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Kanton Thurgau

Ulrich von Singenberg.

1219.

»Hinaus! Hinauf zum jungen Wald!
Der Väter Burg wird viel zu eng!
Mir ist, als ob die Brust mir spräng
Sobald des Kuckucks Ruf erschallt;
Mir spräng vor Lust nach Luft und Schwingen,
Mir ist, die Seele möchte singen!« –

Doch wie er irrt die Kreuz und Quer,
Durch Dorn und Busch in dumpfem Drang,
Und lauscht der Vöglein erstem Sang,
Dem Knaben sinket zentnerschwer
Auf alle Glieder, alle Sinnen,
Sein hoffnungsloses Frühlingsminnen.

Was treibt ihn um? Was lockt und drängt
Ihn vorwärts ohne Ruh und Rast?
Im Suchen knickt er Ast um Ast,
Dran hoffend Blüt an Blüte hängt;
Ihm ist, als ob ihn etwas riefe
Aus ferner, dunkler Waldestiefe.

Er sucht und weiß nicht wo, nicht was,
Und findet nichts, das ihn beglückt,
Und wirft – als wie sich selbst entrückt –
Sich 'wo in einer Lichtung Gras,
Lauscht einem Ruf aus Waldesschweigen,
Bis Schlaf ihm träufelt von den Zweigen.

Auf einmal sieht er sich im Kreis
Von Wundern: schaut die hehrste Frau,
Gekleidet in des Himmels Blau,
Umkniet von Jungfraun lilienweiß;
Dahinter, aufrecht, Kraftgestalten
Von Dichtern, welche Rollen halten.

Horch, Einer liest! ... Sie lächelt hold,
Als säng er ihr aus Herzensgrund,
Kein Läublein lispelt mehr im Rund,
Die Verse glühn wie Sonnengold.
Drauf singt ein andrer neue Weisen,
Die Manche tadeln, Wen'ge preisen.

Andächtig horcht die stolze Frau,
Und bessert da, und schlichtet dort
Wo sich ein Streit erhebt ums Wort,
Und prüft den Sinn und prüft den Bau;
Begeisterung durchströmt ihr Wesen
Und faßt, die sie sich auserlesen.

Klingt ihre Stimme nicht vertraut
Wie Märchensang aus Kinderzeit?
Und doch so weltentrückt, so weit,
Weit weg als dort der Himmel blaut?
Ihm ist, als ob's ihn sehnend riefe
Aus seiner eignen Herzenstiefe.

Auf einmal scherzt sie: »Meine Treun,
Was ruht dort für ein blonder Knab?
Als hofft er – wie vom Zauberstab –
Vom Traum ein köstliches Erneun?« –
»Ein Grünfink, pha! lohnt's ihn zu stören?
»Ihr Herrn, den möcht ich schlagen hören!« –

Kaum spricht sie's aus, erwacht er jäh
Am Aufschrei zwiegespaltner Brust;
Er ringt und ringt mit Weh und Lust
In eines fremden Zaubers Näh:
Denn ach! wie dürft's ihm also glücken
Mit eignem Lied sie zu berücken?

Aufblickt er scheu zu ihr um Rat,
Und schaut sie nirgends ... stürzt wie tot
Vom Traum in bittrer Wahrheit Not,
Stürzt von der Hoffnung gähem Grat,
Stürzt, wie aus lichten Baumeskronen,
In Höhlen, wimmelnd von Dämonen.

Erst als er sich des Leids ermannt,
Wacht der entrückten Fraue Bild
Im Herzen wundertätig mild
Ihm auf, und ganz ihn an sich bannt;
Und lehrt ihn heimlich fühlen, singen.
Was lebt und webt in Erdendingen.

Und solche Minne kürt ihn bald
Zum liebsten Mann im Gau der Thur;
Er singt und singt der Liebe Flur,
Der Liebe frühlingsduftgen Wald:
»Von Liebeslust und Liebesleiden
Mag ihn sein eigner Wunsch nicht scheiden.«

 

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