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Kanton Waadt

Die Schlangenkönigin.

»Sie sonnt sich, sie schläft ... schnell, wir schlagen sie tot
Mit unsren genagelten Stangen!« –
»Nein, nein!« – schreit die Kleine, und weckt die bedroht –
»Wer tötet ungiftige Schlangen?
Ein Prinz, ein verwunschnes Prinzeßchen kann's sein!« –
Die Buben hohnlachen, schon schwirrt ihr ein Stein.

Da pfeift's ... hei, wie regt sich's auf einmal am Rain!
Wie rischelt's und raschelt's in Blättern
Von Schlangen, dicht hinter den Raufbolden drein,
Wie fliehn sie mit Jammern und Zetern!
Wie jubelt die Kleine: »Frau Schlange ich bitt',
Komm heim, nimm ein Tröpfelchen Süßmilch, nimms mit!« –

Zwei oder drei Jahre! Das Kindchen wird groß,
Die Schlange, sie sonnt sich im Garten:
Wann kommt sie? Wann leg ich ihr 's Köpfchen in Schoß?
Lang muß auf mein Töpfchen ich warten!
Da trägt man ein Totes geschmückt aus der Tür;
Die Schlange, was sucht sie aus Steinen herfür?

Laut schluchzt schon die Kleine: »Frau Schlange, du weißt,
Der Vater, die Brüder verdarben;
Frau Schlange, Frau Schlange, nun sind wir verwaist!
Die Mutter, die Liebe, sie starben.« –
Da ringelt sich's an sie mit sanftem Gekos,
Und spielt ihr ein silbernes Herzchen in' Schoß.

Die Schlange wird alt, doch zur Jungfrau erblüht
Das Mägdlein. Wiß, einer der Knaben
Vom Schlangenrain werbend sich um sie bemüht,
Sie mag ihn zum Ehherrn nicht haben.
Zudringlicher wird er. »Frau Schlange, ich fleh,
Zu Hilfe! Bleib immer in schützender Näh!« –

Da ringelt die Schlange sich mächtig herein,
Und schreckt ihn vom frevelnden Küssen;
Sie wachen, sie schlafen von Stund an zu Zwein,
Sie fürchten sie müssen es büßen.
»Frau Schlange, Frau Schlange, wie wird mir so weh ...
Ein Ringlein von Gold? Ei, woher? Was ich seh!« –

Wär's möglich, verrät eine Fraue die Frau?
Ja! Die sie zum Schutz sich genommen
Wird treulos! Die Schlange, sie merkt es genau,
Kein Tür und kein Riegel mag frommen.
Vom Dach schleicht ein Böser so sacht, o so sacht ...
Die Schlange zischt, zischt, bis ihr Liebling erwacht.

Die Schlange umringelt ihr langsam den Leib,
Umringelt von unten bis oben
Mit schützender Liebe das zitternde Weib;
Schon will er den Dolchstock erproben,
Da stürmt ein Berittner um Obdach bergan,
Die Jungfrau, die Schlange, sie tuen's ihm an.

Bald lagern zu Dritt sie im dorrenden Gras,
Die Jungfrau, der Reiter, die Schlange,
Und sagen sich dies und erträumen sich das,
Und lauschen dem Grillengesange:
»Frau Schlange, Frau Schlange, was stiehlst dich davon?
Kehr bald, kehr mir heim mit der bräutlichen Kron!« –

Lang bleibt heut die Schlange, schleppt mühsam wie nie
Am Goldreif von funkelnden Steinen,
Schleppt sterbend sich heim an der Zärtlichen Knie;
Sanft stillt er ihr trostloses Weinen:
»Tief stieg sie ums Brautdiadem dir hinab,
Tief, tief, in der stolzesten Römerin Grab!«

 

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