Selma Lagerlöf
Gösta Berling
Selma Lagerlöf

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Gösta Berling, der Poet

Es war Weihnachten und auf Borg sollte ein Ball stattfinden.

Um diese Zeit wohnte ein junger Graf Dohna auf Borg; er war neuvermählt und hatte eine junge, schöne Gemahlin. Es sollte schon lustig hergehen in dem alten Grafenschloß!

Auch nach Ekeby war eine Einladung gelangt, aber es stellte sich heraus, daß von allen denen, die in diesem Jahr dort Weihnachten feierten, Gösta Beding, »der Poet«, wie man ihn nannte, der einzige war, der Lust hatte, sich nach Borg zu begeben.

Borg und Ekeby liegen beide an dem langen Löfsee, aber auf den gegenüberliegenden Ufern. Wenn der See gefroren ist, ist es nur eine Reise von zwei Meilen von Ekeby bis nach Borg.

Der arme Gösta Berling wurde zu diesem Fest von den alten Herren ausgerüstet, als sei er ein Königssohn, der die Ehre eines Königreichs zu vertreten habe. Neu war der Frack mit den blanken Knöpfen, steif das Jabot und glänzend die Lacklederschuhe. Er bekam einen Pelz vom feinsten Biberfell und eine Zobelmütze auf sein blondes, lockiges Haar. Sie breiteten ein Bärenfell mit silbernen Klauen über den Einspännerschlitten und spannten den schwarzen Don Juan, den Stolz des Stalles, davor. Er pfiff seinem weißen Tankred und ergriff die geflochtenen Zügel. Jubelnd fuhr er von dannen, umgeben vom Glanz des Reichtums und der Pracht, er, der schon ohnedem hinreichend strahlte in der körperlichen Schöne und den reichen, glänzenden Geistesgaben.

Er fuhr am frühen Vormittag. Es war Sonntag, und er hörte den Gesang aus der Broer Kirche erschallen, als er daran vorüberfuhr. Dann schlug er den einsamen Waldweg ein, der nach Berga führte, wo Hauptmann Uggla damals wohnte und wo er zu Mittag zu bleiben gedachte.

Berga war nicht eines reichen Mannes Heim. Der Hunger kannte den Weg zu des Hauptmanns grassodengedecktem Hause, aber er ward mit Scherzen empfangen, mit Gesang und Spiel unterhalten wie andere Gäste und ging ungern wie sie.

Die alte Mamsell Ulrika Dillner, die der Küche und der Webstube auf Berga vorstand, hieß Gösta Berling auf der Treppe willkommen. Sie knickste, und die falschen Locken, die ihr in das braune Gesicht mit den tausend Runzeln hingen, tanzten vor Freude. Sie führte ihn in den Saal hinein und fing an von den Bewohnern des Gutes und den unsicheren Verhältnissen zu sprechen.

Kummer und Sorge ständen vor der Tür, sagte sie; harte Zeiten herrschten auf Berga. Sie hätten nicht einmal Meerrettich zu dem gesalzenen Fleisch am Mittag, aber Ferdinand und die Mädchen hätten Disa vor einen Schlitten gespannt und seien nach Munkerud gefahren, um ein wenig zu leihen. Der Hauptmann sei wieder in den Wald gegangen und käme vermutlich mit einem zähen Hasen heim, der mehr Butter zum Braten erfordere, als er selber wert sei. Das nenne er Essen fürs Haus schaffen. Das ginge aber noch allenfalls, wenn er nur nicht mit einem jämmerlichen Fuchs käme, dem elendesten Tier, das der liebe Gott erschaffen, gleich unbrauchbar, mag er nun tot oder lebendig sein!

Und die gnädige Frau – ja, die war noch nicht aufgestanden. Sie lag im Bett und las Romane, wie sie es jeden Tag zu tun pflegte. Sie war nicht zum Arbeiten geschaffen, diese Engelsunschuld!

Nein, das überließ man den Alten, im Dienst Ergrauten, so wie sie es war. Tag und Nacht war man auf den Beinen, um nur die Brocken zusammenzuhalten. Und das war nicht so ganz leicht. Einen ganzen Winter hindurch hatten sie wahrhaftig keine andern Fleischspeisen im Hause gehabt als einen einzigen Bärenschinken. Und einen großen Lohn erwartete sie nicht; bisher hatte sie noch nicht das Geringste davon gesehen, aber man würde sie wohl auch nicht auf die Landstraße hinauswerfen, wenn sie einmal nicht mehr fürs tägliche Brot arbeiten könnte. Hier im Hause betrachtete man die Wirtschafterin wie einen Menschen und würde der alten Ulrika schon ein ehrliches Begräbnis gönnen, falls Geld genug da sei, um einen Sarg zu kaufen.

»Denn, wer weiß, wie es werden soll!« rief sie, sich mit der Schürze über die Augen fahrend, die stets so leicht übergingen. »Wir schulden dem bösen Gutsherrn Sintram Geld, und er kann uns alles nehmen. Nun ist ja Ferdinand mit der reichen Anna Stjärnhök verlobt, aber sie wird seiner überdrüssig, sie wird seiner überdrüssig. Und was soll nun aus uns werden mit unsern drei Kühen und unsern neun Pferden, mit unsern fröhlichen jungen Fräulein, die von einem Ball zum andern fahren wollen, mit unsern dürren Äckern, wo nichts wächst, mit unserm guten Ferdinand, aus dem nie im Leben ein Mann wird! Was soll aus diesem ganzen Hause werden, wo alles gedeiht, die Arbeit ausgenommen?«

Aber es wurde Mittag und die Hausbewohner versammelten sich. Der gute Ferdinand, der sanfte Sohn des Hauses und die munteren Töchter kamen mit dem geborgten Meerrettich heim. Der Hauptmann kam, erfrischt durch ein Bad in einer Wake des Sees und durch die Jagd im Walde. Er riß das Fenster auf, um frische Luft zu bekommen, und reichte Gösta die Hand mit warmem Druck. Und die gnädige Frau kam in seidenem Kleide mit breiten Spitzen über den weißen Händen, die sie Gösta gnädigst zum Kuß reichte. Alle begrüßten Gösta mit Jubel, Scherz und Lachen kam in den Kreis hineingeflogen. Fröhlich fragte man: »Wie lebt ihr denn auf Ekeby, wie sieht es aus in dem gelobten Lande?«

»Dort fließt Milch und Honig«, erwiderte er. »Wir entleeren die Berge allen Eisens und füllen unsere Keller mit Wein. Die Äcker tragen Gold; damit vergolden wir das Elend des Lebens, und unsere Wälder fällen wir, um Kegelbahnen und Lusthäuser zu bauen.«

Frau Uggla aber seufzte und lächelte über die Antwort, ihren Lippen entschwebte ein einziges Wort: »Poet!«

»Viele Sünden habe ich auf dem Gewissen«, erwiderte Gösta, »nie aber habe ich eine Zeile Poesie geschrieben.«

»Du bist trotzdem Poet, Gösta, den Spitznamen hast du nun einmal weg. Du hast mehr Gedichte erlebt, als unsere Dichter geschrieben haben.«

Später sprach Frau Uggla sanft wie eine Mutter zu ihm über sein vergeudetes Leben. »Ich werde es sicher noch erleben, dich zum Manne heranreifen zu sehen«, sagte sie. Und es erschien ihm süß, sich von dieser milden Frau vorwärts treiben zu lassen, die eine so treue Freundin war und deren starkes, schwärmerisches Herz vor Liebe zu großen Taten entbrannte.

Als sie aber die muntere Mahlzeit beendet und das Meerrettichfleisch und den Kohl und die Waffeln verzehrt und das Weihnachtsbier getrunken hatten, als Gösta sie durch seine Erzählungen von dem Major und der Majorin und dem Pfarrer zu Broby zum Weinen und Lachen gebracht hatte, vernahm man plötzlich Schellengeläute im Hofe, und gleich darauf trat der böse Sintram bei ihnen ein.

Er strahlte vor Vergnügen von seinem kahlen Scheitel bis hinab zu den langen, breiten Füßen.

Er schlenkerte mit seinen langen Armen und schnitt Grimassen; man sah es ihm auf den ersten Blick an, daß er als Träger schlechter Nachrichten kam.

»Habt ihr es gehört?« fragte der Böse, »habt ihr es schon gehört, daß Anna Stjärnhök und der reiche Dahlberg heute zum erstenmal in der Svartsjöer Kirche aufgeboten sind? Sie muß es vergessen haben, daß sie mit Ferdinand verlobt ist.«

Sie hatten kein Wort davon gehört. Sie waren erschrocken und traurig.

Sie sahen im Geiste schon ihr Heim geplündert, damit ihre Schulden an den bösen Mann bezahlt werden konnten, sie sahen ihre geliebten Pferde verkauft und ebenso die alten Möbel, ein Erbe aus dem Kindheitsheim der Mutter. Sie sahen das Ende des fröhlichen Lebens mit Festen und Fahrten von Ball zu Ball. Der Bärenschinken würde wieder auf ihrem Tische stehen und die Jungen mußten zu fremden Leuten in den Dienst gehen. Die Mutter streichelte ihren Sohn zärtlich und ließ ihn eine nie versiegende Liebe empfinden.

Doch da saß Gösta Beding mitten zwischen ihnen, und dem Unüberwindlichen gingen tausenderlei Pläne durch den Kopf.

»Ei was!« rief er, »noch ist es keine Zeit zum Jammern. Die Pfarrerin in Svartsjö hat die ganze Sache gemacht. Sie hatte Anna ganz in ihrer Gewalt, seit sie bei ihr auf dem Pfarrhof wohnt. Sie hat sie dazu gebracht, Ferdinand im Stich zu lassen und den alten Dahlberg zu nehmen, aber noch sind sie nicht getraut, und es soll auch nichts daraus werden. Jetzt fahre ich nach Borg, und dort treffe ich Anna. Ich will mit ihr reden, ich will sie den Pfarrersleuten, dem Bräutigam schon abspenstig machen. Ich bringe sie über Nacht hierher; dann soll der alte Dahlberg keine Freude mehr von ihr haben.«

Und so geschah es. Gösta fuhr allein nach Borg, ohne eins der munteren Fräulein, aber geleitet von den heißen Wünschen der Zurückbleibenden. Und Sintram, der frohlockte, daß der alte Dahlberg angeführt werden sollte, beschloß, auf Berga zu bleiben, um Göstas Rückkehr mit der Treulosen abzuwarten. In einem Anfall von Wohlwollen hüllte er ihn sogar in seinen grünen Reiseschal – ein Geschenk von Mamsell Ulrika selber.

Frau Uggla aber kam mit drei rot eingebundenen Büchern auf die Treppe hinaus.

»Nimm die«, sagte sie zu Gösta, der schon im Schlitten saß, »nimm die und behalte sie, wenn du kein Glück haben solltest. Es ist Corinna, Madame de Staëls Corinna; ich möchte nicht gern, daß die Bücher unter den Hammer kämen.«

»Ich habe stets Glück!«

»Ach, Gösta, Gösta«, sagte sie und strich mit der Hand über sein entblößtes Haupt, »du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! Wie lange wirst du daran denken, daß das Glück von uns armen Menschen in deiner Hand ruht!«

Abermals flog Gösta über die Landstraße dahin, gezogen von dem schwarzen Don Juan, gefolgt von dem weißen Tankred, und das Bewußtsein des bevorstehenden Abenteuers erfüllte seine Seele mit Jubel.

Er fühlte sich wie ein junger Eroberer; der Geist war über ihm. Sein Weg führte ihn am Pfarrhofe zu Svartsjö vorüber. Er fuhr dort vor und fragte, ob er Anna Stjärnhök nicht zum Balle fahren dürfe. Ja, das dürfe er. Ein schönes, eigensinniges Mädchen stieg zu ihm in den Schlitten. Wer wäre nicht gern mit dem schwarzen Don Juan gefahren!

Anfangs waren die Jungen schweigsam, dann aber begann die Unterhaltung, trotzig wie nur der Übermut sie eingibt.

»Hast du gehört, Gösta, was der Pfarrer heute von der Kanzel verlesen hat?«

»Hat er gesagt, daß du das schönste Mädchen zwischen dem Löfsee und dem Klareelf seiest?«

»Du bist dumm, Gösta. Das wissen die Leute auch ohnedem. Nein, er hat mich und den alten Dahlberg aufgeboten.«

»Weiß Gott, hätte ich das gewußt, so würde ich dich nicht aufgefordert haben, dich zu mir in den Schlitten zu setzen! Darauf kannst du dich verlassen!«

Und die stolze Erbin antwortete: »Ich wäre auch wohl ohne Gösta Berling nach Borg gekommen.«

»Es ist doch eigentlich schade um dich, Anna«, sagte Gösta nachdenklich, »daß du weder Vater noch Mutter hast. Nun bist du, wie du bist, und man darf es nicht so genau mit dir nehmen.«

»Es ist weit mehr schade, daß du das nicht früher gesagt hast, dann hätte mich ein anderer fahren können.«

»Die Pfarrerin denkt wie ich, daß du eines Mannes bedarfst, der dir zugleich den Vater ersetzen kann, sonst hätte sie dich wohl nicht mit so einer alten Kracke eingespannt.«

»Die Pfarrerin hat nichts damit zu tun.«

»Großer Gott, hast du selber dir den schönen Mann ausgesucht?«

»Der nimmt mich wenigstens nicht des Geldes wegen.«

»Nein, die Alten sehen nur auf blaue Augen und rote Wangen, und Narren sind sie, daß sie das tun.«

»Ach, Gösta, du solltest dich schämen!«

»Bedenke aber, daß du fortan nicht mehr mit den jungen Männern spielen darfst. Mit Tanz und Spiel ist's nun vorbei. Du gehörst in die Sofaecke – oder vielleicht ziehst du es vor, eine Partie Rabouge mit dem alten Dahlberg zu spielen?«

Dann saßen sie stumm da, bis sie die steilen Hügel bei Borg hinauffuhren.

»Ich danke dir für die gütige Beförderung. Es soll nicht so bald wieder geschehen, daß ich mit Gösta Berling fahre.«

»Danke bestens! Ich kenne mehr als einen, der es bereut hat, mit dir zum Fest gefahren zu sein.«

Ein wenig milder als sonst trat die trotzige Schöne in den Tanzsaal und überschaute die versammelten Gäste.

Zu allererst erblickte sie den kleinen kahlköpfigen Dahlberg neben dem hohen, schlanken, blondlockigen Gösta Berling. Sie hatte die größte Lust, sie beide zur Tür hinauszujagen. Ihr Verlobter kam, um sie zum Tanz aufzufordern, aber sie empfing ihn mit höhnischem Staunen.

»Willst du tanzen? Seit wann pflegst du zu tanzen?«

Und die jungen Mädchen kamen, um sie zu beglückwünschen.

»Verstellt euch doch nicht, Kinder! Ihr glaubt doch unmöglich, daß man sich in den alten Dahlberg verlieben kann? Aber er ist reich, und ich bin reich, deswegen passen wir zueinander.«

Die alten Damen kamen auf sie zu, drückten ihr die weiße Hand und sprachen von dem höchsten Glück des Lebens.

»Gratuliert der Pfarrerin«, erwiderte sie. »Die freut sich mehr darüber als ich.«

Aber dort stand Gösta Berling, der muntere Kavalier, mit Jubel begrüßt ob seines frischen Lachens und seiner schönen Worte, die Goldstaub über das graue Einerlei des Lebens streuten. Nie zuvor hatte sie ihn so gesehen wie an diesem Abend. Er war kein Verstoßener, kein Verworfener, kein heimatloser Spaßmacher, nein, ein König war er unter Männern, ein geborener König.

Er und die andern jungen Männer verschworen sich gegen sie. Sie sollte Muße haben, darüber nachzudenken, wie übel sie daran getan, daß sie sich mit ihrem schönen Gesicht und ihrem großen Reichtum an einen alten Mann weggeworfen hatte. Und sie ließen sie zehn Tänze hindurch sitzen.

Ihr Blut kochte vor Zorn.

Als der elfte Tanz begann, kam ein Mann, der Geringste unter den Geringen, einer, mit dem niemand tanzen wollte, und forderte sie auf.

»Das Bier ist getrunken, jetzt kommt die Bärme«, sagte sie.

Dann spielte man Pfänderspiele. Blondlockige junge Mädchen steckten die Köpfe zusammen und verurteilten sie, den zu küssen, der ihr der Liebste sei. Und lächelnden Mundes warteten sie auf das Schauspiel, wie die stolze Schöne den alten Dahlberg küssen würde. Sie aber erhob sich stolz in ihrem Zorn und sagte: »Darf ich nicht lieber demjenigen eine Ohrfeige geben, den ich am wenigsten leiden kann?«

Einen Augenblick später brannte Göstas Wange unter ihrer festen Hand. Er wurde dunkelrot, ergriff ihre Hand, hielt sie eine Sekunde fest und flüsterte: »Warte in einer halben Stunde unten im roten Saal auf mich.«

Seine blauen Augen strahlten auf sie herab und umschlossen sie mit magischen Banden. Sie fühlte, daß sie gehorchen mußte.

Dort unten empfing sie ihn mit Stolz und bösen Worten.

»Was geht es Gösta Berling an, mit wem ich mich verheirate?«

Er hatte noch keine freundlichen Worte auf der Zunge, auch erschien es ihm noch nicht ratsam, gleich von Ferdinand zu reden.

»Ich meine nicht, daß die Strafe, dich zehn Tänze über sitzenzulassen, zu groß war. Aber du willst die Freiheit haben, ungestraft Eidschwüre und Versprechungen zu brechen. Hätte ein besserer Mann als ich das Strafgericht in die Hand genommen, so hätte er es härter handhaben können.«

»Was habe ich dir und euch allen getan, daß ihr mich nicht in Frieden lassen könnt? Nur des Geldes wegen verfolgt ihr mich. Ich will es in den Löfsee werfen, mag es da auffischen, wer Lust hat.«

Sie barg ihr Antlitz in den Händen und weinte vor Zorn.

Da ward das Herz des Poeten gerührt. Er schämte sich seiner Härte. Seine Stimme ward zärtlich.

»Ach, Kind, Kind, verzeih mir! Verzeih dem armen Gösta Berling! Niemand kehrt sich daran, was so ein Lump sagt oder tut, das weißt du ja. Niemand weint über seinen Zorn; man könnte ebensowohl über den Stich einer Mücke weinen. Es war Wahnsinn – aber ich wollte es verhindern, daß sich unser schönstes und reichstes Mädchen mit dem Alten verheiratete. Und nun habe ich nichts erreicht, als dich zu betrüben.«

Er setzte sich neben sie ins Sofa. Leise legte er seinen Arm um ihre Taille, um sie mit zärtlicher Fürsorge zu stützen und aufzurichten. Sie entzog sich ihm nicht. Sie schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals und weinte, ihr schönes Haupt an seine Schulter gelehnt.

Ach, Poet, du Stärkster und Schwächster unter den Menschen! Nicht an deinem Halse sollten diese weißen Arme ruhen!

»Wenn ich dies gewußt hätte, so würde ich niemals den Alten genommen haben, heute abend erst habe ich dich kennengelernt, niemand ist wie du!«

Zwischen bleichen Lippen aber drängte Gösta ein Wort hervor: »Ferdinand!«

Sie brachte ihn mit einem Kuß zum Schweigen.

»Er ist nichts! Niemand außer dir ist etwas. Dir will ich treu sein!«

»Ich bin Gösta Berling«, erwiderte er finster, »mit mir kannst du dich nicht verheiraten.«

»Dich liebe ich, dich, den ersten unter allen Männern! Du brauchst nichts zu tun, nichts zu sein. Du bist ein geborener König.«

Da wallte das Blut des Poeten auf. Sie war schön und liebreizend in ihrer Liebe. Er schloß sie in seine Arme.

»Wenn du die Meine werden willst, kannst du nicht auf dem Pfarrhof bleiben. Laß mich dich diese Nacht nach Ekeby fahren, dort werde ich dich schon zu verteidigen wissen, bis wir Hochzeit halten können.«

Es ward eine berauschende Fahrt in jener Nacht. Sie beugten sich dem Gebot der Liebe und ließen sich von Don Juan entführen. Es war, als wenn das Knirschen des Schnees unter den Schlittenkufen die Klage des Betrogenen sei. Was kehrten sie sich daran? Sie hing an seinem Halse, und er beugte sich zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Kann sich eine Seligkeit mit gestohlenem Glück vergleichen?«

Das Aufgebot – was hatte das zu bedeuten? Sie hatten Liebe. Und der Zorn der Menschen? Gösta Berling glaubte an das Schicksal. Das Schicksal hatte sie bezwungen, gegen das Schicksal kann niemand streiten. Wären die Sterne Hochzeitslichter gewesen, die zu ihrer Hochzeit angezündet waren, wären Don Juans Schellen Kirchenglocken gewesen, die die Leute zu ihrer Hochzeit mit dem alten Dahlberg zusammenriefen – sie hätte dennoch mit Gösta Berling fliehen müssen. So mächtig ist das Schicksal! – – –

Sie waren glücklich und wohlbehalten am Pfarrhof zu Munkerud vorübergekommen. Sie hatten noch eine halbe Meile bis Berga und eine zweite halbe Meile bis Ekeby zurückzulegen. Der Weg führte am Waldesrande entlang, rechts von ihnen lagen dunkle Berge, links ein langes, weißes Tal.

Da kam Tankred herangestürzt. Er lief, als läge er der Länge nach am Boden. Heulend vor Angst sprang er in den Schlitten und verkroch sich zu Annas Füßen.

Don Juan zog mit einem Ruck an und sprang im Galopp dahin.

»Wölfe!« sagte Gösta Berling.

Sie sahen einen langen grauen Strich, der sich am Waldessaum entlang bewegte. Es waren mindestens ein Dutzend.

Anna erschrak nicht. Der Tag war reich an Abenteuern gewesen, und die Nacht versprach, ihm darin nicht nachzustehen. Das war Leben! So über die schimmernde Schneefläche dahinzusausen, den wilden Tieren und den Menschen trotzend.

Gösta stieß einen Fluch aus, beugte sich vornüber und versetzte Don Juan einen scharfen Schlag mit der Peitsche.

»Fürchtest du dich?« fragte er. »Sie schlagen einen Richtweg ein und werden uns dahinten, wo die Landstraße eine Biegung macht, einholen.«

Don Juan sprang und lief um die Wette mit den wilden Tieren des Waldes, und Tankred heulte vor Wut und Angst. Sie erreichten die Krümmung des Weges gleichzeitig mit den Wölfen, und Gösta trieb den ersten mit der Peitsche zurück.

»Ach, Don Juan, mein Junge, wie leicht könntest du zwölf Wölfen entfliehen, wenn du uns Menschen nicht zu schleppen hättest!«

Sie banden den grünen Reiseschal hinten am Schlitten fest. Die Wölfe wurden davor bange und hielten sich eine Zeitlang in einiger Entfernung. Als sie aber ihre Furcht überwunden hatten, sprang einer von ihnen mit lang heraushängender Zunge und weit geöffnetem Rachen auf den Schlitten zu. Da nahm Gösta Madame de Staëls Corinna und warf es ihm ins Maul.

Abermals hatten sie eine kleine Ruhepause, während die Tiere ihre Beute zerrissen, und abermals fühlten sie die Rucke, wenn die Wölfe an dem grünen Reiseschal zerrten, und der kurze hastige Atemzug der wilden Tiere drang an ihr Ohr. Sie wußten, daß sie vor Berga an keiner menschlichen Wohnung vorüberkamen, aber es erschien Gösta weit schlimmer als der Tod, denen ins Auge sehen zu sollen, die er betrogen hatte. Er sah auch ein, daß das Pferd ermüden würde, und was sollte dann aus ihnen werden?

Da ward das Bergaer Haus am Waldesrande sichtbar. In den Fenstern brannten Lichter. Gösta wußte sehr wohl, wem sie galten.

Doch nun flüchteten die Wölfe, bange vor der Nähe der Menschen, und Gösta fuhr an Berga vorüber. Er kam aber trotzdem nicht weiter als bis zu der Stelle, wo der Weg sich wieder in den Wald verliert; da erblickte er eine dunkle Gruppe vor sich – die Wölfe warteten auf ihn.

»Laß uns nach dem Pfarrhof umwenden, wir können ja sagen, daß wir eine kleine Spazierfahrt im Sternenschein gemacht haben. Dies geht nun und nimmer gut.«

Sie wandten um, aber im nächsten Augenblick war der Schlitten von Wölfen umringt. Graue Gestalten glitten an ihnen vorüber, die weißen Zähne schimmerten in den weit aufgerissenen Rachen, die funkelnden Augen leuchteten. Sie heulten vor Hunger und Blutdurst. Die schimmernden Zähne waren bereit, sich in das weiche Menschenfleisch zu hauen. Die Wölfe sprangen an Don Juan in die Höhe und hängten sich in dem Geschirr fest. Anna dachte darüber nach, ob die Bestien sie mit Haut und Haar verzehren oder ob sie wohl ein wenig von ihnen übriglassen würden, und ob wohl die Leute am nächsten Morgen zernagte Gebeine in dem niedergetretenen, blutigen Schnee finden würden.

»Jetzt gilt es unser Leben«, sagte sie, beugte sich herab und ergriff Tankred beim Nacken.

»Laß das, es nützt nicht! Nicht des Hundes wegen sind die Wölfe über Nacht unterwegs.«

Damit fuhr Gösta auf den Bergaer Hof ein, aber die Wölfe verfolgten ihn bis an die Treppe. Er mußte sich ihrer mit der Peitsche erwehren.

»Anna«, sagte er, als er an der Treppe hielt. »Gott wollte es nicht. Mach nun eine gute Miene dazu, wenn du das Mädchen bist, für das ich dich halte, hörst du.«

Drinnen hatten sie das Schellengeklingel gehört und kamen heraus.

»Er hat sie!« riefen sie. »Er hat sie! Gösta Berling soll leben!« Und die Gäste taumelten aus einer Umarmung in die andere.

Es wurden nicht viele Fragen gestellt. Die Nacht war weit vorgeschritten, die Reisenden waren überwältigt von ihrer gefährlichen Fahrt und bedurften der Ruhe. Es genügte ja, daß Anna da war.

Alles war gut. Nur Corinna und der grüne Reiseschal, Mamsell Ulrikas wertvolles Geschenk, waren vernichtet.

 

Das ganze Haus schlief. Da stand Gösta Berling auf, kleidete sich an und schlich hinaus. Unbemerkt zog er Don Juan aus dem Stall, spannte ihn vor den Schlitten und wollte sich davonmachen. Da kam Anna Stjärnhök aus dem Hause.

»Ich hörte dich fortgehen«, sagte sie. »Da stand ich auf. Ich bin bereit, mit dir zu fahren.«

Er trat an sie heran und ergriff ihre Hand.

»Verstehst du es denn noch nicht? Es kann nicht sein. Gott will es nicht. Hör mich an und versuche, mich zu verstehen. Ich war heute mittag hier und sah, wie sie über deine Treulosigkeit jammerten. Da fuhr ich nach Borg, um dich zu Ferdinand zurückzuführen. Aber ich bin stets ein erbärmlicher Wicht gewesen und werde nie mehr etwas anderes. Ich verriet ihn und behielt dich für mich. Hier ist eine alte Frau, die glaubt, daß noch einmal ein Mann aus mir werden kann. An ihr habe ich ehrlos gehandelt. Und eine andere arme Alte will hier frieren und hungern, nur um zwischen Freunden sterben zu können, ich aber war nahe daran, sie vom bösen Sintram heimführen zu lassen. Du warst schön, und die Sünde war süß. Gösta Berling ist so leicht zu verlocken.

Ach, was für ein armseliger Schuft bin ich doch! Ich weiß, wie sehr die da drinnen ihr Heim lieben, und doch war ich kurz davor, es der Plünderung preiszugeben. Ich vergaß alles um deinetwillen. Du warst so entzückend in deiner Liebe. Aber jetzt, Anna, jetzt, wo ich Zeuge ihrer Freude gewesen bin, will ich dich nicht behalten. Oh, du meine Geliebte! Der dort oben spielt mit unserm Willen. Jetzt ist es Zeit, daß wir uns unter seine züchtigende Hand beugen. Sag mir, daß du von heute an deine Last auf dich nehmen willst. Alle da drinnen verlassen sich auf dich. Sag, daß du bei ihnen bleiben und ihnen eine Stütze, eine Hilfe sein willst! Wenn du mich liebst, wenn du meinen bittern Kummer erleichtern willst, so versprich mir dies! Meine Geliebte, ist dein Herz so groß, daß es sich selbst überwinden und dabei lächeln kann?«

Sie nahm voller Begeisterung das Gebot des Entsagens hin.

»Ich will tun, wie du willst – mich opfern und dazu lächeln.«

Sie lächelte wehmütig.

»So lange ich dich liebe, werde ich die da drinnen lieben.«

»Jetzt erst weiß ich, welch ein Mädchen du bist. Es ist schwer, von dir zu lassen.«

»Lebe wohl, Gösta! Geh mit Gott. Meine Liebe soll dich nicht zur Sünde verleiten.«

Sie wandte sich ab, um hineinzugehen. Er gab ihr das Geleite.

»Wirst du mich bald vergessen?«

»Fahre jetzt, Gösta. Wir sind nur Menschen.«

Er sprang in den Schlitten, da aber kehrte sie zurück.

»Denkst du nicht an die Wölfe?«

»Freilich denke ich an die. Aber die haben ihren Nutzen getan. Mit mir haben sie diese Nacht nichts mehr zu schaffen.«

Noch einmal streckte er die Arme nach ihr aus, Don Juan aber ward ungeduldig und sprang an. Er griff nicht nach den Zügeln. Er saß hintenübergelehnt und schaute zurück. Dann beugte er sich über den Rand des Schlittens und schluchzte wie ein Verzweifelter.

»Ich habe das Glück besessen und es von mir gestoßen. Weswegen hielt ich es nicht fest?«

Ach, Gösta Berling! Du Stärkster und Schwächster unter den Menschen!

 


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