Carl Arnold Kortum
Die Jobsiade
Carl Arnold Kortum

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Wie Hieronimus einen Besuch bekam von Freund Hein, der ihn zur Ruhe brachte. Ein Kapitel, so gut als eine Leichenrede.
  1. Es ist gewesen schon sehr lange,
    Wie uns Gelehrten bewußt ist, im Gange,
    Ein gar kluges Sprüchwort, es hat's
    Der alte Kirchenvater Horaz:
  2. Sowol gegen die Paläste der Großen,
    Als gegen die Hütten der Armen pflegt zu stoßen
    Der überall bekannte Freund Hein
    Mit seinem dürren Knochenbein.
  3. Das will eigentlich nach dem Grundtext sagen:
    Alles, was da lebt, wird zu Grabe getragen,
    Sowol der Monarch als der Unterthan,
    Sowol der reiche als der arme Mann.
  4. Sintemal Freund Hein pflegt unter den beiden
    Nicht das mindeste zu unterscheiden,
    Sondern er nimmt alles, weit und breit,
    Mit der strengsten Unparteilichkeit.
  5. Und er pflegt immer schlau zu lauern
    Sowol auf den Cavalier, als auf den Bauern,
    Auf den Bettler und Großsultan,
    Auf den Schneider und Tatar-Khan.
  6. Und er geht mit der scharfen Sensen
    Zu Lakaien und Excellenzen,
    Zu der gnädigen Frau und der Viehmagd,
    Ohne Distinction auf die Jagd.
  7. Es gilt bei ihm gar kein Verschonen,
    Er achtet weder Knotenperücken noch Kronen,
    Weder Doctorhut noch Hirschgeweih,
    Zierathen der Köpfe mancherlei.
  8. Er hat bei der Hand tausend und mehr Sachen,
    Welche ein End' mit uns können machen;
    Bald gibt ein Eisen, bald die Pest,
    Bald eine Weinbeere uns den Rest.
  9. Bald eine Krankheit, bald plötzlicher Schrecken,
    Bald Arzeneien aus den Apotheken,
    Bald Gift, bald Freude, bald Aergerniß,
    Bald Liebe, bald ein toller Hundsbiß.
  10. Bald ein Proceß, bald eine blaue Bohne,
    Bald eine böse Frau, bald eine Kanone,
    Bald ein Strick, bald sonstige Gefahr,
    Wofür uns alle der Himmel bewahr'.
  11. Da helfen, um sich zu befreien,
    Nicht d'Arçons schwimmende Battereien;
    Denn Freund Hein, der hungrige Schelm,
    Fürchtet weder Festung, Schild, Degen noch Helm.
  12. Der Commandant in den sieben Thürmen,
    Der Großvezier zwischen hundert Dirnen,
    So wie Diogenes in seinem Faß
    waren alle für ihn ein Fraß.
  13. So ist es von jeher gehört und gewesen,
    wie wir in den Geschichtsbüchern können lesen:
    Jakob Böhme und Aristoteles,
    Klaus Narre und Demosthenes,
  14. Der ungestalte Aesop und die schöne
    Weltberühmte griechische Helene,
    Der arme Job und König Salomon
    Mußten endlich alle davon.
  15. Kaiser Max und Jobs, der Senater,
    Virgil und Hans Sachs mein Aeltervater,
    Der kleine David und große Goliath
    Starben alle, theils früh, theils spat.
  16. Niclas Klimm und Marcus Aurelius,
    Cato und Eulenspiegelius,
    Ritter Simson und Don Quixot,
    Sind leider nicht mehr, sondern todt.
  17. Auch Cartouche und König Alexander,
    Einer nicht ein Haar besser als der ander',
    Held Bramarbas und Hannibal,
    Sie starben alle Knall und Fall.
  18. Auch August der Held Polens,
    Und Karl der Zwölfte mußten volens nolens,
    So wie der Perser Schach Kulikan,
    Und der große Czaar Peter dran.
  19. Item, Xerxes mit seinem ganzen Heere,
    Potiphar mit seiner Hausehre,
    Und der einäugige Polyphem,
    Und der alte Methusalem.
  20. Alle, alle mußten in die schwarze Bahre,
    Calvin und der Pater von Sanct Clare,
    Auch der Patriarch Abraham,
    Und Erasmus von Rotterdam.
  21. Auch Müller Arnold und die Advocaten
    In den weitläufigen preußischen Staaten,
    Tribonian und Notar April,
    Der zu Regensburg von der Treppe fiel.
  22. Alles, alles sank vor seiner Sichel,
    Hippocrates Magnus und Schuppachs Michel,
    Galenus und Doctor Menadie,
    Mit der Salernitanschen Akademie.
  23. Keiner konnte seiner Faust entfliehen,
    Nicht Nostradamus und Superintendent Ziehen.
    Mit Doctor Faust und Träumer Schwedenburg
    Ging er ohne Umstände durch.
  24. Orpheus den großen Musikanten,
    Molière den Komödianten,
    Und den berühmten Maler Apell
    Nahm Freund Hein sämmtlich beim Fell.
  25. Auch den Midas mit den langen Ohren,
    Den Dichter Homerus blind geboren,
    Den lahmen Tamerlan und Tänzer Vestri;
    Kein einz'ger von allen entsprang ihm hie.
  26. Ach ja, lieber Leser! dies Furchtgerippe
    Fraß die Penelope, Xantippe,
    Judith, Dido, Lucretia
    Und die Königin aus dem Reiche Arabia.
  27. Den lachenden Demokrit und den Murrkopf Timon,
    Gaukler Schröpfer und den Zauberer Simon,
    Den Sokrates und jungen Werther, fürwahr
    Jenen als Weisen, diesen als Narr.
  28. Selbst Bucephalus und Rosinanten,
    Und Abulabas den Elephanten,
    Roß Bayard und Bileams Eselin
    Nahm Freund Hein zum Morgenbrod hin.
  29. Summa Summarum, weder vorn noch hinten
    Ist in den Chroniken ein Exempel zu finden,
    Daß Freund Hein etwa irgendwo leer
    Bei Jemand vorübergegangen wär'.
  30. Und was er übrigens noch nicht gefressen,
    Wird er doch in der Folge nicht vergessen,
    Sogar, leider! lieber Leser, auch dich,
    Und was das schlimmste ist, sogar mich.
  31. So ward es nun auch gleichergestalten
    Mit dem Nachtwächter Hieronimus gehalten,
    Denn auch bei ihm stellte Freund Hein
    Sich nach vierzig Jahr und drei Wochen ein.
  32. Er bekam nämlich ein hitziges Fieber,
    Das wäre wol nun bald gegangen über,
    Wenn man's seiner guten Natur
    Hätte wollen überlassen nur;
  33. Jedoch ein berühmter Doctor im Curiren
    Brachte ihn durch seine Lebenselixiren,
    Nach der besten Methode gar schön,
    An den Ort, dahin wir alle einst gehn.
  34. Als man ihn nun zu Grabe getragen,
    Führten die Schildburger große Klagen,
    Denn seit undenklichen Zeiten her
    War kein so berühmter Nachtwächter als Er.

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