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7. Der Herr der Erde.

Unsere drei Freunde befanden sich in einem Zimmer, dessen Wände mit kostbaren Teppichen tapeziert waren, und dessen Möbel ausschließlich aus Polstern und Kissen bestand. Sie saßen mit untergeschlagenen Beinen um einen runden Tisch, der kaum drei Zoll hoch vom Boden abstand, und der von schwarzen Dienern gleich mit Speisen besetzt hereingetragen worden war.

Die Mahlzeit bestand hauptsächlich aus Reis, Hammel- und Rindfleisch, auf verschiedene Art zubereitet, und die Stelle des Tischtuches vertrat ein großer Fladen aus Durramehl, von dem man nach Belieben abriß, so daß hier also auch das Tischtuch aufgegessen wurde.

Es muß besonders erwähnt werden, daß dieses merkwürdige Tischtuch aus Brotteig gebacken, sowie der Reis und das Hammelfleisch gekocht oder gebacken war. Bei dem Rindfleisch war dies nämlich nicht der Fall. Das Rindfleisch wird in Abessinien ausschließlich roh verzehrt, geklopft oder geschabt oder auch gleich so, wie es vom geschlachteten Tiere kommt. Daß man Rindfleisch kocht und bratet, ist in Abessinien gänzlich unbekannt – so unbekannt wie bei uns in Deutschland, daß man den Salzhering erst bratet, was wiederum in England allgemein üblich ist. Ländlich, sittlich!

An dieser Mahlzeit nahm noch ein vierter teil, ein alter, würdiger Negerherr, der sich den in dem steinernen, recht ansehnlichen Palast aufgenommenen Gästen als Rasol Harrot ben Imam vorgestellt hatte. Ras bedeutete Fürst, Rasol kleiner Fürst oder Graf. Nicht nur vorgestellt hatte er sich, sondern sich auf höheren Befehl den Gästen auch zur Verfügung gestellt, als Auskunftsbuch, in dem man nach Belieben nachschlagen möchte, und zwar konnte man sich mit diesem Negergrafen, wie man wünschte, in arabischer, englischer oder französischer Sprache unterhalten.

Nobody machte denn auch von dieser Auskunftei ausgiebigen Gebrauch.

Wir wollen hier über Abessinien nur das sagen, was wir für unsere Erzählung unbedingt wissen müssen. Alles andere kann man ja in jedem Konversationslexikon nachlesen.

Es ist eben kein christlicher Wunsch, den der Schreiber dieses hier ausspricht: ›Ich möchte einmal einen Krieg zwischen Abessinien und einer europäischen Macht erleben. Der muß interessant werden!‹

Kommen wird es ja noch einmal dazu. Wenn nicht in diesem Jahrhundert, dann im nächsten. Denn Abessinien ist der Schlüssel zu Aegypten und ganz Ostafrika. Die Kriegsmacht, die sich einmal in Abessinien festgesetzt hat, diktiert von hier aus die Gesetze für ganz Afrika. Deshalb wird es dereinst der Zankapfel für die europäischen Mächte werden. Es geht übrigens schon los. Dieses fortwährende Hinschicken von Gesandtschaften mit Geschenken an den Negus und so weiter, das ist allemal der Anfang von so etwas.

Wer wird der einstige Herr von Abessinien sein? Der Italiener hat schon immer dort unten herumgeschnüffelt und vor dem Negus Komplimente gemacht, hat auch später den erfolglosen Krieg geführt. Aber Italien ist kaum noch ernst zu nehmen. Natürlich wird es wieder der Engländer sein, nachdem er erst den Franzosen kaltgestellt hat.

Erst aber haben! Und wie Abessinien eigentlich erobert werden soll, das ist für den, der die Verhältnisse näher kennt, noch ein Rätsel.

Abessinien ist, mit Ausnahme der Küsten, durchweg ein Gebirgsland. Mag es auch noch so große Ebenen geben, so sind diese doch nur als Hochplateaus zu betrachten. Die Gebirgsformation ist eine ganz eigentümliche, wie man sie sonst nirgends wieder auf der Erde findet, wenigstens nicht in solchem Maßstabe.

Sanft oder auch schroff abfallende Berge gibt es gar nicht. Alles steigt terrassenartig an – Stufen, die man nur auf Leitern überwinden kann. Oder aber Berge, bei denen es überhaupt gar keinen Aufstieg gibt, weil die Wände eben glatt wie die Mauern sind, und oben befindet sich dann stets ein flaches Plateau.

Ein Russe, welcher das Reich des Negus bereist hat, sagte zu dem Schreiber dieses, daß er, als er auf der Elbe zwischen Lilienstein und Königstein hindurchfuhr, sich nach Abessinien zurückversetzt gefühlt habe. Nur daß eben dort noch ganz andere Dimensionen sind, und diese isolierten Tafelberge zählen nach vielen tausenden, das ganze Land ist damit durchsetzt, obgleich selten zwei so nahe zusammenliegen, daß ein modernes Geschütz hinüberträgt, und es gibt solche Tafelberge, deren Plateau einige englische Quadratmeilen umfaßt, während andere nur eine kleine Familie ernähren können.

Denn diese Tafelberge, von den Eingeborenen, Arbas oder Ambas genannt, sind bewohnt. Auf dem einen hausen einige tausend Menschen, auf dem anderen hat, wie schon gesagt, nur eine Familie Platz.

Hier ist dem wissenschaftlichen Forscher ein Problem gegeben. Wie ist auf jeden der himmelhohen Felsen das erste Menschenpaar gekommen? Zu erklimmen oder mit Leitern zu ersteigen gibt es da nichts, es müßten denn ab und zu Eisen eingeschlagen werden, und hiervon ist keine Spur zu bemerken.

Da könnte man fast auf den Gedanken kommen, daß sich auf jedem dieser Felsen die ganze Schöpfungsgeschichte wiederholt hat, sowohl bei den Tieren, welche sich oben befinden, wie bei den Menschen.

Doch wir wollen uns nicht mit solchen Problemen befassen. Es ist auch gar kein selbständiges Menschengeschlecht, welches dort oben haust, sondern es sind dieselben Aethiopier, welche auch unten wohnen. Sie sind eben auf irgendeine Weise dort oben hinaufgekommen.

In Abessinien gibt es eine ganze Menge von Völkerrassen. Die herrschende nennt sich Itjopjavan, woraus wir durch Verdrehung Aethiopier gemacht haben. Nach ihrem eigenen Glauben sind die Itjopjavan direkte Abkömmlinge von König Salomo und der Königin von Saba. Diese soll nämlich jenem jüdischen Don Juan im grauen Barte zwölf Söhne geboren haben, welche erobernd in das ehemalige Muran oder jetzige Abessinien einfielen, wo sie ein schwarzes Volk fanden, welches sie Gallas nannten. Diese Gallas, echte, wollköpfige Neger, bilden noch jetzt die Hauptmasse des unteren Volkes.

Die arabischen Eroberer, welche gar keine Frauen mitbrachten, vermischten sich mit den Gallas, d. h., nahmen Weiber von ihnen zu Frauen, und bemächtigten sich vor allen Dingen dieser unbesteigbaren Tafelfelsen – hier existiert wieder eine Sage von beflügelten Menschen – von wo aus sie das ganze Land beherrschten.

Durch die Vermischung mit den Negerfrauen wurden die Nachkommen der hellbraunen Araber dunkler, und eigentümlich ist es, ganz im Gegensatz zu anderen Völkern, daß das Blut der Aethiopier um so edler gilt, je schwärzer die Hautfarbe ist. Freilich gehört dazu, daß das Haar nicht wollig, sondern schlicht und weich sein muß.

So hausen die herrschenden Itjopjavans noch heute auf den isolierten Tafelfelsen, kommen niemals wieder herunter, brauchen es auch nicht, denn sie haben dort oben alles, was sie zu des Lebens Nahrung und Notdurft bedürfen. Sie züchten dort oben Rinder und Hammel, auf den meilengroßen Plateaus sogar Pferde und Kamele, bauen Weizen, Gerste, Mais, Hirse und Durra, sogar ihren eigenen Tabak, als Gespinstpflanzen Hanf und Flachs, außerdem liefern ihnen ja auch Schaf und Kamel Wolle und Haare, die sie auf primitiven Webstühlen verarbeiten.

Nur eines fehlt ihnen: Salz. Das wird den Herren des Landes auf Strickleitern hinaufgebracht, welche von oben herabgelassen werden. Der Merkwürdigkeit wegen sei erwähnt, daß dieses Salz in ganz Abessinien in Tafeln von bestimmter, vorschriftsmäßiger Größe gepreßt wird; diese Tafeln heißen Taltas – weil das Salz besonders in der Provinz Talta gewonnen wird – und gelten in ganz Abessinien zugleich als Münzen. Geringe Summen werden mit solchen Salztafeln bezahlt, deren jede einen Wert von ungefähr zwei Pfennig hat.

Was aber nun, wenn die Bevölkerung auf einem Tafelberg so wächst, daß das Plateau sie nicht mehr ernährt? Dann müssen die überzähligen Esser herunter. Doch so weit läßt man es gar nicht kommen. Schon alle Kinder, wenn sie geboren werden, und sie versprechen dereinst nicht starke, gesunde Menschen zu werden, werden nach unten gebracht. Ebenso werden jedes Jahr die älteren Männer und Frauen ausgemerzt.

Diese, wie die Kinder wohnen dann im Tiefland unter den anderen gewöhnlichen Sterblichen, allerdings noch immer über den Gallas und den anderen Stämmen stehend, während auf den Tafelbergen nur immer die Elite der Menschheit thront, die stärksten Männer und die schönsten Frauen, und jeder von ihnen ist mindestens ein Rasol, ein Graf, jedes Weib eine Gräfin, und über jeden dieser Tafelberge oder Arbas steht der Ras, der Fürst, so ist jeder dieser isolierten Felsen eine Ritterburg, eine Fürstenburg, und das sagt auch der Name, den wir schon einmal gehört haben – Rassamharra.

Nur eine Ausnahme gibt es, daß der Fürst und der Graf seine Burg verläßt und zum Volke herabsteigt, und das für immer.

Wer das Volk regieren soll, muß auch unter dem Volke wohnen. Der Negus ist der erste Fürst aller Fürsten, ihm stehen alle Samharras unter, aber er selbst kommt niemals wieder auf eine solche hinauf, er residiert in der Hauptstadt seines Landes, sozusagen auf ebener Erde, und dasselbe gilt für die Fürsten der Provinzen und für die Träger aller hohen Würden.

Es ist dies eigentlich eine sehr schöne, gerechte Regierungsform. Denn schließlich könnte doch auch der König auf solch einer unnahbaren Ritterburg hausen, eben in unnahbarer Majestät. Nein, will er König über ein Volk sein, so muß er auch unter diesem Volk wohnen, auf daß jede Stimme sein Ohr erreichen kann.

Denn jeder neue König, jeder Provinzregent wie jeder Graf, der im Tiefland irgendein Amt übernimmt, stammt ursprünglich doch von solch einer Ritterburg, weil die Kinder dieser Würdenträger, gleich in den ersten Wochen ihrer Geburt, wieder auf solch eine Rassamharra zur Erziehung kommen.

Hier werden sie unter sachgemäßer Leitung in allen ritterlichen Künsten ausgebildet. Denn hier oben herrschen noch ganz die Zustände, wie wir sie aus dem mittelalterlichen Ritterleben Europas kennen, haben diese Bewohner der Samharras doch auch sogar noch Schuppen- und Kettenpanzer.

Bedroht Krieg das Land, so steigen die schwarzen Ritter an Strickleitern herab und rücken dem Feinde zu Leibe, sie sind die Anführer des im Tieflande hausenden Kriegsvolkes. Werden sie zurückgedrängt, dann steigt alles, auch die sonst unten wohnenden Menschen, auf die Terrassen hinauf und auch auf diese Tafelfelsen, Frauen und Kinder mitnehmend, sie ziehen die Strickleitern hoch, und ... nun soll einmal eine europäische Kriegsmacht sehen, wie denen dort oben beizukommen ist.

Wie gesagt, mit Kanonen ist da nichts auszurichten. Kein Geschütz reicht von einem Arba zum anderen, außerdem sind die dort oben meist auf Regenwasser angewiesen, wozu in das Plateau zahlreiche Zisternen eingemeißelt sind, welche bombensichere Kasematten abgeben.

Aushungern? Die ernähren sich dort oben von selbst, sie säen und ernten. Wenn aber nun beim Rückzug zu viel hinaufgekommen sind?

Da kommt etwas Fürchterliches in Betracht.

Die Abessinier sind Christen. Jesus oder Esau ist der Sohn Gottes, und sie haben unsere Bibel. Das ist aber auch alles. Die Bibel ist in einer ausgestorbenen Sprache geschrieben, welche selbst die Priester nur noch lesen, aber nicht mehr verstehen können. Jeder hält sich so viel Frauen, wie er ernähren kann – ihr Großvater Salomo hat es doch ebenso gemacht, und ... zeitweilig können diese christlichen Abessinier sogar zu Menschenfressern werden.

Wenn im Kriegsfalle auf solch einem Tafelberge zu viel Menschen vorhanden sind, dann gelten die Kriegsunfähigen als Schlachtvieh! Das ist im 16. Jahrhundert, als die Araber Abessinien erobern wollten, bereits vorgekommen, das ist ein Faktum!

Und das ist eine heilige Tradition, und jeder Abessinier hält es noch heute für seine Pflicht, lieber seine Frau und sein eigenes Kind aufzufressen, ehe er aus Hunger seine Burg dem Feinde freigibt!

So, nun soll einmal eine europäische Armee in Abessinien einrücken! Es sind schon über 2000 solcher Tafelberge gezählt worden, es mögen aber noch viel, viel mehr sein, und dann kommen noch die Terrassenberge in Betracht, und dann gegen 500 Klöster, ebenfalls auf Stellen gelegen, die nur mit Strickleitern zu ersteigen sind, sich selbständig ernährend, die Mönche zu Kriegern ausbildend – und nun sollen einmal alle diese unersteigbaren Festungen eingeschlossen und nach und nach erobert werden!

Wie das ausgeführt werden soll, ist vorläufig noch ein Rätsel. Da muß wirklich erst das lenkbare Luftschiff erfunden werden. Jede dieser zahllosen Festungen braucht eine Belagerungsmannschaft, sonn fallen die Besatzungen dem Feinde immer wieder in den Rücken, und dreht man sich um, so sind sie schon wieder oben und ziehen die Strickleitern nach sich. –

Und doch waren jetzt zwei solcher uneinnehmbarer Tafelberge von unbekannten Männern erobert worden.

Denn dieser Fall hier, von dem Nobody nur eigenen Augen Zeuge geworden, war schon der zweite.

Nobody befand sich, wie er jetzt erfuhr, in dem nördlichsten Fürstentum des Kaiserreiches, Godscham genannt, der jüngsten, noch unverheirateten Schwester des Negus, also einer Fadinah oder Prinzessin untertan.

Der erste Fall hatte sich vor acht Tagen in der Nähe von Gondar zugetragen, der Residenz des Negus, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern, ziemlich in der Mitte des Reiches liegend.

Dort in der Nähe liegt die Rassamharra, aus welcher von jeher die Könige oder richtiger Kaiser von Abessinien hergekommen sind, ihr Stammsitz, so eine Art von Burg Hohenzollern. Als solche führte sie den Namen Negussamharra, die Königsburg.

Es war kurz nach der Abreise des ersten Ministers gewesen, des Ras Saglu Kasai, welcher also Nobody holen sollte, auf daß dieser die aus dem Palaste zu Gondar verschwundene Albino wiederbeschaffe, als sich bei jener Königsburg dasselbe ereignet hatte, wie soeben hier.

Eines Morgens waren plötzlich von allen Seiten Menschen herabgestürzt gekommen, die Bewohner des Negussamharras, Männer, Frauen und Kinder, deren Anzahl man genau kannte, siebenundvierzig waren es; denn das Plateau der Königsburg war nur klein, und da man die Leichen zählte, waren es genau siebenundvierzig. Kein einziger war dem Tode entgangen, und wer nicht erst durch den furchtbaren Sturz sein Leben ausgehaucht, der hatte schon oben durch irgendeine Waffe seinen Tod gefunden und war dann als Leiche noch herabgeworfen worden.

»Auf dem Negussamharras hausen jetzt uns unbekannte Männer,« schloß der Rasol, »wir nennen sie Udlindschis, was nichts weiter bedeutet als Fremdlinge; denn wir wissen nicht, woher sie sind, woher sie gekommen, noch weniger, wie sie auf den unersteigbaren Tafelberg gelangt sind. Und nun also haben sie auch den Samharra der Fadinah besetzt. Wehe uns, wie soll das noch enden?«

Für Nobody war da noch sehr viel Unverständliches dabei.

»Ihr habt gar keine Ahnung, was für ein Feind das sein kann?«

»Es ist ein uns unbekannter Negerstamm. Es sind überhaupt Neger.«

»Woher weißt du das? Konnte einer der Herabgestürzten noch sprechen? Oder hat sich der Feind oben gezeigt?«

»Nein. Wer von dem Negussamharra herabstürzt, der kann nicht mehr sprechen, denn jener Tafelberg ist noch viel, viel höher als dieser hier. Aber es wurden achtundvierzig Leichen aufgesammelt. Ein Fremder war dabei. Naddir, der Fürst dieses Tafelberges, hatte, obgleich schon eine tödliche Wunde in der Brust, ihn mit sich hinabgenommen. Es war ein Neger, in ein baumwollenes Gewand gekleidet, wie es hierzulande gar nicht getragen wird – ein Neger, zu einer Rasse gehörend, die hier auch gar nicht bekannt ist.«

»Ah, das ist schon etwas anderes!« rief Nobody. »Wie war der Neger gekleidet?«

Er hatte einfach eine lange Hose aus Baumwolle getragen, und dieses Bekleidungsstück ist nun allerdings in Abessinien gar nicht gebräuchlich.

Rasol Harrot selbst war nicht dort gewesen, er kannte alles nur durch Meldungen von Boten. Aber er konnte das Aussehen des fremden Negers doch beschreiben, dessen Körperbeschaffenheit wie nicht minder die Haartracht eben eine ganz besondere, hierzulande auffallende gewesen war, und daraus glaubte Nobody mit Bestimmtheit entnehmen zu dürfen, daß es ein hochgewachsener, herkulischer Zulukaffer gewesen sein müsse.

»Hat der fremde Neger noch Waffen bei sich gehabt?«

»Nein.«

»Oder hat man sonst irgendwelche fremde Waffen gefunden, die während des Kampfes herabgefallen sein können?«

»Auch nicht.«

»Hat man Schüsse gehört?«

»Keinen einzigen.«

»Haben sich denn oben die Feinde nicht gezeigt?«

»Ja, man hat dunkle Punkte sich am Rande bewegen sehen, und durch Fernrohre, wie wir solche ja besitzen, konnte man auch Menschen unterscheiden.«

»Sind die Feinde denn nicht mit dem Negus in Verhandlung getreten?«

»Die Boten meldeten nichts davon, und sobald dies geschähe, würden wir hier wohl in Kenntnis davon gesetzt worden sein. Allerdings braucht ein schneller Reiter von Gondar bis hierher drei Tage, wenn er sein Pferd dabei zu Tode hetzt, denn die Entfernung beträgt zweihundert englische Meilen.«

»Wie denkt man nun über dies alles?«

»Die Aufregung in Gondar ist natürlich eine ungeheure. Was man darüber denkt? Niemand findet eine Erklärung, wie die fremden Neger dort hinaufgekommen sind. Die Priester sprechen von einem Strafgericht Gottes, das Volk hält die fremden Neger für Dämonen. Dort ist schon alles Leben erstorben, keiner wagt sein Haus zu verlassen.«

»Ich habe doch hier gar nichts davon bemerkt. Auch hier müßte doch wenigstens einige Aufregung über jenes Vorkommnis herrschen, daß Feinde mitten im Lande sind.«

»Hier ist gar nichts davon bekannt.«

»Nichts bekannt? Wie ist das möglich? Boten brachten doch die Meldung.«

»Eine geheime. Der Negus sorgte dafür, daß sich die Kunde von dem Geschehenen nicht über den Bezirk hinaus verbreitete, in welchem jeder davon erfahren mußte, wenn er nicht gar Augenzeuge davon geworden war. Denn wozu im ganzen Volke eine furchtbare Bestürzung hervorrufen, wenn man noch gar nicht weiß, woran man eigentlich ist? Und diese Geheimhaltung ist sehr leicht durchführbar, da bei uns das Paßwesen streng gehandhabt wird, keiner darf ohne besondere Erlaubnis die engeren Grenzen seines Bezirkes überschreiten, darauf steht Todesstrafe. Nur die Provinzregenten und ihre Regierungen wurden von den Boten eingeweiht, mit der Aufforderung, wohl auf der Hut zu sein, sonst aber das strengste Stillschweigen zu beobachten. So gehen wir alle nach wie vor unsern Beschäftigungen nach.«

»Ah, ich verstehe. Und die Fadinah geht nach wie vor jeden Morgen mit ihren Gefährtinnen sorglos baden.«

»So ist es.«

»Und inzwischen macht sich jener geheimnisvolle Feind in allernächster Nähe bemerkbar.«

»Es ist furchtbar!« stöhnte der alte Mann.

»Nun, ich werde diesem rätselhaften Feinde bald das Handwerk gelegt haben.«

Mit ungläubigem Staunen und doch hoffnungsfreudig blickte Rasol den Sprecher an.

»Du willst uns von diesem Feinde befreien?!«

»Ich hoffe, es bestimmt zu können. Doch laß mich erst weiter fragen. Sind die Bewohner der verschiedenen Samharras, wie du die Tafelberge nennst, benachrichtigt worden, was geschehen ist, und daß sie auf der Hut sein sollen?«

»Ja, aber wohl nicht alle. Es sind ihrer gar zu viele, und einige liegen zu weit entfernt, als daß die Bewohner in wenigen Tagen in Kenntnis gesetzt werden könnten.«

»Wußten es die Leute jenes Tafelberges dort, die heute von dem Feinde überrascht worden sind?«

»Der Ras ist in Kenntnis gesetzt worden, hat man in seine Obhut doch den Rasfadin gegeben.«

»Der Rasfadin, das ist der Kronprinz, der Sohn des Negus und Thronfolger, nicht wahr?«

»Ja. Der Negus hat sonst nur Töchter.«

»Wie kommt es, daß der Kronprinz nicht auf der Negussamharra erzogen wird? Deinen vorigen Schilderungen nach mußte ich das annehmen.«

»So ist es auch eigentlich. Vor einem halben Jahre aber brach auf Negussamharra eine ansteckende Kinderkrankheit aus, die noch jetzt dort nicht ganz erloschen ist, und so wurde der Rasfadin einstweilen auf die Samharra gebracht, welche der Lieblingsschwester des Negus gehört, auf jene dort, über welche Ras Tefwick gebietet.«

»Aha! Sieht das nicht bald so aus, als ob es die Udlindschis, wie du die unbekannten Fremdlinge nennst, hauptsächlich auf die Festnahme des jungen Thronfolgers abgesehen gehabt hätten?«

»Allerdings,« bestätigte der alte Mann, »auf dem Negussamharra mögen die Udlindschis erfahren haben, daß sich der Rasfadin jetzt auf jenem Tafelberge dort befindet, und sofort haben sie von diesem Besitz ergriffen. Diese Vermutung liegt wirklich sehr nahe. Nur durch einen Zufall ist ihnen der Rasfadin entgangen, die Unholde haben versehentlich auch ihn mit in die Tiefe geschleudert, oder seine treue Amme, der er anvertraut gewesen, wollte ihn lieber mit sich in den Tod nehmen als ihn lebendig in den Händen der Feinde lassen, sie tat freiwillig den furchtbaren Sprung, und ein gnädiger Gott hat über das Leben des Knaben gewacht. – Ja, aber wie sind die Fremdlinge überhaupt dahinaufgekommen?«

»Diese Frage sollte ich doch eigentlich an dich richten.«

»Das ist für uns alle ein unlösbares Rätsel. Die Udlindschis müssen geradezu Flügel haben und ihren Aufflug in der Nacht gemacht haben, wenn sie sich nicht auch unsichtbar zu machen wissen.«

»Wie gelangen denn die Bewohner der Felsen hinauf und hinab?«

»An Strickleitern.«

»Hängen denn diese ständig herab?«

»O nein. Nur für den Boten des Negus wird die Strickleiter einmal hinabgelassen, sonst kommt kein Talbewohner hinauf.«

Der Ras erklärte weiter, wie die Möglichkeit ganz ausgeschlossen sei, die Fremdlinge hätten zum Aufstieg eine herabhängende Strickleiter benutzt, und Nobody sah die Richtigkeit dieser Erklärung sofort ein.

Hierauf ließ sich Nobody näher die Lebensweise dieser Felsenbewohner schildern, wie wir es zum Teil schon getan haben.

»Woher bekommen sie das Trinkwasser?«

»Das Regenwasser wird in Zisternen gesammelt.«

»Reicht denn das für den Bedarf der Menschen und Tiere?«

»Vollkommen. Die jährliche Regenmenge beträgt hierzulande zwei Ellen.«

»So gibt es auf diesen Samharras keine Brunnen?«

»Brunnen? Nein,« lautete die Antwort, und schon klang sie verwundert.

»Auch auf dem Negussamharra und auf jenem dort ist kein Brunnenschacht vorhanden?«

»O, wo denkst du hin!« rief jetzt der Rasol lebhaft. »Dann wäre es ja sehr leicht erklärlich, woher die Udlindschis gekommen sind. Eben aus solch einem Brunnenschachte, wobei freilich noch vorausgesetzt werden müßte, daß es auch einen unterirdischen Weg dazu gäbe. Nein, solche Brunnen gibt es auf den Samharras nicht, auf keinem einzigen, wer sollte die denn in den festen Stein gegraben haben, und dann müßten wir doch auch etwas davon wissen, und dann könntest du dir wohl auch denken, daß solche Brunnenschächte genügend bewacht würden.«

Trotzdem wurde Nobody in seiner einmal gefaßten Meinung nicht irre. Die geheimnisvollen Fremdlinge hatten die Tafelberge in Brunnenschächten erstiegen, anders war es nicht!

Daß die Eingeborenen selbst, und sogar die Felsenbewohner nichts von diesen Brunnenschächten wußten? Auch hierfür hatte Nobody schnell eine Erklärung gefunden.

Der Rasol hatte ihm also ausführlich erzählt, wie es dort oben aussähe. Nobody hatte diese Schilderungen immer durch geschickte Fragen unterstützt, und da hatte er erfahren, daß es auf jedem Samharra ein Gebäude oder einen Ort gab, wo man sich die Gottheit wohnend dachte, also etwa eine Kirche, und doch wieder etwas ganz anderes, wie man eben die Religion der Abessinier gar nicht mit der christlichen vergleichen darf, wenn sie sich auch selbst Christen nennen – und diese Orte, welche wir, wenn es so weit ist, näher beschreiben werden, waren natürlich geheiligt, keines Menschen Fuß durfte sie betreten, das Allerheiligste nicht einmal der des Abbanas oder Priesters, – und da war es sehr wohl möglich – für Nobody überhaupt ganz bestimmt – daß sich hier die Mündung eines Brunnenschachtes befand, von dessen Existenz nicht einmal die Felsenbewohner etwas ahnten.

»Auf meinem Wege hierher,« begann Nobody ein neues Thema, »bin ich an einem freien Platze vorübergekommen, der mit Stangen bespickt war, und auf jede war ein Totenschädel gesteckt. Was für ein Ort war das?«

»Weißt du das nicht?«

»Wohl weiß ich es, doch ich möchte die Erklärung nochmals aus deinem Munde haben,« entgegnete Nobody in etwas scharfem Tone.

Und Nobody hatte sich nicht getäuscht, sofort kreuzte der Alte beide Arme über der Brust und machte eine tiefe Verbeugung.

Es war ja seltsam, daß der Rasol gar nicht fragte, wie dieser Mann, wenn er auch von dem abgesandten Minister getroffen und hier schon erwartet worden, eigentlich hierhergekommen war.

Aber Nobody hatte unterdessen schon mit Sicherheit konstatiert, was hier vorlag. Er war eben der Detektiv, über den sich sogar hier im fernen, noch halbwilden Abessinien bereits mystische Sagen gebildet hatten – dank seiner Zeitung, die auch hierher schon ihren Weg gefunden hatte – er hatte ja selbst gehört, wie er hier mehr als ein unsichtbarer Geist galt, denn als ein Mensch, oder doch wenigstens mit überirdischen Kräften ausgestattet, so war er eben durch die Luft geflogen oder am Ende gar direkt vom Himmel gefallen, und außerdem hatte der alte Rasol offenbar von seiner Herrin die strikte Order bekommen, die Gäste mit keiner einzigen Frage zu belästigen, sondern nur selbst immer Antwort zu geben. Dabei war es sehr wahrscheinlich, daß die Fadinah dieses Gespräch heimlich belauschte. Nobody mit seinem feinen Gefühl hatte die ganz bestimmte Empfindung, daß sie dort hinter dem vor einer Ecke hängenden Teppich stand.

»Verzeihe deinem gehorsamen Diener, o Herr, daß er eine Frage an dich zu richten wagte,« entgegnete der Abessinier aufs demütigste. »Es ist der Ort, nach welchem die Köpfe und Gebeine der Namwis gebracht werden.«

»Der Namwis, was ist das?«

»Das sind verfluchte Zauberer, welche wegen ihrer Vergehen durch die Hand des Henkers den Tod erlitten haben.«

Nobody hatte schon genug über Abessinien gehört und gelesen. Wie bei allen Negerstämmen Afrikas, so steht auch in dem ›christlichen‹ Abessinien die Zauberei wie überhaupt der schrecklichste, blutigste Aberglaube noch in höchster Blüte, noch extra gehegt und gepflegt von den Abbanas, den christlichen Priestern.

Schließlich braucht man ja nicht gerade nach Abessinien zu gehen, man kann auch in Europa bleiben, um noch dasselbe zu finden, aber hier in Abessinien wird auch jede Krankheit von einem Zauberer oder einer Hexe verschuldet, der Priester, als ein guter Zauberer, macht durch allerhand Hokuspokus den bösen Zauberer ausfindig, dieser erleidet die fürchterlichsten Martern, zuletzt, gewöhnlich, wenn er schon tot ist, wird er noch geköpft, sein Leichnam den Hunden vorgeworfen ...

» ... und seine Gebeine werden an den Teufelsbrunnen gebracht,« schloß Rasol seinen längeren Bericht.

Der alte Herr, der außer seiner Muttersprache noch Englisch und Französisch beherrschte und sich überhaupt sonst als ein recht gebildeter Mann erwies, der über Europa besser orientiert war, als die meisten Europäer über Abessinien, zeigte sich in dieser Hinsicht, was die Zauberei und dergleichen betraf, als die gläubigste Seele.

Also wiederum ein Teufelsbrunnen! Nun, dabei war nichts Auffälliges. Gibt es doch auch in Deutschland wenig Gegenden, wo man nicht einen Teufelsbrunnen oder eine Teufelsbrücke oder einen Teufelssee oder einen Teufelssumpf oder sonst etwas, was dem Teufel geweiht ist, findet, und nicht nur im Volksmunde, sondern auch auf der Land- oder doch Generalstabskarte.

»Es ist kein Brunnen,« setzte der Rasol erläuternd hinzu, »es ist ein Schacht, welcher bis nach dem Mittelpunkte der Erde führt, wo bekanntlich der Teufel haust. Durch diesen Schacht fährt er heraus, wenn er sich die Seele eines Zauberers holt, und so bringt man dann auch die dazu gehörigen Gebeine hin.«

»Da klettert der Teufel also an einer Leiter herauf?« fragte Nobody.

»An einer Leiter?« wiederholte der alte Abessinier verwundert, und im nächsten Moment war es Nobody, welcher stutzte.

Wie, hatte das nicht fast geradeso geklungen, als ob hier gar nicht bekannt sei, daß sich in dem Schachte eine kupferne Leiter befand?!

Da mußte Nobody aber sehr vorsichtig weiterfragen.

»Ist in dem Schachte denn keine Leiter?«

»Eine Leiter?« erklang es ebenso erstaunt wie vorhin. »Wer soll denn da eine Leiter hinabgelegt haben?«

»Nun, der Teufel muß doch auf irgendeine Weise aus dem Schachte heraufkommen, an die Oberfläche der Erde heraufklettern.«

»Der Teufel? Was braucht der denn zu klettern? Auch der Teufel ist doch fast so gut wie allmächtig, nur, daß sein Reich bloß diese Erde ist.«

Also wahrhaftig, von der Existenz dieser Leiter war diesem hohen Beamten gar nichts bekannt, dann aber jedenfalls doch auch keinem anderen Abessinier, auch keinem Priester, durfte Nobody mit Sicherheit vermuten.

»Wer bringt denn die Gebeine der Zauberer immer dorthin?«

»Sklaven, welche dazu bestimmt sind. Sie werfen die Knochen und Schädel hin, und machen, daß sie von dem gefährlichen Orte schnellstens wieder fortkommen.«

»Der Ort scheint aber doch gepflegt zu werden. Wer zum Beispiel hängt die Totenköpfe auf die Stangen?«

»Das ist Sache des Matschantas, des Wächters des Totenfeldes.«

»Ist das ein freiwilliges Amt?«

»Ja und nein. Das ist stets ein zum Tode verurteilter Verbrecher. Wenn ein Matschanta stirbt oder sonst auf eine unheimliche Weise ums Leben kommt, muß natürlich ein neuer geschafft werden. Das Amt wird einem zum Tode verurteilten Verbrecher angetragen. Nimmt er es an, so hat er sein Leben gerettet, aber nur, um einem noch schrecklicheren Schicksale zu verfallen. Er muß dicht an der Grenze des Totenfeldes wohnen, und wenn sich die Knochen der Zauberer zum nächtlichen Tanze wieder zusammenfügen, so muß er sich diesem Tanze anschließen, und über kurz oder lang holt ihn doch einmal der Teufel bei lebendigem Leibe.«

Wir wollen uns nicht weiter bei diesem wahnsinnigen Aberglauben aufhalten, sondern nur noch hinzufügen, daß nach der Ansicht der Abessinier kein Mensch in solch einen Brunnen hinabblicken kann, er würde das Feuer der Hölle schauen und, von den Schwefeldünsten betäubt, sofort hineinstürzen.

Nun aber war es für Nobody auch erklärt, wie die Existenz jener Leiter so gänzlich unbekannt war. Es hatte eben noch kein Mensch hineingeblickt.

Weiter erfuhr Nobody, daß sich in jeder Provinz solch ein Teufelsschacht befand, wohin die Gebeine der Zauberer gebracht wurden, und jeder dieser Schächte sei oben mit einer Mauer eingefaßt. Das aber sei nicht etwa das Werk von Menschenhänden, sondern dafür, daß der Schacht nicht einmal verschüttet werden könnte, hätte der Teufel selbst gesorgt.

Durch diese Angaben war für Nobody der Beweis erbracht, daß in dem Lande noch vor den Abessiniern ein schon auf ziemlich hoher Kulturstufe stehendes Volk geherrscht haben mußte, dem die unterirdischen Gewässer Abessiniens bekannt gewesen, und welches sie als Wege oder zu sonstigen Zwecken benutzt hatte. Die Ureinwohner hatten Schächte mit Leitern angelegt, um hinabgelangen zu können, während den jetzigen Bewohnern von Abessinien von diesem unterirdischen Wasserlaufe und seinen Zugängen gar nichts mehr bekannt war.

Nobody hatte es nicht so eilig, hierüber Belehrung zu geben. Erst wollte er selbst noch mehr wissen. Soeben wollte er fragen, was für eine Stellung jenes Weib hier einnehme, welches die Fadinah genannt wurde, die Schwester des Kaisers, als auf dem Hofe, welcher das palastähnliche Gebäude einschloß, sich ein lautes Geschrei von Menschenstimmen bemerkbar machte.

Alle sprangen auf, doch noch bevor der erste an das Fenster gekommen war, stürmte durch die Tür, die nur mit einem Teppich behängen war, ein schwarzer Diener.

Nobody verstand die in arabischer Sprache gegebene Meldung.

Von dem Tafelberge war eine Strickleiter herabgelassen worden, ein Weißer und zwei Neger waren daran herabgeklettert, das war beobachtet worden, und jetzt befanden sich alle drei bereits auf dem Wege nach hier; offenbar wollten sie der auf einer Flußinsel liegenden Residenz der abessinischen Prinzessin, eine ganz ansehnliche Stadt mit fast 10.000 Bewohnern, wovon Nobody vorhin von der Brücke aus nur nichts gesehen hatte, einen Besuch abstatten.

Im nächsten Augenblick entpuppte sich der schwarze Kerl, den Nobody erst für einen Diener gehalten hatte, als ein Krieger, der wahrscheinlich einen hohen Offiziersrang einnahm, und zugleich als ein Mann von großem Mut.

»Soll ich die drei Udlindschis, welche den Frieden deines Landes zu brechen wagten, überwältigen lassen und sie dir nur als Gefangene vorführen?« rief er mit blitzenden Augen.

Die Frage konnte nur an eine Person gerichtet gewesen sein, die sich bisher noch nicht im Zimmer befunden hatte. Nobody hatte auch schon hinter sich ein Geräusch gehört, er drehte sich um – vor ihm stand die Fadinah, noch immer die geborene Königin, ihr herrlicher Leib jetzt nur in mehr Seidengewänder gehüllt, als da sie den Badeplatz verlassen hatte.

Sie befand sich in einer furchtbaren Aufregung, ihr Busen drohte die leichte Seidenhülle zu sprengen, doch nicht auf den die Meldung bringenden Boten war ihr großes, sprechendes Auge gerichtet, sondern auf Nobody, und dieser verstand sofort, was der Blick von ihm verlangte.

»Soll ich die fremden Männer für dich empfangen?« fragte er hastig.

Sie war nur eines Nickens fähig, und jetzt wandte sich Nobody wieder an den kriegerischen Boten.

»Sind die fremden Männer bewaffnet?«

»Nein, wenigstens zeigen sie keine offenen Waffen.«

»Dann kann von einer Gefangennahme erst recht keine Rede sein. Rasol Harrot, triff Vorbereitungen zu ihrem Empfang, wie es sich für die Abgesandten eines Feindes schickt, der in friedliche Unterhandlungen treten will!

 

Wir befinden uns in einem Lande, in welchem sich wie zu Pharaos Zeiten die Königstochter offen in einem Flusse badet, wohl durch Haremswächter, aber nicht einmal durch eine Bretterwand vor neugierigen Augen geschützt, und danach war auch der Empfang der fremden Männer beschaffen.

Wenige Minuten hatten genügt, die Vorbereitungen zu treffen, und inzwischen hatte Nobody mit der Fadinah und einigen ihrer Berater auch schon alles andere verabredet.

In einem weiten Saale saß die junge Herrscherin dieses Landes in einem erhöhten, thronartigen Lehnsessel, an dem Gold und Elfenbein reichlich verschwendet worden war, das Elfenbein aber nicht in Form von kunstreichen Schnitzereien, sondern in Gestalt von natürlichen Elefantenzähnen, die nur poliert worden waren, und so war es mit all dem überreichen Schmuck beschaffen, der hier zu sehen war.

Links und rechts von dem Thronsessel in weitem Halbkreise hockten auf Kissen die Minister, hinter diesen standen die Kriegshauptleute, sämtlich in Schuppenpanzer gehüllt, zum Teil auch mit Arm- und Beinschienen, mit phantastischen Helmen, überhaupt so phantastisch wie möglich und dennoch mit grimmiger Ritterlichkeit herausgeputzt, recht an indische Kriegertypen erinnernd, wie sie noch heute dort zu finden sind, in der dichtesten Nähe des Thrones einige mit Lanzen und ungeheuren Schwertern bewaffnete Schutzwachen, und alle diese Männer so schwarz wie ihre Fürstin, und ihrer so viele, daß sich Flederwisch und Anok mit Leichtigkeit unter ihnen unsichtbar machen konnten.

Gerade das Gegenteil tat Nobody. Kaum hier in einem fremden Lande angekommen, dessen Namen er zuerst noch nicht einmal gekannt, hatte er sich sofort zur Hauptperson aufgeschwungen.

Ueber seinen dunklen Anzug hatte er nur einen weißen Burnus geworfen und um seinen blonden Lockenkopf einen Turban geschlungen, sonst zeigte er sich als Europäer, und so saß er mit würdevollem Anstand auf der untersten Stufe des Thrones und wartete als Sprecher und Stellvertreter Ihrer schwarzen Majestät auf die Ankunft der Fremden.

Wie diese ihren Einzug in die Residenz hielten, darüber war diese Versammlung zweimal durch Boten unterrichtet worden, der dritte Bote brachte sie schon selbst, und wolle man dabei, um ein Beispiel im Auge zu behalten, immer daran denken, daß also hierzulande die Königstochter noch ganz harmlos am Rande eines Flusses ihr Gewand abwarf, um ein Bad zu nehmen, und daß die Hauptbrücke, welche über den Fluß zur Residenz führte, nur aus primitiven Bambusstäben bestand, und da darf man auch keinen Empfang erwarten, wie er an einem europäischen Fürstenhofe üblich ist.

Die drei fremden Männer hatten furchtlos diese Brücke überschritten, der Europäer hatte den ersten besten Eingeborenen, der ihm zufällig über den Weg lief, angehalten oder ihn vielmehr mit Gewalt festgehalten und auf arabisch gefragt, wo hier die Fadinah Theodora wohne; der Weg war ihnen gewiesen worden, dann hatte sich zu ihnen ein Abgesandter gesellt, und ... jetzt wurde der mächtige Teppich von dem Torbogen zurückgeschlagen, die drei Männer traten ein.

Mit einem einzigen Blicke hatte Detektiv Nobody alles erfaßt.

Zunächst die beiden Neger, welche neben der Tür stehen blieben. Das waren echte, wollköpfige Neger, riesige, herkulische Kerls, jedenfalls Kaffern, Zulukaffern, die Elite der ganzen Negerrasse.

Aber solche Zulukaffern, die noch vor kurzem den Schild und den Assagai geschwungen und den Elefanten nur mit dem Schwerte gejagt hatten, dem ermüdeten Tiere die Achillessehne durchschlagend, waren das nicht. Die waren nicht nur schon von der Kultur beleckt, sondern die waren schon völlig kultiviert und zivilisiert.

Nicht etwa deshalb, weil sie weiße Tropenkostüme und hohe Schaftstiefel trugen, weil sich der eine in seinem voll Oel geschmierten Wollhaar den Poposcheitel bis in den Nacken hineingezogen hatte – – Gott bewahre, durch solche Kleinigkeiten ließ sich Nobody nicht beeinflussen.

Er sah es aus der ganzen Haltung, wie sie an der Türe standen, wie sie so kriecherisch demütig ihrem weiterschreitenden Herrn nachblickten, und doch dabei ihre Blicke mit so herausforderndem Spott und Hohn über die schwarze Versammlung schweifen ließen – bah, was seid ihr trotz allen euren Goldes doch für ein ungebildetes Lumpengesindel! Hier seht uns an, wir sind Gentlemen vom Scheitel bis zur Sohle, auf der Straße tragen wir sogar einen Klemmer, wenn wir nur unsere schwarze Haut weißbleichen könnten!« – solche schwarze Diener waren das, wohl echte Zulukaffern, aber bereits zu menschlichen Hunden degradiert, wobei allerdings der Hund als ein Muster der Treue gelten soll.

Nun aber ihr Herr, der nicht an der Tür stehen geblieben war.

Donnerwetter, ist das ein schöner Kerl! So sagte sich Nobody, der auch unter den schwierigsten Verhältnissen immer ganz unparteiisch urteilte, auch über seinen Todfeind.

Es war ein Europäer, unverkennbar ein Germane, Nobody taxierte ihn für einen Schweden oder für einen Holländer. Er mochte vierzig Jahre sein, war aber doch noch jung zu nennen, stand in seiner vollen Manneskraft.

Auffallend war, daß er sein in der Mitte gescheiteltes, gelocktes Haar sehr lang trug, es wallte ihm bis auf die Schultern hinab, dabei ziemlich tief in der Stirn, und so rahmte es ein volles, schönes Männergesicht ein, in dem große, blaue Augen kühn blitzten, unten abgeschlossen von einem starken Schnurrbart und spitzen Kinnbart.

Kennt der Leser den Trompeter von Rubens, wie er sich die Kalkpfeife anbrennt? So eine Art von verwogenem Landsknecht, als Trompeter noch höher stehend, wenn auch kein Offizier, der Kavalier unter den Landsknechten, der Don Juan, dem kein Frauenherz widersteht? Das hier war er. Die Aehnlichkeit mit dem Rubensschen Bilde war auffallend. Nur daß der hier rotblondes Haar hatte.

Dazu kam nun noch das Ritterliche der ganzen Erscheinung, obschon auch er nur einfaches Tropenkostüm aus weißer Baumwolle trug und keine Waffen zeigte. Der athletische Wuchs machte es aus, den der prallsitzende Anzug in voller Deutlichkeit hervortreten ließ, dazu kamen vielleicht noch die mächtigen Reiterstiefel, an denen, obgleich er doch wohl schwerlich den Tafelberg hinaufgeritten sein konnte, riesige Silbersporen klirrten, und zu diesem Kostüm gehörte auch noch der Tropenhelm, den er beim Eintritt langsam abgenommen hatte.

Aber auch noch etwas anderes empfand Nobody beim ersten Anblick. Diese edlen Züge und das stolze Auge konnten diesen Menschenkenner nicht täuschen, das war nicht der echte Edelmut und der echte Stolz, der einen Mann ziert, sondern aus diesem ganzen Wesen sprach zugleich ...

Hinter Nobody hatte es geraschelt, er warf einen Blick zurück, das Gesicht der schwarzen Prinzessin wollte er sehen, und richtig ... halb abgewendet hatte die Sitzende ihr seidenes Gewand an sich gerafft, wie zur Flucht bereit, mit angstvollen Augen stierte sie nach dem schönen Manne ...

Ja, mochte sie auch eine Schwarze sein, eine Halbwilde, sie war dennoch ein Weib, hoch über ihren schwarzen Mitschwestern stehend, und als Weib empfand auch sie sofort, was Nobody im Augenblick herausgefühlt hatte, und mit weiblichem Instinkte schauderte sie davor zurück: vor der furchtbaren Brutalität, welche aus dem ganzen Wesen dieses Mannes mit den edlen Zügen sprach!

Sporenklirrend, den weißen Helm im linken Arm, war er bis dicht vor den Thron geschritten. Hier blieb er stehen.

»Bist du die Fadinah oder Prinzessin oder Fürstin dieses Landes, welches Godscham heißt und ein Teil von Abessinien ist?« fragte er kurz und mit rauher Stimme, sich des Arabischen bedienend.

Er hatte es sogar nur so von oben herab gefragt, obgleich er die höhersitzende Fürstin anblickte, und in diesem Moment konstatierte Nobody weiter, daß das, was aus dieses Mannes Augen blitzte, nur ein zum Tode entschlossener Mut war, sonst war er keiner Leidenschaft fähig. Dieser blitzende Mut paarte sich zugleich mit Eiseskälte, was aber jedem Beobachter so unsäglich unnatürlich vorkommen mußte.

Ein willenloses Werkzeug in der Hand eines Mächtigen, dessen Name dereinst Monsieur Sinclaire gewesen ist.

So dachte Nobody, als er sich erhob, während alle anderen regungslos dasaßen oder dastanden, den Fremden wie eine gespenstische Erscheinung anstierend, wahrscheinlich glaubend, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, daß jemand es wage, ihre Fürstin so ... anzuschnauzen.

»Es ist die Fadinah Theodora, die Fürstin von Godscham.«

Die großen, runden Augen wanderten von der erhöht Sitzenden hinab zu dem Antwortgeber, musterten ihn von unten bis oben, und Nobody machte in seinem schlichten Burnus einen sehr einfachen Eindruck, hatte auch ein recht alltägliches Gesicht aufgesetzt.

»Wer bist du?«

»Ich bin von der Fadinah ermächtigt, in ihrem Namen zu sprechen.«

»Was für einen Rang nimmst du hier ein?«

»Gar keinen.«

»Gar keinen? Was soll das heißen?«

»Ich bin der Freund der Fadinah.«

»Freund, so!« erklang es verächtlich. »Das sagt mir sehr wenig. Du bist doch ein Europäer.«

»Ja. Im übrigen aber geht dich das gar nichts an, zumal ich dich noch nicht gefragt habe, wer du bist, während ich dir bereits erklärt habe, daß ich von der Herrscherin dieses Landes ermächtigt bin, in ihrem Namen zu sprechen.«

Nobody hatte nicht anders erwartet, als jener würde sofort aufbrausen. Allein dem war nicht so. Er musterte den freien Sprecher nur mit einem verächtlichen Blicke.

Aber auch die Zuhörer hatten die Antwort und ihren Inhalt verstanden, auch sie fürchteten einen Ausbruch, eine Unruhe entstand, die Kettenpanzer klirrten zusammen, die Krieger legten die Hand an die Schwerter, als sich die Stimme der Fadinah angstvoll vernehmen ließ:

»Es ist mein Saban, der so zu dir spricht, und ich bin seine Sabana.«

Im Augenblick trat wieder Ruhe ein, es lag etwas von Staunen in dieser Ruhe. Doch Nobody merkte hiervon nichts, er beobachtete nur den Fremden, und dieser musterte ihn von neuem.

»Du bist der Saban der Fadinah von Godscham?« fragte er.

Hierzu muß etwas bemerkt werden. Es war doch nicht ausgeschlossen gewesen, daß der abgesandte Fremde Abessinisch oder richtiger Aethiopisch verstand und sich dieser Sprache bedient hätte. Eben deswegen aber konnte sich Nobody, weil er diese Sprache nicht verstand, auch nicht für einen Minister oder sonst für einen Würdenträger der Fadinah ausgeben.

So hatte er mit dieser ausgemacht, sich einfach für ihren Freund auszugeben. Das Wort ›Freund‹ ist doch ein sehr weiter Begriff, und sonst wollte Nobody schon fertig werden.

Nun hatte der Fremde aber die Unterhaltung gleich in der arabischen Sprache begonnen, und in dieser war Nobody sattelfest.

Sattelfest? Man mag in einer Sprache auch noch so perfekt sein, es läuft einem ab und zu doch ein Wort unter, dessen Bedeutung man nicht kennt, das man nicht wiederzugeben weiß, und das braucht gar kein so außergewöhnliches Wort zu sein.

Freund ist im Arabischen Aschab. Was aber war Saban, weibliche Form Sabana? Nobody konnte im Augenblick absolut nicht darauf kommen, vielleicht auch hatte er es überhaupt noch niemals gehört, obgleich es doch der Fremde so geläufig wiederholte.

Doch Nobody zerbrach sich nicht weiter den Kopf. Aschab, Saban – es ist einige Aehnlichkeit zwischen den beiden Worten – es war jedenfalls nur eine Verstärkung des Wortes Freund.

»Ich bin der Saban der Fadinah, sie ist meine Sabana,« wiederholte er also ohne Zögern.

Der andere warf nur noch einen Blick auf ihn, dann griff er in seinen rechten Stiefelschaft, zog ein zusammengerolltes Pergament hervor, rollte es auf und las mit trockener Stimme vor:

»Im Namen des Padischah el Kore: hiermit ergreife ich Besitz von Abessinien; allen Befehlen meines Abgesandten, des Shidi Kornelius, ist unbedingter Gehorsam zu leisten. – Der Shidi Kornelius bin ich,« setzte der Fremde noch hinzu, und als er das gesprochen hatte, rollte er das Pergament wieder zusammen und steckte es in den Stiefelschaft zurück.

Der Padischah el Kore – der Herr der Erde!

Diesmal trat keine Unruhe unter der schwarzen Versammlung ein. Sie waren alle gar zu sehr erstarrt ob des Gehörten.

»Großartig! Solch eine Unverschämtheit ist mir denn doch noch nicht vorgekommen – das geht denn doch wirklich über die Hutschnur!!«

Nobody war es gewesen, der dies gerufen hatte, die letzten Worte auf englisch. Er hatte sich beim besten Willen nicht beherrschen können.

Jetzt brach es los. Jetzt blieb es nicht mehr dabei, daß nur die Hand an den Schwertknauf gelegt wurde, schon drängten sich die Krieger vor, um sich auf den vermessenen Fremdling zu stürzen.

Doch dieser stand unbeweglich, hatte nur ein verächtliches Gesicht wie die beiden Schwarzen an der Tür, er hob die Hand, deutete nach dem Bogenfenster.

»Blickt dorthin!!« rief er mit starker Stimme, und wie in einem Banne befindlich, so folgten aller Augen der bezeichneten Richtung, und augenblicklich trat wieder eine unheimliche Stille ein.

»Wenn ihr nicht wißt, was das dort oben ist,« fuhr Kornelius fort, »so laßt es euch erklären: ein Geschütz, eine große Kanone, und wenn ich will, so ist diese Stadt innerhalb fünf Minuten in Trümmer geschossen, euch und eure Frauen und Kinder unter ihnen begrabend – so weiß der Herr der Erde seinen Befehlen Nachdruck zu verschaffen!«

Durch das weite Bogenfenster sah man in nicht allzu weiter Ferne jäh den Tafelfelsen aufsteigen, und wirklich war an seinem Rande eine Maschine aufgestellt, welche diese Abessinier recht wohl kannten, denn auch sie besitzen Kanonen, wenn diese auch nicht auf der Höhe der Zeit stehen – aber gerade deshalb, sie wußten, daß die Europäer Kanonen mit noch ganz anderer Wirkung haben. Abessinien hat Häfen und dort hatten sie schon die furchtbaren Feuerschlünde sprechen hören, und sie verstummten, ihre schwarze Gesichtsfarbe verwandelte sich in Aschgrau, denn schon sahen sie diese Stadt in Trümmern liegen.

Nobody freilich dachte hierüber etwas anders. Er konnte mit bloßen Augen sogar die kleinen Figuren unterscheiden, welche dort oben an der Kanone hantierten, und so konnte er sie auch für ein großes Feldgeschütz taxieren. Gewiß, diese Feuerschlange reichte bis hierher, die konnte gar viel Schaden anrichten, aber ... und wenn die auch noch ein Dutzend solcher Dinger da oben hatten, die weitgebaute Inselstadt gleich in fünf Minuten in einen Trümmerhaufen zu verwandeln, so schnell ging das denn doch nicht.

Er war indes froh, eine Gelegenheit zu haben, einlenken zu können, und er spreizte hinter seinem Rücken die Finger aus und ballte sie wieder zur Faust zusammen, ein Zeichen, zu schweigen und ihn allein sprechen zu lassen, und man verstand ihn, und hoffnungsvoll hefteten sich aller Augen auf ihn, nicht nur das der Fadinah.

»Dann allerdings. Wenn schon Kanonen oben sind, welche die ganze Stadt beherrschen – dann allerdings. Da ist nichts mehr zu machen. Wollen wir unterhandeln? Was verlangt dein Herr von uns?«

»Keine Unterhandlung! Er verlangt, daß ihr ihm bedingungslos gehorcht!«

»Und was befiehlt er uns denn, das wir ausführen sollen?«

»Das werdet ihr schon noch erfahren.«

Nobody kam es vor, als ob Mister Kornelius selbst nicht recht wisse, was er oder sein Herr noch befehlen würde.

Ja freilich, Monsieur Sinclaire war tot, jetzt fehlte der Leiter des Ganzen! Der hier hatte nur einen Befehl ausgeführt, der jedenfalls nur die Besitzergreifung von Tafelfelsen in Abessinien betraf, und nun wußte er vorläufig nicht weiter. Allerdings konnte sich Nobody auch irren.

»Und wer ist es denn, dem die Abessinier fernerhin zu gehorchen haben?«

»Wie ich schon sagte – er ist der Herr der Erde.«

»Hat er sonst keinen Namen?«

»Doch – Nemo.«

Hoho! Nemo, Nobody – alles beides bedeutet Niemand, nur daß das eine lateinisch, das andere englisch ist, und unser Nobody kannte noch einen anderen Mann, der sich schon einmal diesen Namen angemaßt hatte, und es wandelte ihn etwas wie Lachlust an; denn plötzlich sah er vor seinen geistigen Augen einen kleinen, dicken Stöpsel mit aufgesperrtem Rachen stehen – am Ende war der geheimnisvolle Herr der Erde doch nicht etwa gar der Mr. Cerberus Mojan? – Wirklich, diese Idee wirkte humoristisch, und weiter dachte Nobody für sich:

Lieber Mann, wenn du wüßtest, daß auch ich ein Nemo bin, nur in englischer Ausgabe, daß ich der Detektiv Nobody bin, der euch schon ganz gehörig auf der Spur ist!

Und laut fuhr er fort:

»Nemo heißt Niemand, und wie kann denn ein Niemand dein und unser Herr sein?«

»Wir nennen den Herrn der Erde Nemo, weil er gar kein Mensch ist, sondern ein unsichtbares Wesen, welches wir als unseren ...«

Der Mann brach ab und machte eine Handbewegung, als ob er schon zu viel gesagt habe.

... welches wir als unseren Gott anbeten. Das hatte er sagen wollen, das war für Nobody ganz klar. Hier hatte er eben schon ein Mitglied, oder die beiden Diener mit eingerechnet, gleich drei jener Sekte vor sich, welche jener geheimnisvolle Unbekannte, der sich Sinclaire und Mephistopheles genannt, ins Leben gerufen hatte.

»Ein unsichtbares Wesen? Also ein Geist? Oder gar ein Gott?«

Diesmal sagte eine abwehrende Handbewegung, daß der Fremde nicht mehr gefragt zu werden wünschte.

»Ihr werdet alles erfahren, wenn es so weit ist. Jetzt fordere ich als erstes von euerm Gehorsam, daß ihr sofort dort neben dem Tafelberg, wo die Strickleiter emporgewunden wird, genügend trockenes Feuerholz aufstapelt. Verstanden?«

Aha, den siegreichen Fremden dort oben machte sich bereits der Mangel von Feuerholz bemerkbar! Denn diese Felsenbewohner verzehren nicht nur wie unten im Tale das Rindfleisch, sondern auch das Hammelfleisch roh, und ebenso wird das gemahlene Korn ungebacken und ungekocht mit Milch genossen. Die Felsenbewohner hatten sich daran gewöhnt, die kannten es nicht anders, aber die ›Udlindschis‹ mochten an so etwas keinen Geschmack finden.

»Ich habe verstanden, und es wird geschehen,« entgegnete Nobody.

Er hatte noch mehr sagen wollen, aber der Fremde wartete nicht darauf, verlor selbst kein Wort mehr, er wandte sich und verließ ohne weiteres mit den beiden Schwarzen den Saal, um sich direkt wieder nach dem Tafelfelsen zu begeben und an der Strickleiter hinaufzuklettern, welche alsbald wieder hochgezogen wurde. –

Wir geben keine ausführliche Beschreibung von der tumultartigen Szene, welche nach Entfernung der Fremden in dem Saale ausbrach. Nobody wußte schnell zu beschwichtigen mit der Versicherung, daß er das Land gar bald wieder von diesen anmaßenden Fremdlingen befreit haben würde, nur müsse man vor allen Dingen jetzt diesem ersten Befehle gehorchen. Und so geschah es denn auch. Man ließ die drei Männer ungehindert den Tafelberg wieder erreichen und hinaufklettern, dann erhielten Sklaven den Befehl, Brennholz nach dem Tafelberge zu tragen.

Nobody sah nur noch zufällig, daß es meist kurze, aber sehr dicke Baumstämme waren, welche hinaufgewunden werden sollten, sonst kümmerte er sich nicht mehr um diese Angelegenheit.

Die Fadinah bekam er nicht mehr zu sehen, auch den Rasol nicht; so hatte er nur noch mit Flederwisch eine längere Unterredung, dieser und Anok sollten einstweilen hier im Palast bleiben und die weiteren Vorgänge beobachten, während sich Nobody allein auf den Rückweg nach dem Brunnen machte, natürlich ohne jemandem etwas von seinem Ziele erzählt zu haben. Bei der allgemein herrschenden Aufregung war es auch sehr leicht, ungesehen zu verschwinden, besonders für unsern Nobody, ohne daß er dabei sein Tarnkleid benutzen mußte.

Schon nach wenigen Schritten verschwand er ja in dem hohen Grase, dann nahm ihn der noch dichtere Wald auf, und die Sonne stand noch immer hoch am Himmel, als er den Zauberbrunnen wieder erreicht hatte, ohne auf diesem Gange von irgendeinem Menschen beobachtet worden zu sein, und ebenso konstatierte Nobody, daß er hier auch von jenem Tafelberg aus nicht gesehen werden konnte, dazu waren die hohen Bäume des Waldes zu nahe.

Er selbst aber bemerkte Leben darauf, indem nämlich in jener Gegend Rauchwolken aufstiegen, die nur von Feuern herrühren konnten, welche auf diesem Felsen brannten. Hatten die Udlindschis noch kein Feuerholz nach oben bekommen, so nahmen sie wahrscheinlich zunächst hölzerne Zeltstangen und dergleichen, was sie oben vorfanden, um ihre erste Mahlzeit zu kochen. Lange freilich würden solche Gegenstände aus Holz wohl nicht vorhalten, und daher eben war ihre erste Sorge gewesen, sich genügend Brennholz von unten zu verschaffen.

Und auch Nobody wurde schon seit vielen Stunden von einer schweren, schweren Sorge erfüllt. Was war unterdessen aus seinen Gefährten in dem Motorboot geworden? Sollte es wirklich noch unten liegen? Nobody hatte seine erste Exkursion nicht so lange ausdehnen wollen. Und er mußte ja immer daran denken, daß die Udlindschis – wie wir sie ruhig weiter nennen wollen – doch denselben unterirdischen Wasserweg benutzten, um von einem Tafelfelsen zum andern zu gelangen, daran war doch gar kein Zweifel! Bisher war man zwar keinem Fahrzeug begegnet, wenn es aber nun inzwischen geschehen, wenn das Motorboot bemerkt worden war?

Nun, in fünf Minuten mußte Nobody ja Gewißheit haben!

Aber auch noch mit etwas anderem beschäftigte sich sein rastloser Kopf, noch einen anderen Beweis wollte er schaffen.

Er nahm einen Totenschädel von der Stange, zog diese aus der Erde und legte sie, seinen großen Taschenkompaß dabei beobachtend, quer über den gemauerten Rand des Brunnens. Erst dann stieg er hinab, und so tief er auch kam, immer noch konnte er den querliegenden, ziemlich starken Stock erkennen, der sich scharf gegen die helle Oeffnung abhob.

Und wie sah es unter ihm aus? Ach, schon von oben hatte er vergebens nach einem hellen Lichtschimmer ausgespäht, der von der Laterne des Bootes ausgehen und sich bemerkbar machen mußte, auch wenn die Laterne sich nicht direkt unter dem Schachte befand – aber vergebens, unter ihm wollte sich die schwarze Finsternis nicht lichten, und wenn es sich um das Wohl und Wehe seiner Freunde handelte, so konnte sich auch das Herz dieses eisernen Mannes ängstlich zusammenziehen.

Doch da, waren das nicht Stimmen? Gewiß, das war Dr. Wolfram, welcher leise flüsterte, und die letzten Sprossen glitt Nobody mehr hinab, als er stieg, und er befand sich im Boot.

»Ich bin's. Alles wohl?«

»Gelobt sei Gott, daß Sie zurück sind!« erklang es mehrstimmig im Tone der tiefsten Erleichterung.

»Gelobt sei Gott!« wiederholte Nobody.

Die noch brennende Laterne war nur verdeckt, und Nobody ließ es dabei. »Was hat sich unterdessen hier zugetragen?«

»Nichts, absolut nichts, und auch über den Gefangenen ist nichts weiter zu melden, als daß er bisher noch kein Sterbenswörtchen von sich gegeben hat. Wo sind Kapitän Flederwisch und Anok?«

»In Sicherheit. Nun, meine Herren, wo meinen Sie wohl, daß wir uns befinden?«

»Das hoffen wir von Ihnen zu erfahren, und wir sind gespannt darauf.«

»Was vermuten Sie?«

»Wo anders sollen wir sein, als mitten in der Wüste Sahara?«

»Wissen Sie das bestimmt?«

»Es kann doch nicht anders sein, wir sind immer direkt nach Westen gefahren.«

Nobody hatte unterdessen seinen Taschenkompaß mit dem großen des Bootes verglichen, wozu ein kleiner Strahl aus der verhüllten Laterne genügte. Beide Kompasse stimmten überein, der Fluß ging auch hier direkt nach Westen.

»Blicken Sie in den Schacht hinein. Können Sie den Stab unterscheiden, der quer über dem Rande des Brunnens liegt?«

Scott und Puttfarken konnten wenigstens noch einen dünnen Faden unterscheiden, nur Dr. Wolfram mußte ein Fernrohr zu Hilfe nehmen.

»Ich sehe ihn.«

»In welcher Richtung liegt dieser Stab?«

»Direkt von Süden nach Norden,« lautete die mehrstimmige Antwort nach Befragen des Kompasses.

»Und ich sage Ihnen: dieser Stab liegt direkt von Westen nach Osten.«

»Nicht möglich! Der Kompaß sagt gerade das Gegenteil!«

»Der Kompaß hat uns getäuscht, wir sind nicht nach Westen, sondern immer direkt nach Süden gefahren – wir befinden uns in Abessinien!«

Die Ungläubigkeit konnte nicht lange anhalten.

Hier auf diesem unterirdischen Flußlaufe wurde die Magnetnadel eben ständig nach Westen abgelenkt – richtiger nach Osten – wozu die hypothetische Erklärung genügte, daß rechts neben dem Flusse in der Granitwand eine Eisenader entlanglief.

Größer als über dieses Phänomen war das Staunen natürlich über Nobodys Erzählung, was er in dieser kurzen Zeit alles an der Oberwelt erlebt hatte. Er hatte nichts verschwiegen, hatte es nicht nötig – nur seine eigenen Gedanken hatte er für sich behalten.

Auf welche Weise die ›Udlindschis‹ auf den sonst unersteiglichen Tafelberg gekommen waren, das wußten sich ja nun auch die im übrigen Uneingeweihten zu erklären, und von den sonstigen Fragen und Antworten wollen wir nur eins hervorheben.

»Was für ein Mann mag das sein, der sich den Herrn der Welt oder Erde nennt und seine Eroberungen mit Abessinien beginnt?« fragte der Arzt.

»Kein Mensch, kein Mann – der Kerl sprach doch von einem unsichtbaren Wesen, dem er diene.«

»Na ja, den abergläubischen Abessiniern gegenüber will er nun um seinen Herrn und Gebieter gleich etwas Nimbus ...«

»O, wo denken Sie hin!« fiel Nobody jenem ins Wort. »Verstehen Sie nicht, was hier vorliegt? Der Herr, mein Gott – – darauf kommt es hierbei an – – um eine schon existierende Welt, aber eine bisher noch unbekannte Religionssekte, die nur noch nicht in die Oeffentlichkeit getreten ist. Jawohl, so ist es! Sie staunen darüber, Herr Doktor? Ist so etwas in der Weltgeschichte nicht schon dagewesen? Was war es denn anderes, als Moses – ein gar gewaltiger Kerl! – die Kinder Israels aus Aegypten führte? Gab er dem jüdischen Volke nicht auch einen neuen Gott, den er Jehova nannte? Und er zeigte den aus der Wüste Kommenden das Land Kanaan und sprach: ›das ist das gelobte Land, welches Jehova euch geschenkt, ihr also seid die Herren dieses gesegneten Landes‹ ... und da waren die Kananiter und die anderen rechtmäßigen Besitzer dieses Landes in den Augen der frommgläubigen Juden die unrechtmäßigen Besitzer, und da fielen sie sengend und mordend und plündernd in dieses Land und sangen dazu Psalmen zu Ehren dieses ihres Gottes, den wir Christen noch jetzt als den unsrigen verehren und anbeten und ...«

Nobody sprach noch weiter, und er sprach mit Wucht! Aber wir wollen lieber abbrechen. Und doch ist es so! So sind Götter und Religionen von jeher gemacht worden und werden neue gemacht werden in alle Ewigkeit! Der furchtbare Kampf zwischen Mohammedanismus und Buddhismus, zwischen Mohammedanismus und Christentum – die männerwürgenden Kreuzzüge – Gustav Adolf und Tilly ... es gehört alles in ein und denselben Topf! Religionen entstehen, Religionen vergehen, und immer wieder werden neue kommen, und jede bringt ihren neuen Gott mit, und wenn man diesem den Namen des alten gibt, so ist das nur ein Akt der berechnenden Schlauheit des Siegers!

Oder kann jemand noch glauben, daß der Gott des alten Testamentes derselbe wie der des neuen ist? Dann glaube man, und der Glaube macht ja selig!«

Schweigen herrschte in dem finsteren Tunnel unter der Erde. Der Schiffsarzt, der erst hatte widersprechen wollen, war tief erschüttert, mit solcher Ueberzeugungskraft hatte Nobody gesprochen, Edward Scott suchte die Hand des Freundes und drückte sie leise, zum Zeichen, daß jener aus seiner eigenen Seele gesprochen hatte, Jochen Puttfarken ließ seine Elefantenohren hängen, und aus der Brust des Gefangenen, der von Jochen gebunden worden war, kam ein stöhnender Laut.

»Nemo, mein Gott, du wirst mich nicht verlassen,« erklang es murmelnd.

»Hörten Sie es?« fragte Nobody.

»Entsetzlich!« flüsterte Dr. Wolfram.

»Entsetzlich? Was? Daß dieser Mann an einen Gott glaubt, von dem wir noch gar nichts gehört baden? O, da mag es noch viele solche unbekannte Götter geben – Götter, die auch von uns Christen angebetet werden – vielleicht haben Sie schon von Gott Mammon gehört, das ist nicht der geringste und schließlich auch gar nicht der schlechteste.«

Leichthin hatte Nobody gesprochen, dann aber kam es in feierlichstem Tone aus seinem Munde:

»Es gibt nur einen Gott, und dieser sorgt dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und ...« hier fiel er wieder in seinen gewöhnlichen, leichten Ton, » ... und um sie abzusägen, dazu gebraucht er ein Werkzeug – und das ist manchmal eine Säge, manchmal ein Mensch. Diesmal wird dieser Gott Nemo wohl von dem Menschen Nobody abgesägt werden.«

 

Auch an der Oberwelt mußte finstere Nacht herrschen, als der Motor wieder zu arbeiten begann. Nobody gab die Richtung an – stromaufwärts.

Nur ab und zu wurde vorsichtig ein Blendstrahl vorausgeschickt. Wie nun, wenn ihnen doch noch ein Boot begegnete? Nobody glaubte einen guten Grund dafür zu haben, daß die ›Udlindschis‹ gar keins mehr besaßen, wenigstens gegenwärtig nicht – und bald sollte sich zeigen, daß er recht gehabt – aber dennoch durfte keine Vorsicht außer acht gelassen werden.

»Wieviel Meter haben wir schon hinter uns?« fragte er nach einer Viertelstunde.

»1227,« las Scott von dem Apparate ab, der an einer Schnur im Wasser nachschleifte; durch die Fortbewegung des Fahrzeuges wird eine Schraube in Bewegung gesetzt, sie teilt ihre Umdrehungen einem Uhrwerk mit, die Stromgeschwindigkeit des Wassers kann dabei berechnet werden.

»Dann aufgepaßt, der Schacht muß bald kommen. Weiter war der Tafelberg von dem Brunnen nicht entfernt.«

»Da ist er schon,« meldete der an der Lampe postierte Puttfarken.

Wiederum hing aus einem großen Loche an der Decke eine kupferne Leiter ins Wasser herab, und kein Fahrzeug war daran befestigt.

Das Motorboot hielt, Nobody betrachtete aufmerksam die Leiter und die Wände des Schachtes, und sein scharfes Auge erkannte doch Verschiedenes.

»Es ist der gesuchte Schacht – diese Leiter in erst vor kurzem benutzt worden – der Grünspan ist an vielen Stellen ab – und hier an der Granitwand der rotbraune Strich – der rührt von Messing oder Rotguß her – hier ist auch die Kanone hinausbefördert worden.«

Eine Beratung fand nicht mehr statt, Nobody handelte. Das Boot sollte hier liegen bleiben; ohne weiteres begann er die Leiter zu erklimmen.

Schon nach den ersten Sprossen entschwand er den Augen der Nachblickenden. In diesen Schacht schimmerte von oben kein Licht herab, auch kein Stern war zu sehen, und das hatte seinen guten Grund; denn Nobody hatte erst zwanzig Meter erklommen, als er mit dem Kopfe plötzlich gegen eine Decke stieß. Aber der Schacht hörte nicht auf, jetzt ging er nur horizontal weiter. Als Brunnenschacht, in den man einen Eimer hinabläßt, hätte er also überhaupt gar nicht dienen können.

Der horizontale Tunnel war so hoch, daß Nobody bequem aufrecht stehen konnte. Er tastete sich weiter, mit den ausgestreckten Händen beide Wände berührend.

»Aber auch ein Fünfunddreißigzentimetergeschütz könnte man ganz bequem hindurchschaffen, dachte er dabei.

Da plötzlich – tauchte da vor ihm nicht ein Lichtschimmer auf?

Nobody konnte es nicht bestimmt sagen, in solcher Stockfinsternis ist das Auge, wenn es angestrengt wird, großen optischen Täuschungen ausgesetzt.

Da auch Stimmen! Englisch! Und sie mußten ganz nahe sein, Nobody konnte jedes Wort deutlich verstehen.

»Zweifle nicht immer, Tom.«

»Und ich behaupte: wir sitzen hier in einer ganz ekligen Patsche.«

»Wenn Nemo will, wird er uns wieder heraushelfen.«

»Aber allmächtig ist er doch auch nicht ...«

»Mensch, frevle nicht!« wurde der zweifelnde Sprecher erschrocken unterbrochen. »Nemo ist überall und hört uns jetzt sprechen!«

»Na ja, wenn er will, kann er uns wohl helfen,« lenkte der andere ein; »aber er will eben nicht immer. Sonst hätte er doch auch nicht die ganze Besatzung des ›Luzifers‹ verhungern und erfrieren lassen, und daß Nemo heute früh unten das Boot hat scheitern lassen, das war auch nicht gerade nötig.«

»Mensch, frevle nicht!« wiederholte der erste. »Sind wir nicht alle gerettet worden bis auf den Steward? Hatten wir nicht vorher schon alles glücklich an Land oder vielmehr in diesen Schacht gebracht, ehe die Katastrophe erfolgte? Und da sollten wir Nemo nicht dankbar sein?«

»Du sprichst gerade wie jener Matrose,« knurrte der zweite, trotz der Gegenwart ihres allgegenwärtigen Gottes, »der von der Raa gestürzt ist, und wie man ihm sagt, daß ihm das gebrochene Bein abgeschnitten werden muß, da jauchzt er voller Freude: ›Gott, ich danke dir, daß ich mir nicht das Genick gebrochen habe, sonst würden sie mir jetzt den Kopf abschneiden!‹ – Nee, die Tatsache bleibt bestehen, daß wir in einer ganz ekligen Patsche sitzen. Unter vierzehn Tagen kommt der ›Walfisch‹ nicht zurück, und unser ganzer Proviant war in dem untergegangenen Boote, und die Kanone, auf deren Rettung du so pochst, geht nicht zu essen, und mit dem kleinen Dinge ist auch nicht viel auszurichten. Kurz und gut, wir fünfzehn Mann sitzen hier ganz einfach in einer Mausefalle, da kann uns vorläufig auch nicht Cornelius' Verwogenheit und Levys Schlauheit wieder heraushelfen, wir müssen warten, bis das Unterseeboot zurückkommt, einstweilen sind wir von aller Welt abgeschnitten, und was in diesen vierzehn Tagen alles passieren kann ... du, den Abessiniern ist nicht zu trauen, die haben Haare auf den Zähnen, und die werden das verdammt übelgenommen haben. Die sinnen jetzt nicht schlecht auf Rache.«

»Ach, daß wir aber auch nicht auf dem anderen Bergplateau geblieben sind, auf dem Negussamharra,« seufzte der andere, »dort hätten wir Holz und alles im Ueberfluß gehabt.«

»Na, ich danke, dort hausten ja die Pocken!«

»Nein, das war nur ein Ausschlag, den die Kinder hatten.«

»Levy behauptet, es waren die Pocken, und Levy muß es wissen,« entgegnete der andere, der auf Levys Allwissenheit mehr zu geben schien als auf Nemos Allmacht. »Außerdem hätten wir von dem Negussamharra aus gar nichts ausrichten können, weil Gondar viel zu weit abliegt; das scheint Cornelius nicht gewußt zu haben, unser Geschütz erreichte nicht einmal das nächste Dorf, dort ist ja ringsherum nichts weiter als Wüste. Wir hätten ganz tatenlos dort oben gesessen. Hier ist es etwas anderes, von hier aus können wir die Residenz der Fürstin beschießen, und durch diese Drohung halten wir die ganze Provinz Godscham, wenn nicht ganz Abessinien in Schach. Ja, wenn nur erst der ›Walfisch‹ wieder hier wäre!«

In der Unterhaltung trat eine Pause ein. Es begann nach Tabak zu riechen. Die beiden zündeten ihre Pfeifen an.

Nobody hatte auch schon genug gehört, um sich ein Bild von der ganzen Sache zu machen. Nun wollte er erst sich einmal diese beiden persönlich ansehen und dann Cornelius, Levy und Kompanie.

Das erstere war bald geschehen. Nobody brauchte nur noch einige Schritte zu tun, dann schmiegte er sich an die Wand und lugte vorsichtig um die scharfe Ecke, welche der horizontale Schacht hier bildete.

Keine zehn Schritte von ihm entfernt befanden sich die beiden. Es waren bärtige Männer germanischer Rasse, wie Seeleute gekleidet, d. h. nicht in Uniform, sondern wie Arbeiter. Jeder war mit einem kurzen Gewehr bewaffnet, an dem Nobody auch aus dieser Ferne die eigentümliche Konstruktion auffiel, ebenso wie an dem Revolver oder vielmehr der Pistole, die jeder außer einem Messer im Gürtel stecken hatte.

»Wenn ich nicht wüßte,« dachte Nobody, »daß Luftbüchsen nur Kinderspielzeuge sind oder höchstens dazu brauchbar, um Spatzen zu schießen, würde ich diese Waffen für solche halten.«

Nobody irrte. Schon um das Jahr 1850 herum ist einmal eine Abteilung preußischer Dragoner versuchsweise mit Luftbüchsen ausgerüstet worden, und sie bewährten sich ganz vorzüglich, sie gaben den damaligen Feuerwaffen an Durchschlagskraft nichts nach, diese Luftbüchsen waren eben keine Kinderspielzeuge. Aber es kamen in der Hand des Schützen zu häufig lebensgefährliche Explosionen vor, d. h., die Luft mußte durch einen Hebel zu stark zusammengepreßt werden, die Wandungen des Luftreservoirs hielten den Druck oftmals nicht aus.

Dies zu vermeiden, so weit war man damals eben noch nicht. Heute, da dies geschrieben wird, probiert man in Amerika ein mächtiges Geschütz, welches durch komprimierte Luft Dynamitgranaten wirft, von Dimensionen und mit einer Flugbahn, die alles, was man bisher von den besten Geschützen verlangt hat, weit in den Schatten stellen.

Aber wenn Nobody dies alles auch noch nicht wußte, so kannte er doch einen Mann, den er wohl für befähigt hielt, ein Luftgewehr und eine Luftpistole konstruiert zu haben, welche nichts zu wünschen übrig ließen.

»Warum wir hier Wache stehen müssen, weiß ich auch nicht,« brummte der eine, als er seine Pfeife in Brand gesetzt hatte.

Wollte Nobody seinen Weg fortsetzen, so mußte er entweder über sie hinweg, sie nämlich mit aller Lautlosigkeit überwältigen, oder ... ungesehen an ihnen vorbei.

Nach kurzer Ueberlegung zog er das letztere vor. Was er dazu brauchte, hatte er bei sich, sogar doppelt. Zum ersten Male wollte er Gebrauch von dem Vermächtnis jenes geheimnisvollen Mannes machen, den er in den Tod getrieben hatte.

Nobody hatte das unsichtbarmachende Tarnkleid noch nie benutzt, weder aus Notwendigkeit noch zu ... noch sozusagen zu seinem Amüsement. Etwa einmal so als unsichtbarer Geist in den Straßen Londons spazieren zu gehen, davon hatte ihn immer eine gewisse Scheu abgehalten, die er selbst nicht recht definieren konnte. Das war eben kein Spielzeug, und auch sonst hätte er sich lieber immer auf seine eigene Kraft und Gewandtheit verlassen, ehe er zu solch einem schier unnatürlichen Mittel griff – – oder er mußte sich erst daran gewöhnen. Jetzt ging es ihm ungefähr noch so, wie dem Jäger der Pyrenäen, der es verächtlich findet, dem Bären anders als mit dem Messer gegenüberzutreten – besonders solange er kein brauchbares Gewehr hat. Hat er erst ein solches, dann benutzt er es auch.

Außerdem hatte Nobody fast noch gar keine Zeit zu solch einem Experiment gehabt. Man wolle bedenken, daß er gleich nach Sinclaires Tod abgereist war und sich bisher immer an Bord oder in der Wüste befunden hatte.

Aber geübt im Anlegen des Kostüms, das er in einem ledernen Etui in der Tasche bei sich trug, hatte er sich schon genug, und Uebung gehörte auch dazu, um sich in die unsichtbaren Hosenbeine und Aermel hineinzufinden, und wenn es auch nach langer Uebung so schnell ging, so kam dies nur daher, weil Nobody, der nie untätig sein konnte, sich auf der langweiligen Seereise das Etui selbst gefertigt hatte, mit verschiedenen Abteilungen und Täschchen versehen, in denen jedes Stück für sich untergebracht war, und dann gehörte doch noch immer eine überaus feinfühlige Hand dazu, über welche der unvergleichliche Taschenspieler ja nun auch verfügte.

So war das Anlegen des Kostüms in kaum einer halben Minute geschehen. Es war also, was nochmals betont sein mag, das einem Anzuge ähnliche Kostüm, welches auch Nobodys leichte Schuhe gleich mit einhüllte. Dann hatte er noch immer das aus einem ganzen Stücke bestehende Gewebe bei sich.

Nochmals beugte er sich um die Ecke. Er sah die beiden Männer. Vorsichtig streckte er seine Hand hinter der Ecke hervor, daß sie in den Bereich der Laterne kam, welche die beiden bei sich hatten – das rätselhafte Gewebe hatte noch nichts von seiner Zauberkraft verloren, er sah seine Hand nicht. Nun trat er langsam ganz hervor – unsichtbar!

Auf lautlosen Sohlen setzte er seinen Weg fort. Der Tunnel war breit genug, um an den beiden vorüberzukommen, ohne einen zu streifen, wobei er sich allerdings gegen die Wand schmiegen mußte.

Das wollte er schon fertig bringen. Aber ehe er dies tat, blieb er noch einmal vor den beiden stehen. Nobody sagt in seinem Tagebuche, es wäre ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, damals, das erstemal, wie er so vor den beiden geradeaussehenden Männern stand, sie blickten ihn direkt an, und er sah sie deutlich vor sich stehen, sie aber blickten durch ihn wie durch Luft. Ein wahres Grauen habe ihn überkommen.

Man stelle sich nur diese Situation vor, und man wird das begreiflich finden.

Und gerade dieses erstemal passierte ihm etwas, was ihm auf einer belebten Straße jeden Augenblick passieren konnte.

Unvermutet, mit einer schnellen Bewegung, streckte der eine seinen Arm aus, Nobody hatte der Hand nicht mehr ausweichen können, diese traf ihn gegen die Brust, fand also in der wesenlosen Luft einen Widerstand, der alsbald zurückwich.

Und der Erfolg? Wie vom Blitz getroffen sank der betreffende Mann, sein Gewehr fallen lassend, auf die Knie nieder, anbetend die Arme hochhebend.

»Nemo – Nemo befindet sich hier!« flüsterte er, halb zum Tode erschrocken, halb mit überströmender Freude, und der andere hatte schon etwas bemerkt, im nächsten Augenblick lag auch er anbetend auf den Knien.

»Dann sind wir gerettet – Nemo befindet sich unter uns – gelobt sei Nemo, in alle Ewigkeit. Amen!«

So erklang es hinter Nobody; denn dieser befand sich schon auf der anderen Seite, und seine Entfernung war ein fluchtähnliche.

Eine ungeheure Erregung hatte sich seiner bemächtigt, die Ahnung von etwas Ungeheuerlichem, für welche der Mensch keine Worte findet.

Lag hier Gotteslästerung vor? Was ist Gotteslästerung? Ein Garnichts gegen das, was hier getrieben wurde! Hier trieb ein einzelner Mensch einen Frevel, für den es eben gar keine Worte gibt! Und doch, und doch – und es war dennoch ein genialer Kopf gewesen, der diesen Frevel ausgeheckt und inszeniert hatte!

Es war ein eigentümlicher Gedanke, der unserem Nobody die Ruhe wiedergab.

»Wenn ich einen Soldaten auf Wachtposten stellte, und er würde sein Gewehr hinlegen, um einen Gott anzubeten – ich würde den Kerl füsilieren lassen!«

Es war ein Gedanke, eines Soldaten würdig – über Frömmigkeit und alles andere geht noch etwas anderes, die unerschrockene Pflichttreue!

Der Gang machte abermals eine Biegung, und dann ging es wieder eine Leiter hinauf, hoch, sehr hoch, war doch außer der Erdoberfläche auch das Plateau des Felsens zu erreichen, und Nobody klomm unverdrossen, ohne noch auf eine Sicherheitswache zu stoßen.

Da wurde es hell über ihm! Es war ein flackernder Lichtschein.

Noch einige Meter höher, und Nobody befand sich in einem kleinen, niedlichen Raume, dessen Wände aus roh zusammengesetzten Quadern bestanden.

Nobody hätte ruhig den Schacht verlassen können; denn kein Mensch war zu sehen. Am Boden stand eine brennende Petroleumlampe, doch das Hauptlicht, welches so flackerte, drang durch eine Maueröffnung, welche aber kein Tor, keine regelrechte Tür war, sondern in die Mauer war mit Gewalt eine Bresche gelegt worden.

Nobody hatte sich im Palaste der Residenz zu gut über alles orientiert, um nicht sofort zu wissen, wo er sich befand.

Die Abessinier sind also Christen. Sie haben Kirchen und Tempel, welche sie Banas nennen, ihre Priester daher Abbanas oder Tempeldiener, Tempelwächter.

Das alles haben sie aus der Bibel herübergenommen; sie haben noch dieselben Kirchengebräuche, wie sie im alten Testamente beschrieben und vorgeschrieben sind, freilich alles nach ihren rohen Begriffen, einem afrikanischen Negervolke entsprechend, und wenn sie ihre Kirche nach dem Muster von Salomos Tempel gebaut haben, so ist denn auch etwas Nettes daraus geworden!

Der salomonische Tempel hatte doch einen Vorhof, einen heiligen Raum und einen allerheiligsten, welch letzterer jährlich nur einmal vom Hohenpriester betreten werden durfte.

Das alles hat in Abessinien gleich jede Kirche. Aber nun wie! Edelmetall, Juwelen und Elfenbein sind in den Hauptkirchen des Landes wohl reichlich vorhanden, aber von jener Kunst, die am salomonischen Tempel so reich verschwendet war, keine Spur. Alles plump, roh, und die Gottheit muß in einem Kellerloche wohnen.

Auch jeder Samharra hat seinen Bana und seinen eigenen Abbana oder Priester. In der Mitte des Felsplateaus ist ein Gewölbe gemauert oder vielmehr nur aus Steinen zusammengesetzt – das ist das Allerheiligste, in dem man sich den Geist Gottes wohnend denkt – durch eine Ringmauer wird die eigentliche Kirche gebildet, aber oben offen – wenn es beim Gottesdienst regnet, werden nur Felle und Decken darübergespannt – und dann eine zweite Ringmauer, über die man aber gleich mit einem Beine steigen kann, welche den Vorhof bildet oder vielmehr bilden soll.

Nur der in Gondar residierende Rasabbana oder Erzbischof, der abessinische Papst, darf das Allerheiligste jeder Kirche betreten, um mit Gott persönlich zu verkehren. Deshalb reist er im Lande herum, besucht die einzelnen Kirchen. Aber in Abessinien sind sie schon so weit, daß sie die weltliche Macht von der kirchlichen getrennt haben. Auf keine jener Ritterburgen, den Sitz der weltlichen Macht, darf der Rasabbana kommen. Jede Ritterburg hat einen eigenen Priester. Trotzdem steht dieser unter dem Erzbischof; nie würde er wagen, das Allerheiligste seiner eigenen Kirche zu betreten. Da hat dieser Raum einfach gar keinen Eingang, man hat ihn gleich ganz zugemauert.

Daher ist es erklärlich, wie es kommen kann, daß nicht einmal die Priester, noch viel weniger die anderen Felsenbewohner, um den mit einer Leiter versehenen Schacht wissen konnten, der in das zugemauerte Allerheiligste führte.

Ein Rätsel bleibt freilich bestehen. Wer waren die Erbauer dieser Schächte? Wer hatte die Leitern angelegt? War dies vielleicht schon in vorchristlicher Zeit geschehen? Hatten diese jetzt als Kirchen dienenden Gebäude einst anderen Zwecken gedient? Oder war den Abessiniern und auch den Priestern nur im Laufe der Zeit die Erinnerung an alles dies verloren gegangen, was ihre Ahnen einst geschaffen hatten?

Nobody zerbrach sich hierüber nicht den Kopf. Er hielt sich an die Tatsachen, und da war ihm alles erklärlich. Die ›Udlindschis‹ hatten darum gewußt oder hatten die Schächte mit den Leitern entdeckt, hatten sie erklommen, die Mauer des Allerheiligsten wurde von innen durchstoßen, so waren die völlig ahnungslosen Felsenbewohner, die nicht einmal mehr Zeit hatten, nach den Waffen zu greifen, überrumpelt worden. Auf sie selbst mußte das Auftauchen der Fremdlinge aus der Kirche wie eine Gespenstererscheinung gewirkt haben.

Nobody ging durch die Bresche und befand sich in der eigentlichen Kirche. Das war also nichts weiter als ein offener Rundgang, und auf diesem Plateau, das seine Bewohner selbständig ernährte, mußte man mit dem Raume geizen. Der Rundgang, der beim Gottesdienst ja auch bloß zwei Dutzend Menschen aufzunehmen hatte, war von Mauer zu Mauer kaum drei Meter breit.

Nicht weit von der Bresche entfernt waren über die Mauern Stangen gelegt worden, darüber Decken, und darunter saßen, so gegen den Nachttau geschützt, zwei Männer.

In dem einen erkannte Nobody den Mr. Cornelius wieder, der andere, der stark jüdisch aussah, war offenbar der Levy. Seltsam mutete es Nobody an, daß dieser einen ganz modernen Jackettanzug trug, Stehkragen und Manschetten – und nun einen Klemmer auf der krummen Nase, die Hände in den Hosentaschen – ganz wie ein auf der Straße einer europäischen Stadt feilschender Jude modernsten Kalibers.

Aber hier wurde nicht gefeilscht. Oder aber doch! Um Menschenleben!

Himmel, wo hatte Nobody denn dieses jüdische, geistreiche Gesicht mit den scharfmarkierten Zügen schon einmal gesehen?

Diesmal brauchte Nobody nicht lange zu grübeln.

Mr. Harris Levy, vor sechs Jahren, im New-Yorker Schachklub, der alle amerikanischen Schachspieler zu einem Turnier eingeladen hatte, dieser ausgemergelte Judenjunge gewann den ersten Preis und wurde dadurch Meisterschaftsspieler von Amerika; dann machte er noch acht blinde Spiele zugleich und gewann sie sämtlich. Im nächsten Jahre wollte der New-Yorker Schachklub ihn als Vertreter Amerikas zum internationalen Wettkampf nach England schicken, aber Mr. Harris Levy war nicht zu finden gewesen ...

Also hier! Ein Werkzeug jenes Mannes, der sich als böses Prinzip Mephistopheles, als gutes oder doch gottähnliches Nemo genannt hatte!

Jawohl, hier wurde ebenfalls Schach gespielt, nur kein so harmloses!

Die beiden saßen auf Ochsenschädeln, zwischen sich eine Kiste, auf der eine Landkarte ausgebreitet war. Nobody erkannte einen Riß von Abessinien, selbst gezeichnet, nicht den wirklichen Dimensionen entsprechend, vielfach verkürzt, anderes wieder weit auseinandergezogen, ein Plan, wie der Offizier ihn sich selbst verfertigt, wenn er seine Aufmerksamkeit auf ein gewisses Gelände richtet und dabei doch die Umgegend, das ganze Land im Auge behalten muß.

Deutlich konnte Nobody, der sich ja ungeniert nähern durfte, erkennen, daß der eine runde Kreis, um den sich eine blaue Linie schlängelte, die auf der Flußinsel liegende Residenz der Fadinah bedeuten sollte, dann war der schwarze Fleck nebenan dieser Felsen hier. Und dort der kleine Kreis, weswegen war daneben ein Totenknochen gemalt?

Auf der Karte befanden sich kleine Stückchen von weißem und schwarzem Glas, sie wurden von den beiden Schachspielern hin und her gezogen, sie berieten, konnten sich auch streiten.

»Nein, wir müssen vom Knochenbrunnen ausgehen, dann marschieren wir auf Godscham los. – Hier, Mr. Cornelius, setzen Sie sich fest, während Mr. Haddok auf Gondar losmarschiert ...«

Das Schachspiel war ein Feldzugsplan, vorläufig auf der Karte ausgeführt. Der Teufels- oder Zauberbrunnen, von jenen Knochenbrunnen genannt, war das Zentrum der einen Armee, von dem sie ausgingen, während es eine zweite Armee zu geben schien, von einem Mr. Haddok befehligt, welcher unterdessen sich eines Tafelfelsens nach dem anderen bemächtigte.

Nobodys Interesse erlahmte sehr schnell.

»Ja,« dachte er, »jener Sinclaire war nicht so dumm, als er sich den genialsten Schachspieler zum Chef des Generalstabs erkor, ich glaube schon, daß dieser Mr. Levy ein ganz tüchtiger Feldherr der Theorie ist, Moltke soll ja auch auf dem Schachbrett ein ausgezeichneter Schlachtenlenker sein – nur schade, daß ihr vorläufig in einer ekligen Patsche sitzt, wie vorhin der Mann ganz richtig sagte, es dürfte doch noch einige Zeit währen, ehe eure Armeen zur Stelle sind, mindestens also dauert es noch vierzehn Tage, ehe das Unterseeboot wieder hier ist, und gleich zwei Armeen wird das wohl nicht mitbringen, und bis dahin denke ich euch den Garaus gemacht zu haben – wenn es nicht noch diese Nacht geschieht!«

Es hatte also gar keinen Zweck, daß Nobody diesen Feldzugsplan, wie man sich nach und nach ganz Abessiniens bemächtigen wolle, weiter verfolgte – er würde ja doch nie zur Ausführung kommen.

Bedauerlich war nur, daß er nicht heraushören konnte, über wieviel Mann hier disponiert wurde – man sprach gleich von zwei Armeen? – und da zog er es eben vor, auf eigene Faust wenigstens hier oben Recherchen anzustellen.

Rings um die äußere Mauer dieses elenden Gebäudes, das die Abessinier eine Kirche nannten, standen die mit Häuten gedeckten Hütten der Felsbewohner. Sie waren von den siegreichen ›Udlindschis‹ nicht bezogen worden, um sich vor dem reichlich fallenden Nachttau zu schützen, und den Grund hierzu konnte sich Nobody lebhaft denken. Er bekam ihn auch zu hören.

Ein weißer, wie ein Arbeiter gekleideter Mann, kam soeben aus solch einer Hütte gekrochen, er hatte einen Tonkrug herausgeholt, und sich kratzend, schimpfte der Mann in französischer Sprache über das Ungeziefer, welches einem hier von allen Seiten anspränge.

So zogen die Leute vor, im Freien zu kampieren. Die Nacht war ja auch warm genug, auch der Tau nicht kalt, und zum Schlafen würden sie sich wohl Dächer herzustellen wissen.

In einiger Entfernung von den gefährlichen Hütten loderten Feuer auf, an denen große Fleischstücke von frischgeschlachteten Hammeln gebraten wurden. Hier zählte Nobody neun Männer, Europäer verschiedener Nationen und zwei Neger. Aber das waren nicht alle. Dort vorn, wo der Rand des Plateaus sein mußte, loderten ebenfalls Feuer, in dessen Scheine ein Dutzend Männer arbeiteten, sie drehten unter Gesang eine Winde, andere türmten Baumstämme auf oder zersägten und zerhackten sie gleich. Das Heraufwinden des Holzes war also noch in vollem Gange. Dann konnten sich ja auch noch Leute auf dem finsteren Plateau, auf welchem doch Herden weideten, zerstreut haben. Man stelle sich ein Gut von siebzig Ackern vor. So groß war dieses Plateau, auf dem ja auch hauptsächlich Landwirtschaft betrieben wurde.

Als Nobody an den ersten Feuern von den Leuten kein ihn besonders interessierendes Gespräch erlauschen konnte, begab er sich nach jenen anderen, wo das Holz aufgewunden wurde.

Auf dem Wege dorthin glaubte er trotz seiner Unsichtbarkeit einer Entdeckung ausgesetzt zu sein. Ein großer Hund kam ihm entgegen, auch dieses Tier sah ihn nicht, aber es sah durch die Nase, wenn man sich so ausdrücken darf; denn plötzlich stutzte der Hund, hob die Nase, beschrieb um Nobody, der schon zu allem bereit war, einen Kreis, dann aber stieß das Tier ein jämmerliches Geheul aus und floh mit eingekniffenem Schwanze davon.

Einen Menschen zu riechen und ihn nicht zu sehen, das war für einen Hundeverstand zu viel!

Eine weitere Folge hatte dieses Intermezzo nicht. Nur die Sterne verbreiteten ein schwaches Licht, der Hund war von niemandem beobachtet worden, man hatte nur sein Geheul gehört, das sich aber nicht wiederholte, und so mochte man eben glauben, das Tier sei von irgend jemandem getreten oder geschlagen worden.

An dem Rande des Plateaus zählte Nobody fünfzehn Mann, wiederum teils Europäer, teils Schwarze und andere Farbige. Das Boot, welches gesunken war, mußte sehr groß gewesen sein, um so viel Menschen aufnehmen zu können, und wie gesagt, die achtundzwanzig Menschen, die Nobody bis jetzt gezählt hatte, brauchten noch immer nicht alle zu sein.

Hier wurde nur darüber geschimpft, daß die Kerls dort unten ausschließlich solche große, schwere Baumstämme an das Seil banden, die man kaum heraufwinden konnte und dann noch zersägen und spalten mußte.

»Der Kapitän hätte fordern sollen, daß die Schufte das gleich dort unten machten,« wurde gemurrt.

»Er war überhaupt sehr fix wieder hier oben, viel verlangt kann er von der Fürstin nicht haben.«

»Es war keck genug von ihm, daß er sich überhaupt hinunterwagte.«

»Ja, aber auch der Kapitän Cornelius! Der bringt noch etwas ganz anderes fertig, der ist ein Teufel von Verwogenheit.«

»Aber wir könnten nun bald aufhören, es ist schon genug Holz, um eine Woche lang jeden Tag einen Ochsen braten zu können.«

»Und womit braten wir die anderen Tage, bis der ›Walfisch‹ wiederkommt?«

»Morgen ist auch noch ein Tag, heute könnten wir Schicht machen.«

»Es wird gearbeitet, bis der Tee fertig ist!« entschied der die Arbeit leitende Aufseher.

Nobody wandte seine Aufmerksamkeit dem Geschütz zu, welches nicht weit von dieser Arbeitsstelle placiert war. Es ruhte auf einer Lafette, Sechzehnzentimeterkaliber, daneben war ein großer Haufen von Granaten und Hartgußkugeln aufgestapelt, ein eherner Kasten mochte die Pulverkartuschen bergen.

Dieser große Vorrat von Munition war sehr schlimm für die Residenz Godscham und seine Bewohner; dieses Geschütz mußte vernagelt oder noch wirksamer unschädlich gemacht werden, ehe Nobody das Plateau wieder verließ, um selbst gegen die Udlindschis als Angreifer vorzugehen.

Zunächst wollte er untersuchen, was für ein Feuer dort in der Ferne brannte. Er kam über fette Weidegründe, Wege führten durch mit Weizen und Durra bestellte Felder.

Auf diesem Wege begegnete er noch vier anderen Männern, welche Krüge trugen, aus denen beim Gehen Milch hervorspritzte. Sie hatten Kühe gemolken.

Das im Absterben begriffene Feuer war verlassen, Nobody kehrte zurück, schon von weitem bemerkend, daß jetzt die neben der Winde brennenden Feuer ausgelöscht, mit Füßen ausgetreten wurden. Man wollte soviel Holz wie möglich sparen, auch noch die Holzkohle benutzen.

So war dieser Platz schon verlassen, als ihn Nobody wieder erreichte, die Arbeiter hatten sich nach dem mittleren Teile des Plateaus zu den anderen Feuern begeben, um dort die Abendmahlzeit einzunehmen.

Nobody sah sich um. Niemand war in der Nähe. Warum sollte er mit der Ausführung seines Vorhabens zögern? Die ganze Nacht konnte oder wollte er doch nicht hier oben bleiben, seine zurückgebliebenen Gefährten warteten jetzt noch in ganz anderer Sorge auf ihn, als da er heute früh jenen ersten Schacht bestiegen hatte, und ob man nun sogleich oder erst morgen früh merkte, was eine unsichtbare Hand getan, das blieb sich gleich; die Hauptsache war, daß es ausgeführt war, und dann wurde der Schacht für die Udlindschis versperrt, dann waren es seine Gefangenen.

Gedacht, getan. Noch einmal spähte Nobody um sich, und dann ging er ans Werk. Er schraubte von dem Geschütze das Verschlußstück ab. Freilich war hierzu eine kundige Hand nötig. Nicht jede hätte die vielen Schrauben und Schräubchen gefunden und die anderen Griffe gewußt, die dazu gehörten.

Es war geschehen. Und nun warf Nobody diesen Verschlußkopf einfach über den Rand des Plateaus hinaus. Hoffentlich fiel das schwere Stahlstück unten keinem Abessinier auf den Kopf. Es mußte schon längst unten aufgeschlagen sein, und kein Ton war hier heraufgedrungen.

So, dieses Geschütz war ein für allemal unbrauchbar gemacht worden, und ein anderes besaßen die neuen Felsenbewohner nicht.

Schon wollte sich Nobody zum Gehen wenden, als ein Ton sein Ohr traf, der ihn zusammenzucken ließ.

Dicht neben ihm war ein hoher Stoß von Baumstämmen, und in diesem hatte es geraschelt, gekratzt, gepocht.

Das war keine Maus oder irgendein Baumtier, das mit den Baumstämmen zufällig hierheraufbefördert worden war.

Das war eine menschliche Hand, welche vorsichtig in dem Holzstoß arbeitete!

Die Sterne verbreiteten für das Auge dieses Detektivs genug Helligkeit, um noch deutlich alle die Enden der einzelnen Baumstämme erkennen zu können, noch deutlicher die dunklen Zwischenräume zwischen den einzelnen: denn nur ein solcher konnte doch als Versteck eines Menschen dienen.

Da, was war das? Plötzlich hob sich das Endstück eines in der Mitte liegenden Baumstammes wie ein Deckel ab, ein schwarzer Kopf kam zum Vorschein, zwei leuchtende Augen spähten heraus.

Nobody dachte nicht daran, daß hier ein Wächter postiert worden sein könnte, sondern wie ein Blitz schoß es ihm durch den Kopf:

Unten die Abessinier haben sich selbst zu helfen gewußt! Krieger haben sich in hohlen Baumstämmen heraufgeschmuggelt, um unter den Udlindschis ein Blutbad anzurichten!

Es war die größte Hochachtung, welche Nobody während dieses Gedankens für die Eingeborenen dieses Landes empfand, und mit dem Bewußtsein, selbst unsichtbar zu sein, beobachtete er mit Spannung, wie sich die Sache weiter entwickelte.

Zunächst sei darauf aufmerksam gemacht, daß das Auftauchen dieses versteckten Mannes bewies, mit welcher Geräuschlosigkeit Nobody sich seiner eigenen Arbeit entledigt hatte. Denn dieser schwarze Mann hatte doch natürlich aufs angestrengteste gelauscht, ehe er wagte, den Pfropfen von dem hohlen Baumstamm zu entfernen und herauszublicken. Aber das Abnehmen des Verschlußstückes vom Geschütz hatte trotz seiner Schwierigkeit auch nicht das geringste Geräusch verursacht.

Dem Kopfe folgten die Brust, der Leib, die Beine, und Nobody als Sachverständiger bewunderte, wie schlangengleich sich diese Bewegungen vollzogen.

Wie ein indischer Gaukler, dachte er, der selbst mehr Schlange denn Mensch ist, gar keine Knochen im Leibe zu haben scheint.

Langausgestreckt lag der Spion, wie wir ihn nennen wollen, nur den Kopf etwas erhoben, im Schatten des Holzstoßes, selbst ein Holzklotz. Es hätte jemand dicht an ihm vorübergehen können, mit einer Laterne, er hätte ihn nicht von einem Baumstamm unterscheiden können.

Unseres Champion-Detektivs Augen sahen schärfer, ihm genügte das schwache Sternenlicht, um alles deutlich unterscheiden zu können.

Der bis auf den Schurz nackte, tiefschwarze Mann, war außergewöhnlich klein, man hätte ihn eher für einen halbwüchsigen Knaben halten können, hätte Nobody nicht auch die Züge zu unterscheiden vermocht, welche die eines sogar alten Mannes waren. Um die Hüften trug er einen Riemen, in dem ein Scheidemesser steckte und an dem ein Beutel hing.

Nachdem er sich überzeugt hatte, daß niemand in der Nähe war, kroch er wie eine Schlange weiter – wirklich wie eine Schlange, auch Nobody konnte sich gar nicht erklären, wie er sich so, auf dem Bauche liegend, scheinbar ohne jede Bewegung fortschieben konnte. Er verschwand hinter dem Holzstoß.

Sollte Nobody ihm folgen und ihn weiter beobachten? Das war wohl an sich schon schwierig, und dann wollte Nobody erst abwarten, ob nicht noch mehr hohle Baumstämme vorhanden waren, aus denen noch andere hervorkrochen.

So verging eine Viertelstunde. Nichts geschah. Der Spion kam nicht zurück, etwaige Kollegen aus ihrem Versteck hervorzuholen, und nun war es erst recht schwierig, ihn wieder aufzufinden.

Was tat er wohl unterdessen? Kundschaftete er nur aus? Damit würde er sich wohl schwerlich begnügen. Nobody war überzeugt, daß jener gleich aktiv vorging. Es genügte ja, wenn nur ein einziger der Abessinier hierheraufgelangte und die Strickleiter hinabließ.

Aber so einfach war das denn doch nicht! Die über hundert Meter lange Strickleiter war über eine Art von Trommel gewickelt, welche sich neben der Winde befand, die jetzt zu einem anderen Zwecke diente. Einmal nun quietschte die Winde außerordentlich, das hätte die Udlindschis sofort herbeigerufen, und dann glaubte Nobody nicht, daß diese Last von einem einzigen Menschen beherrscht werden konnte.

Eine weitere Viertelstunde verging. Nichts regte sich. Dort in der Mitte des Plateaus begannen die Feuer zu verlöschen, die Leute trafen Vorbereitungen zur Nachtruhe.

Da plötzlich schlug ein Hund an, ein zweiter, aus dem warnenden Bellen wurde ein wütendes Geheul.

»O weh, der Retter des Vaterlandes hat nicht an die Hunde gedacht, sie haben ihn aufgestöbert, er ist verloren, und ich kann ihm nicht helfen!«

Die folgende Szene spielte sich auf der Strecke zwischen Nobody und den Lagerfeuern ab. Ein menschlicher Schatten flog über die Ebene, doch schneller war ein vierbeiniger, ein Kampf zwischen Mann und Hund, das röchelnde Geheul des letzteren verriet, daß ihn das Messer tödlich getroffen hatte, doch auch der Mensch war gestürzt, und da unter wütendem Gekläff ein zweiter Hund – und nun Alarm im Lager und herbeieilende Fackelträger.

»Ein fremder Neger! Verrat!!!«

»Er ist schon tot, Neptun hat ihm die Kehle durchgebissen.«

»Wie ist der hierheraufgekommen?«

»Zu den Waffen!!! Auf die Posten!!! Licht!!!«

Nobody mußte an seinen eiligen Rückzug denken. Wenn es denen jetzt einfiel, auch den Schacht wieder zu verbarrikadieren, dann half ihm seine Unsichtbarkeit nichts mehr, dann war er hier oben ein Gefangener.

Er bekam auf seinem fluchtähnlichen Rückzuge noch einige Ausrufe zu hören. Man hatte schon alles entdeckt.

»Hier ist ein hohler Baumstamm!«

»Hier liegt ein Holzkeil, mit dem war er zugestöpselt!«

»Reißt die Baumstämme auseinander, untersucht sie alle!«

Ein Wutschrei übertönte alle anderen, ein entsetzlicher Fluch folgte.

»Von dem Geschütz ist der Verschlußkopf abgeschraubt!!!«

Mehr hörte Nobody nicht, er befand sich bereits tief im Schacht.

Ungesehen und lautlos schlüpfte er wieder an den beiden Wachtposten vorbei, welche sich zu tief unter der Erde befanden, um irgend etwas hören zu können.

Dann war Nobody, der sich nach Passieren der Posten seines Tarnkleides entledigt hatte, wieder bei seinen Gefährten. Nachdem er das Motorboot etwas hatte zurückgehen lassen, stattete er Bericht ab.

Wir brauchen die Erwägungen nicht zu hören, in denen sich die anderen ergingen, während der Gefangene mit weitaufgerissenen Augen den Erzähler anstierte. Wir vernehmen nur Nobodys Plan:

»Wir bleiben hier liegen und beobachten den unteren Ausgang des Schachtes; denn die Vermutung liegt nahe, daß die Udlindschis jetzt daran denken, mit den vorhandenen Baumstämmen Flöße zu bauen und so aus der Klemme zu kommen, was natürlich von uns verhindert wird. Hierheraus kann ja niemand, wenn wir nicht wollen. Geschieht nichts, so werde ich morgen früh mit ihnen in Unterhandlung treten. Was für Bedingungen ich stelle, weiß ich noch nicht. Jedenfalls sind sie unsere Gefangenen auf Gnade und Ungnade. Der aufsteigende Schacht wird oben horizontal, beschreibt zwei scharfe Ecken, und ein einziger von uns, der hinter solch einer Ecke steht, kann die ganze Gesellschaft in Schach halten, während das Motorboot unterdessen nach dem Zauberbrunnen fährt und einer die Abessinier von dem Vorgefallenen benachrichtigt. Alle Einzelheiten werde ich mir noch diese Nacht überlegen.« –

Die Nacht verlief ohne jede Störung. Früh um fünf erstieg Nobody zum zweiten Male die kupferne Leiter, gefolgt von dem bis an die Zähne bewaffneten Puttfarken.

Noch vor der ersten Ecke hörte er abermals ein Gespräch, also noch immer waren zwei Wachtposten ausgestellt, aber es waren andere Stimmen als gestern.

»Ich freue mich auf den Kaffee,« gähnte der eine.

»Bloß noch eine Stunde, dann werden wir abgelöst.«

»Den könnten sie uns eigentlich auch herunterbringen, er sollte schon um drei fertig sein.«

»So was gibt's bei Kapitän Cornelius nicht.«

»Ob wir dann schlafen können?«

»Schwerlich, jetzt muß alles mit Hand anlegen. Sofort nach dem Kaffeetrinken werden die Baumstämme, die einstweilen bis an den Schacht geschleppt werden, herabgelassen, und da muß alles schon fix und fertig sein, hier unten am Wasser brauchen dis Flöße bloß noch zusammengebunden zu werden, und dann kom ...«

Ein Griff, zwei Köpfe schmetterten zusammen, und als die Betäubten wieder zu sich kamen, waren ihnen schon Hände und Füße gebunden und in jedem Munde steckte ein Knebel.

»Master, das habt Ihr wieder einmal fein gemacht,« lobte der Nasenkönig, der sich nur an dem Binden hatte zu beteiligen brauchen.

Weitere Instruktionen hatte Nobody dem geriebenen Matrosen, den er als Schutzwache in seinem Rücken zurückließ, nicht zu erteilen, er bezeichnete ihm nur den Platz, wo er mit schußbereitem Revolver zu stehen habe, jeden niederstreckend, der das Losungswort nicht geben konnte, und Nobody setzte seine Klettertour fort, diesmal in sichtbarer Person, und er würde das Tarngewand auch nicht noch nachträglich anlegen. Denn er unterhandelte bereits mit Gefangenen, die sich auf Gnade und Ungnade in seinen Händen befanden, und wenn sie ihn nicht als gefeiten Parlamentär anerkannten, dann ... war Nobody noch immer der Mann, aus eigener Kraft den Rückweg zu finden. Jetzt jedenfalls verachtete er das Tarnkleid.

Nun die letzten Sprossen, und er steckte den Kopf zur Schachtöffnung heraus.

Das Mauerwerk, welches das ›Allerheiligste‹ eingeschlossen hatte, war über Nacht abgetragen, ganz beseitigt worden. Statt der Steine lagen Baumstämme aufgetürmt, welche dann also hinabbefördert werden sollten, um erst auf dem unterirdischen Wasser von ihnen ein Floß zu bauen. Sie zeigten schon die Einschnitte, wo sie mit Stricken verbunden werden sollten.

Ein Mensch war nicht zu sehen, die Baumstämme verdeckten fast alle Aussicht. Auch kein Laut war zu hören. Besonders fiel das Nobody nicht auf. Die Leute mochten an einer entfernten Stelle arbeiten, oder sie nahmen das Frühstück ein.

»Hallo!! Ein Parlamentär!«

Keine Antwort. Das war eigentlich merkwürdig, Nobody hatte laut genug geschrien. Auch ein zweiter Ruf und ein gellender Pfiff lockte keinen Wächter, keinen Menschen herbei, auch nicht den Hund.

Nobody stieg vollends heraus – und stand betroffen da!

Vor ihm, seinen Blicken bisher von einem Baumstamm verborgen, lag am Boden langausgestreckt ein Mann, ein blondhaariger Weißer, mit dem Gesicht gegen den Steinboden.

Schlief denn der Mann hier?

»He!«

Die erste Berührung am Arm genügte für Nobody, um zu wissen, wen er vor sich habe. Einen Toten! Er wendete ihn um – und schrak vor dem furchtbar verzerrten Gesicht zurück.

Und da lag noch einer! Den brauchte Nobody nicht erst umzukehren, und dessen Gesicht war ebenso fürchterlich verzerrt!

Und dort noch einer, und da wieder einer, und da lag ein großer Hund, und an der Feuerstelle, wo zwei Dutzend Menschen Kaffee getrunken hatten ... tot, alles tot!!

Wohl war Nobody beim ersten Anblick zurückgeschreckt, aber Furcht kannte er nicht, auch nicht vor solch einem Massentod. Er hielt auf dem Plateau weiter Umschau. Es ist darüber nichts weiter zu sagen als nochmals: alles tot!

Auch einige Dutzend Rinder, eine ansehnliche Herde Schafe – alles krepiert.

Die Felsenbewohner hatten für ihre Herden eine besondere Salzlecke errichtet, und neben dieser lagen die sämtlichen Tiere. Das Salz war vergiftet, und andere Zuchttiere, welche kein Salz lecken, gab es hier oben gar nicht.

Und die Menschen? Der Hund? Da nahm Nobody vergiftetes Wasser an.

Wie man schon mit bloßem Auge erkennen konnte, neigte sich das Plateau von allen Seiten etwas nach der Mitte zu, so war hier nur eine einzige Zisterne angelegt worden, eben an dieser tiefsten Stelle. Alles Regenwasser mußte in dieses in den Felsboden gemeißelte Bassin fließen, etwa acht Meter im Quadrat und drei Meter tief, das gibt zusammen einen Raum von fast zweihundert Kubikmetern, und das war für die Felsenbewohner überreichlich genug. Staub gab es hier oben nicht, ringsherum war harter Felsboden, und so brauchte die Zisterne gar nicht zugedeckt zu sein. Die Tiere wurden entweder mit Eimern getränkt, oder für sie konnte dort, wo der Boden lehmig war, ja auch noch eine andere vorhanden sein.

Diese hier war noch zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Schwamm da nicht etwas Gelbes darauf, etwa wie Schwefelstaub? Ein anderer Mensch freilich hätte es gar nicht bemerkt.

Nobody dachte an den kleinen Lederbeutel, den der Abessinier am Gürtel getragen hatte. Er fand seine Leiche nicht. Sie mußte wohl von dem Felsen herabgestürzt worden sein.

Keine Beratung erst mit seinen Gefährten! Nobody schrieb längere Zeit auf seinen Notizblock, riß die Blätter heraus, begab sich an den Schacht und stieß einen gellenden Pfiff hinein, welcher alsbald Puttfarken erscheinen ließ. Zu sehen bekam er nichts, er blieb noch im Schacht, als Nobody ihm die Blätter übergab.

»Bringe das Mister Scott. Dann weiß er, was er zu tun hat. Darauf kehrst du zu den Gefangenen zurück. Was tun diese?«

»Gar nichts, sie sagen keinen Mucks. Was ist denn nun hier oben geschehen? Ihr habt sie wohl alle dingfest gemacht?«

»Ich wollte, ich hätte noch die Möglichkeit gehabt, auf die Gefahr hin, dabei selbst zu unterliegen,« entgegnete Nobody erschüttert. »Geh jetzt, laß es dir von Mister Scott erzählen. Oder meinetwegen denn: alles ist bereits tot.«

»Tot?!« wiederholte der Nasenkönig staunend.

»Vergiftet! Geh!«

Puttfarken verschwand, und Nobody begab sich nach der Winde und ließ die Strickleiter hinab. Die Vorrichtung, so primitiv sie auch war, wirkte entgegen Nobodys Annahme vorzüglich, ein Kind hätte das riesige Tauwerk von mehreren Zentnern Gewicht hinablassen können.

Als sie erst zur Hälfte unten war, hielt Nobody noch einmal inne. Er hatte eine dünne, weiße Decke liegen sehen, diese holte er und hißte sie an dem Baume der Winde empor. Durch sein Taschenfernrohr beobachtete er, daß in dem Städtchen auf der Flußinsel schon reges Leben war, dort würde man natürlich auch den Tafelberg beobachten, und dann setzte er seine Arbeit fort, bis die Strickleiter ganz abgewickelt war, also mit ihrem unteren Ende den Boden erreicht hatte.

Er brauchte nicht lange zu warten, so sah er unten ein Menschlein die Strickleiter emporklimmen, eine zweite Gestalt folgte, eine dritte – dort unten begann es von Menschen zu wimmeln. Sie mußten sich dicht in der Nähe des Felsens aufgehalten haben und hatten das weiße Flaggenzeichen sofort richtig zu deuten gewußt.

Mit einiger Verwunderung erkannte Nobody in dem ersten Manne den Rasol Harrot. Er hätte dem schon bejahrten Manne gar nicht so etwas zugetraut. Aber die Söhne des gebirgigen Abessiniens sind eben von Jugend auf an die halsbrecherischsten Klettertouren gewöhnt, für den Alten war die Strickleiter eine ganz bequeme Treppe.

Nicht einen Schrei des Schreckens, sondern einen Schrei der Freude stieß der alte Mann beim Anblick der vielen Leichen aus, und er fand ein zahlloses Echo von den Lippen der Nachkommenden.

»Du hast sie getötet, du hast uns von den Udlindschis befreit!«

»Mitnichten, ein anderer hat es getan, und du mußt doch darum wissen,« entgegnete Nobody.

»Was soll ich wissen?«

»Wer die Udlindschis vergiftet hat.«

»Vergiftet? Wer?« fragte der Rasol staunend.

»Einer von euch hat sich doch gestern nacht in einem hohlen Baumstamme heraufwinden lassen.«

»Heraufwinden lassen? Wer soll denn das gewesen sein? Da müßte ich doch auch etwas davon wissen.«

»Das denke ich eben auch.«

Trotzdem erzählte Nobody ausführlich, der Wahrheit die Ehre gebend. Sich mit fremden Federn schmücken, das war das letzte, dessen Nobody fähig war.

Ueberall nur ein verwundertes Kopfschütteln.

»Habt ihr unten nicht die Leiche eines sehr kleinen Mannes gefunden?«

»Nein, nur einen Teil des Geschützes, das auch wir kennen, und wenn es an der Kanone fehlt, kann man nicht mehr damit schießen, das Feuer würde hinten herauskommen. Wir hörten einen schweren Fall, und als wir das Eisenstück fanden, da wußten wir gleich, daß du schon oben wärst und wenigstens zunächst die Kanone unbrauchbar gemacht hattest.«

Nobody ließ diese rätselhafte Angelegenheit vorläufig bei sich bewenden. Man hatte ihn noch gar nicht gefragt, wie er eigentlich hierheraufgekommen war, die guten Leute mochten wirklich glauben, der weiße Mann könne fliegen, und Nobodys Entschluß war von vornherein gefaßt gewesen.

Er führte den Rasol, dem sich immer mehr zugesellten, nach dem Eingange des Schachtes. Hier sprach er wohl eine halbe Stunde lang, er berichtete alles, was die Abessinier verstanden und was sie wissen mußten, um fernerhin ihr Land oder doch ihre Samharras gegen solche fremde Eingriffe zu schützen.

Es dauerte lange, ehe die Zuhörer überhaupt begriffen, und dann war ihr Staunen und ihr Schreck groß.

»Daß sich auf dem Negussamharra noch Udlindschis befinden, bezweifle ich. Vor allen Dingen müßt ihr sämtliche Samharras des ganzen Landes daraufhin untersuchen, ob die Banas solche Schächte mit oder ohne Leitern verdecken. Vorkehrungen zu treffen, daß so etwas nicht wieder vorkommt, das ist dann eure Sache. Ferner gebt euren Zauberglauben auf. Auch diese Brunnen müssen untersucht und unschädlich gemacht werden.«

Der Rasol hatte sich zuerst wieder gefaßt.

»Es soll geschehen. So bist also auch du durch diesen Brunnen in unser Land gekommen?«

»Ich habe es dir doch ausführlich genug erzählt, wie ich in dem Meere, welches eure Küste bespült und welches wir das Rote Meer nennen, den unterirdischen Fluß gefunden und ihn verfolgt habe – alles habe ich dir erzählt.«

»Aber du kannst doch durch die Luft fliegen, wenn du willst,« fuhr der Alte treuherzig weiter fort.

»Ich kann gar nicht fliegen,« lachte Nobody.

»Aber unsichtbar machen kannst du dich.«

Dies zu verneinen hatte Nobody erst recht seinen Grund.

»Ja, dann bist du doch auch ein Mensch.«

»Natürlich bin ich genau so ein Mensch wie du und ihr alle,« mußte Nobody noch immer lachen.

»Auch du bist ein Mensch wie ich – gelobt sei Gott!« erklang da eine helle Stimme, die nur einem Weibe angehören konnte.

Vor Nobody stand die Fadinah. Auch sie hatte die Klettertour gemacht, war hier oben doch ihre Heimat. Mit leuchtenden Augen schaute sie Nobody an.

»Gelobt sei Gott, auch du bist nur ein Mensch!« wiederholte sie aus vollem Herzen.

Prüfend blickte der unvergleichliche Menschenkenner in diese so wundersam strahlenden Augen. Er las noch etwas ganz Besonderes darin.

»Du hast mein Land von den furchtbaren Udlindschis befreit!« fuhr sie mit eigentümlich zitternder Stimme fort.

»Du irrst, Fadinah Theodora. Hörtest du nicht, wie ich erzählte, daß diese Nacht hier oben einer deiner Leute ...«

»Wohl hörte ich es, aber ich glaube dir nicht, du bist nur demütig, wie es ein Christ sein soll; aber du bist es zu sehr, du willst deinen Sieg nur verkleinern.«

»Bei Gott, ich ...«

»Schwöre nicht, ich weiß es besser. Komm, alles ist zum Empfange des Siegers bereit, zum Empfange meines Sabans.«

Mit verklärtem Antlitz streckte sie ihm die Hand entgegen. Nobody nahm sie nicht. Jetzt hatte er unter den schwarzen Gestalten auch Flederwisch und Anok erblickt. Der erstere schnitt immer ganz eigentümliche Grimassen.

»Saban? Dein Saban bin ich?« wiederholte Nobody träumend. »Was ist das, ein Saban?«

Sie selbst konnte keine rechte Erklärung geben.

»Nu, ihr Verlobter,« ließ sich da Flederwisch vernehmen, »eigentlich noch mehr, und zwar von einer Fürstin, du bist sozusagen der Prinzgemahl!«

»Ja ja, ne ne, der Prinzgemahl,« gab auch Anok sein Teil dazu.

Und plötzlich fiel es Nobody wie Schuppen von den Augen, und abwehrend streckte er die Hand aus.

»Ich weiß, Fadinah, was du meinst. Du bist die jüngste Schwester des Negus, und wenn ich diesem die verschwundene Albino, die Hawalan mit ihrem Kinde wiederbrächte, so warst du mir zum Weibe versprochen. Aber einmal habe ich diese Hawalan ...«

Die Fadinah machte eine verächtliche Handbewegung.

»Was geht mich diese Hawalan meines Bruders an! Du hast mein Land von den Udlindschis befreit!«

» ... und dann bin ich bereits verheiratet.«

»Was schadet das?«

»Unsere Religion schreibt uns vor, nur ein Weib zu haben, und auch du gehörst dieser Religion an.«

»Es ist nicht wahr. Auch Salomo hat viele Frauen gehabt.«

»Das gilt mir nicht zur Richtung. Genug!«

Drohend rückten die kühngeschwungenen Brauen der Negerin zusammen.

»Was willst du mit diesem Genug sagen?«

»Daß du niemals mein Weib werden kannst!« entgegnete Nobody mit Festigkeit; denn hier halfen doch alle Ausreden nichts.

»Du hast mich bereits öffentlich deine Sabana genannt!« fuhr sie jetzt wild mit hervorbrechender Leidenschaft empor.

»Du tatest es, du bezeichnetest mich als deinen Saban, und ich kannte die Bedeutung dieses Wortes nicht.«

»Du lügst! Du sprichst Arabisch so gut wie ich!«

»Und ich versichere dir, daß ich nicht wußte, was dieses Wort bedeutet.«

»Du hast mich, die Fadinah von Godscham, die Schwester des Königs, im Bade gesehen, und du wagst jetzt ...«

»Aufgepaßt!« sagte Nobody auf deutsch, der hier kein Auskommen mehr sah. »Hier hilft nur schleunigste Flucht, mit der ist nicht zu spaßen. Hinunter in den Schacht, unten liegt das Motorboot. Vorwärts!«

Flederwisch schien eine Einrede machen zu wollen, doch er gehorchte, und auch er wußte, was hier vorlag, er gab Anok einen Stoß und war mit einem Satze in dem Schacht verschwunden, ihm nach Anok.

Aber auch die Fadinah wußte nun, was hier beabsichtigt wurde.

»Haltet ihn! Er will entfliehen! Haltet ihn, auch er ist nur ein Mensch!!«

Sie selbst hatte sich auf ihn gestürzt, doch Nobody entwich dem Griff unter ihrem ausgestreckten Arm und war gleichfalls in dem Schachte verschwunden.

»Vorwärts, vorwärts, immer hinunter und dann gerade aus, bis ihr auf Jochen stoßt, der euch weiter führen wird!!«

»Na, warum willst du sie denn nicht heiraten, Alfred?!« gröhlte einige Meter tiefer Flederwisch.

»Ja ja, ne ne, eigentlich ist die doch gar nicht so ohne,« mußte Anok dazusetzen.

»Vorwärts, vorwärts!« schrie Nobody und trat dem Matrosen auf die Hände. »Wir werden verfolgt!«

So war es. Der Lichtschacht hatte sich oben verdunkelt, die weibliche Stimme, zum Festhalten der Flüchtlinge auffordernd, wollte sich nicht entfernen.

Doch einzuholen waren sie nicht mehr. Nur eines mußten sie im Stich lassen.

»Hier steht Jochen!«

»Und zwei gebundene Menschen liegen daneben!«

Auch die Fadinah schien jetzt den wagerechten Gang erreicht zu haben, und wer wußte, wessen dieses schwarze Weib alles fähig war, und wen sie noch hinter sich hatte.

»Vorwärts, vorwärts, laßt die Gefangenen liegen!«

So mußten die beiden zurückgelassen werden. Es war undenkbar, sie so schnell mitzuschleppen, und ihretwegen sich in einen Kampf mit den Verfolgern oder gar mit dem Weibe einzulassen, daran dachte Nobody gar nicht. Es war ja auch noch ein anderer Ueberlebender der Udlindschis vorhanden.

Jochen schloß sich den Flüchtlingen an, sie gelangten ins Boot, dieses dampfte davon, von Nobody stromabwärts gesteuert.

 

Hiermit schließt dieses Abenteuer aus Nobodys Leben.

Nach vier Tagen erreichte das Motorboot wieder das offene Meer, vor der Höhle lag noch immer die ›Wetterhexe‹, wo man sich gerade anschickte, das Motorboot auszurüsten.

Von einem Unterseeboote hatten weder Nobody noch die vor der Flußmündung Liegenden etwas gemerkt. Es konnte ja auch sein, daß jene geheimnisvollen Fremdlinge für ihr unter Wasser gehendes Fahrzeug, welches sie ›Walfisch‹ nannten, noch einen anderen Weg nach dem offenen Meere kannten. Jedenfalls war es sehr gut, daß man ihm nicht begegnet war.

Nobody hatte noch eine längere Unterredung mit dem Ras Saglu Kasai, worauf sich dieser unverzüglich nach Abessinien zurückbegab.

Wenn aber Nobody glaubte, hiermit sei das abessinische Abenteuer für ihn beendet, so hatte er sich geirrt. Er sollte noch einmal dieser Fadinah von Godscham begegnen, als er es am wenigsten erwartete. –

Die ›Wetterhexe‹ hatte Dampf aufgemacht.

»Wohin?« fragte Kapitän Flederwisch.

Nobodys Entschluß war bereits reiflich überlegt gewesen.

»Zurück nach Suez, und von dort gehe ich wieder zu den Beni Schammars. Ich will von diesen Teufelssöhnen wenigstens meine Winchesterbüchse wiederhaben. Und du, Edward? Begleitest du mich nicht?«

»Auch ich komme mit!« war die leise gegebene Antwort.

Nur ein Blick in sein Gesicht, und Nobody wußte alles. Es war nicht wahr gewesen, daß er von seiner Jugendgeliebten nichts mehr wissen wolle! Er hatte nur die unterirdische Expedition nicht aufhalten wollen.

Und wirklich, was wäre wohl geschehen, wenn sie nicht gerade zu dem Zeitpunkte die Oberfläche der Erde wieder betreten hätten, da sie es getan? Jedenfalls wäre alles, alles ganz anders gekommen, und wahrscheinlich nicht zum Bessern.

In Suez war für Nobody das erste, daß er nach Hause ein Telegramm aufgab, in dem er seine gute Gesundheit meldete.

Die beiden hatten noch nicht einmal den neuen Reiseplan entworfen, als für Brian Aston, zur Zeit an Bord der ›Wetterhexe‹, Suez, eine Depesche aus London ankam.

Nobody hatte sie dem braunen Postboten aus der Hand genommen, diesen entlohnt, den Stempel noch nicht zerrissen, als er durch Scotts Benehmen stutzig wurde.

Dieser hatte sich schnell von seinem Stuhle erhoben und deutete mit der ausgestreckten Hand auf die Depesche.

»Das mußt du tun, Alfred!« rief er leidenschaftlich.

»Was denn?«

»Das, was in diesem Telegramm steht.«

»Werden wir gleich sehen.«

Er erbrach das Telegramm und las es.

»Hier steht nichts weiter drin, als daß für mich ein Brief unterwegs ist, den ich hier erwarten soll.«

»Ja, eben, auf den mußt du warten.«

»Darüber aber vergehen fünf Tage, wenn er gleichzeitig mit dem Telegramm abgegangen ist.«

»Und wenn du noch so lange warten müßtest – was dir jener Brief erzählt, das ist für dich, für dein ganzes Leben von größter Wichtigkeit, das mußt du befolgen, es führt dich der Lösung des Geheimnisses wieder um einen großen Schritt näher! Ich weiß es!«

Was sollte Nobody dazu sagen? Er zweifelte nicht mehr an der Sehergabe seines Freundes.

Trotzdem wurden die Vorbereitungen zur Wüstenreise fortgesetzt, nur daß sie sich jetzt Zeit nehmen konnten.

Am fünften Tage traf ein eingeschriebener Brief ein. Ein Befehl seiner Königin – zwar in Form einer Bitte gekleidet, für den Champion aber doch ein Befehl.

Eine russische Großfürstin, mit dem englischen Hofe verwandt, die sich unter dem Namen Viktoria Juvenal nach Paris gewandt hatte, sollte aus näher angegebenen Gründen heimlich beobachtet werden. Eine ganz delikate Sache, der sich nur ein Mann wie Nobody glücklich entledigen könne. Bitte!

»Teufel, was soll ich hinter diesem Weibsbilde her spionieren?!«

»Du mußt! Sie führt dich auf eine neue Fährte, welche dich der Lösung des Rätsels noch näher bringt!«

»Und du?«

»Ich gehe in die Wüste, die mir nicht fremd ist. Du aber eilst nach Paris!«

Nobody gehorchte, nicht seiner Königin, nicht seiner eigenen Vernunft, sondern seinem prophetischen Freunde.

Auf dem nächsten Dampfer, der nach Marseille ging, befand er sich an Bord.


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