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II. Hobbes.

Zu den merkwürdigsten Charakteren, welche uns in der Geschichte des Materialismus begegnen, gehört unbedingt der Engländer Thomas Hobbes aus Malmesbury. Sein Vater war ein schlichter Landgeistlicher von mässiger Bildung, der sich aber hinlänglich darauf verstand, dem Volke die erforderlichen Predigten zu lesen.

Als nun im Jahre 1588 die stolze Armada Philipps von Spanien Englands Küsten bedrohte und das Volk in Angst und Aufregung versetzte, kam die Frau jenes Geistlichen vor Schrecken vor der Zeit mit einem Knaben nieder, der trotz seiner anfänglichen Schwächlichkeit bis in sein zweiundneunzigstes Jahr zu leben bestimmt war: unserem Thomas Hobbes.

Hobbes sollte sowohl zur Berühmtheit überhaupt, als auch zu seiner nachmaligen Richtung und seinen Lieblingsbeschäftigungen erst spät und auf mancherlei Umwegen gelangen.

Denn als er in seinem vierzehnten Jahre die Universität Oxford bezog, wurde er nach dem Geiste der Studien, die dort herrschten, vor allen Dingen in die Logik und in die Physik nach aristotelischen Grundsätzen eingeweiht. Er studirte sich mit grossem Eifer während voller fünf Jahre in diese Spitzfindigkeiten hinein, und brachte es namentlich in der Logik weit. Von Einfluss auf seine spätere Richtung war es ohne Zweifel, dass es die nominalistische Richtung war, der er sich zuwandte, also diejenige, welche schon im Princip mit dem Materialismus so nah verwandt ist. Wenn Hobbes auch später diese Studien vollständig fallen liess, so blieb er doch Nominalist; ja, man kann sagen, dass er dieser Richtung die schroffste Ausbildung gab, welche die Geschichte aufweist, indem er zugleich mit der Lehre von der bloss conventionellen Geltung der allgemeinen Begriffe die Lehre von der Relativität ihrer Bedeutung, fast im Sinne der griechischen Sophisten, verband.

In seinem zwanzigsten Jahre stehend trat er in die Dienste des Lord Cavendish, nachmaligen Grafen von Devonschire. Diese Stellung entschied über den ganzen äusserlichen Verlauf seines Lebens und scheint auch auf seine Ansichten und Grundsätze einen nachhaltigen Einfluss geübt zu haben.

Er übernahm Gesellschafter- oder Hofmeisterdienste zunächst bei dem mit ihm ungefähr gleich alten Sohne des Lords, von dem er in seinem späteren Alter wiederum einen Sohn zu erziehen hatte, so dass er mit drei Generationen dieses vornehmen Hauses in Verbindung stand. Sein Leben war daher ein Hofmeisterleben in den Regionen des höchsten englischen Adels.

Diese Stellung führte ihn in die Welt und gab ihm jene nachhaltig practische Richtung, welche die englischen Philosophen jenes Zeitalters auszuzeichnen pflegte; er wurde befreit von dem engen Gesichtskreise scholastischer Schulweisheit und clericaler Vorurtheile, in dem er aufgewachsen war; auf häufigen Reisen lernte er Frankreich und Italien kennen und fand besonders in Paris Muse und Gelegenheit, mit den berühmtesten Männern der Zeit in Verkehr zu treten. Gleichzeitig lehrten ihn aber auch gerade diese Verhältnisse frühzeitig Subordination und Hinneigung zu der königlichen und hochkirchlichen Partei, im Gegensatz gegen das Treiben der englischen Democratie und der Secten. Sein Latein und Griechisch fing er in seiner neuen Stellung bald zu verlernen an und er erwarb sich dafür schon auf der ersten Reise mit dem jungen Lord einige Kenntniss des Französischen und des Italienischen. Da er allenthalben bemerkte, dass die scholastische Logik von verständigen Männern verachtet wurde, liess er diese vollständig fallen und begann dafür mit Eifer wieder sich dem Lateinischen und Griechischen in einer mehr humanistischen Weise zu widmen. Allein auch bei diesen Studien leitete ihn ein practischer, bereits der Politik zugewandter Sinn.

Da nämlich die Stürme, welche dem Ausbruche der englischen Revolution vorher gingen, sich zu regen begannen, übersetzte er im Jahre 1628 den Thucydides ins Englische, mit dem ausdrücklichen Zwecke, dadurch seine Landsleute von den Thorheiten der Democratie zurückzuschrecken, indem sie sich an den Schicksalen der Athener spiegelten. Es war aber damals der Aberglaube verbreitet, der selbst in unseren Tagen noch nicht völlig erloschen ist, dass die Geschichte direct belehren könne, dass Beispiele aus ihr sich ohne Weiteres übertragen und unter den verändertsten Umständen anwenden liessen. Die Partei, welche Hobbes ergriff, war damals schon klar genug die legitimistische und conservative, obwohl seine eigentliche Denkart und die aus ihr abgeleitete berüchtigte Theorie im Grunde allem Conservatismus direct entgegengesetzt war und besser auf die Napoleonische Politik unserer Tage gepasst hätte.

Erst im Jahre 1529 auf einer Reise mit einem andern jungen Adeligen durch Frankreich begann Hobbes die Elemente des Euklid zu studiren, für die er bald eine grosse Vorliebe gewann. Er war damals bereits 41 Jahre alt und gerieth doch nun erst auf die Bahn der Mathematik, auf der er sich bald zum Höhepunkt der damaligen Wissenschaft aufschwang, und die ihn zu seinem consequenten mechanischen Materialismus leitete.

Zwei Jahre später begann er auf einer neuen Reise nach Frankreich und Italien in Paris das Studium der Naturwissenschaften, und sofort machte er zu seiner Hauptaufgabe ein Problem, das schon in der Fragestellung selbst den Materialismus klar verräth, und dessen Beantwortung den materialistischen Streitigkeiten des nächstfolgenden Jahrhunderts das Losungswort giebt, das Problem:

Welche Art von Bewegung es sein könne, welche die Empfindung und Phantasie der lebenden Wesen hervorbringt?

Bei diesen Studien, die eine Reihe von Jahren dauerten, stand er in täglichem Verkehr mit dem Minimermönch Mersenne, mit dem er auch, nach England im Jahre 1637 zurückgekehrt, einen Briefwechsel anknüpfte.

Sobald aber mit dem Jahre 1640 in England das lange Parlament begann, hatte er, der so eifrig gegen die Volkspartei sich erklärt hatte, alle Ursache sich zu entfernen, und er begab sich nun wieder nach Paris, wo er jetzt ausser mit Mersenne auch mit Gassendi beständig verkehrte, nicht ohne auch von dessen Ansichten Manches sich anzueignen. Sein Aufenthalt in Paris dauerte jetzt eine längere Reihe von Jahren. Unter den flüchtigen Engländern, die sich damals in grosser Zahl in Paris sammelten, nahm er eine sehr angesehene Stellung ein und wurde dazu erkoren, dem nachmaligen Könige Carl II. Unterricht in der Mathematik zu geben. Unterdessen hatte er seine politischen Hauptwerke verfasst, die Schriften de cive und den Leviathan, in denen er, namentlich unverholen im Leviathan, die Doctrin eines schroffen und paradoxen, aber keineswegs legitimistischen Absolutismus verkündigte. Gerade diese Schrift, in der besonders die Geistlichen viele Ketzereien gefunden hatten, verdarb für einstweilen seine Gunst bei Hofe. Er fiel in Ungnade, und da er zugleich das Pabstthum sehr heftig angegriffen hatte, musste er nun Frankreich verlassen und von der geschmähten Freiheit der Engländer Gebrauch machen. Nach der Wiedereinsetzung des Königs söhnte er sich mit dem Hofe wieder aus und lebte sodann in ehrenvoller Zurückgezogenheit ganz seinen Studien. Noch in seinem achtundachtzigsten Jahre gab er eine Uebersetzung Homers heraus; im einundneunzigsten eine Cyclometrie.

Als Hobbes einst zu St. Germain an einem heftigen Fieber darniederlag, wurde Mersenne zu ihm geschickt, um zu sorgen, dass der berühmte Mann doch ja nicht ausserhalb der römischen Kirche sterben möchte. Als Mersenne eben die Macht der Kirche, Sünden zu vergeben, erklärt hatte, bat ihn Hobbes, ihm doch lieber zu sagen, wann er zuletzt Gassendi gesehen habe, und sofort wandte sich das Gespräch auf andere Dinge. Den Beistand eines englischen Bischofs dagegen nahm er sofort an unter der Bedingung, dass derselbe sich an die vorgeschriebenen Kirchengebete halte.

Hobbes naturphilosophische Ansichten sind theilweise zerstreut in seinen politischen Werken, namentlich aber in den beiden Schriften de homine und de corpore niedergelegt. Charakteristisch für seine Denkart ist schon im höchsten Grade seine Einleitung in die Philosophie.

»Die Menschen halten es heutzutage mit der Philosophie, wie in den ältesten Zeiten mit den Früchten des Feldes. Es wächst Alles wild und ohne Pflege noch Prüfung. Daher nähren sich die Meisten herkömmlich von Eicheln, und wenn einmal einer eine fremde Beere versucht, hat er meist Nachtheil für seine Gesundheit davon. So hält man auch meist die, welche mit der gewöhnlichen Erfahrung zufrieden sind, für klüger, als die, welche sich nach der Philosophie gelüsten lassen.«

Hobbes weist darauf hin, wie schwierig es ist, einen eingewurzelten und durch das Ansehen redegewandter Schriftsteller noch befestigten Wahn aus dem Geiste der Menschen zu vertreiben; um so schwieriger, da die wahre Philosophie, d. h. die exacte, nicht nur die Schminke der Schönrederei, sondern fast alle und jede Zier mit Absicht verschmäht, und da die ersten Grundlagen aller Philosophie niedrig und trocken, fast hässlich sind.

Die Philosophie definirt Hobbes sodann als:

» Die Erkenntniss der Wirkungen oder der Phänomene aus den Ursachen, und wiederum der Ursachen aus den beobachteten Wirkungen vermittelst richtiger Schlüsse

Schliessen erklärt er aber ferner einfach als Rechnen (Per ratiocinationem autem intellego computationem) und alles Rechnen führt er auf richtiges Addiren und Subtrahiren zurück. Also beruht jeder Schluss auf Addition und Subtraction.

Es folgt schon aus dieser Definition, dass ihm die Worte nur willkürlich gewählte Zeichen sind, welche einen Begriff vertreten, mit dem sie an sich nichts zu thun haben: sie sind Rechenpfennige, nicht wirkliche Münze. Für das Ziel oder den Zweck der Philosophie erklärte Hobbes: dass wir die Wirkungen voraussehen und sie so zum Gebrauch im Leben verwenden können, d. h. er macht geradezu die Philosophie der Industrie und Politik dienstbar und treibt in diesem Punkte also nicht nur die Consequenz des wissenschaftlichen Materialismus auf die Spitze, sondern er bahnt auch direct eine Verbindung an zwischen dem besseren Materialismus des Lebens und dem der Wissenschaft: eine Antecipation unserer Zeit, die gewiss auf England und seine frühe materielle Entwicklung mächtig zurückgewirkt hat, wie sie hinwiederum von dem angeborenen materialistischen Nationalgeist Englands getragen wurde.

Eine Folge dieser Begriffsbestimmung der Philosophie ist nun ferner die, dass die Erkenntniss Gottes in dieselbe gar nicht herein gehört; denn wo nichts zu addiren oder zu subtrahiren ist, hört das Denken auf. Zwar führt uns der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung darauf, einen letzten Grund aller Bewegung anzunehmen, ein erstes bewegendes Princip; allein die nähere Bestimmung seines Wesens bleibt etwas ganz undenkbares, dem Denken selbst widersprechendes, so dass die wirkliche Anerkennung und Erfüllung der Idee Gottes dem religiösen Glauben überlassen bleiben muss.

Die Blindheit und Gedankenlosigkeit des Glaubens ist in keinem System mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen wie in diesem, obwohl Baco und auch Gassendi in mancher Beziehung sich auf ähnlichem Wege befinden. Schaller bemerkt daher über die Art, wie Hobbes sich zur Religion verhält, treffend: »Wie dies psychologisch möglich ist, bleibt ebenfalls ein Geheimniss, so dass vor Allem erst an die Möglichkeit eines solchen Glaubens geglaubt werden müsste.« – Der eigentliche Stützpunkt dieser Glaubenstheorie aber findet sich in Hobbes politischem Systeme.

Bekanntlich gilt Hobbes als Begründer der absolutistischen Staatslehre, die er aus der Nothwendigkeit ableitet, dem Kriege Aller gegen Alle durch einen obersten Willen zu entgehen. Er nimmt an, dass der Mensch, von Natur auf die Wahrung seiner persönlichen Interessen bedacht, selbst bei angeborener Friedensliebe nicht leben könne, ohne die Interessen Anderer zu verletzen, indem er nur bestrebt ist seine eigenen zu wahren. Hobbes leugnet den aristotelischen Satz, dass der Mensch gleich der Biene, der Ameise, dem Biber, von Natur schon ein staatenbildendes Thier sei. Nicht durch politischen Instinkt, sondern durch Furcht und Vernunft komme der Mensch zur Vereinigung mit Seinesgleichen, zum Zweck der gemeinsamen Sicherheit Mit eigensinniger Consequenz leugnet Hobbes nun auch jeden absoluten Unterschied zwischen Gut und Böse, Tugend und Laster. Der einzelne Mensch kann daher auch gar nicht zu irgend einer gültigen Feststellung dieser Begriffe gelangen; vielmehr lässt er sich lediglich durch seinen Vortheil leiten, und so lange der höhere Wille des Staates nicht besteht, ist ihm daraus so wenig ein Vorwurf zu machen, als dem Raubthier, welches die schwächeren Thiere zerreisst.

Obwohl diese Sätze streng untereinander und mit dem ganzen Systeme zusammen hängen, so hätte doch Hobbes, ohne sich zu widersprechen, wenigstens das Vorhandensein eines politischen Naturtriebes und sogar einer natürlichen Gravitation zur Annahme solcher Sitten, welche einen möglichst glücklichen Zustand Aller verbürgen, als wahrscheinlich annehmen können. Die Leugnung der Willensfreiheit, welche bei Hobbes selbstverständlich ist, hat noch keineswegs die Ethik des Egoismus zur notwendigen Folge; es sei denn, dass man in unnatürlicher Erweiterung des Begriffes auch das Streben, seine Umgebung glücklich zu sehen, insofern dadurch eine natürliche Neigung befriedigt wird, egoistisch nennen will. Hobbes kennt diese unnatürliche Begriffserweiterung nicht; der Egoismus seiner Staatengründer ist ein reiner, voller und ungekünstelter Egoismus, in dem Sinne, in welchem dieser Begriff gerade den Gegensatz der persönlichen Interessen gegen die fremden und gegen die gemeinsamen bedeutet Hobbes, der die heuristische Bedeutung des Gefühls zu gering anschlug, verwarf mit der natürlichen Neigung zum Staatsleben und zur geistigen Erfassung und Aneignung der allgemeinen Interessen den einzigen Weg, der ihn noch von seinem materialistischen Standpunkte aus zu höheren ethisch-politischen Grundanschauungen hätte bringen können. Mit der Verwertung des aristotelischen ζῶον πολιτιϰόν betritt er den Weg, der, in der Zusammenwirkung mit seinen sonstigen Grundsätzen nothwendig zu allen paradoxen Folgerungen leiten muss. Gerade wegen dieser rücksichtslosen Consequenz ist Hobbes, selbst da, wo er irrt, so ausserordentlich aufklärend, und es dürfte in der That kaum ein zweiter Schriftsteller zu nennen sein, der von Anhängern aller Geistesrichtungen so einmüthig geschmäht worden ist, während er sie alle zu grösserer Klarheit und Bestimmtheit förderte.

Die ersten Gründer des Staates schliessen bei Hobbes so gut wie später bei Rousseau einen Vertrag; und in dieser Beziehung ist seine Theorie durchaus revolutionär, da sie von ursprünglicher göttlicher Ordnung der Stände, angestammtem geheiligtem Thronrecht und dergleichen conservativen Schrullen gar nichts weiss. Hobbes hält die Monarchie für die beste Staatsform, doch glaubt er diesen Satz unter allen am wenigsten bewiesen zu haben. Auch die Erblichkeit der Monarchie ist eine blosse Einrichtung der Nützlichkeit; dass aber die Monarchie, wo sie besteht, absolut sein muss, folgt einfach aus der Forderung, dass überhaupt die Leitung des Staates, auch wo sie einer Gesellschaft oder Versammlung anvertraut ist, absolute Gewalt haben muss.

Sein egoistisches Menschengesindel hat nämlich gar nicht die mindeste Neigung von Natur, irgend eine Verfassung zu halten, oder Gesetze zu beobachten. Nur die Furcht kann es dazu zwingen. Damit deshalb wenigstens die Masse gebändigt bleibt und der Krieg Aller gegen Alle als schlimmstes Uebel vermieden wird, muss der Egoismus der Herrschenden die Gewalt haben, sich unbedingt geltend zu machen, damit der regellose und in seiner Gesammtsumme ungemein viel schädlichere Egoismus aller Unterthanen niedergehalten werde. Die Regierung kann ohnehin nicht beschränkt werden; wenn sie die Verfassung verletzt, müssten die Bürger ja, um erfolgreich Widerstand zu leisten, einander trauen, und das eben thun die egoistischen Bestien nicht; jeder Einzelne aber ist doch schwächer als die Regierung. Wozu deshalb die Umstände?

Dass jede Revolution, welche Macht hat, auch berechtigt ist, sobald es ihr gelingt, irgend eine neue Staatsgewalt herzustellen, folgt aus diesem System von selbst; der Spruch »Macht geht vor Recht« ist als Trost der Tyrannen unnöthig, da Macht und Recht geradezu identisch sind. Hobbes verweilt nicht gern bei diesen Consequenzen seines Systems und malt die Vortheile eines absolutistischen Erbkönigthums mit Vorliebe aus; allein die Theorie wird dadurch nicht geändert. Der Name »Leviathan« ist nur zu bezeichnend für dies Ungethüm von Staat, welches von keinen höheren Rücksichten geleitet, wie ein irdischer Gott Gesetz und Urtheil, Recht und Besitz nach Belieben ordnet, sogar die Begriffe von gut und böse willkürlich festsetzt und dafür Allen, die vor ihm auf die Kniee fallen und ihm opfern, Schutz des Lebens und des Eigenthums gewährt.

Zu der absoluten Staatsgewalt gehört nun auch dass Recht über die Religion und die ganze Denkungsweise der Unterthanen zu verfügen. Genau wie Epikur und Lucrez leitet auch Hobbes die Religion aus Furcht und Aberglauben her; allein während jene eben deshalb die Erhebung über die Schranken der Religion als die höchste und edelste Aufgabe des Denkers hinstellen, kann Hobbes diesen gemeinen Stoff für die Zwecke seines Staates sehr wohl verwenden. Seine Grundansicht von der Religion findet sich in einem einzigen Satze so schlagend, dass man sich über die unnütze Mühe, die man sich oft mit der Theologie unseres Philosophen gegeben hat, billig wundern muss. Hobbes definirt nämlich so: » Die Furcht unsichtbarer Mächte, sei es, dass diese erdichtet, sei es, dass sie durch Tradition überliefert sind, ist Religion, wenn sie von Staates wegen festgestellt, Aberglaube, wenn sie nicht von Staates wegen festgestellt ist.« Wenn Hobbes dann wenige Zeilen weiter mit der grössten Seelenruhe etwa den wunderbaren Durchgang der Israeliten durch's rothe Meer oder dergleichen biblische Ueberlieferungen einfach als Thatsachen erwähnt, so muss man doch wohl an seine Definition der Religion sich mit Staunen zurückerinnern. Der Mann, der die Wunder mit Pillen verglich, die man ganz hinunterschlucken aber nicht kauen muss, konnte auch den Durchgang der Israeliten gewiss nur deshalb nicht für Aberglauben halten, weil in England die Autorität der Bibel durch die Staatsgewalt festgesetzt ist. Man muss daher, wo Hobbes sich über religiöse Gegenstände äussert, immer drei Fälle unterscheiden. Entweder Hobbes spricht direct von seinem System aus – dann ist ihm die Religion nur ein Specialfall des Aberglaubens; oder er kommt gelegentlich auf Einzelnheiten, bei denen er nur einen Satz seines Systems praktisch anwendet – dann sind ihm die Lehren der Religion einfach Thatsachen, mit denen jedoch die Wissenschaft nichts weiter zu thun hat; Hobbes opfert dann eben dem Leviathan.

Die schlimmsten Widersprüche sind dadurch vollständig beseitigt, und es bleibt hier nur noch der dritte Fall, wo Hobbes dem Leviathan gleichsam de lege ferenda unmassgebliche Vorschläge über Läuterung der Religion und Beseitigung des schlimmsten Aberglaubens macht. Solche Sätze, nach denen z. B. in der Religion wesentliche und unwesentliche Elemente unterschieden werden, passen allerdings nicht recht in das System, und es spricht dann mehr der Mensch als der Philosoph. Für dergleichen Dinge beansprucht Hobbes auch niemals dieselbe Beweiskraft, wie für die wesentlichen Theile des Systems.

Was nunmehr die Theorie der äusseren Natur betrifft, so ist zunächst zu bemerken, dass Hobbes den Begriff des Körpers mit dem der Substanz geradezu identificirt. Wo also Baco noch gegen die immaterielle Substanz des Aristoteles polemisirt, da ist Hobbes bereits fertig und unterscheidet ohne Weiteres den Körper und das Accidens. Für Körper erklärte Hobbes Alles, was unabhängig von unserm Denken einen Theil des Raumes erfüllt, und mit ihm zusammenfällt. Diesem gegenüber ist das Accidens nichts Wirkliches, Objektives, wie der Körper, sondern es ist die Art, wie der Körper aufgefasst wird. Diese Distinction ist im Grunde schärfer als die aristotelische, und verräth, wie alle Definitionen bei Hobbes, den mathemathisch gebildeten Geist. Im Uebrigen schliesst sich Hobbes der Erklärung an, dass das Accidens so im Subjecte sei, dass man es nicht als einen Theil desselben betrachten dürfe, und dass es fehlen könne, ohne dass der Körper aufhöre. Beständige Accidentien, die nicht fehlen können, ohne dass der Körper aufgehoben wird, sind nur die Ausdehnung und die Figur. Alle anderen, wie Ruhe, Bewegung, Farbe, Härte u. s. w. können sich ändern, während der Körper selbst bleibt, und sie sind daher selbst nicht körperlich, sondern eben nur Arten, nach denen wir den Körper auffassen. Die Bewegung definirt Hobbes als das beständige Verlassen eines Ortes und Gewinnen eines neuen, wobei offenbar übersehen ist, dass in diesem Verlassen und Gewinnen der Begriff der Bewegung schon enthalten ist. Gegenüber Gassendi und Baco zeigt sich in den Begriffsbestimmungen bei Hobbes nicht selten ein Rückschritt zum Aristotelischen, wenn nicht im Princip, so doch in der Ausdrucksweise, der aus seinem Bildungsgange zu erklären ist.

In der Definition der Materie zeigt sich diese Hinneigung zu Aristoteles besonders deutlich: Hobbes erklärt, dass die Materie weder einer von den Körpern, noch ein ganz besonderer Körper, ausser allen anderen sei, und daher folgt schon, dass sie in der That nichts ist, als ein blosser Name. Hier ist die aristotelische Auffassung offenbar zu Grunde gelegt, aber einer Verbesserung unterworfen, die vollkommen übereinstimmt mit der Verbesserung des Begriffes Accidens. Hobbes, der einsieht, dass das Mögliche oder Zufällige nicht in den Dingen sein kann, sondern nur in unserer, Auffassung der Dinge, verbessert diesen Grundfehler des aristotelischen Systemes ganz richtig, indem er an die Stelle des Accidens als einer Zufälligkeit im Objecte die zufällige subjective Auffassung setzt. An die Stelle der Materie als einer Substanz, die alles werden kann, und nichts Bestimmtes ist, kommt in derselben Weise die Erklärung, die Materie sei der allgemein gefasste Körper, d. h. eine Abstraktion des denkenden Subjectes. Das Beständige, bei aller Veränderung Beharrende, ist für Hobbes nicht die Materie, sondern der »Körper«, der nur seine Accidentien wechselt, d. h. bald so, bald anders von uns aufgefasst wird. Dieser wechselnden Auffassung liegt aber etwas Reales zu Grunde, nämlich die Bewegung der Theile des Körpers.

Wenn daher ein Gegenstand seine Farbe wechselt, hart oder weich wird, in Theile zerfällt, oder mit neuen Theilen verschmilzt, so beharrt die ursprüngliche Quantität des Körperlichen; wir benennen den Gegenstand unserer Wahrnehmung aber anders nach den neuen Eindrücken, die er unsern Sinnen darbietet. Ob wir einen neuen Körper als Object unserer Wahrnehmung annehmen oder nur dem früher angenommenen Körper neue Eigenschaften beilegen, hängt lediglich von der sprachlichen Feststellung der Begriffe ab; indirect also von unserer Willkür, da Worte nur Rechenpfennige sind. So ist also auch der Unterschied zwischen Körper (Substanz) und Accidens ein relativer, von unsrer Auffassung abhängender. Der wirkliche Körper, welcher durch die beständige Bewegung seiner Theile die entsprechenden Bewegungen in unserm Empfindungsorgan hervorruft, unterliegt durchaus keiner andern Veränderung, als eben der Bewegung seiner Theile.

Es verdient hier bemerkt zu werden, dass Hobbes durch seine Lehre von der Relativität aller Begriffe, sowie durch seine Theorie von der Empfindung im Grunde in ähnlicher Weise über den Materialismus hinausgeht, wie Protagoras über Demokrit. Dass Hobbes nicht Atomist war, haben wir schon gesehen. Er konnte aber auch im Zusammenhang seiner Gedanken über das Wesen der Dinge unmöglich Atomist sein. Wie auf alle anderen Begriffe, so wendet er die Kategorie der Relativität namentlich auch auf den Begriff des Kleinen und Grossen an. Die Entfernung mancher Fixsterne von der Erde sei so gross, lehrt er, dass ihr gegenüber die ganze Entfernung der Erde von der Sonne nur wie ein Punkt erscheine; nicht anders verhalte es sich mit den Theilchen, die uns klein erscheinen. Es giebt also in dieser Richtung ebenfalls eine Unendlichkeit, und was der menschliche Physiker als kleinstes Körperchen betrachtet, weil er für seine Theorie einer solchen Annahme bedarf, ist wieder eine Welt mit unzähligen Abstufungen des Grössten und des Kleinsten.

In seiner Lehre von der Empfindung ist schon der volle Sensualismus Lockes im Keime vorhanden. Hobbes nimmt an, dass sich die Bewegungen der körperlichen Dinge durch Uebertragung auf das Medium der Luft unsern Sinnen mittheilen, von da zum Gehirn und vom Gehirn endlich zum Herzen fortgepflanzt werden. Hier wird die Bewegung rückläufig, und die vom Herzen ausgehende Rückbewegung ist die Empfindung. Es kommt also von den leuchtenden Körpern kein Licht, von den tönenden kein Schall, sondern von beiden nur gewisse Formen der Bewegung. Licht und Schall sind Empfindungen und entstehen als solche erst in unserm Innern als rückläufige, vom Herzen ausgehende Bewegung. Hieraus ergiebt sich die sensualistische Folgerung, dass alle sogenannten sinnlichen Qualitäten als solche nicht den Dingen angehören, sondern nur in uns selbst entstehen. Es ergiebt sich aber aus derselben Anschauungsweise auch der echt materialistische Satz, dass auch die menschliche Empfindung nichts ist, als Bewegung körperlicher Theile, veranlasst durch die äussere Bewegung der Dinge.

Die Frage, ob es nothwendig sei, äussere Vorgänge anzunehmen, welche den sinnlichen Qualitäten in uns direct entsprechen, hat Hobbes sich nicht gestellt. Er verband die materialistische Grundanschauung mit sensualistischen Elementen, ohne sich des tiefen Zwiespaltes zwischen den äussersten Consequenzen beider Anschauungsweisen bewusst zu werden. Auch Locke zog die Consequenzen des Sensualismus nicht; erst bei Berkeley, der an der Wirklichkeit der ganzen Aussenwelt zweifelte, traten sie in vollem Masse hervor.

In Beziehung auf die Betrachtung des Weltganzen hält Hobbes sich ausschliesslich an die erkennbaren, und nach dem Causalitätsgesetz erklärbaren Erscheinungen. Alles, worüber man nichts wissen kann, überlässt er den Theologen. Eine bemerkenswerthe Paradoxie ist noch in dem Satz von der Körperlichkeit Gottes enthalten, der jedoch keinen Theil des eigentlichen Systems bildet, sondern nur als gelegentliche hypothetische Folgerung zu betrachten ist. Hätte man ein recht vertrautes Gespräch zwischen Gassendi und Hobbes belauschen können, so würde man vielleicht einen Streit darüber vernommen haben, ob die allbelebende Wärme oder der allumfassende Aether als Gottheit anzusehen sei.


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