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Bild: Louise Thalheim

Fünfzehntes Kapitel.
Die stolze Frau

»Mia,« – sagte Karl, als sie am Freitag Abend vor dem Abendessen am Feuer standen, »morgen erreicht unser Besuch sein Ende und weißt Du, dies ist bei Weitem der angenehmste Tag, den ich hier zugebracht habe. – Horaz und Richard waren recht freundlich gegen mich und wir haben sehr viel Spaß mit einander gehabt. Während Du und Frau Dalton und Luise Eure langweilige Spazierfahrt machtet, stöberten wir Knaben im Hause umher. Ich zeigte ihnen unsere alten Versteckplätze und auch des Priesters unterirdischen Gang. – Weißt Du noch, ich zeigte ihn Dir vorigen Sommer; man geht die steinerne Wendeltreppe hinab und aus dem Gange kommt man hinaus auf die Südterrasse. – Herr Harley wird sie neu aufbauen und die Treppe wegnehmen lassen, deshalb bin ich froh, daß ich die alten Plätze noch einmal gesehen habe.« –

»Wenn ich gewußt hätte, daß es das letzte Mal ist, so wäre ich mit Euch gegangen, trotzdem daß ich den halb eingesunkenen Gang und die knarrende Thüre am Ende gar nicht gern habe. Ich wundere mich, daß Herr Harley den Gang zuschütten läßt. – Es macht ein Haus so interessant, wenn es geheime Ausgänge hat, und er kennt gewiß die Sagen von dem alten Baron, der diesen bauen ließ und von dem Nutzen, den er während der Bürgerkriege gewährt hat.« –

»Mia, weißt Du, Du bist nicht die Einzige, welche sich vor unterirdischen Gängen fürchtet, Richard schien mir sehr furchtsam im Dunkeln zu sein. Beim Hinaufgehen dauerte es lange, ehe ich die Treppenthüre aufmachen konnte und es kam mir so vor, als hätte ich den Mechanismus vergessen. – Da hättest Du nur Richard sehen sollen! – Er hielt mich fest am Arm, und ich denke, er fürchtet sich auch vor Deiner stolzen Frau.« –

»Richard ist gewiß feige, denn er renommirt so viel.«

»Heute war er viel angenehmer, als sonst. – Er hat sogar gesagt, daß er immer mein Freund sein und mir heute Abend ein großes Vergnügen machen will, wenn ich ihm einen Gefallen thue.« –

»Was will er von Dir haben?« –

»Nichts Besonderes. – Er will nur heute in meiner Stube schlafen.« –

»Und was hast Du geantwortet?« – fragte Mia ängstlich.

»Ich habe noch gar nicht geantwortet, denn es fiel mir ein, daß sie mir vielleicht einen Streich spielen wollen und deshalb bat ich mir Bedenkzeit bis zum Abendessen aus. Richard ärgerte sich darüber und sagte, ich solle nicht laut sprechen, sondern nur ein Ja oder ein Nein auf ein Stückchen Papier schreiben und es ihm unter dem Tische einhändigen.« –

»Immer Heimlichkeiten!« – sagte Mia. »Richard kann doch Nichts offen thun! – O Karl, hab' Nichts mit ihm und seinen Heimlichkeiten zu thun! – Schreibe Nein!« –

»Das ist für Dich leicht zu sagen, Mia, aber für mich ist es etwas Anderes. – Du weißt, wie lange ich mir Schulknaben zu Freunden gewünscht habe und nun gerade, wenn sie anfangen, mir gut zu sein, soll ich ungefällig gegen sie sein! – Ich weiß, was darauf folgen wird.« –

»Was denn?« –

»Sie werden mich wieder Schlafmütze nennen,« – schrie Karl.

»Die Unterhaltung scheint sehr interessant zu sein,« – rief Frau Dalton von dem andern Ende des Zimmers. »Das Abendessen ist bereit, vielleicht dürfen wir hoffen, von der Unterhaltung zu profitiren.« –

Aber Frau Dalton's Hoffnung blieb unerfüllt. Karl setzte sich etwas maulend und Mia sehr ernst zu Tische, sie konnte an nichts Anderes, als an die zu gebende Antwort denken und beobachtete unaufhörlich die Knaben. Gegen Ende der Tafel, als Frau Dalton eine Torte zerschnitt, sah sie, daß Richard Karl'n ein Stückchen Papier unter dem Tische zureichte, Karl nahm es und schrieb darauf, aber er war dabei so ungeschickt, wie möglich, ließ den Bleistift fallen, bückte sich geräuschvoll danach und sah sehr roth aus. Richard runzelte die Stirne und Louis sah sehr verwundert aus. – Da Mia neben Karl saß, hätte sie sehr leicht sehen können, was er aufschrieb, aber das wäre nicht ehrenhaft gewesen, und deßhalb unterdrückte sie ihre Neugierde und sah nicht hin. –

Als Richard die Antwort las, ließ er sich Nichts merken, vielleicht sah er, daß Mia und Louis ihn beobachteten. –

Nach dem Abendessen sagte Frau Dalton zu den Kindern, sie sollten sich an's Feuer setzen und ruhig mit einander sprechen. Sie nahm die Lampe und ging in ein Nebenzimmer. –

»Wie hübsch wäre es,« – sagte Luise, »wenn jetzt Jemand eine Gespenstergeschichte erzählen möchte.« –

»Das versteht Mia prächtig,« – rief Karl. –

Mia fühlte sich Karl gar nicht verpflichtet für diese Bemerkung, denn sie war zu blöde, um all' den Knaben eine Geschichte erzählen zu mögen. Aber plötzlich fiel ihr ein, was ihre Blödigkeit überwand und sie begann Nanny's Geschichte von der stolzen Frau.

Wenn Mia einmal im Zuge des Erzählens war, so vergaß sie bald, wer ihr zuhörte, und so ging es auch dies Mal. Sie erzählte recht hübsch. Eben war sie bei der Beschreibung der Lokalität und wie die stolze Frau im Mondenscheine die Treppe auf und ab rauschte, als Richard lärmend aufsprang. –

»Ich will den Unsinn nicht anhören!« – rief er. »Das ist Alles gemacht, um uns zu ängstigen! – Kein Wort weiter, ich will Nichts mehr davon hören!« –

»Was bedeutet das?« – rief Louis.

Alle sahen Richard an. – Er war leichenblaß und seine Hand, welche auf der Lehne des Stuhles lag, zitterte so, daß der Stuhl sich mitbewegte.

»Setz' Dich wieder hin. Du Narr!« – sagte Horaz.

»Richard hat heute das Gespenst gesehen,« – sagte Karl lachend. »Es kam mir gleich so vor, als wir im unterirdischen Gange waren. – Mia, erzähle weiter, Du thust es gern und wir hören gern zu.« –

»Aber ich kann solchen Unsinn nicht leiden,« – sagte Richard und wischte sich den Schweiß von der Stirne. »Ich will es nicht hören.« –

»Dann geh' und setz Dich wo anders hin,« – sagte Louis, »denn wir wollen die Geschichte zu Ende hören und Mia wird erzählen.« –

Aber Mia that es nicht, sie war an so rauhe Worte nicht gewöhnt und hatte Lust, zu weinen. Louis kam ihr zu Hülfe, indem er von einer Löwenjagd erzählte. Als er zu Ende war, war es für die Mädchen Zeit, zu Bette zu gehen. Richard und Horaz klagten auch über Müdigkeit und zogen sich zurück. Aber Karl, der Gründe hatte, die ihm eine Privatunterredung mit Richard nicht wünschenswerth machten, blieb bei Louis, schlief aber zwei Mal über seinem Buche ein, ehe Louis daran dachte, seine Lektüre abzubrechen. Darüber kam Frau Dalton, löschte die Lampe aus und schickte sie zu Bette; sie trennten sich mit einer sehr schläfrigen: Gute Nacht! von Seiten Karl's. – Louis ging in sein Zimmer, welches an das Frühstückszimmer stieß, in dem sie gesessen hatten, während Karl durch das ganze Haus zu gehen hatte, ehe er das seinige erreichte. – Er hatte sich eines der Tapetenzimmer des linken Flügels gewählt, der unberührt von Veränderungen geblieben und fast eben so aussah, als zur Zeit, wenn Mia und Karl dort zu spielen pflegten. Karl hatte sich sein Zimmer halb aus Vorliebe für dasselbe und halb deshalb gewählt, weil es an das geheimnißvolle Tapetenzimmer stieß, von dem Mia so viel zu erzählen wußte. Er wollte Mia zeigen, daß er ganz und gar nicht an das Umherwandeln der stolzen Frau glaube. –

»Sollte ich jemals ein Gespenst sehen,« dachte er bei sich, als er die eichene Treppe schlaftrunken hinaufstieg, – »so wird das heute sein, denn es ist so unheimlich still hier. – Es ist ein Glück, daß ich nicht solch eine Memme bin, wie Mia.« –

Er warf die Thüre seines Zimmers geräuschvoll zu, wahrscheinlich um die unheimliche Stille zu unterbrechen. Gleich darauf hörte er Jaisingh, Louis' schwarzen Diener, der neben ihm in dem Gespensterzimmer schlief, herauf kommen, er hörte, wie derselbe den Schlüssel in der Thüre, die zur steinernen Wendeltreppe führte, umdrehte und seine eigene Thüre verschloß. Das war das Letzte, was Karl hörte, – er drehte sich auf die andere Seite und schlief ein. – Nach und nach erloschen alle Lichter in dem alten Hause und überall herrschte Schweigen. – Der Mond warf seine Strahlen durch die Fenster und erhellte das Getäfel der Wände und die geschnitzten Köpfe auf den Gesimsen, die nun schon viele hundert Jahre ruhig auf die gehenden und kommenden Generationen herabgeblickt hatten. – Mia hatte heute Nachmittag lange vor ihnen gestanden und sie angeblickt, sie erschienen ihr so geheimnißvoll im Halbdunkel und in ihrer Unwandelbarkeit. –

Jetzt schlug es zwölf Uhr! – Mia lag noch wach in ihrem Bette, sie war unruhig und mußte immer an die Worte denken, die sie in Silberthal von Richard gehört, an sein sonderbares Benehmen bei der Gespenstergeschichte und sein Verlangen, mit Karl's Zimmer zu tauschen. – Je mehr sie daran dachte, je gewisser wurde es ihr, daß die Knaben in dieser Nacht etwas Geheimnißvolles vorhatten und der Wunsch, zu wissen, ob sie Karl mit hineingezogen hatten, wurde immer lebhafter in ihr. –

»Ich hätte ihn warnen sollen,« sagte sie zu sich selbst, – »ich hätte ihm sagen sollen, was ich gehört habe! – Vielleicht ist es noch Zeit!« – Sie setzte sich aufrecht in ihrem Bette, der Mond schien hell, es war als forderte er sie auf, sich anzukleiden. – Sie that es und während sie damit beschäftigt war, hörte sie das Oeffnen einer Thüre und leise Fußtritte. – »Das ist Richard, er geht zu Karl, ich muß ihm zuvorkommen! – Sie werden sagen, daß ich mich in Alles mische, – aber das schadet Nichts; ich muß Karl warnen.« –

Mia's Hand zitterte, als sie ihre Stubenthüre öffnete, und eine Diele knarrte unter ihren Tritten, aber sie ging muthig weiter, und mit so unhörbaren Tritten, wie die stolze Frau selbst. Sie mußte durch die Hausflur gehen und hielt einen Augenblick an, um das durch die gemalten Fenster dringende Mondlicht zu bewundern. – Das Haus war ihr noch niemals so schön, so großartig vorgekommen! – Alles war darin so still, wie in alten Zeiten und doch wie anders war es jetzt! – Sie ging weiter und kam an die alte Treppe, die zu dem linken Flügel führte. – Da dieser Theil des Hauses fast unmöblirt war, so hallten ihre Schritte lauter. – Der Widerhall erschreckte sie, es kam ihr vor, als ginge Jemand dicht vor ihr die Treppe hinauf. – Sie stand still und hielt sich fest an dem Geländer. – Ja, wirklich! – Da, – nur einige Stufen höher! – Es war der Schimmer eines dunkelseidnen Kleides, – es bewegte sich, ja gewiß, es bewegte sich! –

Sie bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen, sie hätte laut aufschreien mögen. – Aber das dauerte nicht lange, sie erhob wieder ihren Kopf und blickte fest vor sich hin: »Was es auch sein mag,« – sprach sie zu sich selbst, »Gott wird mich beschützen, ich will vorwärts gehen!« –

Die ersten Schritte kosteten viel, aber dann stand Mia wieder still und – lachte laut auf. Das schimmernde seidene Kleid erwies sich als ein besonders hell polirtes Täfelwerk am Treppenabsatze, das sie hundert Mal in ihrem Leben bewundert hatte und die scheinbare Bewegung ward durch den zitternden Schatten eines Baumes hervorgebracht, der durch das schmale Fenster in der gegenüberliegenden Mauer auf das blanke Täfelwerk fiel. –

»Nun habe ich also einmal die stolze Frau selbst gesehen und das Geheimniß entdeckt,« – dachte Mia und lief munter bis zu Karl's Stube. – Sie horchte, ehe sie leise die Thüre öffnete. – Da lag Karl, fest schlafend, den Mund weit offen und auf sein lockiges Haar fiel der Mondschein. –

»Alles gut!« – dachte Mia und schloß wieder leise die Thüre. – »Im Grunde hätte ich mich auf ihn verlassen sollen; er ist besser, wie man nach seinen Worten glauben möchte.« – Mia eilte die Treppe hinunter, kam durch den Hausflur und von dort auf die Haupttreppe. – Wäre sie ein wenig langsamer gewesen, so würde sie Etwas gesehen haben, was sie vielleicht mehr erschreckt hätte, als selbst die Erscheinung der stolzen Frau. – Einen Augenblick nach ihr kamen Horaz und Richard in den Hauptflur, sie hatten weiße Laken um und Flinten in den Händen; sie traten durch eine grüne Tuchthüre aus den Küchenräumen in den Flur und gingen von dort nach der Treppe des linken Flügels. –

»Ich hörte Geräusch,« – flüsterte Richard Horaz zu; »es kommt Jemand die Haupttreppe herunter.«

»Du hörst immer Geräusch und machst selbst mehr, als zehn Leute zusammen! – Wie lästig es ist, diese knarrende Treppe herauf gehen zu müssen! Wenn der dumme Merton uns sein Zimmer überlassen hätte, so wäre uns die Gefahr, gehört zu werden, erspart worden.« –

Richard war einige Stufen voraus und kam zu der Stelle, wo Mia so erschreckt war, – er ergriff seines Bruders Arm und rief: »Sieh dorthin! Was ist das? – Es bewegt sich! – Ja, es bewegt sich! – Ich gehe keinen Schritt weiter, – ich sage Dir, es ist die –«

»Oeffne die Laterne, Du Narr, und laß uns sehen, was es ist,« – sagte Horaz mit etwas veränderter Stimme.

Wenn wir wissen, daß wir Unrecht thun, so sind wir leicht geängstigt. – Es dauerte einige Minuten, ehe Richard die Blendlaterne aufbekommen konnte, die er in Händen hatte. – O, wie wünschte er, jetzt ruhig im Bette zu liegen! – Das Licht hatte einen langen, rothen Docht, Horaz putzte ihn mit den Fingern ab und warf ihn zur Erde. –

»Nun, was ist da zu sehen?« – rief er spöttisch lachend, als das helle Licht die Gegenstände beleuchtete. »Vorwärts; – ich werde hübsche Geschichten von Dir erzählen, wenn Du noch einmal Gespenster siehst!« –

Richard folgte zitternd, denn es kam ihm leichter vor, mit dem Bruder weiter zu gehen als allein umzukehren. – Sie gingen sehr leise an Karl's Thüre vorüber, um ihn nicht aufzuwecken. – Am Ende des Ganges war eine Thüre, welche ehemals durch eine geheime Feder geöffnet wurde, die aber jetzt ein gewöhnliches Schloß hatte, sie führte mittelst der alten, fast nie benutzten steinernen Treppe zu dem unterirdischen Gang und dieser in den Garten.

Bei hellem Tageslichte hatten die Knaben den Weg ohne Mühe zurückgelegt. Jaisingh pflegte den Schlüssel in der Thüre nur umzudrehen, denn Herr Harley behauptete, daß die stolze Frau der beste Wächter für jenen Theil des Hauses sei. – Was aber bei Tage so leicht gewesen, nahm in der Nacht für die Knaben eine andere Gestalt an. – Der Widerhall erschreckte sie und auch das geisterhafte Licht der Blendlaterne, wenn es auf die nasse Mauer fiel. – Zuletzt glitt noch Richard's Fuß aus und er fiel der Länge nach hin. – Wie froh waren sie, als sie endlich die letzte Thüre aufstießen und in die helle Mondnacht traten. Außerhalb des Gartens wartete Sir Henry, begleitet von einem Diener, auf sie und alle vier begaben sich nach den Sümpfen, die nicht sehr fern vom Herrenhause waren und wo die Entenjagd stattfinden sollte. –

Vielleicht hätte ihnen solch' eine Jagd, ohne die begleitende Heimlichkeit und das damit verbundene Gefühl des Unrechts, Spaß gemacht, aber so wie es war, gelang es wenigstens Richard nicht, die Furcht vor dem Heimwege durch den unterirdischen Gang und die Gespenstertreppe auch nur für einen Augenblick los zu werden. –

Sie standen eine halbe Stunde in der Kälte, eingehüllt in ihre Betttücher, die sie dem Schnee so ähnlich als möglich machen und die scheuen Enten anführen sollten. Von Zeit zu Zeit schossen sie ohne besonderes Ziel los und erschraken vor dem Knall ihrer eigenen Flinten. Hierauf erklärte Horaz, daß er für seine Person genug hätte und Alle begaben sich, mit vor Kälte schmerzenden Gliedern, nach Hause. –

»Gestehe, Richard,« sagte Horaz, als sie in ihren warmen Betten lagen, »gestehe, daß ich es pfiffig ausgeführt habe! – Wir sind gegangen und wieder gekommen, ohne daß wir Geräusch gemacht haben, gerade wie ich es vorhergesagt habe. Und nun will ich Den sehen, der es entdecken wird. – Morgen wird Alles so sein, wie es vordem war.« –

Als Horaz dies sagte, stieg eine kleine Rauchwolke langsam empor von einer Stufe der alten Treppe, – sie stieg empor, und sank und kräuselte sich wieder höher und höher empor und fiel dann wieder nieder. – Das hatte sie während der ganzen letzten Stunde gethan. – Jetzt schien sie ganz hinzusterben und plötzlich schoß eine kleine Flammenzunge aus ihr hervor. Das Holz knisterte, die kleine Flamme erreichte die nächste Stufe, – ein klares Licht fiel auf das blanke Täfelwerk des Treppenabsatzes; es verjagte den bleichen, grünlichen Mondschein und den Schatten des zitternden Baumes. –

Die stolze Frau ist zum letzten Male die Treppe hinauf gegangen! – Noch ist es ein kleines Feuer! – Wenn Jemand wach wäre, könnte es leicht gelöscht und den schrecklichen Folgen von Horaz und Richard's Ungehorsam vorgebeugt werden, – aber die ruhigen Gesichter der Decke schauen niederwärts und werden roth im Feuerlichte und Niemand erwacht! –

Einige Stunden darauf erhebt sich Karl in seinem Bette, er fühlt seine Brust beklemmt und seine Augen schmerzen, – es kann noch nicht Morgen sein und doch ist das Zimmer ganz erleuchtet! – Woher kommt das Licht? – Es kommt durch die Ritze der Thüre! – Kaum war Karl ganz wach, so war es ihm auch klar, daß das Haus in Feuer stand. – Er sagte später oftmals, er wundere sich, daß er nicht mehr erschreckt gewesen sei. – Er dachte an die verschiedensten Dinge, die er erzählen gehört, an all das Sonderbare, was zuweilen Menschen bei Feuersnoth gethan. – Er saß einige Minuten da, betäubt, gerade als sei es nicht die höchste Zeit für ihn, sich in Bewegung zu setzen, – er hätte am liebsten wieder schlafen mögen. – Auf einmal hörte er etwas Schweres hinfallen und dann ein Aufkreischen, ein schrecklicher Schrei tönte durch das Haus! – Karl sprang aus dem Bett und zitterte am ganzen Körper. – Während er sich eilig ankleidete, durchkreuzten hundert Pläne seinen Kopf, zum Glück war ihm Eins klar, was er nicht thun müsse. – Er wußte, er müsse nicht die Thüre aufmachen, sie allein stand zwischen ihm und dem Tode, und das Knistern und Knastern des Feuers wurde immer lauter! – Unter dem Fenster von Karl's Zimmer war ein schmaler Mauervorsprung, Karl erinnerte sich, daß er sich einmal gegen Mia gerühmt, er könnte auf diesem Rande gehen. – Wie lange war das her, als er das gesagt, als er mit Mia sicher und wohlbehalten auf dem Rasen gestanden! – Jedenfalls half diese Erinnerung zu einem Entschlusse! Er kletterte durch das Fenster auf den Mauervorsprung, an Erleuchtung fehlte es ihm nicht, aber er ließ sich nicht Zeit, zu untersuchen, woher das Licht kam, er ging vorsichtig weiter, und kam zuletzt an die Veranda, auf, welche die Fenster des Wohnzimmers führten. – Seine Hände zitterten gewaltig, als er das eiserne Gitter faßte und der Gedanke, gerettet zu sein, machte ihn schwindlig. – Er konnte sich niemals besinnen, wieder in die Veranda geklettert, oder wie es ihm gelungen, an Louis' Fenster genug Lärm zu machen, um diesen zu erwecken. – Aber zehn Minuten später erwachte er inmitten einer Gruppe halb angekleideter Menschen in dem Hauptflur, Mia war auch da und umhalste ihn und Beide freuten sich ihrer Rettung. –

Darauf folgte eine Scene der Verwirrung, die schwer zu beschreiben wäre. – Es war kein Herr da, der Befehle gegeben hätte und die Diener waren sich unter einander fremd und auch fremd im Hause. – Nur zwei Personen schienen sich gleich von Anfang an zu verstehen und Geistesgegenwart genug zu haben, um vereint zu handeln. Es waren dies Louis und Karl! – In späteren Zeiten erzählten sie gern von dieser Nacht, Karl beschrieb, wie Louis' ruhige Stimme sich nach und nach Gehör verschafft hatte und wie Jeder sich gedrungen gefühlt hatte, ihm zu gehorchen. Wie er seine Anordnungen so ruhig und deutlich gegeben, daß auch der Dümmste ihn verstanden, und wie er im Augenblick gewußt, wo jedes Ding zu finden und was und wie Alles zu thun sei. – Louis erzählte dagegen die allerwunderbarsten Geschichten von Karl's Kühnheit, und wie er die unmöglichsten Gewichte gehoben, an einem halb Dutzend Plätzen zugleich gewesen und die Aeltesten an Muth und Thätigkeit übertroffen habe. –

Frau Dalton, Luise und die andern Frauen flüchteten nach dem Parkhäuschen, aber Mia wollte Karl nicht verlassen, sie wußte, daß sie sich ruhig verhalten und Niemanden in den Weg kommen müsse und das befolgte sie. – Karl holte ihr einen warmen Mantel, wickelte sie darin ein und ließ sie im Garten unter dem alten Maulbeerbaume Platz nehmen. – Sie fühlte sich sehr verlassen in der Menge und es schmerzte sie, sich nicht nützlich machen zu können. – Sie versuchte zu den Leuten zu sprechen, aber Niemand hörte auf sie, sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und betete, oder sie starrte in die Flammen, die hoch in den dunklen Himmel des Wintermorgens hinaufschossen, auf den breiten Blättern des Lorbeers glühten und die Eiszapfen, die an den Bäumen hingen, wie brennende Juwelen erscheinen ließen. –

Auf einmal wurden die Menschen so still, die lautesten Stimmen sanken zu einem Flüstern herab und Jeder schien unter dem Eindruck eines großen Schreckens zu sein. – Mia sprang auf und Karl treffend, dessen Gesicht leichenblaß war, rief sie:

»O Karl, was ist geschehen? – Noch etwas Schrecklicheres, als das Feuer?« –

»Ja, etwas Schrecklicheres! – Sieh, Mia, sieh dorthin!« –

»Ich sehe Nichts als Rauch und Flammen,« – antwortete Mia zitternd.

»Sieh nur nach dem Fenster des Tapetenzimmers. Da steht Louis! – Vor einem Augenblick erinnerte er sich plötzlich, daß Niemand an Jaisingh gedacht habe und daß er nirgends zu sehen gewesen! – Du weißt, Jaisingh schläft in dem Zimmer, welches an das meinige stößt. – Wie Louis da hinaufgeklettert ist, weiß ich nicht, vermuthlich ist er denselben Weg gegangen, den ich zurückgelegt habe, aber sieh nur, wie die Flammen jetzt hervorbrechen, er kann nicht zurückkommen, – er wird, er kann nicht zurückkommen, – er wird, er muß verbrennen!« –

Mia blickte hin und sah Louis und Jaisingh im Fenster stehen, hinter ihnen, über ihnen Flammen; dann schloß sie ihre Augen und hätte fast wünschen mögen, sie nie wieder öffnen zu müssen. –

Während einiger Minuten wurde der Lärm und die Verwirrung noch größer, als je zuvor, – man sprach und schrie und jammerte. – Die Leitern, die herbeigeschafft wurden, waren alle zu kurz, sie reichten lange nicht bis hinauf zu dem Fenster, in dem Louis stand. Die Flamme beschien sein bleiches Gesicht, er schrie nicht und weinte nicht, sondern stand bewegungslos da. –

Karl hatte so lange hingesehen, bis er es nicht mehr aushalten konnte, er warf sich verzweifelnd zur Erde. – Aber er sprang gleich wieder auf und rief: »Mia, es fällt mir Etwas ein, – kein Augenblick ist zu verlieren! Wie dumm sind wir Alle, daran nicht früher gedacht zu haben! – Die Thüre der steinernen Treppe ist nicht verschlossen, Richard hat es mir gesagt, er ist mit Horaz in dieser Nacht durch die Thüre gegangen.« –

»Aber was soll das?« – fragte Mia.

»Von der Thüre bis zu Jaisingh's Stube ist nur ein Schritt!« –

»Ja, aber da steht Alles in Flammen!« –

»Ich weiß es, aber – lebe wohl, Mia! – Ich muß es versuchen, sie zu retten, – in zehn Minuten bin ich zurück, oder –«

Karl endete den Satz nicht und lief fort. Mia sah, daß er mit den Männern sprach, welche mit den Leitern beschäftigt waren, aber sie schienen nicht auf ihn zu hören, er kam wieder zu ihr gelaufen.

»Mia,« – sagte er lebhaft, »Du bist zuweilen muthig, komm und hilf mir jetzt! – Die Andern wollen mich nicht hören und verstehen und bald ist es zu spät! – Komm und hilf mir die Thüre aufstoßen!« –

Mia fühlte sich nicht besonders muthig, sie zitterte so, daß sie kaum stehen konnte, aber der Gedanke, der ihr auf der eichenen Treppe Muth eingeflößt hatte, half ihr auch jetzt. – Sie folgte Karl zu der Thüre am Ende der Terrasse, sie war fast ganz hinter Epheu und Reisig versteckt, aber Karl und Mia fanden sie leicht, – sie hatten sie oft zusammen aufgestoßen. – Heute schien es, als wollten sich ihre rostigen Angeln nicht mehr bewegen. Endlich gab sie nach und ein sonderbares Sausen hallte durch den gewölbten Gang. – Es tönte fast wie das Rauschen des Meeres, aber Mia wußte, daß es das Rauschen der Flammen oben im Hause war. –

Karl sagte ihr, sie möchte nicht weiter gehen, aber sie folgte ihm trotzdem durch den Gang bis zu dem Fuße der alten Steintreppe. Da erneute Karl sein Gebot und sie gehorchte ihm. – Er stürzte die Treppe hinauf und stieß die Fallthüre auf, Mia sah Rauch und Flammen durchdringen und hörte Karl mit lauter Stimme Louis' Namen rufen, – dann schwieg Alles, es war ihr, als sollte dies Schweigen ewig dauern! – Aber wieder hörte sie Karl's klare Stimme und schnelle Fußtritte, die herab kamen, – der Boden schien unter ihr fortzugleiten, und etwas Kaltes berührte ihre Stirne, – weiter erinnerte sie sich Nichts mehr bis zu ihrem Erwachen vor dem Hause, auf dem Rasenplatze. – Kitty hielt sie in ihren Armen, und Karl, Louis, Jaisingh und noch viele andere Menschen standen um sie her. –

Es war beinahe Morgen, im Osten röthete es sich und ein Rothkehlchen sang auf dem nächsten Baume. – Mia sah dies zuerst und nicht das Haus, dem sie den Rücken zukehrte, aber sie wandte sich um und sah in demselben Augenblick mit Schaudern das Dach des linken Flügels einstürzen. – Eine schwarze Rauchsäule verdunkelte den Himmel. –

Louis ergriff Karl's und Mia's Hand und nach den brennenden Trümmern hinblickend sagte er: »Ohne Euch Beide läge ich da begraben.«

»Gottlob, der Morgen ist da!« sagte Mia leise.

»Ja,« sagte Karl, »Sonnabend Morgen, der letzte Tag unsres Besuches, heute kommen unsre Eltern wieder.« –


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