Isolde Kurz
Hermann Kurz
Isolde Kurz

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Treue

(Aus »Tristan das Kind«)

Ein Tempel ist die Menschenwelt,
Lebende Säulen zum Bau gestellt,
Ein Wunderwerk in Fug' und Schluss,
Beharrend unter stetem Fluss,
Ja, eines Gottes Tempelhaus,
Allein tieflabyrinthschen Bau's:
Die Sonne blickt auf Dach und Zinnen
Mit ewig heitrem Licht, doch innen
Da dehnt sich's nächtlich, grenzenlos,
Und Grauen wohnt in seinem Schoss.
Dumpf brütet ein Gespenstertraum,
Von Opfern stöhnt's im öden Raum,
Und wo ein scheues Tageslicht
Ein nächt'ger Blitz das Dunkel bricht,
Da grinsen Schemen schreckumstarrt
Aus Vorzeit und aus Gegenwart.
Schwach dämmert nur der Hallen eine
Von eines ew'gen Lämpchens Scheine,
Der ruht auf ernsten, traurig milden,
Auf friedlich freundlichen Gebilden,
Auf heitrem kühnem Lebenspiel,
Wonach der Schattenhände viel
Aus Wänden, dunklen Ecken langen,
Feindlich das Gotteslicht zu fangen:
Und die dem lichten Gotte brennt,
Die reine Lampe, wer sie kennt,
Der weiss, sie füllt sich stets aufs neue,
Sie lischt nicht aus, ihr Nam' ist Treue. 289
Treue fürwahr! ein Wunder seht,
Das uralt, immer neu ergeht:
Wie wenig, wenig gibt es deren,
Die diese heilige Lampe nähren,
Und doch, so war's von Anbeginn,
Reicht allezeit das Häuflein hin,
Die kleine Flamme still erfrischt
Zu wahren, dass sie nicht erlischt,
Dass nicht der Tempel, dess Gefüge,
Zernagt vom Nachtgewürm der Lüge,
Sich einzig noch zusammen hält
In Kraft des Lichts, zu Trümmern fällt.
O wachse, wachse, tapfre Schar!
O werde Lichtlein gross und klar
Zur Geistersonne, brich durch und schein'
In all dies lebende Gestein,
Dass von dem alten Bann befreit
Die urbestimmte Herrlichkeit
Sich mög' aus Nacht zum Tag entfalten,
Der Gott im ganzen Tempel walten!

    Die Treue hat verschiednen Weg:
Sie wandelt hohen Wolkensteg,
Sie geht auf schlichter leiser Spur
Und ist doch Eine Treue nur.
Der Held, der Denker, Dichter, Lehrer,
Des Volks-, des Menschenhortes Mehrer,
Sie steigen rauhe Felsenbahn,
Der mehr, der minder steil hinan;
Denn süss ist's, wie vor Alters, noch,
Die Brüder rettend aus dem Joch
Im Kampf das Leben hinzugeben,
Viel bittrer meist für sie zu leben,
Doch Treue schreitet stracks einher,
Fragt nicht, ob leidlich oder schwer,
Ob schnell, ob langsam hingeschlachtet,
Gepriesen oder unbeachtet: 290
Was sie als recht, als schön erkannt,
Wofür als heilig sie entbrannt,
Dem bringt sie auf dem Opferherd
Sich selbst und was ihr lieb und wert.
Tief unter ihr das Haschen, Laufen
Der Welt, ihr Kaufen und Verkaufen,
Verlodert sie in Todesglut –
Und diese Treu ist gross und gut.

    Die andre lässt ihr Segenswehn
Von Menschen still zu Menschen gehn,
Daran aufs neu der Glaub' erstarkt,
Dass nicht ein blosser Krämermarkt
Das Leben sei; und dieser Glaube
Weckt manchen Keim aus totem Staube.
Zwei Menschen auf des Zufalls Pfad
Begegnen sich zur Edeltat,
Den Druck des Lebens in den Mienen,
Eis bis zur Stunde zwischen ihnen,
Und leuchtend plötzlich wird der Bund
Des urverwandten Wesens kund.
Oft löscht, wie Flugsand, das Getriebe
Der Erdenmühn die Spur der Liebe;
Oft wirkt auch nur ein treulich Wort
Zur guten Stunde fort und fort
Und kann in immer weitern Kreisen
Die Nachwelt noch mit Segen speisen.
Doch ist's die Freundestreu zumeist
Die hier der Flug des Liedes preist,
Die seltne, die ein Märchen scheint,
Doch keine Fabel ist. Sie weint
Am Sarg des Freunds, zu dessen Seite
Sie schritt im Frieden wie im Streite,
Nicht leere Tränen. Sie belebt
Des Freundes Asche, wirkt und strebt
Für seine Sache sorgenschwer,
Als ob's die eigne Sache wär', 291
Entsagt der Ruh', dem Lebensglück,
Zieht hin und schaut nicht mehr zurück.
Und klanglos führt sie ihr Werk ans Ziel,
Nicht achtend, ob's der Welt gefiel,
Nicht fragend, ob dereinst Geschichte,
Ob Sehermund ihr im Gedichte
Erteilen wird den Ruhmessold, –
Und solche Treu ist schön und hold. 292

 


 


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