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Siebentes Kapitel

Mit einem Eifer, der zu groß war, um ganz gesund zu erscheinen, stürzte sich Bassow in die Arbeiten, die seine neue Stellung mit sich brachte. Die Freude daran aber wollte nicht kommen. Immer wieder gingen seine Gedanken denselben Weg, hinüber zu der Frau, die so nahe und so fern zugleich von ihm war. Sie hatte auf seinen Brief nicht geantwortet, aber sie war geblieben. Ihr zu begegnen, vermied er, nur zuweilen sah er sie von weitem. Seine Antrittsbesuche auf den benachbarten Gütern schob er über Gebühr lange hinaus, um nicht auch Herrn von Breitenbach besuchen zu müssen. Daß die Baronin diesen Mann liebte, daß hier die Erklärung für ihr sonderbares Verhalten lag, wurde ihm auch beim stets erneuten Grübeln über diesen Punkt nicht zweifelhaft. Und nur das bereitete ihm eine kleine Genugtuung, daß ihre Liebe dort nicht erwidert wurde; denn sonst wäre Breitenbachs Verlobung so rasch nach ihres Mannes Tode, gerade in diesem Moment, nachdem sie frei geworden war, doch wohl unmöglich gewesen.

Es war vierzehn Tage nach Bassows endgültiger Uebernahme von Garchim, als er sich an einem trüben, schwermütigen Nachmittage wieder einmal gewaltsam der ihn marternden Gedankenflucht entzog und auf den Hof hinunterging, um die begonnenen Erntearbeiten persönlich zu beobachten. Als er aus dem Hause trat, sah er zu seiner Ueberraschung eine Equipage von altmodischer Eleganz auf dem Hofe halten. In seine nach dem Park hinaus gelegenen Zimmer war kein Räderton hinaufgedrungen. Der fremde Kutscher, der mit Hilfe eines Stallknechts eben dabei war, die Pferde auszuspannen, antwortete auf die Frage nach dem Wagen, daß er Herrn von Breitenbach gehöre, und daß sein Herr in Begleitung seiner Braut gekommen sei, um der Frau Baronin Besuch zu machen. Der Name, den er hörte, verursachte neuen Schmerz in Bassows Brust, bis das Gefühl, daß die Baronin unter dieser Begegnung leiden müsse, wie er selber litt, eine grausame Freude in ihm erzeugte.

Um seine Bewegung zu verbergen, wandte sich Bassow mit verdoppeltem Eifer dem Arbeitstreiben auf dem Hofe zu, nahm Bericht entgegen und gab seine Befehle. Mitten darin sah er, wie die Blicke der Leute unaufmerksam wurden und sich alle nach einer Seite wandten. Ihnen mit den Augen folgend, bemerkte er, daß eine fremde und eigenartige Frauengestalt von der Landstraße her auf den Hof getreten war. Sie trug eine schwarze, halb weltliche, halb geistliche Tracht, wie die Krankenpflegerinnen es tun, auch wenn sie keinem Orden angehören; doch milderte hier keine weiße Haube unter dem schwarzen Kopftuch den düsteren Eindruck des Ganzen. Gleich einer finsteren Erscheinung unter dem trüben Himmel kam die Frau mit schwerfälligen, zögernden Bewegungen daher. Nach einer kleinen Pause der Ueberlegung trat sie dann mit gleicher Unsicherheit auf einen Arbeiter zu, an den sie offenbar eine Frage richtete.

Bassow war an diesem Tage noch mehr als sonst für alles dankbar, was ihn von den eigenen, bohrenden Gedanken ablenkte, auch war in der Frauenerscheinung etwas Besonderes, die Aufmerksamkeit Herausforderndes. Darum ging er selbst mit großen Schritten auf sie zu und fragte: »Wen suchen Sie? Wünschen Sie jemanden hier zu sprechen?«

Mit blassen Augen schaute sie aus ihrem breiten, flachen Gesicht mit unverhältnismäßig kleiner Nase ungewiß auf ihn, um nach einem Zaudern zu antworten: »Ja, ich suchte wohl jemanden hier.«

»Mich selbst vielleicht?«

Wieder eine Pause, dann ein Schütteln des Kopfes. »Nein, keinen Herrn. Eine Dame.«

»Und wie heißt diese Dame?«

Sie antwortete nicht, sondern tat eine neue Frage. »Dies ist doch Schloß Garchim?«

»Gewiß. Und ich bin der Besitzer von Garchim.«

»Sie – so – wirklich? Aber ich möchte zu der Dame, zu der Frau Baronin von Bassow, deren Mann, – deren Gemahl –«

»Ermordet wurde, wollen Sie sagen?«

»Ja, das wollte ich sagen. Ich habe davon gehört, weil überall davon gesprochen wurde. Zeitungen lese ich nicht; sie ziehen die Gedanken zu sehr ab von der Ewigkeit. Aber weil ich ihn doch gekannt habe –«

»Sie haben ihn gekannt?« Mit lebhafter werdendem Interesse blickte Bassow auf die merkwürdige Frauengestalt. Ein mißtrauischer Blick aus den blassen Augen war die Antwort auf seine Frage. Sie trat verlegen von einem Fuß auf den andern. »Das wäre eigentlich wohl zu viel gesagt. Gesehen habe ich ihn – und auch gesprochen – ein- oder zweimal –, aber nur flüchtig, – nein, gekannt habe ich ihn eigentlich nicht.«

»Handelte sich's um eine Krankenpflege, daß er mit Ihnen sprach. Sie sind doch wohl Pflegerin?«

»Ja, das bin ich. Schwester Barbara ist mein Name, – Barbara Zinsmeister. Hier ist meine Karte mit meiner Adresse, wenn der gnädige Herr mich einmal nötig haben sollten.«

Er lächelte. »Vorläufig kann ich keinen Gebrauch machen von Ihrem freundlichen Anerbieten. Ich bin gesund.«

»Man weiß nie, wann Gott eine Krankheit schickt. Hier, – nein, das ist sie nicht, – aber gleich werde ich die Karte haben.«

Sie hatte angefangen, in einer schwarzledernen Handtasche zu suchen, die sie trug, und hatte dabei zunächst ein aufgerolltes, mit einem schwarzen Band umwundenes Schriftstück hervorgezogen. Dann kamen ein Nähzeug, ein in gelbes Papier gewickeltes Paket, ein Hausschlüssel und ein Strickzeug hervor. Ganz zuletzt fand sich auch ein kleines, abgegriffenes Täschchen für Visitenkarten, dem sie eine der Karten entnahm.

»So, da ist die Karte,« sagte die Fremde, indem sie Bassow ihre Visitenkarte überreichte. »Wenn der gnädige Herr die Güte haben wollten, sie aufzubewahren. Meine Adresse in Berlin steht darauf. Von dort bekomme ich alle Briefe nachgeschickt, auch wenn ich unterwegs bin. Ich bin sehr viel unterwegs auf auswärtiger Pflege. Auch jetzt bin ich auf solch einer Fahrt, ich habe nur hier einen Zug überschlagen, weil ich doch einmal in der Nähe war. Das kostet ja nicht mehr, und ich wollte gern der Frau Baronin –«

Sie stockte wieder, als wenn sie fürchtete, zu viel gesagt zu haben. Bassow drängte sie auch nicht, ihre Rede zu vollenden; ihn beschäftigten viel mehr die Worte über seinen Vetter, und er fragte: »Stammt Ihre Bekanntschaft mit dem verstorbenen Baron Bassow bereits aus früherer Zeit?«

»O nein, – das heißt, – nein, es muß ganz kurz vor seinem Tode gewesen sein, daß er bei mir war.«

»Also er war bei Ihnen?«

Sie schüttelte unmutig den Kopf. »Ach, das ist doch einerlei. Um was es sich handelte, das war ja sowieso schon lange her. Und es wird auch für die Frau Baronin kaum einen Wert haben, aber ich wollte es ihr doch bringen.«

Ihre mystischen Worte bekamen eine Art von Erklärung durch die Papierrolle, die sie nicht gleich den übrigen Gegenständen wieder in ihre Tasche versenkt hatte, sondern unsicher in der Hand hin und her bewegte.

»Ist es diese Rolle, die Sie der Frau Baronin geben wollen?«

»Ja, – es ist möglich.«

»Wenn sich dies Papier in irgendeiner Weise auf den Tod des verstorbenen Barons bezieht –«

»O nein, darauf nicht! Nein, nein, darauf in keiner Weise.«

»Oder wenn es Wichtigkeit für den gegenwärtigen Besitzer von Garchim hat, – ich bin jetzt hier Majorats-Herr und heiße Bassow, wie mein verstorbener Vetter.«

»Nein, nein, für Sie – Herr Baron muß ich doch sagen? –, für den Herrn Baron hat es gewiß gar keine Bedeutung.«

»Aber Sie meinen, daß es für meines Vetters Witwe Bedeutung hat?«

»Ich weiß es nicht, – vielleicht. Ich habe nur gemeint, weil doch der Herr Baron, – ich dachte, die Frau Baronin würde mir vielleicht das Geld geben, das der verstorbene Herr Baron mir dafür versprochen hatte.«

»So, ein Geschäft wollen Sie machen?« Seine Blicke und sein Ton wurden kühler.

»Wenn der Herr Baron es so nennen wollen, – jedenfalls möchte ich diese Papiere gern der Frau Baronin selbst übergeben.«

»Da werden Sie warten müssen. Ein Gutsnachbar, ein Herr von Breitenbach, ist bei ihr zu Besuch.«

»Breitenbach, – Herr von Breitenbach –«

»Kennen Sie vielleicht auch den Herrn?«

»Nein, nein, gewiß nicht. Ich habe ihn nie gesehen, – o nein! Aber vielleicht könnten der Herr Baron mir sagen, ob dieser Herr von Breitenbach mit Vornamen Erich heißt?«

Mit neuem, verstärktem Erstaunen blickte Bassow in das ausdruckslose, flache Gesicht. »Ich muß bedauern. Ich bin erst seit kurzem hier und kenne den Herrn von Breitenbach selbst nur ganz flüchtig. Wenn Sie warten wollen –«

»Sehr gern, gewiß. Ich habe eine ganze Menge Zeit, – mein Zug geht erst am Abend. Wenn der Herr Baron mir nur vielleicht sagen wollten, wo ich warten darf –«

»Ich werde Sie ins Dienstbotenzimmer führen lassen. Die Köchin soll Ihnen eine Tasse Kaffee machen, ich werde Auftrag geben.«

»Meinen gehorsamsten Dank. Herr Baron sind zu gütig.«

Mit einem kurzen Kopfnicken wandte Bassow sich ab. Diese Schwester Barbara war ihm wenig angenehm. Aber sie hatte seine Gedanken für einige Zeit von der Begegnung zwischen der Baronin und Breitenbach abgezogen, und er war ihr dankbar dafür. Auch beschäftigte ihn die auffallende Bekanntschaft seines Vetters mit einer Krankenpflegerin. Wie war er dazu gekommen, was bedeutete das Papier in ihren Händen? Die Baronin konnte ihm Auskunft geben, sobald sie die geheimnisvolle Schrift gelesen hatte, zwischen ihm und ihr aber waren die Brücken abgebrochen. Aufs neue legten sich ihm Schmerz und Mißbehagen beklemmend auf die Brust. Er gedachte der vielen einsamen Abendstunden, die er seit seinem Einzug in Garchim in dem stillen, großen Schlosse verlebt hatte, der Augenblicke vor allem, wenn der Gesang einer Frauenstimme von wundersam zauberhaftem Reiz durch die nächtliche Stille zugleich mit sanften Düften der Sommernacht in sein Zimmer hineingedrungen war und ihn aufgescheucht hatte von seinen Büchern und Schriften.

Langsam, tief in Gedanken, ging er ins Schloß zurück und in sein Arbeitszimmer. Doch trieb ihn innere Unruhe gleich wieder vom Schreibtisch empor und an das Fenster, wo der Blick nach dem andern Flügel und auf die Terrasse unten frei war. Die meisten der Glastüren zu den dort gelegenen Zimmern standen offen; in einem von ihnen, dem großen Empfangs- und Musiksalon, mußte sie gegenwärtig dem Manne und seiner Braut gegenüber sitzen, den sie liebte! Welch' eine Stunde für sie! Welch' ein Gefühl aber auch für ihn selber, hier am Fenster stehen zu müssen mit solchen Gedanken! Ein wilder Haß loderte flammend, verzehrend in seinem Herzen auf, – aber seltsamerweise nicht gegen die Frau, sondern gegen den Mann. Für den Augenblick wurden Mißtrauen und Verdacht gegen die Baronin erstickt von einem stärkeren Gefühl, vom Haß gegen diesen Herrn von Breitenbach, der ihm den Weg zu ihrer Seele versperrte.

Mit einem Gefühl, das ihn kalt überrieselte, trat Bassow rasch einen Schritt in das Zimmer zurück und ließ den Vorhang zufallen, den er vom Fenster fortgeschoben hatte. Als wenn seine Gedanken den Mann herbeigezaubert hätten, der ihr Ziel gewesen war, sah er ihn plötzlich aus der Tür des Musiksalons auf die Terrasse hinaustreten. Und nur ihn allein. Von den beiden Damen war keine in seiner Begleitung. Scheinbar, um ein wenig Luft zu schöpfen, ging er mit langsamen Schritten auf der Terrasse entlang, während seine Blicke an den Türen und Fenstern des Erdgeschosses umhertasteten. An einer der offenen Glastüren blieb er stehen, zauderte einen Augenblick, schaute nach beiden Seiten und trat hinein. Es war das Zimmer, in dem die Leiche des Ermordeten gefunden worden war.

Bassow sagte sich, daß es eine ungeheuer natürliche Sache sei, wenn der Freund des Toten sich das Zimmer betrachtete, das er sicher oft genug in Begleitung des Lebenden betreten hatte, daß er den Ort aufsuchte, wo dann unerwartet Schreckliches geschehen war. Aber trotzdem erregte der Anblick ihn auf merkwürdige, ihm selbst unerklärliche Weise. Und auf einmal packte ihn ein unwiderstehlicher Drang, zu sehen, was Breitenbach in jenem Zimmer tat. Er überlegte nicht, er ging zur Tür und öffnete sie. Aber ganz leise, ganz vorsichtig, obwohl ein Ton von hier unmöglich in das Erdgeschoß hinunterdringen konnte.

Das kam Bassow nicht in den Sinn; er hatte das Empfinden des Jägers, der ein Wild beschleichen will und jeden verräterischen Laut, selbst einen vernehmbaren Atemzug vermeiden muß. In dieser Stimmung schlich er die Treppe hinunter und ging auf den Zehenspitzen den Korridor im Erdgeschoß entlang, ohne auch nur einen schwachen Widerhall zu wecken. Vor der Tür, die er suchte, hielt er einen Augenblick still; er wußte, sie wurde nicht mehr verschlossen gehalten, seit das Gericht seine Untersuchung beendet hatte. Die Papiere, die auf dem Schreibtisch des Toten gelegen hatten, befanden sich in Bassows eigener Verwahrung. Er brauchte nur einzutreten, aber sein Herz klopfte so laut, als wenn er auf dem Wege zu einem Verbrechen wäre. Dann griff er entschlossen, doch mit immer gleicher, leiser Vorsicht nach dem Drücker der Tür und öffnete sie ganz rasch.

Er hatte sich in seiner aufgeregten Phantasie allerlei durcheinandergleitende Bilder gemacht, wie er den Eindringling hier finden würde, was er aber nun sah, überraschte ihn trotzdem. Ihm den Rücken zuwendend, kniete Breitenbach nahe dem Schreibtisch auf dem Boden, während er mit seinen Händen auf dem Teppich umherzutasten schien.

»Guten Tag, Herr von Breitenbach!« Laut, beinahe drohend klangen die Worte durch den weiten Raum.

»Ah, Baron Bassow!«

Er war herumgefahren und stand rasch, mit elastischer Bewegung auf. War es Einbildung, wenn Bassow meinte, daß er in diesem Augenblick totenbleich vor ihm stand? War es das matt, mit grünen Reflexen vom Park hereindringende Licht, das ihn täuschte? Aber nein! Er sah, wie langsam die Farbe in das volle, glatte Gesicht Breitenbachs zurückkehrte, wie ein Lächeln den Ausdruck unverhohlenen Schreckens dort ablöste. Auch die Stimme klang ruhig und sicher, die nun sagte: »Sie haben mich fast erschreckt, Baron. Ich hatte sowieso ein leises Einbrechergefühl, als ich hier eindrang. Aber Sie werden mir zugeben, daß es ein erklärliches Verlangen von mir war, den Ort, wo mein armer Freund hat sterben müssen, einmal allein und in Ruhe zu betrachten.«

»Gewiß, das muß ich zugeben. Aber haben Sie etwas verloren? Sie schienen am Boden umherzusuchen.«

»Nein, verloren habe ich nichts. Aber suchen tat ich allerdings. Ich bin empört über unsere Polizei, – sie scheint wieder einmal völlig im Dunkeln zu tappen, diesem Verbrechen gegenüber. Und weil sie so gar nichts ausrichtet bisher, trieb es mich mit Gewalt, mich einmal mit eigenen Augen zu überzeugen, ob nicht vielleicht hier an Ort und Stelle doch noch eine Spur zu finden wäre. Die Damen – ich habe meine Braut meiner alten Freundin, der Baronin, vorgestellt – hatten allerlei Sachen zu verhandeln, wobei ich überflüssig war, da habe ich die Gelegenheit wahrgenommen und mich hier auf die Suche begeben. Ich bitte Sie als Hausherrn sehr um Entschuldigung für mein eigenmächtiges Verfahren.«

Bassow hörte, fühlte von all' den Worten hauptsächlich nur zwei. Daß Breitenbach von der Baronin als von seiner alten Freundin sprach, tat ihm weh wie ein Stich. Er meinte darin einen frivolen Beiklang zu hören, als wenn Breitenbach um ihr leidenschaftliches Gefühl für ihn wüßte. Dies Empfinden machte den Ton eiseskalt, in dem er antwortete: »Da ist Entschuldigung überflüssig.«

Ein Schweigen folgte. Es lastete auf Bassow, und er fühlte das Bedürfnis, es zu unterbrechen. Drum tat er die Frage: »Haben Sie etwas gefunden?«

»Nein, leider nicht.«

»Hatten Sie – wenn ich fragen darf – einen bestimmten Verdacht, weshalb Sie gerade auf dem Fußboden suchten?«

Ein Blick, in dem Bassow Mißtrauen zu finden glaubte, traf ihn aus Breitenbachs Augen. Dann aber ging wieder ein Lächeln über das volle Gesicht. »Ich wollte, ich könnte sagen, daß ich einen bestimmten Verdacht hätte. Aber davon ist keine Rede. Mir war nur der Gedanke gekommen, – in den Kriminalromanen, die man liest, pflegen ja doch die Mörder meist etwas zu verlieren. Einen Hosenknopf oder sonst einen ähnlich interessanten Gegenstand. Und wenn es auch wohl sehr töricht von mir war, ich wollte sehen, ob nicht irgendeine Kleinigkeit am Ende doch den scharfen Augen der Herren vom Gericht entgangen wäre.«

»Dieser Versuch war wohl von vornherein aussichtslos.«

»Ich gebe das zu, Baron. Aber man sieht immer gern mit eigenen Augen, – nicht wahr?«

»Gewiß.«

»Und jetzt muß ich zu den Damen zurück. Wir wollen heute noch nach Barsten hinüber. Kommen Sie nicht mit in den Salon? Ich hätte Sie gern mit meiner Braut bekannt gemacht, wenn ich auch noch nicht die Freude hatte, Sie bei mir begrüßen zu können.«

»Ich bitte dafür sehr um Verzeihung. Aber ich, – Sie können sich denken, wie viel Arbeit und Unruhe mir die Uebernahme dieses neuen Besitzes gemacht hat. Ich hole das Versäumte in den nächsten Tagen nach. Leider ist es mir auch unmöglich, in den Salon mitzukommen. Es liegen da Gründe vor, über die ich mich nicht äußern kann. Aber wenn Sie gestatten, bin ich auf dem Hofe bei Ihrer Abfahrt, um die Ehre zu haben, Ihr Fräulein Braut kennen zu lernen.«

»Sehr liebenswürdig. Wir fahren in zehn Minuten, – damit Sie nicht zu warten brauchen. Ich darf also sagen ›Auf Wiedersehen‹?«

»Auf Wiedersehen, Herr von Breitenbach.«

Eine tiefe, höfliche Verbeugung von Breitenbach, eine kühle und knappe von Bassow, dann war er allein. Eine Weile stand er in Gedanken versunken. Er war ärgerlich über sich selbst und ließ es den andern büßen, indem er sich sagte, daß dieser Breitenbach ihm sehr unsympathisch sei. Aus plötzlichem Antrieb ging er dann zu dem Platz am Schreibtisch, wo jener gekniet hatte, beugte sich tief hinab und forschte mit seinen scharfen Augen auf dem Fußboden umher. Aber nein, hier war keine Spur. Der Teppich, der den Parkettboden beinahe ganz überdeckte, war ebenso wie das Fell, das unter dem Schreibtisch lag, geklopft und gereinigt worden, – sie hatten nichts mehr zu verraten. Und als Bassow sich aufrichtete, waren seine Gedanken bereits nicht mehr bei dieser Untersuchung. Es war ihm durch den Sinn gefahren, daß die Baronin ihre Besucher vielleicht auch an den Wagen begleiten würde, daß er ihr dort gegenübertreten müßte, – zum ersten Male seit ihrem fremden Zusammenwohnen. Sein Gefühl verwirrte sich bei diesem Gedanken. Freude, Zorn, Eifersucht, Mißtrauen wogten rasch durcheinander, aber die verborgene Freude war doch wohl die stärkste der Empfindungen. Sie trieb ihn eilig fort aus dem Zimmer und hinaus auf den Hof.

Der Wagen war bereits bespannt, aber die Insassen fehlten noch. Ungeduldig mußte Bassow wohl noch fünf Minuten auf und nieder gehen, bevor lebhafte Stimmen aus dem Flur erklangen. Die Stimme der Baronin war unter ihnen, das erkannte sein Ohr gleich beim ersten Ton. Wie vertraut war ihm dieser weiche, volle Klang, seit er ihrem Gesang verborgen so oft gelauscht hatte. Und da war sie selbst! Sie ging neben der Braut, einer überschlanken Dame mit weißblondem Haar und schönen, lockenden Augen, aber sie sprach nicht mit ihr, sondern mit Breitenbach. Ein Lachen war auf ihrem Gesicht, ein besonderer, heller Schimmer in ihren Blicken.

Bassow trat an die Stufen der Freitreppe, die vom Eingang herabführte, und begrüßte stumm die Kommenden.

»Ah, da sind Sie ja, Baron!« rief Breitenbach. »Wir haben doch nicht warten lassen? Ich würde mir das nie verzeihen. Und nun müssen Sie meine Braut kennen lernen.«

Er stellte Bassow der Amerikanerin vor, so daß er gezwungen war, ein paar höfliche Worte an sie zu richten. Aber es geschah mechanisch, mit halbem Bewußtsein; er hätte hinterher selbst nicht sagen können, was er gesprochen hatte. Während es geschah, suchten seine Augen die Baronin, die mit Breitenbach einige Schritte zur Seite getreten war und halblaut mit ihm sprach. Offenbar war sie erregt, ihr Gesicht war gerötet, und sie ließ ihre Blicke auf Breitenbachs Zügen ruhen. Aber nichts von Schmerz oder Enttäuschung war ihr anzumerken. »Welch eine Komödiantin!« mußte Bassow denken, doch sein Herz fügte wider seinen Willen hinzu: »Wie schön sie ist!«

Nun mahnte Breitenbach zum Aufbruch, der Wagen rollte davon. »Auf Wiedersehen!« rief die Baronin, mit besonderer Betonung, wie es Bassow vorkam. Einen Augenblick blieb sie noch stehen und schaute auf den davonrollenden Wagen. Dann traf ihn selbst ein halber, flüchtiger Blick, doch da er nicht sprach, wandte sie sich mit ganz leichter Kopfneigung ab und stieg langsam die Stufen hinauf.

Bassow hob unwillkürlich den Arm, als wenn er sie halten müsse. »Baronin!« rief er mit unsicherer Stimme.

Sie kehrte sich um, von oben auf ihn herunterblickend. »Haben Sie mir etwas zu sagen?«

Er kämpfte mit sich, er schaute zu ihr empor und versuchte, auf ihrem Gesicht zu lesen. Doch schien ihm dort nichts anderes zu wohnen, als ablehnende Kälte. Halb geschlossen blickten ihre Augen herab.

Sein Stolz bäumte sich auf. Nein, diese Frau war das Gefühl nicht wert, unter dem er litt. Mit jähem Wechsel der Empfindung sah er in ihr auf einmal wieder nur die Schuldige, die mit wohlstudierter Kunst ihre Umgebung täuschte. So gern sein Herz an sie geglaubt hätte, sein Verstand widersprach. Er fühlte aufs neue das Rächeramt, das auf ihm lag, das er übernommen hatte zugleich mit dem Boden, auf dem er stand.

Hoch sich aufrichtend, sah er ihr fest in die Augen. »Nein, Baronin, ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

Sie lächelte ein wenig, bewegte die Schultern kaum bemerkbar, wandte sich um und ging in das Haus.

Aber während er sich nun auch zur Seite wandte, sahen seine Augen etwas Anderes, Ueberraschendes. Auf jeder Seite der großen Eingangstür befand sich ein schmales, hohes Fenster, um den Flur zu erhellen. Und an dem Fenster, links von der Tür, erblickte Bassow ein Gesicht, an das er nicht mehr gedacht hatte, das er aber sogleich erkannte. Das der fremden Krankenpflegerin war es, dicht an die Scheibe gepreßt, so daß die kleine Nase plattgedrückt erschien; mit seinen blassen Augen schaute das Gesicht offenbar in Spannung auf den Hof hinaus. Vielleicht hatte die Fremde schon die Abfahrt des Wagens beobachtet, jedenfalls war sie wohl Zeugin der kleinen Szene zwischen ihm und der Baronin gewesen. Und als diese nun den Flur betrat, verschwand auch das Gesicht am Fenster. Durch die offen gebliebene Tür konnte Bassow beobachten, wie die beiden schwarzen Frauengestalten einander begegneten. Zuerst schien die Baronin überlegend und mißtrauisch zu zaudern, dann aber, als die andere die Papierrolle in der Hand erhob und etwas Unvernehmbares dazu sagte, machte sie eine lebhafte, offenbar zum Folgen einladende Bewegung und ging eilig voran, auf die Treppe zu, die nach oben führte.


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