die Concurrenten desselben, die berühmtesten Pariser Aerzte, eine Satire zu schreiben. Vornehme Freunde riethen ihm, sich dem allgemeinen Rachebedürfniss zu entziehen, und er floh im Jahre 1746 nach Leyden. Hier schrieb er sofort eine zweite Satire auf die Charlatanerie und Unwissenheit der Aerzte, und bereits im folgenden Jahre (1747) erschien seine homme machine.

Die Naturgeschichte der Seele beginnt damit, zu zeigen, dass noch kein Philosoph, von Aristoteles bis auf Mallebranche, uns vom Wesen der Seele habe Rechenschaft geben können. Das Wesen der Menschen- und der Thierseele wird stets so unbekannt bleiben, wie das Wesen der Materie und der Körper. Die Seele ohne Körper ist wie die Materie ohne alle Form; man kann sie nicht begreifen. Seele und Körper sind zusammen, und in demselben Augenblick gebildet worden. Wer daher die Eigenschaften der Seele erkennen will, muss vorher diejenigen des Körpers studiren, dessen Lebensprincip die Seele ist.

Diese Betrachtung fuhrt darauf, dass es keine sichereren Führer giebt, als die Sinne: »Das sind meine Philosophen.« Wie sehr man sie auch schmähen möge; auf sie muss man doch immer zurückkommen, sobald man die Wahrheit ernsthaft erkennen will. Untersuchen wir daher redlich und unpartheiisch, was unsere Sinne entdecken können, an der Materie, an den Körpern und besonders an den Organismen; aber ohne etwas zu sehen, was nicht da ist! Die Materie ist für sich passiv; sie hat nur eine Kraft der Trägheit. Wo wir daher Bewegung sehen, müssen wir dieselbe auf ein bewegendes Princip zurückführen. Finden wir daher im Körper ein bewegendes Princip, welches macht, dass das Herz schlagt, dass die Nerven empfinden und dass das Gehirn denkt, so werden wir dieses als Seele bezeichnen.

Diese Sätze sind im allgemeinen Verstände noch gar nicht materialistisch; sie sind es höchstens in dem Sinne, dass De la Mettrie das Gehirn denken lässt, allein auf Antrieb eines immateriellen, activen Princips. Auch giebt er seinem Werk eine ziemlich metaphysische Einleitung, in welcher die Begriffe der Materie, der Form, der Substanz erörtert und ziemlich genau, in ihrer traditionellen aristotelischen Bedeutung auseinandergesetzt werden. Dabei wird denn freilich hervorgehoben, dass die Materie und das active Princip sich so durchdringen, dass sie nur eine begriffliche Trennung zulassen, während sie in der That ein und dasselbe Wesen, die Substanz der Dinge, bilden. Es schliesst sich daran der Beweis, dass der Materie auch die Fähigkeit zu empfinden zukomme. Hier ist der eingeschlagne Weg der, dass diese Ansicht als die ursprüngliche und natürliche nachgewiesen wird, der gegenüber nur die Fehler der Neueren, besonders Descartes', der sie bekämpft hatte, nachzuweisen sind. Das Verhältnis des Menschen zum Thier, die grosse Blösse der Cartesianischen Philosophie, tritt dabei natürlich in den Vordergrund, und es wird Descartes gegenüber auf die vergleichende Anatomie hingewiesen. Darauf geht De la Mettrie zu der Lehre von den substantiellen Formen über, und auch hier bewegt er sich noch in den überlieferten Begriffen. Er geht auf die Anschauung ein, dass wirklich erst die Formen die Dinge verwirklichen, weil dieselben ohne Form, d. h. ohne qualitative Bestimmtheit nicht das sind, was sie sind. Unter substantiellen Formen verstand man diejenigen Formen, welche die wesentlichen Eigenschaften der Körper bestimmen; unter accidentiellen die Formen der zufälligen Modificationen. In den lebenden Körpern haben die alten Philosophen mehrere Formen unterschieden: die vegetative Seele, die sensitive, und für den Menschen die rationale.

Alle Empfindungen kommen uns zu durch die Sinne, und diese stehen mit dem Gehirn, dem Ort der Empfindung, in Verbindung durch die Nerven. In den Nervenröhrchen bewegt sich ein Fluidum, der esprit animal, Lebensgeist, dessen Dasein De la Mettrie als durch Experimente festgestellt ansieht Es entsteht also keine Empfindung, wenn nicht eine Veränderung in ihrem Organe hervorgebracht wird, durch welche die Lebensgeister afficirt werden, die alsdann der Seele die Empfindung zuführen. Die Seele empfindet nicht an den Stellen, wo sie zu empfinden glaubt, sondern sie deutet die Qualität der Empfindungen auf einen Ort ausserhalb. Dennoch können wir nicht wissen, ob nicht die Substanz der Organe auch empfindet; allein dies kann nur ihr selbst bekannt sein, nicht dem ganzen Thier. Ob die Seele nur einen Punkt einnimmt, oder einen Bezirk, wissen wir nicht, da aber nicht alle Nerven im Gehirn zusammenlaufen, so ist ersteres unwahrscheinlich. Alle Kenntnisse sind in der Seele nur in dem Augenblick, in welchem dieselbe von ihnen afficirt ist: alle Aufbewahrung derselben ist auf organische Zustände zurückzuführen.

So führt die Naturgeschichte der Seele, von den gewöhnlichen Begriffen ausgehend, allmählig zum Materialismus hin, und endlich nach einer Reihe von Kapiteln wird geschlossen, dass also das, was empfindet, auch materiell sein muss. Wie dies zugeht, weiss De la Mettrie auch nicht; allein warum soll man (nach Locke) die Allmacht des Schöpfers wegen unsrer Unwissenheit beschränken? Gedächtniss, Einbildungskraft, Leidenschaften u. s. w. werden sodann durchaus materialistisch erklärt

Der bedeutend kürzere Abschnitt von der vernünftigen Seele behandelt die Freiheit, die Reflexion, die Urtheilskraft u. s. w. in derselben zum Materialismus möglichst hinleitenden aber keineswegs entscheidenden Weise, bis schliesslich ein Kapitel folgt, welches überschrieben ist: »Dass der religiöse Glaube allein uns in der Annahme der vernünftigen Seele bestärken kann.« Allein gerade dieses Kapitel macht sich zur Aufgabe, zu zeigen, wie man in der Metaphysik und in der Religion dazu kam, eine Seele anzunehmen, und schliesst damit, dass die wahre Philosophie frei bekenne, dass das unvergleichliche Wesen, welches man mit dem schönen Namen Seele schmückt, ihr unbekannt sei. Hierbei wird auch Voltaires Wort erwähnt, »Ich bin Körper, und ich denke; mehr weiss ich nicht«: ein Zeichen, dass diese Schrift auf De la Mettrie gewirkt hatte.

Nicht ohne Interesse ist das letzte Kapitel, welches die Ueberschrift trägt: »Geschichten, welche bestätigen, dass alle Vorstellungen von den Sinnen stammen«. Der Taubstumme von Chartres, der plötzlich das Gehör wieder erhielt und reden lernte, und der dann sich ohne jegliche religiöse Vorstellung zeigte, obwohl er von Jugend auf zu allen religiösen Ceremonien und Geberden abgerichtet war; der Blindgeborne von Cheselden, der nach der Operation zuerst nur ein buntes Licht sah, ohne eine Kugel von einem Würfel unterscheiden zu können; Ammans Methode des Taubstummen-Unterrichtes werden vorgeführt und nicht ohne Sorgfalt und Umsicht besprochen. Kritiklos, wie man damals pflegte, trägt er dagegen eine Reihe Geschichten verwilderter Menschen vor und schildert den Orang-Utang nach sehr übertriebenen Berichten als ein Geschöpf von fast völlig menschlicher Gestalt. Allenthalben wird die Folgerung gezogen, dass nur die durch die Sinne vermittelte Bildung den Menschen zum Menschen macht und ihm das giebt, was wir Seele nennen, während eine Entwickelung des Geistes von innen heraus gar nicht stattfindet.

Wie der Verfasser des Briefwechsels vom Wesen der Seele es nicht lassen kann, Melanchthon in sein System hereinzuziehn, so greift De la Mettrie auf den Kirchenvater Arnobius zurück, dessen Schrift adversus gentes er eine Hypothese entnimmt, die vielleicht das Urbild zu der Menschen-Statue geworden ist, welche bei Diderot, Buffon und namentlich bei Condillac ihre Rolle spielt.

Man nehme an, dass in einem schwach beleuchteten Erdgeschoss, von welchem jeder Schall und jeder Sinneseindruck fern gehalten wird, ein neugebornes Kind von einer nackten und immer schweigenden Amme nothdürftig gepflegt und so ohne irgend eine Kenntniss der Welt und des Menschenlebens grossgezogen werde bis zum Alter von zwanzig, dreissig oder gar vierzig Jahren. Dann erst soll dieser Mensch seine Einsamkeit verlassen. Man frage ihn nun, was er in seiner Einsamkeit gedacht und wie er bis dahin genährt und erzogen worden sei. Er wird nichts antworten; nicht einmal wissen, dass die an ihn gerichteten Laute etwas zu bedeuten haben. Wo ist nun jener unsterbliche Theil der Gottheit? Wo ist die Seele, die so gelehrt und aufgeklärt in den Körper eindringt?

Wie Condillac's Statue, so soll nun dies Wesen, welches vom Menschen nur die Gestalt und die physische Organisation hat, durch den Gebrauch der Sinne Empfindungen erhalten, die sich allmählig ordnen, und der Unterricht soll das Uebrige thun, um ihm die Seele zu geben, zu der nur die Anlage in der physischen Organisation schlummert. – Hat auch Cabanis als Schüler Condillacs diese unnatürliche Annahme mit Recht beseitigt, so muss man derselben doch gegenüber der so äusserst schwachen Begründung der Cartesischen Lehre von den angebornen Ideen eine gewisse Berechtigung einräumen.

Zum Schluss stellt De la Mettrie die Sätze auf: »Keine Sinne, keine Ideen.« »Je weniger Sinne, desto weniger Ideen.« »Wenig Erziehung, wenig Ideen.« »Keine Sinneseindrücke, keine Ideen.« – So langt er ganz allmählig bei seinem Ziele an und schliesst zuletzt: »Also hängt die Seele wesentlich von den Organen des Leibes ab, mit welchen sie sich bildet, wächst, abnimmt: »Ergo participem leti quoque convenit esse.«

Ganz anders geht die Schrift zu Werke, welche es schon im Titel ausspricht, dass der Mensch eine Maschine sei. War die Naturgeschichte der Seele vorsichtig, fein angelegt, und allmählig mit ihren Resultaten überraschend, so wird hier die letzte Consequenz an der Spitze des Werkes ausgesprochen. Liess sich die Naturgeschichte der Seele auf die ganze Aristotelische Metaphysik ein um nur allmählig zu zeigen, dass dieselbe eine leere Form sei, in die man auch einen materialistischen Inhalt giessen könne, so ist hier von all jenen feinen Distinctionen nicht mehr die Rede; im Punkte der substantiellen Formen polemisirt De la Mettrie gegen sich selber; schwerlich weil er seine Ansicht wesentlich geändert hätte, sondern weil er dadurch seinen Namen, den er möglichst zu verbergen suchte, noch mehr den Verfolgern entziehen zu können hoffte. Nicht selten citirt De la Mettrie seine eignen früheren Werke; die medicinischen mit Nennung des Namens. Auch die Form der beiden Werke unterscheidet sich wesentlich. Während die Naturgeschichte der Seele eine regelmässige Eintheilung in Kapitel und Paragraphen befolgt, ergiesst sich der Mensch als Maschine in einem ununterbrochenen Strom der Rede.

Mit allem Schmuck rhetorischer Prosa ausgestattet sucht dieses Werk ebenso sehr zu überreden als zu beweisen; es ist mit Bewusstsein und Absicht geschrieben, um unter den Kreisen der Gebildeten eine leichte Aufnahme und rasche Verbreitung zu finden; ein polemisches Stück, bestimmt einer Ansicht Bahn zu machen, nicht eine Entdeckung zu beweisen. Bei alledem versäumte De la Mettrie nicht, sich auf eine breite naturwissenschaftliche Basis zu stützen. Thatsachen und Hypothesen, Argumente und Declamationen: Alles ist versammelt, um dem nämlichen Zwecke zu dienen.

Sei es um seinem Werke mehr Eingang zu verschaffen, sei es um sich mehr zu verbergen, gab De la Mettrie demselben eine Widmung an Albrecht von Haller bei. Diese Widmung, die Hauer desavouirte, gab Veranlassung, dass auch der persönliche Streit dieser Männer sich in die wissenschaftliche Frage mischte. Dessenungeachtet liess De la Mettrie diese Dedication, die er für ein Meisterstück seiner Prosa hielt, auch vor späteren Ausgaben des Werkes wieder abdrucken. Der Inhalt jener Widmung ist eine begeisterte Lobrede des Vergnügens an den Wissenschaften und Künsten.

Das Werk selbst beginnt mit der Erklärung, dass es einem Weisen nicht genügen dürfe, die Natur und die Wahrheit zu erforschen; er müsse es wagen, sie zu Gunsten der Wenigen, die denken wollen und können, auch zu verkündigen. Alle Systeme der Philosophen reduciren sich rücksichtlich der menschlichen Seele auf zwei; das ältere ist der Materialismus, das zweite der Spiritualismus. Wenn man fragt, ob die Materie denken könne, so ist das nicht anders, als wenn man fragt, ob die Materie die Stunden schlagen könne. Diese Ungenauigkeit der Lockischen Frage ist also zu vermeiden.

Leibnitz hat mit seinen Monaden eine unverständliche Hypothese aufgestellt »Er hat die Materie spiritualisirt, statt die Seele zu materialisiren.«

Descartes hat denselben Fehler gemacht, und zwei Substanzen aufgestellt, als ob er sie gesehen und gezählt hätte. – Die Klügsten haben gesagt, dass die Seele sich nur durch das Licht des Glaubens erkennen kann. Wenn sie nun dennoch, als vernünftige Wesen sich das Recht vorbehalten, zu prüfen, was die Schrift unter dem Worte Geist versteht, womit sie die Seele bezeichnen, so gerathen sie dabei mit den Theologen in Widerspruch, wie diese mit sich selbst. »Denn wenn es einen Gott giebt, so hat derselbe ebensowohl die Natur als die Offenbarung geschaffen; er hat uns die eine gegeben, um die andere zu erklären, und die Vernunft, um sie in Uebereinstimmung zu bringen. Beide können sich nicht widersprechen, wenn Gott nicht ein Betrüger sein soll. Giebt es also eine Offenbarung, so darf sie der Natur nicht widersprechen.« – Als Beispiel einer frivolen Einwendung gegen diesen Gedankengang citirt De la Mettrie die Worte eines M. Pluche, der in seinem Spectacle de la nature in Bezug auf Locke bemerkt hatte: »Es ist erstaunlich, dass ein Mensch, der unsre Seele so weit erniedrigt, dass er sie für eine Seele von Koth hält, es wagt, die Vernunft als souveräne Richterin über die Mysterien des Glaubens aufzustellen; denn welch merkwürdige Vorstellung würde man vom Christenthume haben, wenn man seiner Vernunft folgen wollte?« Gegen diese kindische Art der Polemik, die leider auch heutzutage noch insbesondere von Seiten der Theologen gegen den Materialismus erhoben wird, zieht De la Mettrie mit vollkommenem Recht zu Felde. Der Werth der Vernunft hängt nicht von dem Worte »Immaterialität« ab, sondern von ihren Leistungen. Wenn eine Seele von Koth die Beziehungen und die Reihenfolge einer unermesslichen Zahl von Ideen im Nu entdecken würde, so wäre sie einer dummen, einfältigen Seele aus den kostbarsten Stoffen offenbar vorzuziehen. Es ist unphilosophisch, mit Plinius über die Jämmerlichkeit unseres Ursprunges zu erröthen. Denn eben was gemein scheint, ist hier die kostbarste Sache, auf welche die Natur die grösste Kunst verwendet hat. Wenn der Mensch auch noch aus einer viel niedrigeren Quelle entspränge, würde er nichts destoweniger das edelste der Wesen sein. Wenn die Seele rein, edel und erhaben ist, so ist das eine schöne Seele, und sie ehrt den, der mit ihr begabt ist. Was aber die zweite Bemerkung des Herrn Pluche betrifft, so könnte man ebenso gut sagen: »Man darf an Toricelli's Experiment nicht glauben, denn wenn wir den horror vacui verbannten, welche merkwürdige Philosophie würden wir haben.« (Dieser Vergleich wäre treffender so zu stellen: Man darf über die Natur nichts nach Experimenten bestimmen, denn wenn man Toricellis Experimenten folgen wollte, welche sonderbare Idee würde man vom horror vacui bekommen).

Erfahrung und Beobachtung, sagt De la Mettrie, müssen unsre einzigen Führer sein; wir finden sie bei den Aerzten, die Philosophen gewesen sind; und nicht bei den Philosophen, die keine Aerzte gewesen sind. Die Aerzte allein, die die Seele in ihrer Grösse wie in ihrem Elend ruhig beobachten, haben hier das Recht zu sprechen. Was sollten uns denn die Andern sagen, und besonders die Theologen? Ist es nicht lächerlich zu hören, wie sie ohne Scham über einen Gegenstand entscheiden, den sie niemals in der Lage waren zu erkennen, von dem sie im Gegentheil beständig durch obscure Studien abgewandt wurden, die sie zu tausend Vorurtheilen geführt haben, und mit einem Worte zum Fanatismus, der zu ihrer Unkenntniss des Mechanismus des Körpers noch beiträgt?

Hier macht übrigens De la Mettrie selbst bereits eine petitio principii, wie er sie eben erst seinen Gegnern mit Recht vorgeworfen hat. Auch die Theologen haben Gelegenheit die menschliche Seele erfahrungsmässig kennen zu lernen und der Unterschied im Werthe dieser Erfahrung kann also nur ein Unterschied der Methode sein und der Categorien, unter welchen die Erfahrung untergebracht wird.

Der Mensch ist, wie De la Mettrie weiter entwickelt, eine so construirte Maschine, dass es unmöglich ist, sich von derselben von vorn herein eine richtige Vorstellung zu bilden. Man muss die grossen Geister, welche dies vergeblich versuchten, einen Descartes, Mallebranche, Leibnitz und Wolff in ihren unnützen Versuchen noch bewundern, aber einen ganz andern Weg betreten, als sie. Die verschiedenen Temperamente, auf physischen Ursachen beruhend, bestimmen den Charakter des Menschen. In den Krankheiten verdunkelt sich bald die Seele, bald sollte man sagen, dass sie sich verdopple; bald zerstreut sie sich in Blödsinn. Die Genesung eines Narren macht einen Menschen von Verstand. Das grösste Genie wird oft dumm, und hin sind alle die schönen Kenntnisse, die mit so grosser Mühe erworben waren. Der eine Kranke fragt, ob sein Bein im Bette ist, ein anderer glaubt den Arm noch zu haben, den man ihm abgeschnitten hat. Der eine weint wie ein Kind bei der Annäherung des Todes, der andre scherzt über ihn. Was hätte es bei Cajus Julius, bei Seneca, bei Petronius bedurft, um ihre Furchtlosigkeit in Kleinmütigkeit oder Prahlerei zu verwandeln? Eine Obstruction in der Milz, der Leber, oder der Pfortader. Denn die Einbildungskraft hängt mit diesen Eingeweiden zusammen und aus ihnen entstehen alle die sonderbaren Erscheinungen der Hypochondrie und der Hysterie. Was soll man von denen sagen, die in Werwölfe und in Vampire verwandelt zu sein glauben, oder die ihre Nasen und andre Glieder für gläsern halten? De la Mettrie geht sodann auf die Wirkungen des Schlafes über; Opium, Wein und Kaffee werden in ihren Wirkungen auf die Seele beschrieben. Ein Heer, dem man starke Getränke giebt, schlägt den Feind, vor dem es nach Wassergenuss geflohen wäre; eine gute Mahlzeit übt eine erheiternde Wirkung.

Die englische Nation, welche das Fleisch halb roh und blutig isst, scheint ihre Wildheit von solchen Nahrungsmitteln zu haben, denen allein die Erziehung entgegen wirken kann. Diese Wildheit erzeugt in der Seele Stolz, Hass, Verachtung andrer Nationen, Ungelehrigkeit und andere Charakterfehler, wie eine grobe Nahrung den Geist träg und schwerfällig macht. – Hunger und Enthaltsamkeit, Klima u. s. w. werden in ihrem Einflusse verfolgt. Die Physiognomie und die vergleichende Anatomie geben ihren Beitrag. Wenn man nicht für alle Geisteskrankheiten Entartung des Gehirnes findet, so sind es Zustände der Dichtigkeit oder andere Veränderungen in den kleinsten Theilen, welche die Störung veranlassen. »Ein Nichts, eine kleine Fiber, irgend Etwas, das die subtilste Anatomie nicht entdecken kann, hätte aus Erasmus und Fontenelle zwei Thoren gemacht.«

Eine besondere Idee De la Mettrie's ist noch die, dass es vielleicht einmal gelingen dürfte, einen Affen zum Sprechen zu bringen, und auf diese Art einen Theil der Thierwelt in die menschliche Bildung mit hineinzuziehen. Er vergleicht den Affen mit einem Taubstummen, und da er besonders begeistert ist für die kürzlich erfundene Methode Ammans, die Taubstummen besonders zu unterrichten, so wünscht er sich einen grossen und besonders geistreichen Affen, um an demselben seine Versuche zu machen.

Was war der Mensch, fragt De la Mettrie, vor der Erfindung der Worte und der Kenntniss der Sprache? Ein Thier seiner Art, mit weit weniger Instinkt als die andern (?) und unterschieden durch nichts als seine Physiognomie und Leibnitzens intuitive Kenntnisse. Die ausgezeichnetsten, besser organisirten erfanden die Zeichen und lehrten die Andern, gerade wie wenn wir Thiere dressiren.

Wie eine Violinsaite, auf der das Anschlagen eines Claviers ein Schwirren und einen Ton hervorbringt, so brachten die Saiten ihres Gehirns, getroffen von Schallempfindungen, Worte hervor. Sobald aber die Zeichen verschiedener Dinge gegeben sind, beginnt das Gehirn mit derselben Notwendigkeit sie zu vergleichen und ihre Beziehungen zu beachten, wie das wohl organisirte Auge sehen muss. Die Aehnlichkeit verschiedener Objecte führt ihre Zusammenfassung herbei und dadurch das Zählen. Alle unsre Ideen sind fest verbunden mit der Vorstellung der entsprechenden Worte oder Zeichen. Alles was in der Seele vorgeht, lässt sich auf Thätigkeit der Einbildungskraft zurückfuhren.

Wer die meiste Einbildungskraft hat, muss daher als der grösste Geist betrachtet werden. Ob die Natur mehr angewandt hat, einen Newton zu bilden oder einen Corneille, einen Aristoteles oder einen Sophocles, ist nicht zu entscheiden, wohl aber kann man sagen, dass beide Arten von Talent nur verschiedene Richtungen in der Anwendung der Einbildungskraft bezeichnen. Sagt man daher, dass Jemand viele Einbildungskraft aber wenig Urtheil hat, so sagt man damit nur, dass seine Einbildungskraft einseitig auf Reproduction der Empfindung statt auf Vergleichung derselben gerichtet ist.

Das erste Verdienst des Menschen ist seine Organisation. Es ist daher unnatürlich einen gemässigten Stolz auf wirkliche Vorzüge zu unterdrücken, und alle Vorzüge, woher sie auch entstehen, sind werth, dass man sie achte; man muss sie nur richtig zu schätzen wissen. Geist, Schönheit, Reichthum, Adel, obwohl Kinder des Zufalls, haben ihren Werth so gut als Geschicklichkeit, Wissen und Tugend.

Wenn man sagt, dass der Mensch sich vor den Thieren auszeichne durch ein natürliches Gesetz, welches ihn Gutes und Böses unterscheiden lehre, so ist auch das eine Täuschung. Das nämliche Gesetz findet sich auch bei den Thieren. Wir wissen z. B., dass wir nach schlechten Thaten Reue empfinden; dass dies andere Menschen auch thun, müssen wir ihnen aufs Wort glauben oder wir müssen es aus gewissen Zeichen schliessen, die wir in ähnlichen Fällen an uns selbst finden; diese nämlichen Zeichen aber sehen wir auch bei den Thieren. Wenn ein Hund seinen Herrn gebissen hat, der ihn reizte, so sehen wir ihn gleich darauf traurig, niedergeschlagen und scheu; durch eine kriechende und demüthige Miene bekennt er sich schuldig. Die Geschichte gibt uns das berühmte Beispiel jenes Löwen, der seinen Wohlthäter nicht zerreissen wollte, und der sich mitten unter blutdürstigen Menschen dankbar erwies. Aus alle diesem wird geschlossen, dass die Menschen aus demselben Stoffe sind wie die Thiere.

Das Sittengesetz ist sogar in den Personen noch vorhanden, welche aus einem krankhaften Trieb stehlen, morden oder im Heisshunger ihre liebsten Angehörigen verzehren. Man sollte diese Unglücklichen, die durch ihre Reue hinlänglich bestraft sind, den Aerzten übergeben, statt sie, wie es geschehen ist, zu verbrennen oder lebendig zu begraben. Das Wohlthun ist mit einer solchen Lust verbunden, dass schlecht zu sein allein schon Strafe ist. Das natürliche Sittengesetz lehrt uns Andern nicht zu thun, was wir nicht wollen, dass man uns thue.

Vielleicht liegt diesem Gesetz nur eine heilsame Furcht zu Grunde, und wir respectiren die Börse und das Leben unsrer Mitmenschen nur um uns unsre eignen Güter zu erhalten; gerade so wie die »Ixions des Christenthums« Gott lieben und so manche chimärische Tugend umarmen, bloss weil sie die Hölle furchten. Die Waffen des Fanatismus können diejenigen zerstören, welche diese Wahrheiten lehren, aber nimmermehr die Wahrheiten selbst.

Die Existenz eines höchsten Wesens will De la Mettrie nicht in Zweifel ziehen; alle Wahrscheinlichkeit spricht für dieselbe; aber diese Existenz beweist die Notwendigkeit eines Cultus eben so wenig als jede andere Existenz; es ist eine theoretische Wahrheit ohne Nutzen für die Praxis; und da es durch zahllose Beispiele bewiesen ist, dass die Religion nicht die Sittlichkeit mit sich bringt, so kann man schliessen, dass auch der Atheismus dieselbe nicht ausschliesst.

Es ist für unsere Ruhe gleichgültig zu wissen, ob ein Gott ist, oder nicht, ob derselbe die Materie geschaffen hat, oder ob diese ewig ist. Welche Thorheit, sich um Dinge zu quälen, deren Kenntniss unmöglich ist, und die, wenn wir sie wüssten, uns um nichts glücklicher machen würde?

Man verweist mich auf die Schriften berühmter Apologeten; aber was enthalten sie, als langweilige Wiederholungen, die eher dazu dienen, den Atheismus zu befestigen als ihn zu untergraben. Das grösste Gewicht wird von den Gegnern des Atheismus auf die Zweckmässigkeit der Welt gelegt. Allein hiegegen wird mit Diderot bemerkt, dass Zerstörung des Zufalls noch kein Beweis der Existenz Gottes ist, weil es ganz wohl etwas geben kann, was weder Zufall, noch Gott ist, und was die Dinge so hervorbringt, wie sie sind, nämlich die Natur. »So ist das Für und das Wider,« schliesst De la Mettrie diese Betrachtung; »ich ergreife keine Partei«. Man sieht aber offen genug, welche Partei er ergreift. Er erzählt nämlich weiter, dass, er alles dies einem Freunde, einem »Skeptiker (pyrrhonien)« wie er, mitgetheilt habe; einem Manne von vielem Verdienst und werth eines besseren Loses. Dieser Freund habe gesagt, dass es freilich unphilosophisch sei, sich über Dinge zu beunruhigen, die man doch nicht ausmachen könne; dennoch werde die Welt niemals glücklich sein, wenn sie nicht atheistisch sei. Und dies waren die Gründe des »abominablen« Menschen: Wenn der Atheismus allgemein verbreitet wäre, würden alle Zweige der Religion mit der Wurzel abgeschnitten sein. Alsdann gäbe es keine theologischen Kriege mehr; Religionssoldaten, so fürchterliche Soldaten, wären nicht mehr. Die Natur, die von dem geheiligten Gift angesteckt war, würde ihre Rechte und ihre Reinheit wieder gewinnen. Taub gegen jede andre Stimme würden die Menschen ihren individuellen Antrieben folgen, und diese Antriebe allein können über die angenehmen Pfade der Tugend zum Glück hin führen.«

De la Mettries Freund hat nur vergessen, dass auch die Religion selbst, wenn man von aller Offenbarung absieht, zu den natürlichen Trieben des Menschen gehören muss, und wenn dieser Trieb zu allem Unglück führt, so ist nicht einzusehen, wie alle übrigen Triebe, die doch aus derselben Natur hervorgehen, glücklich machen sollen. Es ist hier wieder nicht eine Consequenz, sondern eine Inconsequenz des Systems, was zu den destructiven Folgerungen führt. Auch die Unsterblichkeit behandelt De la Mettrie in einer ähnlichen Weise, wie die Vorstellung von Gott; doch gefällt er sich offenbar in der Rolle sie als möglich darzustellen. Auch die klügste der Raupen, meint er, hat wohl nie recht gewusst, dass noch ein Schmetterling aus ihr werden, sollte; wir kennen nur einen geringen Theil der Natur, und da unsre Materie ewig, ist, wissen wir nicht, was aus derselben noch werden kann. Unser. Glück hängt hier von unserer Unwissenheit ab. Wer so denkt, wird weise und gerecht sein, ruhig über sein Loos und folglich glücklich. Er wird den Tod erwarten, ohne ihn zu fürchten, noch nach ihm zu verlangen.

Es ist auch hier nicht zu bezweifeln, dass es diese negative Seite des Schlusses allein ist, für die sich De la Mettrie interessirt, und auf die er, nach seiner Art auf Umwegen, hinlenkt. Er findet den Begriff einer unsterblichen Maschine durchaus nicht widersprechend, aber nicht um die Unsterblichkeit zu haben, sondern um die Maschinennatur allseitig zu befestigen. Wie sich De la Mettrie die Unsterblichkeit seiner Maschine auch nur gedacht hat, lässt sich freilich nicht absehen; ausser dem Vergleich mit der Raupe findet sich keinerlei Andeutung, und es sollte auch wohl keine gegeben werden.

Das Princip des Lebens findet De la Mettrie nicht nur nicht in der Seele (diese ist ihm nur das materielle Bewusstsein) er findet es auch nicht im Ganzen, sondern in den einzelnen Theilen. Jede kleine Faser des organisirten Körpers regt sich durch ein ihr innewohnendes Princip. Hiefür führt er folgende Gründe an:

  1. Alles Fleisch der Thiere zuckt noch nach dem Tode, und um so länger, je kälter von Natur das Thier (Schildkröten, Eidechsen, Schlangen).

  2. Die Muskeln ziehen sich, wenn man sie reizt, zusammen.

  3. Die Eingeweide behalten ihre peristaltische Bewegung lange Zeit.

  4. Injection von warmem Wasser belebt das Herz wieder (Cowper).

  5. Das Herz des Frosches bewegt sich noch über eine Stunde nach seiner Abtrennung.

  6. An einem Menschen hat man nach Baco ähnliche Beobachtungen gemacht.

  7. Experimente an Herzen von Hähnchen, Tauben, Hunden, Kaninchen, Die abgerissenen Pfoten des Maulwurfs bewegen sich noch.

  8. Raupen, Würmer, Spinnen, Fliegen, Schlangen zeigen dasselbe. In warmem Wasser vermehrt sich die Bewegung der abgetrennten Theile (»à cause du feu qu'elle contient«).

  9. Ein betrunkener Soldat schlug einem Truthahn mit dem Säbel den Kopf ab. Das Thier blieb stehen, ging und lief endlich. Als es gegen eine Mauer kam, drehte es sich, schlug mit den Flügeln und fiel. (Eigene Beobachtung).

  10. Polypen reproduciren sich in acht Tagen.

Der Mensch verhält sich zu den Thieren wie eine Planetenuhr von Huyghens zu einem gemeinen Uhrwerk. Wie Vaucanson zu seinem Flötenspieler mehr Räder brauchte als zu seiner Ente, so ist auch das Triebwerk des Menschen complicirter, als das der Thiers. Für einen Redenden brauchte Vaucanson noch mehr, und auch diese Maschine kann nicht mehr als unmöglich gelten.

Man hat gewiss nicht zu denken, dass De la Mettrie unter einem Redenden hier einen vernünftigen Menschen gedacht hätte; allein man sieht doch, wie er mit Vorliebe die Kunststücke Vaucanson's, die für ihr Zeitalter so bezeichnend sind, mit seiner menschlichen Maschine vergleicht.

De la Mettrie schliesst sein Werk mit Betrachtungen über die Bündigkeit und Solidität seiner auf die Erfahrung gestützten Schlüsse gegenüber den kindischen Behauptungen der Theologen und der Metaphysiker.

»Das ist mein System, oder vielmehr, wenn ich mich nicht sehr irre die Wahrheit. Sie ist kurz und einfach, nun disputire wer will!«

Der Lärm, den dies Werk erregte, war erstaunlich aber nicht unbegreiflich; eben so rapid war aber seine Verbreitung. In Deutschland, wo die Gebildeten alle des Französischen mächtig waren, erschien keine Uebersetzung; um so eifriger las man das Original, das im Lauf der nächsten Jahre in allen bedeutenderen Blättern recensirt wurde, und sodann eine Fluth von Gegenschriften hervorrief. Für De la Mettrie erklärte sich frei und öffentlich Niemand; um so mehr zeigt der mit unserer heutigen Polemik verglichene, milde Ton und die ruhige eingehende Kritik mancher dieser Schriften, dass die allgemeine Weltanschauung diesen Materialismus nicht für so absolut monströs hielt, als man ihn heutzutage zu fassen sucht. In England erschien bald nach dem Erscheinen des Originals eine Uebersetzung, die das Werk dem Marquis d'Argens, einem gutmüthigen Freigeist, der auch zu den Kreisen Friedrichs des Grossen gehörte, zuschrieb; allein der wahre Verfasser konnte nicht lange verborgen bleiben.

Es verschlimmerte De la Mettries Sache entschieden, dass er auch schon eine philosophisch sein sollende Schrift über die Wollust herausgegeben hatte, wie er denn später noch mehreres dieser Art herausgab. Auch im l'homme machine sind die geschlechtlichen Dinge, obwohl sie hier nicht zum wesentlichen Gedankengang gehören, gelegentlich mit einer gewissen absichtlichen Frechheit berührt. Wir wollen hier weder den Einfluss seiner Zeit und seiner Nationalität verkennen, noch auch einen beklagenswerthen persönlichen Hang ableugnen, müssen aber wiederholt darauf hinweisen, dass De la Mettrie sich nun einmal durch sein System auf die Rechtfertigung der sinnlichen Lust geführt glaubte, und dass er diese Gedanken, eben weil er sie gedacht hatte, auch aussprach. In der Vorrede zur Gesammtausgabe seiner Werke bekennt er den Grundsatz: »Schreibe so, wie wenn du allein im Universum wärest und nichts von der Eifersucht und den Vorurtheilen der Menschen zu fürchten hättest, oder – du wirst deinen Zweck verfehlen.« Vielleicht hat sich De la Mettrie zu weiss waschen wollen, wenn er in dieser mit allem Aufwand seiner Rhetorik geschriebenen Selbstverteidigung zwischen seinem Leben und seinen Schriften unterscheidet; jedenfalls ist uns aber nichts bekannt, wodurch das Urtheil eines neueren Schriftstellers, der sonst dem Materialismus mehr als gewöhnlich Gerechtigkeit widerfahren lässt, seine Begründung findet: »La Mettrie ist ein frecher Wüstling, welcher im Materialismus nur die Rechtfertigung seiner Liederlichkeit sieht.« Sollte Hettner, der diese Worte schreibt, die Schriften des so hart beurtheilten Mannes mit derselben Sorgfalt gelesen haben, welche ihn in seinen sonstigen Untersuchungen auszeichnet? Es handelt sich hier nicht darum, ob La Mettrie auch, wie so mancher Schriftsteller dieser Zeit einen ausschweifenden und leichtsinnigen Lebenswandel geführt habe – und selbst dafür scheinen stichhaltige Beweise kaum gegeben – als vielmehr um die Frage, ob sein literarisches Auftreten seinen Grund in persönlicher Verdorbenheit hatte, oder ob er von einem bedeutenden und als Durchgangspunkt berechtigten Zeitgedanken ergriffen war, dessen Darstellung er sein Leben widmete. Wir verstehen den Ingrimm der Zeitgenossen gegen diesen Mann vollkommen, sind aber überzeugt, dass die Nachwelt ihm ein weit günstigeres Urtheil gönnen muss, wenn er nicht allein von der sonst üblichen Gerechtigkeit ausgeschlossen sein soll.

Ein junger Mann, der sich nach rühmlich durchlebter Studienzeit bereits in eine glückliche Praxis hineingearbeitet hat, verlässt diese nicht, um seine Studien an einer ausgezeichneten Pflegestätte der Wissenschaft zu vertiefen, wenn nicht lebendiger Trieb nach der Wahrheit in ihm ist. Der medicinische Satyriker wusste nur zu gut, dass Charlatanerie in der Arzneikunst besser bezahlt wurde, als rationelles Verfahren. Er wusste, dass es einen Kampf kostete, den Grundsätzen eines Sydenham und Boerhaave in Frankreich Eingang zu verschaffen. Warum unternahm er diesen Kampf, statt sich in das Vertrauen der herrschenden Autoritäten einzuschleichen? War es nur sein händelsüchtiges Naturell, was ihn dazu trieb? Warum dann neben der Satyre die mühsame und zeitraubende Arbeit der Uebersetzungen und Auszüge? Geld konnte ein so geschickter und gewandter Mann in der ärztlichen Praxis ohne Zweifel besser und leichter verdienen. Oder wollte La Mettrie vielleicht auch durch seine medicinischen Schriften sein Gewissen betäuben? Der ganze Gedanke einer persönlichen Rechtfertigung liegt dem Wesen De la Mettries so fern, wie möglich. Vor wem sollte er sich denn auch rechtfertigen? Vor dem Volk, das er, wie die meisten jener französischen Philosophen für eine gleichgültige Masse ansah, die für den freien Gedanken noch nicht reif ist? Vor einer Umgebung, in welcher er mit seltenen Ausnahmen nur Leute fand, welche die Ausschweifungen der Sinnlichkeit ebensosehr liebten als er und sich nur hüteten Bücher darüber zu schreiben? Oder endlich gar vor sich selbst? In seiner ganzen Schriftstellerei zeigt sich nur heitere Zufriedenheit und Selbstgenügsamkeit ohne eine Spur von der Dialektik der Leidenschaften, die sich in einem zerrissenen Herzen entwickelt. Man mag De la Mettrie schamlos und leichtfertig nennen, so sind das erhebliche Vorwürfe, aber sie entscheiden nicht im mindesten über die ganze Bedeutung der Person. Es sind uns von ihm keine besonderen Schlechtigkeiten bekannt. Er hat weder seine Kinder ins Findelhaus geschickt, wie Rousseau, noch zwei Bräute betrogen, wie Swift; er ist weder der Bestechung für schuldig erklärt, wie Baco, noch ruht der Verdacht der Urkundenfälschung auf ihm, wie auf Voltaire. In seinen Schriften wird allerdings das Verbrechen wie eine Krankheit entschuldigt, aber nirgendwo wird es, wie in Mandevilles berüchtigter Bienenfabel empfohlen. Mit vollem Recht kämpft De la Mettrie gegen die gefühllose Rohheit der Rechtspflege, und wenn er den Arzt an die Stelle des Theologen und des Richters setzen will, so kann man darin einen Irrthum finden, aber keine Beschönigung des Verbrechens; denn Niemand findet die Krankheit schön. Es ist in der That zu verwundern, dass bei dem ungeheuren Ingrimm, der sich allenthalben gegen De la Mettrie erhob, nicht einmal eine einzige positive Beschuldigung gegen sein Leben ist vorgebracht worden. Alle Declamationen über die Schlechtigkeit dieses Menschen, den auch wir freilich nicht den Besten zugesellen mögen, sind einzig und allein aus seinen Schriften abstrahirt, und diese Schriften haben bei aller tendenziösen Rhetorik und leichtfertigen Witzelei doch einen beträchtlichen Kern gesunder Gedanken.

Wir brauchen es daher Friedrich dem Grossen nicht so sehr zu verübeln, dass er sich dieses Mannes annahm, und ihn, als ihm selbst in Holland der Aufenthalt verboten wurde, nach Berlin berufen liess, wo er Vorleser des Königs wurde, eine Stelle an der Academie erhielt, und seine ärztliche Praxis wieder aufnahm.

Von den späteren Schriften De la Mettries ist die kurze Abhandlung unter dem Titel l'homme plante beachtenswerth wegen des darin enthaltenen Versuchs, die gesammte organische Natur in ihrer innern Einheit als eine lückenlose Stufenfolge verwandter Formen aufzufassen. Wie der Ausgang der Naturgeschichte der Seele an Condillac erinnert, so müssen uns hier die gleichzeitigen Bestrebungen Buffons einfallen, der in seinem grossen naturhistorischen Werke den Namen des Schöpfers nur »aus Rücksicht auf den Sprachgebrauch« anwandte und im Grunde Materialist war, ohne sich zu seiner Ansicht offen zu bekennen. Im Ganzen war De la Mettrie keine productive Natur. Wie er auf medicinischem Gebiet hauptsächlich durch Uebersetzungen und Bearbeitung fremder Gedanken wirkte, so schrieb er später sich selbst aus. Einer seiner deutschen Gegner ging so weit, ihn des Plagiates am Briefwechsel vom Wesen der Seele zu beschuldigen; ohne Zweifel nicht mit Grund. Die Gedanken, denen De la Mettrie Worte verlieh, lagen so allgemein in der Zeit, dass es unmöglich sein wird, an allen Punkten die Frage der Priorität zu entscheiden. Es wäre aber nicht zweckmässig gewesen, irgend einen andern Vertreter des Materialismus, etwa Diderot oder Cabanis voranzustellen und, nach dem Plane unseres Werkchens, gleichsam als Vertreter der hierher gehörigen Zeitgedanken, ausführlicher zu behandeln. An Priorität steht ihm unter den bekannteren französischen Materialisten wenigstens Keiner entschieden voran; es hat auch Keiner wesentliche Gedanken ausgesprochen, die nicht bei De la Mettrie zum mindesten in kurzen Andeutungen schon vorhanden wären, und während Andere entweder hinter dem Berge hielten, wie Buffon, oder sich überhaupt in den Hauptfragen gar nicht zu entscheiden wagten, wie d'Alembert, oder endlich erst nach einer langen Entwickelungsgeschichte zum wirklichen Materialismus übergingen, wie Diderot, hat De la Mettrie seinen ganzen Standpunkt sofort offen dargelegt.

Es wäre auch noch ein Wort über die vielbesprochene Oberflächlichkeit unseres Materialisten zu sagen. Allerdings, wenn man seine fliessende Rhetorik liest, wenn man seine schattenhaften Skizzen der Ansichten anderer Philosophen verfolgt und die zahllosen Sprünge in der Beweisführung, die bald zu viel, bald zu wenig giebt, notirt, wenn man seine Brandschriften neben dickleibigen Metaphysikern mit der Hand wägt oder Widersprüche in Nebendingen aufsucht: dann lässt sich der Vorwurf der Oberflächlichkeit ausreichend begründen. Wir gewannen zuerst einen Einblick darin, dass hinter all diesen Mängeln doch ein gesunder Kern liegt, als wir die Recensionen und Gegenschriften wohlgeschulter und Schritt für Schritt arbeitender Gelehrten lasen. Da zeigt sich in fast allen dasselbe Schauspiel. Der deutsche Professor geht wohlgemuth ans Werk und ist einem so windigen Gegner gegenüber sehr zuversichtlich; aber je mehr die Widerlegung an die Hauptgedanken kommt, desto mühsamer wird die Arbeit. De la Mettrie wird unter den Händen der Pedanten selbst geregelter; sobald das Gerippe seiner Gedanken dasteht und das frivole Beiwerk beseitigt ist, findet sich in Allem ein zäher Zusammenhang, und wenn anderseits nun Sätze aus der herkömmlichen Schulphilosophie den materialistischen Behauptungen gegenüber zum Siege gebracht werden sollen, da zeigt sich umgekehrt, wie wenig diese Sätze den Schein der Sicherheit und Bündigkeit verlieren, welchen eine gesetzte Sprache, eine geregelte Eintheilung, genaue Citate und schulmässige Handhabung des ganzen wissenschaftlichen Apparates einem sogenannten metaphysischen System zu verleihen pflegen.

In einem späteren Kapitel werden wir noch Gelegenheit haben zu zeigen, dass in Wirklichkeit die ganze damalige Schulphilosophie keinen Standpunkt besass, welcher dem Materialismus eine wirklich tiefer begründete und wesentlich weiter reichende Weltanschauung hätte gegenüberstellen können. So war De la Mettrie ein tadelnswerther Charakter und ein mittelmässiges Talent, aber zugleich doch der Träger eines wichtigen Momentes im Ideengang der neueren Zeit. Was an seiner Schriftstellerei am meisten zu tadeln ist, ist der Umstand, dass De la Mettrie in seiner französischen Leichtfertigkeit gar nicht einmal fähig schien, seine Gedanken in kurzer, übersichtlicher und bündiger Form darzustellen. Sein système d'Epicure ist ein Zerrbild des wahren Epikureismus, aber dabei doch noch lange kein getreues Abbild der Gedanken De la Mettries selbst. Es scheint fast, als habe er Epikur weniger gründlich aufgefasst, als Aristoteles und die Philosophen der Neuzeit. Ueberhaupt spielte Epikur in der damaligen französischen Welt wieder eine ähnliche Rolle, wie in der römischen Kaiserzeit. Zwar lasen die Franzosen seit 1699 den Lucrez in Des Coutures' Uebersetzung, aber das wahre Verständniss für die ernste Grösse dieses Mannes ging ihnen ebenso vollständig ab, wie ihren Künstlern das Verständniss der Antike.

Am meisten hat De la Mettrie seiner Sache durch seinen Tod geschadet. Hätte der neuere Materialismus nur Vertreter gehabt, wie Gassendi, Hobbes, Toland, Diderot, Grimm und Holbach, so würde den Fanatikern, die so gern ihre Urtheile auf verschwindende Einzelnheiten begründen, eine erwünschte Gelegenheit zu Verdammungsurtheilen über den Materialismus entgangen sein. Kaum war De la Mettrie seines neuen Glückes am Hofe Friedrichs des Grossen einige Jahre froh geworden, als der französische Gesandte, Tirconnel, den jener von einer schweren Krankheit glücklich geheilt hatte, ein Genesungsfest veranstaltete, welches den leichtsinnigen Arzt ins Grab stürzte. Er soll in prahlerischer Schaustellung seiner Genussfähigkeit und wohl auch im Trotz auf seine Gesundheit eine ganze Trüffelpastete verzehrt haben, worauf er sofort unwohl wurde und im Hause des Gesandten an einem hitzigen Fieber unter heftigem Delirium starb. Dieser Fall machte um so grösseres Aufsehen, als damals gerade auch die Euthanasie der Atheisten zu den lebhaft besprochenen Zeitfragen gehörte. Im Jahre 1712 war ein französisches Werk erschienen, als dessen Hauptverfasser man Deslandes angiebt, in dem ein Verzeichniss der grossen Männer gegeben wird, die unter Scherzen gestorben sind. Dies Buch war 1747 in deutscher Uebersetzung erschienen und stand in frischem Angedenken. So mangelhaft es war, so erhielt es doch eine gewisse Bedeutung durch seine Opposition gegen die gewöhnliche orthodoxe Lehre, welche nur den Tod in Verzweiflung oder im Frieden mit der Kirche anerkennt. Wie man darüber hin und her disputirte, ob ein Atheist sittlich leben könne, und ob also – nach Bayles Hypothese – ein Staat von Atheisten möglich sei, so stritt man auch über die Frage, ob ein Atheist ruhig sterben könne. Ganz entgegen der Logik, welche eine einzige negative Instanz, wo es sich um die Bildung eines allgemeinen Satzes handelt, über eine ganze Reihe positiver stellt, pflegt das Vorurtheil in solchen Fällen einen einzigen seiner Behauptung günstigen Fall mehr zu beachten als alle ungünstigen. De la Mettrie's Hinscheiden an Fieberdelirium in Folge des Verschlingens einer grossen Trüffelpastete ist aber ein Gegenstand, der geeignet ist, den engen Horizont eines Fanatikers so vollständig auszufüllen, dass keine andre Vorstellung daneben mehr Platz hat. Uebrigens ist die ganze Geschichte, welche so viel Aufsehen gemacht hat, was die Hauptsache betrifft, nämlich die Trüffelpastete, noch nicht einmal über den Zweifel erhaben. Friedrich der Grosse sagt über seinen Tod nur: »Herr La Mettrie starb im Hause des Milord Tirconnel, des französischen Bevollmächtigten, dem er das Leben wieder gegeben hatte. Es scheint, dass die Krankheit, wohl wissend mit wem sie es zu thun hatte, die Geschicklichkeit besass, ihn zuerst beim Gehirn anzupacken, um ihn desto sicherer umzubringen. Er zog sich ein hitziges Fieber mit heftigem Delirium zu. Der Kranke war gezwungen, zu der Wissenschaft seiner Collegen seine Zuflucht zu nehmen, und er fand darin nicht die Hülfe, welche er so oft, sowohl für sich als für das Publicum, in seinen eignen Kenntnissen gefunden hatte.«


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