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Kanton Graubünden

Der letzte Burgvogt von Hohenrhätien.

15...

»Mein Leibroß gezäumt, mein Leibroß gezäumt!« ...
»Gestrenger Vogt, erwacht!« –
»Vom rhätischen Ahnherrn hab ich geträumt
Nach frech durchzechter Nacht,
Den schlottrigen Knien, dem bleiernen Kopf
Leibhaftig kam er für« ...
»Seht hin, Vogt! Euch rast es vom Tal her« – »Du Tropf,
Mein Leibroß vor die Tür!

Er ging mir vorbei als kenn er mich nicht,
Er bog wie am Altar
Sein Knie vor der Sonne güldenem Licht,
Zu Häupten stieg sein Aar ...
Und hab ich verjaßt, und hab ich verpraßt,
Was segnend er bestellt ...
Hochrhätien halt ich!« ... »Seht hin, Vogt, wie rast
Das Volk, das Ihr geprellt!« –

»Geprellt? Ei, so war's zum Letzten!« ... »Im Saal
Die Jungfrau, Ihr vergeßt!« –
»Die Jungfrau wird heut mein Ehegemahl!« ...
»Das Gut, das Ihr erpreßt!« –
»Das Gut zahl ich heim mit Güte und Recht« ...
»Bedenkt das Blut, das floß!« –
»Ruf Gast und Gesind bis zum untersten Knecht,
Geh, sattle mir mein Roß!« ...

»Die Diener, die Knechte sind alle entflohn,
Die Gäste, Herr, voraus!
Die Freunde, die Zecher wichen dem Drohn
Der Talschaft still nach Haus.
Sie rafften, dieweil berauscht Euer Sinn,
Viel Gut Euch von den Höhn;
Eh denn sie verteilten den schnöden Gewinn,
Flammt auf die Burg im Föhn.

Mit Gabeln und Stangen ziehn sie bergauf,
Mit Sense, Axt und Pech,
Zu Hunderten! Nicht durchbrecht Ihr den Hauf,
Ist Euer Mut auch frech!
Vergebens wohl gäbt dem Roß Ihr den Sporn,
Triebt's kreuz und quer die Krumm;
Verkleidet Euch bäurisch! Blindäugigem Zorn
Führ ich Euch um und um!« –

»Verlassen vom Freund, von Feinden umgarnt ...
Und hält ihr Sold dich hier,
Zück keck deinen Dolch! Du, der mich gewarnt,
Nicht zucken will ich dir!« ...
»Schön schmück ich das Roß, schön schmücke ich mich
Zum Fest des Todes, Herr!« –
»Mein Freund, du mein einzig getreuer, ich, ich ...
Du tust mir große Ehr!

Ich wag einen wild verwegenen Tanz,
Hab schaurig kühnen Mut;
Heut kreist mir der Ahnen leuchtender Glanz
Wie Feuerschein im Blut.
Mein Leibroß, hab Dank! Am Abgrunde frei
Kommt noch die Treu zusamm'!
Die Felswand hinunter da zieht's mich wie Blei« ...
»Daß Gott der Herr verdamm!« –

»Die Zügel los, Schurke!« ... »Freund, so verschlaft
Erst Euren Teufelsrausch!« –
»Zum Henker denn, stirb! am Herzblut gestraft! ...
Wohlauf, mein Roß, zum Tausch!
Ans Leben den Tod, die Nacht an das Licht
Gewagt! Auf Rheinesgrund,
Die Sonne des Ahnherrn, schau, lächelt sie nicht
Mit purpurglühndem Mund?

Ans ruhmvolle Ende trägt uns ein Satz,
Kein Bäumen hilft dir jetzt!
Am Herzen der Sonne winkt mir ein Platz,
Kühn in den Fluß ge...setzt!« ...
Umsonst, daß das Roß den Rhätier wild
Seitab zu werfen sucht!
Er spornt's in die Lüfte, ein ehernes Bild,
Spornt's in die Todesschlucht.

 

□ □ □ □

Die Geisterweihe.

1720.

»Vier weltvergeßne Türme ragen
Aus lindengrüner Einsamkeit;
Die Stürme und die Zeiten jagen
Sich drum, die Türme stehn gefeit.
Und zwischen den Türmen in Reihen von Zimmern,
Hörst du's flüstern, siehst du's schimmern?«

»Wo mag zumeist das Pochen frommen?« –
»Es frommt nicht da, es frommt nicht dort;
Das Tor springt auf, nur nicht beklommen!
Hinein, hinauf, ich weiß den Ort!
Zu Zeiten – so heißt es – entsteigen den Rahmen
Rings gemalte Herrn und Damen.«

»Ich hör's schon trippeln, seh's schon schleppen,
Die Säbel schleifen wie vordem;
Es flirrt von Krausen, Orden, Schneppen,
Und buntgesteintem Diadem
Im flimmernden Mondschein ... was ist's, das sie tragen?« –
»Töt den Zauber nicht mit Fragen!

Sie schreiten klagend durch die Räume,
Treppauf, treppab! Dem Loggiengang
Vorbei, dem Flügelroß der Träume,
Deß Schwingen rauschen von Gesang;
Durch Bogen mit Wappen, vom kriegrischen Stande
Gott geweiht und Vaterlande.

Sie ziehen durch das Tor der Rosen,
– Das mit der Purpurblume Glut
Umzog der letzte ihrer Sproßen,
Und fragen: Diebstahl oder Blut? –
Sie ziehen durch blumige Wiese zur Linde:
Hör uns, Feld- und Waldgesinde!

Das teure Bild in unsrer Mitte
Vom letzten Lebenden des Stamms,
Tagüber ward mit frechem Schnitte
Dem Holz entwendet, Gott verdamm's!
Schaut her, schaut den grausam verstümmelten Rahmen!
Elemente, rächt den Samen!

Ihr all erfuhrt sein sorgend Handeln,
Erfuhrt sein Wirken, segensheiß
Wie einer Sonne fruchtbar Wandeln;
Luft, Wasser, Feuer, schließt den Kreis!
Der Alle geliebt hat und Alle verstanden,
Forscht, wie kam sein Bild abhanden?« –

»Was saust, was braust es in den Lüften?
Was rauscht's im Wald, was rauscht's im Feld,
Was regt sich in den Felsenschlüften,
Was raunt ringsum die nächtge Welt?
Was rückt auch der Mond dort, der leuchtende Späher,
An die Türme voller, näher?«

»Er scheint und scheint. Da sehn sie schreiten
Den ihre Seele klagend sucht,
Die Hände breiten in die Weiten
Und seltsam segnen Halm und Frucht.
Dort beugt er sich winkend ob ragenden Zinnen:
»Schlüpft getrost zum Saale drinnen!

Ich selbst vernichtete dem Rahmen
Mein Bild an Eurer Ahnenwand,
In meines Schmerzes heilgem Namen,
Mit meiner qualdurchzuckten Hand;
Hier rang ich und siegte, und zog keinen Erben
Unsrer Siege, und ... will sterben.« –

Horch! Nun am Turm ein Singen, Singen:
Wir jauchzen deines Menschseins Qual,
Die dich das Schwerste hieß vollbringen,
Und uns erlöst vom Bann im Saal;
Wir streben gleich dir aus beengendem Rahmen,
Leb dem Geisteserben, Amen! –

Ha, Blitz und Rauch! ... Der Vorzeit Riesen,
Vier Türme äschern Flammen ein!
Ringsum ein flüsterndes Zerfließen
In Luft und duftgen Mondenschein.
Der Letzte des Stammes entrafft sich ins Freie,
Ihn verklärt die Geisterweihe.«

 

□ □ □ □

Es heißt ...

1630.

Sie lebt im halb verfallnen Saal,
Im lang verfärbten Seidenkleide,
Es heißt: vor Spiegeln und Geschmeide,
Es heißt: in ihres Irrsinns Qual.

Es heißt: weil sie ein heilig Glück
In eitlem Uebermut zertreten,
Müß sie zu ihren Spiegeln beten,
Und bete nie den Fluch zurück. –

Nur eine treue Seele wacht
Ob ihren grau gewordnen Haaren.
(Die sie als jung gekannt vor Jahren
Versanken tief in Grabesnacht.)

Nur hie und da umschwankt den Rand
Des Vorhangs, spät beim Kerzenschimmer,
Ihr Schattenbild, ein fremd Geflimmer
Geht aus von Haupt und Brust und Hand.

Dem Veit, dem flimmert's im Gehirn,
Dem sengt's den Schlaf, seit er's gesehen.
Er jauchzt: »Mir könnt' ein Glück geschehen,
Erlösung ihr, hätt' ich die Stirn!« ...

Er hat die Stirn! Er knebelt den,
Den Gott zum Hüter ihr erkoren,
Und sieht sie, in sich selbst verloren,
Traumselig vor dem Spiegel stehn.

Er will ihr Blut ... und sieht sie ganz
Versunken in ein selig Schauen;
Zwei wundersame Augen blauen
In eines fernen Glückes Glanz.

Er naht ... er streift vom Finger schnell
Den Ring, der von Rubinen funkelt:
»Ging's ohne Mord?« ... Sie staunt, sie munkelt,
Wie wem versagt der Sprache Quell.

Er löst ihr Halsgeschmeide gut!
Sie fleht umsonst mit Blick und Händen;
Er schaut des Diademes Blenden
Und schaudert der Juwelen Glut.

Er hebt's vom schlichten Haar; ein Laut,
Ein unverständlich Wortelallen,
Bis dumpf und klar die Silben hallen:
Weh, du beraubst des Glückes Braut!« –

Er taumelt fort mit einem Schrei:
Zwei irr gewesne Augen stehen
Im Spiegel, wie er's nie gesehen,
Zwei Augen, Hölle, steh ihm bei!

Zwei Augen, dämmernd vom Verstand,
Den sie in Qualen einst verloren;
Er wird ihr jählings neugeboren,
Heimkehrt sie aus der Selgen Land;

Vom Wahn des Glücks zu Qualen heim ...
Ihn faßt ein jammerndes Entsetzen,
Er stürzt von ihr und ihren Schätzen,
Im Herzen der Verzweiflung Keim.

Ihm glüht ihr dämmernd Augenlicht
Bei Nacht und Tag, auf Weg und Stegen,
Im Mond- und Sonnenschein entgegen,
Bis er dem Fluch zusammenbricht.

 

□ □ □ □

Nachbar Ringfinger.

Still, still! Daß der kleine Finger nicht schmält,
Ihr kleiner Finger der mir's erzählt:

»Zwei haben auf einem Stühlchen gesessen,
Zwei haben aus einem Schüsslein gegessen,
Zwei haben in einem Bettlein geschlafen,
Zwei teilten den Lohn, Zwei teilten die Strafen;

Zwei hüpften hinaus an sonnige Halde,
Zwei pflückten die roten Beeren im Walde,
Zwei steckten einand' ins Mäulchen die süßen,
Zwei spitzten die Kindermäulchen zum Küssen;

Zwein ist die Vakanz im Himmel verflossen,
Zwei haben ›auf ewig‹ Freundschaft geschlossen;
Zwei scheidende Mägdlein, tränende Dinger,
Zwei steckten einander ein Ringlein an Finger« ...

Still, still! Daß ihr kleiner Finger nicht schmält,
Der's nur insgeheim vom Nachbar erzählt,
vom Nachbar Ringfinger:

»Zwei blieben sich treu in Nähe und Ferne,
Zwei wuchsen zu Jungfrauen, wuchsen nicht gerne –
Da kam schon als Freier, kam voll Verlangen
Zu Einer von Zwein der Dritte gegangen.

Leis sprach er zur Lieben Schönes und Gutes
Voll Zauber und Bann, daß freudigen Mutes,
Daß still sie vom vierten Finger zum fünften,
Mir, zuschob der Kindheit Ringlein in Zünften.

Stolz ließ ich das Licht erglühn in den Steinen,
Da rief er: ›Der Ring tut messingen scheinen,
Die Steine sind falsch! Fort, fort damit, Holde,
Trag nur meinen Ehring von güldenem Golde!‹« –

Still, still! Daß der kleine Finger nicht schmält,
Ihr kleiner Finger, der mir's erzählt:

»Da zeigt sie der Freundschaft güldene Treue,
Den Edelrubin, sie zeigt ihn aufs Neue:
›Nichts Aechteres glänzt, nichts Reinres auf Erden!‹ ...
Er lacht ihrer freien, stolzen Geberden.

Da schabt sie am Ehring, schabt mit Gelingen
Das Gold bis aufs Blei ab, schabt, läßt ihn springen!
Da schiebt sie zum vierten Finger vom fünften,
Ihr Ringlein von mir zurück in Vernünften:

»Zwei haben auf einem Stühlchen gesessen,
Zwei haben aus einem Schüsslein gegessen,
Zwei wollen in einem Grabstättlein liegen,
Als einige Seele gen Himmel auffliegen« ...

Still, still! Daß ihr kleiner Finger nicht schmält,
Der mir's insgeheim vom Nachbar erzählt,
vom Nachbar Ringfinger.

 

□ □ □ □


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