Isolde Kurz
Hermann Kurz
Isolde Kurz

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Vorwort

Zwischen dem Anfang dieses Buches und seiner Vollendung liegen schwere persönliche Erlebnisse, die die Ausführung über Gebühr verzögert haben. Zwei Brüder, auf deren Mitwirkung und Teilnahme an der Wiedererweckung der gemeinsamen Vergangenheit ich vor allem gerechnet hatte, wurden rasch nacheinander gänzlich unerwartet vom Gipfel des Lebens weggerissen. Die dadurch veranlassten äusseren Veränderungen, mehrmaliger Ortswechsel und endliche Aufgabe eines langjährigen Wohnsitzes haben die Arbeit wiederholt aufs einschneidendste unterbrochen. Bei diesen jähen Umwälzungen ging von den seit lange gesammelten Notizen manches Wertvolle verloren, während zugleich die Durchsicht alter Truhen und vergessener Schubfächer unvermutet neues Material zu Tage brachte, das die Umarbeitung der schon geschriebenen Kapitel gebieterisch forderte. So wanderten diese Aufzeichnungen mit mir von Ort zu Ort, immer verfolgt von den unerwartetsten äusseren Hindernissen, dass es fast schien, als ob der Unstern, VIII der über meines Vaters Leben waltete, noch einmal aufgegangen sei um auch das Zustandekommen dieser Erinnerungen an ihn zu hintertreiben. Erst auf einem einsamen Strandgebiet des tyrrhenischen Meeres, abgeschnitten von den literarischen Hilfsmitteln und fast ganz auf mein Gedächtnis angewiesen, gelang es mir schliesslich, sie zu Ende zu führen mit einer Eile, die nur noch darauf bedacht war, neuen Störungen zuvorzukommen. Dies möge die von mir selber am stärksten empfundene Unvollständigkeit des Buches erklären. Auch auf eine letzte Ausrundung musste ich verzichten, da die erste Hälfte sich schon im Druck befand, während die zweite geschrieben wurde.

Man suche auf diesen Blättern keine erschöpfende literarische Biographie; eine solche lag von vornherein nicht in meiner Absicht, sie ist Aufgabe des Literarhistorikers. Mir lag es vor allem ob, die menschliche Erscheinung des Dichters festzuhalten, wie sie durch Erinnerung und Überlieferung in meiner Seele haftet, und ich bin auch den kleinsten Zügen nachgegangen, eingedenk der Worte des alten Plutarch, dass oft eine Anekdote, ein Wort, eine überlieferte Geste für das Bild einer Persönlichkeit bezeichnender ist, als eine Staatsaktion.

Auffallen dürfte es dem Leser, dass von dem Punkte an, wo meine eigene Erinnerung einsetzt, die Gestalt meines Vaters nicht lebendiger hervortritt, vielmehr sich hinter der Familiengruppe IX teilweise fast verbirgt. Dies ist zum geringsten Teile Schuld der Schreiberin. Gerade für die Zeit, die ich mit erlebt habe, geht mir der greifbare Stoff der Darstellung aus. Es war die Zeit nach seinem Rücktritt aus der Öffentlichkeit, wo sein Wesen sich auf den innersten Brennpunkt zusammenzog. Ein langer Monolog, das war sein Leben, so lange ich ihn kannte, er unterbrach ihn auch nicht um zu uns zu reden. Die schweigende Macht seiner fast unpersönlichen Gegenwart aber konnte ich nicht anders zeichnen, als in der Umgebung, auf die sie, wenn auch nur leise, wirkte, vor allem in uns selbst, seinen Kindern. Aus diesem stark vortretenden Rahmen, in dem ich sein Bild einzig gekannt habe, konnte und wollte ich es nicht ablösen. Ein emporragender Mensch steht ja nicht allein im Universum, auch seine Angehörigen sind ein Teil von ihm. Und wie man aufwärts in der Ahnenreihe gerne die Züge verfolgt, die sein Wesen gebildet haben, ist es vielleicht nicht ohne Interesse, ihnen auch einmal in der absteigenden Linie noch weiter nachzugehen. An Hermann Kurz ist das landläufige Axiom, wonach ein bedeutender Vater unbedeutende Söhne haben muss, zu Schanden geworden: den glänzendsten Gegenbeweis hat mein Bruder Edgar geliefert. Ihn vor allem, der soviel begeisterte Liebe hinterlassen hat, wird man, hoffe ich, nicht ungern in seiner Knabengestalt hier wiederfinden; ich habe mich darum auch nicht gescheut zu erzählen, wie sich der Most X zuweilen absurd gebärdet hat, der hernach einen so edlen Wein ergeben sollte. Es war des Zusammenhangs wegen unvermeidlich, dass manches von mir anderswo erzählte hier wiederholt und erweitert wurde.

Den grössten Dank für geleistete Hilfe schulde ich der Güte des Herrn Prof. Hermann Fischer in Tübingen, der mir ein reiches von ihm gesammeltes Material an Briefen für meine Zwecke zur Verfügung stellte. Ohne diese Papiere wäre meine Kenntnis vom Leben meines Vaters unzusammenhängend geblieben. Einzelne charakteristische Züge haben mir Jugendbekannte von ihm geliefert, denen ich nicht mehr danken kann. Für die späteren Jahre dienten mir dann und wann Aufzeichnungen, die meine Mutter noch zu seinen Lebzeiten gemacht hat. Von ihr, die in ungetrübter Geistesfrische bei mir lebt, konnte ich kein höheres Zeugnis ablegen, als, indem ich überall die reine historische Wahrheit erzählte, auch wo ich in der Auffassung der Dinge von ihr abweiche.

Das Leben eines Dichters zu schreiben ist keine lohnende Aufgabe. Denn den Stoff, aus dem der handelnde Mensch äusseres Leben aufbaut, verwendet der Schaffende zu seinen geistigen Gebilden. Was für den Biographen übrigbleibt, ist dann meist nur ein für die Darstellung wenig dankbarer Rest, der zudem weniger den Dichter selbst, als die Zeit, in der er gelebt hat, charakterisiert. Dies gilt in besonders hohem XI Grad von meinem Vater. Wen also der hier geschilderte Lebensgang nicht befriedigt, der greife zu des Dichters Werken. In ihnen findet er seine wahre Welt, die Welt, für die er geboren war, mit allem Glanz und aller Fülle, um die das Leben ihn betrogen hat.

Forte dei Marmi, im Dezember 1905.

 


 


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