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Bild: Louise Thalheim

Erstes Kapitel.
Der Tag der Abreise

»Stehe auf, Mia, stehe auf,« – rief Karl Merton, als er an einem schönen Augustmorgen unter dem Fenster seiner Schwester stehend, dies mit einem Wurf kleiner Steine gegrüßt hatte. »Es ist sechs Uhr vorbei. Georg wäscht den Wagen im Hofe und ich habe Spat eben erzählt, welch' eine lange Reise er vor sich hat.« –

Mia öffnete leise ihr Fenster und steckte behutsam ihr lockiges Köpfchen hervor: »Mach' nicht solch' einen Lärm, Bruder, Mama schläft, ich bin schon lange auf und werde gleich kommen.« –

Karl pfiff und ging in den Hof. – Er hatte keine all zu gute Meinung von Mia's Gleich! – »Mädchen sind immer langsam,« – sagte er zu sich selbst, »und Mia ist bei allen Dingen so bedachtsam. Es ist mir ein Trost, daß Georg herum wirthschaftet. Georg!« – rief er einem Manne im Hofe zu, – »laß mich Dir helfen, den Wagen waschen und die Schweine füttern, ich habe heute keine Stunden.«

»Ganz wohl, junger Herr!« – erwiderte Georg, »wenn Sie nur nicht Ihre Jacke beschmutzen und uns Frau Kitth's Zorn heraufziehen!« –

»O, Kitty ist diesen Morgen in guter Laune, sie backt Kuchen zum Frühstücke, ich rieche sie bis hierher. – Gieb mir den Eimer, Du sollst mich damit zurück kommen sehen, ehe Du sechs gezählt hast. – Bin ich nicht flink gewesen?« – fragte Karl, als er mit dem Eimer zurück kam. –

»Ja, aber Sie würden mehr Wasser gebracht haben, wenn Sie langsamer gewesen wären. Sputen Sie sich langsam, junger Herr.«

Karl hatte sich müde gemacht und Georg mit und hatte seine weißen Hosen ganz beschmutzt, als endlich Mia erschien.

»Du bist lange fortgeblieben,« – sagte er. – »Sieh, wie ich mich zugerichtet habe! – Schüttle nicht den Kopf, denn es ist Deine Schuld. – Wenn Du früher gekommen wärest, wäre ich nicht aus Langerweile gezwungen gewesen, die Schweine zu füttern. – Aber es schadet Nichts, Kitty hat heute Morgen so viel zu thun, daß sie keine Zeit zum Schelten haben wird.« –

»Wir sollten ihr aber nicht noch mehr Mühe machen, wenn sie so viel zu thun hat,« sagte Mia. – »Ich bin auch fleißig gewesen, ich habe Mama's Reisekasten gepackt. Sie war gestern Abend sehr müde und schlief deshalb heute lange. – Als sie erwachte, war sie recht froh. Alles fertig zu finden.« –

»Das war gut von Dir, Mia. – Sage, bist Du nicht vergnügt, daß es so schönes Wetter ist und daß Nichts geschehen ist, was die Reise verhindert?« –

»Ja. – Ich bin auch darüber sehr froh, daß unsere Ferienwoche beginnt, aber es thut mir leid, daß die Eltern uns verlassen werden.« –

»So geht es mir auch. Doch, es ist ja nur für eine Woche und denke nur: Keine Stunden während sechs Tagen, überall hin gehen zu dürfen, wo man will und Herr des Hauses zu sein! – Nebenbei ist es eine Veränderung, und ich muß Dir sagen, ich liebe Veränderungen über Alles. Sieh! da winkt Papa aus dem Wohnzimmer, wir sollen zum Frühstücke kommen. Laß uns laufen, es ist noch viel zu thun und Kitty hat Kuchen gebacken. Flink, Mia, flink!« –

Karl hatte recht, als er sagte, es sei heute viel im Predigerhause zu thun. Herr und Frau Merton pflegten jährlich einmal auf eine Woche zu verreisen, um einem alten Freunde einen Besuch zu machen und der Morgen ihrer Abreise schien den Kindern allemal der geschäftvollste und aufregendste des ganzen Jahres. – Sie bemerkten gar nicht, daß es Papa war, der die meiste Unruhe machte, und daß die außerordentlichen Aufträge, welche er ihnen jedes Mal gab, wenn Mama von der tiefen Stelle in ihrem Teiche, wo ein Hausirer ertrunken, oder von der andern gefährlichen Stelle zu sprechen anfing in der Mauer, auf die Karl so gern kletterte, – sehr überflüssige Aufträge waren, und daß er die Dinge, nach denen er sie schickte, gar nicht brauchte. –

Herr und Frau Merton waren darüber betrübt, daß sie ihre Kinder auf ihrer kleinen Reise nicht mitnehmen konnten, aber der Freund, den sie besuchen wollen, war alt und kränklich und bewohnte ein enges, kleines Haus in der Stadt. – Daher hielten sie es für besser, Karl und Mia zu Hause und unter Kitty's Aufsicht zu lassen. – Kitty war eine alte treue Dienerin, sie hatte den Kindern oft erzählt, daß sie schon in dem Predigerhause gedient hatte, ehe Frau Merton geboren war. – Mia und Karl wären gewiß über die Trennung von den Eltern sehr traurig gewesen, wenn sie nicht zwei Dinge getröstet hätten. Erstens hatten sie Ferien und eine kleine Veränderung, wie Karl sagte, und zweitens hatten sie bemerkt, daß Kitty sie viel weniger schalt, wenn sie allein mit ihr waren. – Es ist sonderbar, aber es ist wahr, sie konnten noch so viele Schürzen und Höschen beschmutzen, Kitty brummte weniger, wenn die Eltern abwesend waren.

Karl behauptete, daß die Mutter dahinter stecke und er vertraute Mia, als sie zusammen auf den Wagen wartend an der Gartenthüre standen, daß die Mutter eine halbe Stunde mit Kitty in der Thüre der Speisekammer gesprochen und ihr dann einen schönen, neuen Arbeitskasten geschenkt habe. – Nachher habe sie ihr einige Gläser mit Eingemachtem gegeben, und obgleich Karl durchaus nicht habe horchen wollen, wie er versicherte, so habe er doch Etwas über Himbeertörtchen und Aepfelkuchen sagen gehört. Mia hatte noch bessere Neuigkeiten mitzutheilen; sie hatte auf dem Tische von Papa's Arbeitszimmer zwei Päckchen in braun Papier gewickelt, liegen gesehen, auf dem einen stand: »Für Mia,« – auf dem andern: »Für Karl,« auf beiden war noch hinzugefügt: »Nicht eher geöffnet zu werden, als nachdem, der Wagen abgefahren ist.« –

»Prächtig, prächtig!« – rief Karl. – »Was kann nur darin sein? – Wie lange Georg mit dem Wagen fort bleibt! – ich wünsche, wir könnten die Päckchen schon öffnen!« –

»Aber dann werden unsere Eltern fort sein, und sie sind so gütig. – O, Karl, ich hoffe, wir werden während ihrer Abwesenheit recht gut sein.« –

»Das hoffe ich auch. Ich will Dir Etwas sagen, Mia, Du mußt Acht auf mich geben, und wenn Du bemerkst, daß ich Lust habe, etwas Unartiges zu thun, ein ganz klein Bischen Unartiges, – so mußt Du es nicht zulassen. – Sage Nichts, denn das macht mich zuweilen böse. – Du mußt mir ein Zeichen geben! – Warte, – wenn Du zum Beispiel solch ein Gesicht wie dieses machen möchtest, – so würde ich Dich verstehen.« –

»Mein lieber Karl, ich fürchte, ich werde solch ein Gesicht nicht machen können, aber ich will es versuchen und Du mußt mir dafür versprechen, es zu beachten. – Du erinnerst Dich wohl, als wir in York waren, machte ich beim Mittagsessen alle Arten von Gesichtern, denn Du aßest zu viel Kirschtorte, – aber es half Nichts.« –

»Ich weiß, – es half Nichts, – aber diesmal soll es helfen, – nur muß es das rechte Gesicht sein, – keines, das mich ärgert. Uebe es jetzt nicht ein, denn siehe, Georg fährt vor und wir müssen zu den Eltern laufen.« –

Es war ganz gut, daß Spat nicht lange geduldig stehen wollte, sonst weiß ich nicht, wenn die Reisenden fortgekommen wären. Nicht allein, daß alle Hausbewohner um sie versammelt waren, sondern auch Leute aus dem Dorfe kamen um Abschied zu nehmen, und viele Aufträge waren auch noch zu geben. Mama wiederholte Kitty immer wieder und wieder, wer im Dorf krank war und wer Sago und wer Grütze und wer Gelée nöthig haben würde, und dann mußte sie nothwendig den Kindern noch einmal sagen, daß sie nicht mit Feuer spielen, nicht zu viel Obst essen, nicht in den Teich fallen, auch nicht auf die Mauern klettern sollten, und diesmal unterbrach Papa sie nicht, denn er hatte vollauf mit den Paketen zu thun, die alle auf das Rückgesäß des Wagens kommen sollten. – Endlich schlug Spat hinten aus und nun wußten Alle, daß abgefahren werden mußte. Der Vater nahm die Zügel in die Hand und Spat riß so eilig aus, daß Mama nur zwei Kußhände zuvor machen konnte, ehe der Wagen um die Ecke bog – – und fort waren sie! –

Kitty und Georg gingen ruhig zu ihrer Arbeit, während die Kinder noch einen Augenblick schweigend in's Weite starrten. – Mia's Gesichtchen sah etwas traurig aus, aber es heiterte sich augenblicklich auf, als Karl sagte: »Nun, fort in's Arbeitszimmer, – laß sehen, was in den Päckchen ist!« –

Welch ein Vergnügen es ist, ein Paket aufzumachen, wenn man die Hoffnung hat, etwas recht Hübsches darin zu finden! – Zuweilen ist freilich das Vergnügen des Auspackens das Beste dabei, aber so war es hier nicht! Herr und Frau Merton hatten den Inhalt wohl gewählt, es waren Dinge, die Mia und Karl recht nöthig hatten. –

»O sieh her, Mia,« rief Karl, »ein Messer mit drei Klingen und Nägel und Papier und ein Bohrer, das habe ich mir Alles gewünscht, und noch ein Buch mit dem Titel: Robert und Friedrich. – Es handelt von Knaben, Schulknaben, – o das ist herrlich!« –

»Mein Buch,« – sagte Mia, – »handelt von Mädchen, es heißt: Mary und Florenz, – es sieht sehr interessant aus, und dann dies Zeichnenbuch und diese Schachtel mit Bleifedern! – Du mußt sie mir anschneiden, Bruder, mit Deinem neuen Messer! – Aber was ist das? – Noch ein ganz kleines Buch, apart in Papier gewickelt. – Es ist für uns Beide und da steht geschrieben, daß wir es sogleich lesen sollen, wenn die Eltern fort sind – ehe wir irgend etwas Anderes vornehmen.« –

»Dann laß uns anfangen. Wie Kitty sich wundern wird, wenn wir den ganzen Morgen uns ruhig verhalten! Wir wollen uns hier an's Fenster setzen, und Du kannst lesen, während ich Deine Bleifedern anspitze.« –

Der Fenstersitz war zum Lesen sehr angenehm, er war es an einem heißen Tage, wenn ein sanftes Lüftchen Jasmin- und Rosenduft durch das offene Fenster wehte, und war es noch mehr, dachte Mia, in der Dämmerstunde an einem Winterabende, ehe die Lichter angezündet wurden. – Dann glühte der Widerschein des Kaminfeuers so schön auf dem weißen Schnee draußen oder auf dem mit Reif bezogenen Grasplatze. –

Es dauerte ein Weilchen, bis sie in Ordnung waren, aber dann ging es an's Lesen und die Geschichte interessirte sie so sehr, daß Keines von ihnen sprach, bis sie geendigt hatten. – Sie hieß: Heinrich's Ferien. – Als Mia zu Ende war, sagte sie: »Karl, ich weiß sehr wohl, warum Papa uns gerade jetzt das Buch gegeben hat und warum wir es lesen sollten, bevor wir irgend etwas Anderes vornähmen, – er wünschte, daß wir überlegen möchten, wie wir am Besten unsere Ferien zubrächten. – Du siehst, wie unglücklich dieser Heinrich war, weil er Nichts zu thun hatte, und besinnst Du Dich wohl, daß wir das letzte Mal, als unsere Eltern fort waren, fast ebenso unglücklich waren? – Ich zerriß so viele Kleider, daß ich nachher während eines ganzen Monats meine Lesezeit hergeben mußte, um sie auszubessern, und Du schnittest Dich in die Hand und tratst in eine Mistgabel und wir zerbrachen unsern Schiebkarren und unser Geduldsspiel und zerrissen den Einband des neuen Atlas. Es wäre sehr gut, wenn wir dies Mal etwas recht Vernünftiges zu thun wüßten.« –

»Ja, etwas recht Großartiges, Etwas, das Jedermann in Erstaunen setzen möchte. – Das möchte mir Vergnügen machen!« –

»Mir auch, aber ich denke, wir können schwerlich etwas sehr Großartiges, sehr Erstaunenswerthes thun und Du weißt, der Knabe in der Erzählung verlor alle seine Zeit, weil er so viele schwere Dinge anfing und keines zu Ende bringen konnte.«

»Ja, aber er war träge und albern und wir sind nicht so, wie er. – Laß einmal sehen! – Wie wäre es, wenn wir das Stück alter Mauer, an dem Ende der Bleiche niederrissen und es frisch aufbauten? – Du weißt, was es Mama immer für Angst macht und wie oft Papa davon spricht, es ausbessern zu lassen!« –

»Ja, aber Karl, wir würden einen Monat dazu brauchen, nur um es niederzureißen und wir haben nur eine Woche. – Denke nur an die großen Steine und dann, wo würden wir den Mörtel herbekommen? – Nein, es ist ganz unmöglich, ich versichere Dich.« –

»Nun denn, sollen wir die Aepfel einsammeln und sie in der Apfelkammer sortiren? – Erinnerst Du Dich noch, welch eine Arbeit das gab im vorigen Jahre, obgleich wir noch zwei Frauen aus dem Dorfe zur Hilfe hatten? Ich weiß noch ganz wohl, als wir zu Ende damit waren, sagte Kitty: Nun liegt ein gut Stück Arbeit hinter uns.« –

»Das würde sie jetzt nicht sagen, denn es ist noch nicht die rechte Zeit, die Aepfel sind ja noch ganz unreif. Außerdem könnten wir sie ohne Kitty gar nicht sortiren, und Georg würde uns nicht die Leiter geben.«

»Dann erdenke Du Etwas, Mia, ich weiß nichts Anderes.« –

»Ich habe schon an Etwas gedacht, an Etwas, das wirklich sehr vernünftig wäre, aber ich fürchte, es wird Dir nicht gefallen, deshalb bitte ich Dich, sieh mich an, während ich davon spreche, denn ich werde jetzt das Erinnerungsgesicht machen. – Ich denke. Unsere Eltern würden sehr erfreut sein, wenn wir während ihrer Abwesenheit ein Wenig mit unserem Lernen fortführen. Mir wird das Rechnen so schwer und deshalb habe ich Lust, jeden Morgen ein Dividirexempel zu machen und auch die Probe dazu und es dann in mein Heft abzuschreiben. Für Dich, Karl, wäre es gut, wenn Du an jedem Morgen während einer halben Stunde die Regeln der Syntax lerntest, welche Papa angemerkt hat und von denen er sagt, er fürchte, Du werdest sie niemals ganz verstehen. Wie froh würde er sein, wenn Du sie ihm bei seiner Rückkehr ohne Stottern hersagen könntest! Ich will Dich so oft überhören, als Du nur immer wünschest.« –

Karl's Gesicht wurde roth, als er das Wort: Regeln der Syntax hörte, aber er sprach nicht gleich und das war ein gutes Zeichen. – Endlich sagte er: »Mia, Du hast nicht das rechte Gesicht gemacht, sondern eins, das mich sehr ärgern muß. – Aber ich habe mich zusammen genommen und ich will nicht verdrießlich sein. – Es ist sehr langweilig, daß Du einen so unangenehmen, vernünftigen Vorschlag gemacht hast. – Ich mag ihn nicht leiden, aber ich sehe ein, daß es ein guter ist und daß er den Eltern gefallen möchte, deshalb will ich, – ja ich will es thun und ich werde diesen Nachmittag anfangen!« –

»Das ist recht, Karl, und natürlich braucht das noch nicht die »gewisse« Arbeit zu sein, ich sagte nur eine Arbeit. Wir werden uns vielleicht noch etwas sehr Hübsches ausdenken. Es wird uns einfallen, wenn wir gelernt haben werden. Ich habe schon bemerkt, daß wir selten streiten oder Dummheiten bei unserem Spiel machen, wenn wir fleißig gewesen sind.« –

Wenn Karl erst einmal den Entschluß gefaßt hatte, Etwas was ihm unangenehm war zu thun, so war er klug genug es gleich zu thun, aus Furcht, sagte er, daß seine Güte fortschmelzen möchte. – Gleich nach dem Essen ging er mithin an seine Lateinische Grammatik, Mia nahm ihre Rechentafel und Beide begaben sich nach ihren sogenannten Lernwinkeln. Sie hatten einen im Garten für den Sommer und einen im Hause für den Winter und für Regentage. Während die Kinder lernen, will ich Euch die Plätze beschreiben.

Mia's Gartenwinkel war ein kleines Plätzchen am Ende der Bleiche, wo ein großer Stein von dem Mauersims gerade in den Schatten des Heuschobers hingerollt war. – Es lag Heu genug umher, um für ihre Füße eine trockene Unterlage davon zu machen, und der alte bemooste Stein gab einen guten Sitz ab. Der Heuschober war hinter ihr und verbarg ihr Haus und Landstraße, also Nichts, was dort vorging, konnte sie von ihrem Buche zerstreuen. Wenn sie aufsah, sah sie nur die niedrige eingefallene Mauer, die den Bleichplatz von dem Felde trennte, das weiche, nach dem Flusse abschüssig gehende Gras, die grasenden Schafe und die Hirsche, welche aus dem Walde kamen, um aus dem Flusse zu trinken. –

Karl hatte sich einen Apfelbaum im Obstgarten erwählt, er streckte seine Zweige nach allen Richtungen aus und Karl hatte sich darin nicht weniger als fünf Zimmer gemacht. Da war ein Gedichtzimmer, von dem aus er den Hof sehen konnte, und das Hintergebäude und auch die Straße, die nach der hintern Hausthüre führte, denn er liebte es, ein Wenig um sich zu sehen, wenn er Gedichte lernte, es war seine leichteste und angenehmste Arbeit. – Da war ein Geographiezimmer, von dem aus er nur in den Hof sehen konnte, ein Rechnenzimmer und ein Geschichtszimmer, und recht in der Mitte des Baumes, wo die Blätter am dicksten waren, befand sich die Lateinische Grammatikstube, da, – er mochte noch so sehr zur Trägheit geneigt sein, – konnte er Nichts als grüne Blätter und sein Buch sehen. – In diese beste aller Lehrstuben setzte er sich jetzt und bald zog ihn sein Buch so sehr an, ja es ist möglich, daß selbst die Lateinische Grammatik anziehend wird, wenn man sie mit Fleiß studirt, daß er gar nicht eher an's Hinabsteigen dachte, als bis Mia ihm von Unten zurief. Da schwang er sich von Zweig zu Zweig und war in einem Augenblick bei ihr: »Sechs alte Regeln und eine neue,« – sagte er, »was denkst Du dazu, Mia? – Ich will sie Dir aussagen, ehe wir zu Bette gehen. – Du weißt, Papa liebt nicht aufgewärmte Lektionen. – Aber was hast Du da im Korbe?« –

»Etwas, was Du gerne sehen wirst. – Kitty rief mich eben in die Küche; sie ist mit uns sehr zufrieden, weil wir den ganzen Tag so ruhig waren, und weil sie mit dem Reinmachen der Zimmer zu thun hat, so erlaubt sie uns, unser Abendbrot draußen wo es uns gefällt zu essen. Sieh nur, was sie uns gegeben hat: Eine Flasche mit Milch und all das Butterbrot und zwei große Stachelbeerkuchen! – Wo wollen wir es essen? – Auf dem Gipfel des Kauklas, oder im alten Steinbruche oder im Herrenhause?« –

»Im Herrenhause, natürlich! – Wenn der lange Herr, der vorigen Sonntag in der Kirche war, hineingezogen sein wird, dann werden wir nicht mehr in den Gärten und in den Zimmern umherlaufen dürfen, wie wir jetzt thun. – Daher laß uns, wenn es dunkel wird, noch einmal Versteck auf dem alten Platze spielen, – es ist vielleicht das letzte Mal.« –


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