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Vierzehntes Kapitel

Man hatte den Verwundeten, Bewußtlosen auf einer Bahre in sein Schlafzimmer getragen, an dessen Tür der eine der Gendarmen Wache hielt, obwohl jede Möglichkeit einer Flucht ausgeschlossen erschien. Der Kammerdiener Breitenbachs und eine auf Lünzin alt gewordene Beschließerin waren um ihn bemüht, nachdem der Staatsanwalt und Bassow die nächsten Maßregeln Persönlich angeordnet hatten. Jetzt saßen sie einander gegenüber in dem Zimmer, wo vor kurzem das dann so plötzlich unterbrochene Verhör stattgefunden hatte, und warteten auf das Erscheinen des Kreisphysikus, an den sogleich telephoniert worden war.

Bassow berichtete ausführlich über das Erwachen seines ersten Verdachtes gegen Breitenbach, über den geheimnisvollen Ton, der bei dem Unfall des Knaben von der Mordstelle am toten See nach Garchim hinübergedrungen war und so den Weg zur Ermittelung der Wahrheit gewiesen hatte, über die spätere Nachforschung in Berlin und Rostock. Der Staatsanwalt hörte aufmerksam, aber ein wenig ärgerlich zu, weil die Ueberführung des Verbrechers ihm selbst nicht gelungen war, und sagte schließlich: »Einen Vorwurf kann ich Ihnen doch nicht ersparen, Herr Baron; Sie hätten dem Gerichte schon weit eher von Ihren Wahrnehmungen Mitteilung machen müssen.«

»Mag sein, Herr Staatsanwalt. Aber es gab da besondere Umstände, über die ich mich nicht näher äußern möchte, die mir's erwünscht machten, persönlich den Verbrecher zu ermitteln.«

»Ja, dieser Breitenbach! Ich muß Ihnen sagen, imponieren tut er mir nachträglich doch in gewisser Weise. Wenn ich bedenke, mit welcher lächelnden Ruhe dieser Mann hier die Aufschlüsse über seine Vergangenheit anhörte, die ja nun auch wohl sicher als richtig angesehen werden müssen, wie er es mit anschaute, daß die Schlinge um ihn fester und fester angezogen wurde, da muß ich doch sagen: alle Achtung!«

»Soweit man Achtung haben kann vor solch modernem Herrn und Uebermenschen, der beiseitestößt und niederschlägt, was ihm in den Weg tritt, – gewiß.«

Eine Weile schwiegen sie, dann erläuterte der Staatsanwalt noch, wie der merkwürdige Zufall sich erkläre, daß der Verhaftete ähnliche Absätze unter seinen Stiefeln getragen habe wie Breitenbach. Er habe seinem Herrn das bereits in der Zeit abgesehen und nachgeahmt, als er noch Diener bei ihm gewesen sei, und habe auch später in Amerika beibehalten, was er einmal als praktisch erkannt hatte. Nachdem alles dies erörtert worden war, begannen die Herren von anderen, gleichgültigen Dingen zu sprechen. Langsam rannen ihnen die Minuten hin, bis ein Diener endlich das Kommen des Kreisphysikus meldete. Die Herren würde er nachher begrüßen, er sei gleich zu dem Verwundeten gegangen.

Das Warten fing jetzt von neuem an, wieder verging eine halbe Stunde; dann öffnete sich die Tür, und der Kreisphysikus mit seinem freundlichen, weißhaarigen Kopf erschien.

»Wie steht's?« fragten die beiden Wartenden zugleich.

»Schlecht, wenn er augenblicklich auch wieder bei Besinnung ist. Er wird sterben. Die Kugel hat ihm die Lunge durchbohrt. Was hier geschehen ist, müssen Sie mir später sagen, vorläufig muß ich den Herren zwei Bitten des Verwundeten übermitteln.«

»Was wünscht er?« fragte der Staatsanwalt.

»Er hat mich ersucht, sofort seiner Braut Nachricht zu geben, damit sie zu ihm kommt. Hier scheint ein weicher Punkt in der harten Seele, die sich mir eben enthüllt hat. Ich habe das telegraphisch gleich besorgt. An die Herren aber läßt er die Bitte richten, daß der auch mir noch nicht bekannte Vorgang seiner Verwundung seiner Braut als Unfall dargestellt wird.«

Einen Augenblick überlegte der Staatsanwalt, um dann zu sagen: »Ich denke, daß ich das verantworten kann.«

»Ich bin unbedingt einverstanden,« erklärte Bassow mit herzlicher Lebhaftigkeit.

»Es wird gut sein, ihm zu willfahren, auch in Ihrem eigenen Interesse. An die Erfüllung dieser ersten Bitte knüpft er nämlich eine zweite. Wenn seiner Braut die wahren Vorfälle verschwiegen werden, – aber nur unter dieser Bedingung – bittet er die Herren, zu ihm zu kommen. Er will Ihnen dann die volle Wahrheit sagen.

»Die Wahrheit, – uns? Das wundert mich.«

»Es ist nicht so wunderbar, Herr Staatsanwalt. Er weiß, daß er sterben muß.«

»Er weiß es?«

»Ja, – ich habe es ihm gesagt.«

»Ah!«

»Auf seinen eigenen, bestimmten Wunsch natürlich nur. Er hat mir das Ehrenwort abgenommen, daß ich ihm volle Klarheit über seinen Zustand geben sollte, und so habe ich ihm sagen müssen, daß er höchstens noch ein paar Stunden zu leben hat.«

»Wie hat er es aufgenommen?«

»Bewundernswert ruhig. Erst hat er geschwiegen, dann leise vor sich hingesagt: ›Also verspielt.‹ Und eine Weile darauf: ›Nun können sie's wissen.‹ Zuletzt hat er mir den Auftrag gegeben, den ich den Herren bereits übermittelt habe.«

»Wir wollen keine Zeit verlieren,« sagte der Staatsanwalt. »Lassen Sie uns zu ihm gehen.«

Der Kreisphysikus machte eine zustimmende Bewegung und schritt voran. Das Krankenzimmer, vor dessen Tür der wachehaltende Gendarm stand, lag am selben Korridor nach dem Gutshofe hinaus. Der Arzt betrat als Erster das Gemach, die beiden anderen folgten. Die alte Beschließerin, die am Bette des Verwundeten gesessen hatte, ging auf einen Wink des Kreisphysikus hinaus; nun waren sie allein mit dem Sterbenden.

Jetzt endlich war von seinem Gesichte das maskenhaft starre Lächeln gewichen, matt waren die Züge zusammengefallen. Er hatte die Augen geschlossen gehabt, öffnete sie aber jetzt; sie waren halb schon erloschen und blickten wie durch einen Schleier. Mit leiser Stimme begann er mühsam zu sprechen.

»Ganz nahe kommen, – können sonst nichts verstehen. Muß es kurz machen, – habe nicht Zeit. Aber sollen wissen, wer und was dieser Breitenbach war. Kein schwarzer Verbrecher, – für den Pitaval nicht zu gebrauchen, Herr Staatsanwalt. Hinauf habe ich gewollt auf die Höhe, – das war's.«

Langsam, in Absätzen kamen die Worte hervor. Als er jetzt infolge der Anstrengung für einen Moment ganz verstummte, schob ihm der Arzt ein Stückchen Eis in den Mund. Nach einer Weile begann er dann von neuem.

»Gut war heruntergewirtschaftet, – zu Hause Misere kennen gelernt – wollte aus ihr heraus – hab's fertig gebracht!«

Ein kurzes Lächeln der Zufriedenheit umzuckte seinen Mund und ließ einen leisen, stolzen Glanz auf dem grünlich bleichen Gesicht zurück.

»Nicht nur genossen, – auch gearbeitet – wie ein Pferd. Gut kam in die Höhe – war auf dem besten Wege. Da kam Hagelschlag – Mißernte, – brauchte Geld, – eine große Summe. Damals die Geschichte passiert – mit dem alten Fräulein. Lieh mir das Geld von ihr, – war in mich verliebt, – auch was vorgeschwindelt von Heiraten, – nie daran gedacht. – Hat mir das Geld aufgedrängt ohne Schuldschein, – hab's ihr später wiedergeben wollen, – hätte bewußten Brief sonst wohl besser vernichtet. – Aber zweite Mißernte, – ärger als die vorige. – Weib verklagte mich, – hab' den Eid geschworen, daß ich ihr nichts schuldete.«

»Schonen Sie sich, ruhen Sie einen Augenblick,« mahnte der Arzt, und röchelnde Laute aus der verwundeten Brust unterstützten seine Mahnung. Aber Breitenbach bewegte abwehrend, ungeduldig die Hand und fuhr nach ganz kurzer Unterbrechung fort:

»Keine Zeit mehr, Doktor – ich fühl's. Bin fortgegangen von dort – Lünzin gekauft. – Ist mir gut gegangen – auf dem Wege zur Höhe. Wollte auch gut machen – soweit ich konnte. – Bei ihr unmöglich – aber Testament gemacht – in meinem Schreibtisch – dreimal die Summe von damals – für milde Stiftung. – Fand auch das Mädchen, das ich liebte – wäre Bekrönung meines Lebens gewesen. – Ist anders gekommen – Bassow hat sich auch in sie verliebt. Wollte seine Frau verlassen – sie heiraten. – Gerade damals der Höhenleitner zurückgekommen – in Szene, die der Kerl mir machte, auch noch der Bassow hereingeplatzt – alles gehört – auch vom Meineid. Hat ihn gefreut – hat ihn gefreut! Meinte Mittel zu haben – daß ich zurücktreten müßte – von Werbung zurücktreten. Zuerst still gewesen, ganz still. Aber im Geheimen gehorcht – spioniert – weiß es von ihm selbst – wollte Beweismaterial – mich unmöglich zu machen! Ich – Doktor geben Sie mir noch ein Stückchen Eis – die Zunge wird mir so trocken.«

Der Arzt willfahrte ihm, und nach einer Pause vermochte Breitenbach weiter zu sprechen. Aber seine Stimme war noch hohler und schwächer geworden.

»In einer Gesellschaft war's – nach Tisch – er hatte getrunken. Da zuerst herausgekommen mit seinen Gedanken – lächelnd, scheinbar im Scherz. War eine Drohung – hab's gefühlt. Hat mir keine Ruhe gelassen – wollte wissen, was er vorhatte. War damals nach Rostock gefahren – wußte, daß er in Berlin war. Habe ihm telephoniert – unter einem Vorwand – sollte mich treffen auf der Heimfahrt. Ist auch gekommen. Coupé noch andere Leute – konnten nicht reden. Erst auf dem Wege nachher – hab' ich ihn ausgehorcht. War wie ich – wenn ein Weib in Frage stand. Sah, daß er keine Rücksicht üben würde – mich ins Zuchthaus bringen. Haben geredet, gestritten – immer mehr in Wut. Er drohte mir – drohte mit offenem Wort – da hat mich's gepackt – habe mich auf ihn gestürzt – habe ihn erwürgt mit diesen Händen.«

Zuckend bewegten sich seine Finger, ein ferner Abglanz wilder Wut kam noch einmal in seine brechenden Augen.

»Ein Mensch war uns begegnet – ist hinterher verhaftet worden. Schien mir besser, wenn Leiche nicht auf meinem Grund und Boden. Habe ihn auf den Rücken genommen – in sein Zimmer geschleppt. Wußte, der Park war verschlossen und leer – um diese Zeit. Schlüssel zur Tür steckte in seiner Tasche – nahm ihn heraus, öffnete. Ließ die Tür angelehnt – brauchte hinterher nur zuzuziehen. Niemand hat mich gesehen. Aber zuerst im Dunkeln ins Zimmer – Papiere vom Schreibtisch herunter – hat mich verraten. Licht gemacht – Sachen weggenommen – Raubmord. Mit Tischdecke Teppich abgewischt – keine Fußspuren – Sachen hineingewickelt – in toten See. So ist's gewesen – ich kann nicht mehr.«

Er schwieg und schloß die Augen. Mehr und mehr zeigten sich die Boten des nahenden Todes auf seinem Gesicht. Eine tiefe, lastende Stille trat ein, in der man die aufgeregten Atemzüge der drei Männer und Breitenbachs Röcheln doppelt laut vernahm. Der Arzt beugte sich nieder und versuchte, dem Verwundeten eine bessere Lage zu geben. Sonst rührte sich keiner. Sie standen und warteten auf den Tod.

*

In der noch sonnevergoldeten Dämmerung desselben Tages wandelte Bassow im Park von Garchim neben der Baronin langsam auf und ab. Sie hatten lange und lebhaft gesprochen; Bassow hatte ausführlich berichtet, was er in den letzten Tagen und Stunden versucht und erlebt hatte. Jetzt waren die beiden verstummt und gingen eine Weile still nebeneinander hin. Endlich sagte die Baronin: »So ist nun dies Dunkle fort aus meinem Leben. Und Ihnen habe ich dafür zu danken. Ich habe ja selbst auch versucht, etwas zu erreichen, und wenn ich hierblieb, wenn ich Breitenbachs Nähe suchte und immer wieder mit ihm sprach, ihn ausforschte, so geschah es ja nur, weil ich hoffte, daß er sich doch schließlich einmal durch ein unbedachtes Wort verraten und mir einen Beweis in die Hände geben sollte. Diese Hoffnung hat mich damals auch so verwandelt, so heiter und froh gemacht. Erreicht habe ich selbst mein Ziel ja freilich nicht. Ihrer Umsicht, Ihrem Eifer, Ihrer unermüdlichen Tätigkeit –«

Er lehnte den Dank mit einer leichten Handbewegung ab und entgegnete lächelnd: »Ach nein, Baronin, das alles hat mir nicht geholfen. Was mich endlich zum Ziel geführt hat, war etwas anderes. Man kann es einen glücklichen Zufall nennen, für mich selbst aber heißt es anders.«

»Und wie nennen Sie's?«

»Mein Gefühl für Sie!«

Er wartete einen Augenblick auf eine Antwort von ihr, doch da die Baronin ihren Kopf nur tief herabsenkte und still zu Boden blickte, begann er von neuem: »Ohne dies Gefühl, das mich trieb, wäre ich wohl nie darauf gekommen, die Zeichnung wieder hervorzuholen, die des Rätsels Lösung barg. Aber ich war so voll von Reue und von dem Wunsche, wieder gut zu machen, Ihnen eine Freude zu bereiten, – und wenn ich daran dachte, den zerstörten Pavillon wieder aufzubauen, so war es mir eigentlich nur ein Symbol für Ihr ganzes Leben, das ich wieder aufzubauen und glücklich und froh zu machen wünschte.«

Sie sah nicht auf ihn, sondern immer noch auf den Erdboden zu ihren Füßen, wo einzelne gelbe Lindenblätter den kommenden Herbst ankündigten, und sagte mit unsicherer Stimme: »Sprechen Sie nicht mehr davon. Sie haben es zehnmal wieder gut gemacht, wenn Sie mir unrecht getan haben.«

»O nein! Sie wissen ja gar nicht, wie voll ich war von Zorn und Mißtrauen gegen Sie. Wie ich am Abend nach der Beisetzung meines Vetters hier im Park umhergelaufen bin und gegen Sie die Fäuste geballt und gerufen habe: ›Hüte dich vor mir!‹ – Ach« – er schüttelte mit einem besonderen Lächeln den Kopf – »ich erschien mir sehr tugendhaft und groß in meinem Rächeramt. Und ich hätte mir selber doch nur immer wieder sagen sollen: Hüte dich vor ihr!«

Sie antwortete auch jetzt nicht gleich. Es war für einen Augenblick so still, daß man das leise Knistern der abgefallenen Blätter auf dem Boden vernahm, wenn ihr Kleid sie streifte. Dann aber senkte sie den Kopf noch ein wenig tiefer und sagte ganz leise: »Vielleicht haben Sie doch recht gehabt.«

»Recht – worin?«

»Daß ich mich vor Ihnen hüten sollte.«

»Baronin, wie darf ich das verstehen?«

»Ach, fragen Sie mich nicht weiter. Ich habe schon zu viel gesagt. Ich weiß ja selbst nicht, wie es gekommen ist –«

»Was denn? Was denn? Darf ich es glauben, hoffen, daß ich etwas bedeute für Sie, für Ihr Leben?«

Nun blieb sie plötzlich stehen und hob den Kopf mit einer stolzen Bewegung. »Ich habe Sie kennen gelernt, Sie sind ein Mann, der die Wahrheit liebt. Auch ich habe das Bedürfnis, wahr zu sein. Mögen Sie es denn wissen: ja, ich habe Sie liebgewonnen in diesen schweren Wochen. Vielleicht war es mit, – ich habe häufig darüber nachgedacht, – weil Sie sich so fern von mir hielten. Weil wir unter einem Dache wohnten und doch Fremde und Feinde schienen. Meine Gedanken suchten Sie, weil ich Sie nicht sah. Wir Frauen sind ja darin schwach: es lockt uns, wer uns zu verschmähen scheint. Vielleicht – ach, es ist eigentlich töricht, ein Gefühl zergliedern zu wollen, das über uns kommt wie ein Schicksal!«

Nun war auch er verstummt; eine gewaltige Bewegung erstickte ihm die Worte. Dann trat er nahe zu ihr heran, legte die Hände sanft auf ihre Schultern und küßte sie mit ehrfurchtsvoller Bewegung auf die Stirn.

»Daß dies Schicksal zum Glück für dich wird – dafür laß mich sorgen. Zum Glück für dich und für mich.«

 

Ende!


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