Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Der erste Zug, der am nächsten Morgen dorthin abging, brachte Bassow nach Garchim zurück. Es war ihm, als wenn er dort etwas versäumte durch sein Fernsein, als wenn wichtige Dinge auf ihn warteten. Uneingestandene Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit der Baronin arbeitete mit, ihn vorwärts zu treiben, und unerträglich langsam erschien ihm die Fahrt.

Es war erst neun Uhr vorüber, als er wieder in seinem Arbeitszimmer am Fenster stand, an diesem Fenster, das er liebte, weil es ihn zum anderen Flügel des Schlosses hinüberblicken ließ, wo die Baronin wohnte, und weil er von hier aus einen großen Teil des Parkes übersehen konnte. Die Gewohnheiten seiner zugleich nahen und fernen Hausgenossin waren ihm jetzt bekannt genug, daß er sie häufig schon auf einem Gange durch den Park heimlich hatte beobachten können. Bei jedem Wetter pflegte sie zu fester Stunde regelmäßig diesen Gang zu machen, – er stand, er wartete, und richtig, dort war sie! Aber heute hielt er es auf seinem stillen Beobachtungsplatze nicht aus; er nahm eilig seinen Hut und ging hinunter in den Park.

Sie war offenbar überrascht, ihn zu sehen. Ein leichtes Rot stieg in ihr Gesicht empor, das meist noch immer bleich war nach der schweren, aufregenden Zeit. Einen freudigen Abglanz weckte dies Rot auch auf seinen Zügen, und fröhlich rief er: »Ja, Baronin, da bin ich schon wieder.«

»Ich bin überrascht, Sie zu sehen. Aber ich freue mich, Sie so heiter zu finden. Sie strahlen ja wie ein Sieger.«

»Beinahe fühle ich mich auch so. Aber meine Hauptfreude –«

»Warum sprechen Sie nicht weiter?«

»Ich darf das nicht sagen, will es nicht sagen. Und eigentlich sollte ich Ihnen auch von dem Resultat meiner Fahrt nichts erzählen, – ebensowenig wie Sie mich hineinblicken lassen in Ihre Geheimnisse.«

»Sie wissen ja, weshalb ich noch schweige. Doch nur, weil ich bisher nicht beweisen kann, was ich glaube.«

Er trat ein wenig näher zu ihr heran und sprach mit leiser Stimme: »Sie brauchen es mir nicht mehr zu sagen, Baronin. Ich weiß es auch ohne das, – ja, ich kenne jetzt Ihren Verdacht.«

»Wirklich? Täuschen Sie sich nicht?«

»Ich will Ihnen sagen, wo ich gewesen bin, – urteilen Sie dann selbst. Ich war in Berlin bei der Krankenpflegerin Barbara Zinsmeister und habe die Aufzeichnungen der unglücklichen Eugenie Neubeck in letzter Nacht gelesen.«

»Sie kennen diese Schrift? Aber sie ist ja in meinem Besitz.«

»Das Original, gewiß. Eine Abschrift hat sich die Schwester zurückbehalten und mir gegeben.«

Die Baronin schaute einen Moment sinnend vor sich nieder, dann fragte sie ganz leise: »Und was denken Sie?«

»Wahrhaftig, es wird mir schwer, Ihnen darauf zu antworten. Ich frage mich noch immer: Ist es denn möglich?«

Sie lächelte ein wenig: »Bei mir haben Sie das nicht gefragt, lieber Baron.«

»Doch, doch! Hundertmal, tausendmal habe ich mich's gefragt. Und Sie dürfen mir's glauben, seit ich Sie ein wenig mehr kennen gelernt habe, hat jeder Verdacht gegen Sie mir weher getan, als er Ihnen wehe tun konnte. Und jetzt, – jetzt kann ich immer wieder nur bitten: Verzeihen Sie mir, ich habe unrecht an Ihnen getan!«

Sie sah ihm, den Kopf erhebend, voll ins Gesicht. »Es ist schon vergeben, das müssen Sie doch fühlen. Wie Sie's angefangen haben, ich weiß es selber nicht. Ich glaube, einem Menschen mit so freundlichen Augen, kann man nicht böse sein.«

»O, Baronin!«

Er griff nach ihrer Hand, um sie zu küssen, aber fast im selben Moment empfand er, wie sie zurückzuckte, und hörte, wie sie ein wenig ärgerlich fragte: »Was gibt es denn wieder?«

Ihren Blicken folgend, wandte Bassow sich um und sah den Diener Franz hastig vom Ausgang des Schlosses herunterkommen. Er war bereits nahe, so daß er die Frage vernommen hatte und antworten konnte: »Der Herr Gendarmeriewachtmeister ist eben auf den Hof geritten gekommen und hat gefragt, ob er die gnädigsten Herrschaften sprechen könnte. Er hätte wichtige Dinge zu melden.«

Der Gendarm war schon aus der großen Tür auf die Terrasse herausgetreten, kam, rot im Gesicht und laut atmend wie gewöhnlich, mit militärischem Gruß auf sie zu.

»Die Herrschaften verzeihen, wenn ich so früh schon störe. Aber ich hielt es für meine Pflicht, gleich zu melden, daß wir dem Urheber des hier begangenen Verbrechens jetzt endlich auf der Spur sind.«

»Und wer ist es?«

»Ja, Frau Baronin, wie er sich nennt, kann ich vorläufig noch nicht sagen. Aber die Sache stimmt, ich möchte meinen Kopf darauf wetten. Eine solche Aehnlichkeit in der Ausführung des Verbrechens, – es ist nämlich gestern abend gegen elf Uhr ein Mordversuch auf den Herrn von Breitenbach auf Lünzin verübt worden.«

Bassow fragte mit einem erstaunten Blick auf die Baronin: »Ist Herr von Breitenbach verletzt?«

»Nein, Gott sei dank nicht!«

»Erzählen Sie uns in Ruhe, wie sich der Vorfall ereignet hat.«

»Ja, gewiß, das will ich tun. Also: Der Herr von Breitenbach ist gestern abend erst nach zehn Uhr in sein Arbeitszimmer gegangen. Und sein Arbeitszimmer, das liegt doch gerade so wie das hier vom seligen Herrn Baron zu ebener Erde nach dem Park hinaus. Na, und wie nun der Herr von Breitenbach so vor seinem Schreibtisch sitzt und liest, – er hat mir das Buch gezeigt, worin er gelesen hat, – da hört er auf einmal ein Geräusch, so ein scharfes Pfeifen unmittelbar an seinem Ohr, und im selben Augenblick auch den Knall von einem Schüsse. Von einem Revolver, meint er. Und er springt gleich auf – er ist ja ein starker, mutiger Herr – und läuft an die offenstehende Tür und in den Park hinaus, aber da ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Und er hat auch die Dienerschaft gleich herausgetrommelt, und sie haben lange den ganzen Park durchsucht, aber nichts gefunden, genau so, wie damals hier. Aber in Lünzin ist es ja auch bequemer für die Herren Schurken, weil doch der Park nicht so gut eingefriedigt ist. Und es ist mir immer noch ein Wunder, wie das damals hier hat passieren können. Aber dafür will ich meine Hand ins Feuer legen: wenn wir den Kerl erst haben, den von gestern abend, dann haben wir auch den Mörder vom seligen Herrn Baron.«

»Aber Sie haben ihn vorläufig nicht, wie Sie sagen.«

»Nein, Frau Baronin. Vorläufig leider noch nicht. Meine Leute sind aber schon fest auf der Jagd nach ihm. Wir wissen auch ungefähr, wie er aussieht. Der Gendarm Hoyer ist vor zwei Tagen einem verdächtigen Individuum begegnet, das in der Nähe von Lünzin herumgelungert hat. Dieser Gendarm ist erst vor ein paar Tagen hierher versetzt worden und ist auch noch jung und unerfahren. Darum hat er die Nachlässigkeit begangen und hat den Menschen nicht gestellt und nach seinen Papieren befragt. Aber die Personalbeschreibung, die er macht, die stimmt ganz genau auf den Menschen, dem damals der verstorbene Herr Baron im Wirtshaus hat zu essen geben lassen.«

»Mein Mann?«

»Jawohl, Frau Baronin, und wir wollen uns nun alle Mühe geben, den Kerl unschädlich zu machen. Ich bin nur eben rasch herübergeritten, weil die Herrschaften doch Anspruch darauf hatten, um die Sache zu wissen, aber jetzt muß ich gleich wieder auf die Station zurück.«

Mit militärischem Gruß entfernte sich der Gendarm und schritt sporenklirrend über die Terrasse davon. Franz, der sich, durch Neugierde festgehalten, während seines Berichtes nicht entfernt, sondern von weitem ein wenig zugeschaut, wenn auch nicht gehorcht hatte, öffnete ihm die Tür und verschwand mit ihm.

Schweigend, in Gedanken verloren, standen die Baronin und Bassow noch eine Weile und starrten hinab auf den sonnebeschienenen Kies. Im selben Augenblick aber hoben sie dann die Köpfe, und ihre Augen trafen sich.

»Was denken Sie?«

Bassow lachte leise, mit einem Beiklang von Bitterkeit.

»Garchim scheint's an sich zu haben, daß man hier niemals aus den Zweifeln herauskommt. Mich wenigstens haben sie gequält vom ersten Augenblick an, seit ich seinen Boden betreten habe. Gerade war mir's, als wenn sich das Dunkel ein wenig lichten wollte, als wenn ich einen sicheren, offenen Weg vor mir hätte, und nun zeigt sich's, daß es nur der Eingang zu einem neuen Irrgarten war.«

Der tief nachdenkliche Ausdruck war unverändert auf dem Gesichte der Baronin geblieben. »Man braucht sich nicht in die Irre führen zu lassen,« sagte sie langsam.

»Nein, Sie haben recht. Und ich wehre mich auch dagegen. Aber Sie müssen doch zugeben: Dieser neue Zwischenfall gibt unseren Kombinationen einen Stoß.«

»Gewiß, – einen argen Stoß. Es ist eine große, auffallende Aehnlichkeit in der Ausführung der beiden Verbrechen, die sich im Laufe weniger Monate auf zwei Nachbargütern ereignet haben, und wenn es wirklich richtig sein sollte, daß der Mensch, den man augenblicklich verfolgt, derselbe ist, den man damals mit meinem Manne zusammen gesehen hat, – es ist möglich, daß die Polizei recht hat, wenn sie denselben Täter in beiden Fällen vermutet.«

Bassow hatte, mit eigenen Gedanken beschäftigt, nicht genau hingehört auf ihre Worte. »All' das ist nicht für mich das Entscheidende. Aeußere Zufälle müssen sich aufklären über kurz oder lang. Aber die neuen Dinge haben einen kaum eingeschlummerten Zweifel wieder aufgeweckt. Und ich frage mich aufs neue: kann man ihm, – dem Manne, den wir nicht nennen wollen, den aber unser Verdacht in gleicher Weise getroffen hat, – kann man ihm ein solches Verbrechen zutrauen oder nicht? Er ist ein Edelmann, ist nach allem äußeren Ansehen ein gebildeter, anständiger Mensch –«

Sie schüttelte den Kopf und hob abwehrend eine Hand. »Wenn das wahr ist, was die Aufzeichnungen sagen, die Sie ja nun auch kennen, dann ist er das nicht. Und auch ohne das, – ich habe in meiner so traurig verdorbenen Ehe die Erfahrung gemacht: es gibt Männer, bei denen der Anstand aufhört, sobald das Weib in Frage kommt. Ich sage mit Absicht: Das Weib. Denn ich spreche von Männern, die nicht wirklich lieben können. Die nur die Gattung als solche lieben und nicht eine einzelne Frau. Sie gilt ihnen – häufig wohl unbewußt – nur als Vertreterin der Gattung, und ihre sogenannte Liebe hört auf nach einiger Zeit des Besitzes. Vielleicht gibt es diese Sorte von Männern öfter als man denkt. Jedenfalls hat mein Mann zu ihnen gehört; sein Wesen hat sich mir klar enthüllt, und er ist schon in dem Augenblick für mich gestorben, als ich mir dessen deutlich bewußt wurde. Auch er – der andere – ist einer von diesen Männern, oder mein Instinkt betrügt mich. Und wenn das wahr ist, mußten die beiden Feinde werden, sobald für sie dieselbe Frau das Weib zeitweilig verkörperte. Und sehr wohl möglich ist es, daß an jenem Unglücksabend lediglich Kraft und Gewandtheit darüber entschieden haben, wer von ihnen das Opfer und wer der Verbrecher werden sollte.«

Stockend, ein wenig unsicher, begann Bassow zu antworten. »Ich weiß nicht, Baronin, – Sie werden mich sehr weltfremd finden, sehr arm an Erfahrung und Menschenkenntnis. Aber ich bin der Welt auch wirklich lange Zeit fern gewesen und habe viel mehr an nüchterne, praktische Dinge zu denken gehabt als an die Fragen des Gefühls. Darum ist mir auch die Art von Männern, von der Sie sprechen, bis heute fremd geblieben. Es mag sie geben, gewiß. Aber ich selbst bin so ganz anders. Für mich ist die Liebe –«

Vergeblich nach Worten suchend, brach er ab. Auch sie sah vor sich nieder und schwieg. Tiefe, schöne, sonnige Stille war um sie her, in die hinein die fleißigen Bienen summten und ihnen zuzurufen schienen, daß es noch Sommer sei, und daß man seine Zeit nützen solle.

Nun sagte die Baronin mit ein wenig bebender Stimme: »Was wollten Sie sagen?«

»Ach, ich will nicht sentimental werden und Sie nicht quälen.«

»Sie quälen mich nicht. Und ich halte Sie keineswegs für sentimental. Fähig für ein großes Gefühl, gewiß, aber nicht für sentimental.«

»Fähig für ein großes Gefühl, – das ist schön, daß Sie mir das sagen. Aber ich bin es selten. Ich irre nicht hin und her von der einen zur anderen. Ich würde sehr treu sein, glaube ich, wenn ich mich da geliebt glauben könnte, wo ich liebe. Aber ich spreche ein wenig wie ein Blinder von der Farbe. Mein Leben ist sehr still und einsam gewesen bis jetzt, in Liebessachen bin ich ein großes Kind geblieben. Ich habe ja auch erst – erst zweimal im Leben geliebt.«

»Und wer war die erste, die Sie geliebt haben?« Erst nach einer neuen Pause tat sie die Frage.

»Ach, das ist lange her. Sie war auch eine Sängerin –«

Jäh brach er ab, sein Gesicht wurde feuerrot über das Wörtchen »Auch«, das ihm entfahren war und ihn verraten hatte. Wenn er aber die Blicke nicht auf den Rasen zu seinen Füßen gerichtet hätte, sondern auf die Baronin, er hätte in dem Lächeln, das auf ihrem Gesichte lag, einen reichen Schatz von Güte und Freundlichkeit finden müssen. Mit einer feinen Beimischung von Humor aber sagte sie: »Sprechen Sie ruhig weiter, ich bin ja keine Sängerin mehr.«

»Sie sind – sehr gut – sehr nachsichtig. Haben Sie Dank. Ich wollte ja auch nur von der Vergangenheit reden. Betrogen und belogen hat man mich damals, – das hat mich in mich selbst zurückgescheucht, – ich habe gedacht, ich würde nie zum zweiten Male lieben können im Leben.«

Sie antwortete nicht, sondern atmete nur sehr schnell. In die Hecke, an der sie langsam einhergingen, hineingreifend, brach sie gedankenlos einen Zweig davon ab und preßte die Blätter zusammen in ihrer Hand. Aber dann blieb sie plötzlich stehen, sah geradeaus in die Ferne, von Bassow halb abgewendet, und sagte: »Wir sprechen da wie zwei Leute, die vom Frieden reden, während noch Krieg um sie her ist. Aus unserem Leben muß dieser Zweifel, diese Ungewißheit erst fortgeschafft werden, ehe wir an etwas anderes denken dürfen. Dies Verbrechen muß aufgeklärt werden um jeden Preis.«

»Ja, Baronin, Sie haben recht. Sie geben mich mir selbst wieder mit Ihren Worten. Ich habe ja solch ungeheure Sehnsucht nach Klarheit, für Sie und für mich. Gestern in Berlin, als ich etwas tun, etwas unternehmen konnte, als ich meinte, dieser Klarheit näher zu kommen durch Wollen und Handeln, da war ich zum ersten Male seit Wochen wieder zufrieden mit mir selbst. Und eben im Augenblick hab' ich zu mir gesagt: Warum soll ich mir diese Zufriedenheit wieder nehmen lassen? Ich kann ja ruhig weitergehen auf dem Wege, den ich gestern betreten habe. Mag die Polizei die Spuren verfolgen, die sie für richtig hält, ich will mir einstweilen auf eigene Faust Klarheit verschaffen über diesen Herrn von Breitenbach. Jawohl, ich nenne diesen Namen! Und ich will wissen, ob ich einen Ehrenmann zum Nachbarn habe oder einen Schuft.«

»Was können Sie noch tun? Was wollen Sie tun?«

»O, meinen Feldzugsplan habe ich mir schon ganz hübsch zurechtgelegt. Nur diese neue Nachricht hatte mich für den Augenblick wieder irre gemacht. Seine Vergangenheit will ich aufdecken und von dem Menschen von damals auf den Menschen von heute schließen. Ich will nach Augsburg fahren, wo sich die Sache mit der Eugenie Neubeck abgespielt hat, ich will, – ja, das können Sie mir wahrscheinlich sagen, Baronin. Mein Vetter kam doch von Berlin an dem Tage, als er ermordet wurde. Wissen Sie, wo er dort gewohnt hat?«

Sie nickte und nannte den Namen des Hotels Kaiserhof, indem sie hinzufügte: »Dort hat er immer gewohnt, wenn er in Berlin war. Auch hat er dem Oberinspektor vor seiner Abreise die Adresse angegeben.«

»Das ist gut. Aber nun das andere, wichtigere. Breitenbach war doch auch gleichzeitig verreist – er ist ja mit meinem Vetter zusammen nach Hause gekommen. Wissen Sie, wo er gewesen ist?«

»Warten Sie – gesagt hat er mir's damals – in Rostock, jawohl, in Rostock ist er gewesen.«

»Ich danke Ihnen. Jetzt weiß ich, was zu tun ist. Ich fahre noch heute wieder nach Berlin, morgen wahrscheinlich nach Rostock. Dort will ich forschen, suchen, fragen – o, Sie sollen mit mir zufrieden sein!«

»Ich bin schon jetzt mit Ihnen zufrieden. Und ich hoffe, wir finden endlich die Lösung des Rätsels, damit ich Garchim dann in Ruhe verlassen kann.«

»Sie wollen fort?« Er starrte sie an mit großen, erschrockenen Augen.

»Das war doch immer schon bestimmt. Und je eher, je besser.«

»Warum sagen Sie das, Baronin?«

»Es ist ja doch nur ein halber Zustand,« entgegnete sie. »So zu Gaste zu sein, wo man zu Hause gewesen ist, das lernt sich nicht so ganz leicht – auch wenn der Wirt so gütig und freundlich ist wie Sie, Baron.«

»Ich kann das verstehen,« er sprach sehr langsam, überlegend, »aber vielleicht –« Nun brach er ab; nur seine Augen redeten weiter. Ein starkes, hoffnungsvolles Leuchten brach aus ihnen hervor.

Doch die Baronin sah dies Leuchten nicht. Sie hatte die Blicke zu Boden gesenkt und ging an seiner Seite stumm dahin. Aus ihrer Hand fielen die zusammengepreßten Blätter zu Boden.

So kamen sie bis an die Stelle, wo der gerade, lange Weg vom Schlosse her an der Parkumzäunung endete. An das Gatter herantretend, schaute die Baronin zwischen den Stäben durch und sagte mit bedeutsamem Tone: »Dort ist ja der tote See.«

»Ja, bei dem einzelnen Baume habe ich gestanden, als die Sachen im Wasser gefunden wurden, die der Mörder fortgeworfen hatte. Der Baum da könnte wohl erzählen.«

»Der spricht mit seinen zerschlagenen Zweigen von weiter nichts als von der Sturmnacht, in der seine Genossen rund um ihn her niederstürzten. Vor jener Nacht hat es anders hier ausgesehen als jetzt.«

»Ich weiß. Der Wald ging vom Gatter bis an den toten See, nicht wahr?«

»Ein Streifen war auch noch diesseits vom Gatter, und an seinem Rande stand ein alter Pavillon – das war ein Lieblingsplatz von mir.«

»Man sieht keine Spur mehr davon. War er so ganz zerstört?«

»Nein, ich habe die Ruine abtragen lassen, ich mochte sie nicht mehr sehen. Die Fundamente liegen noch im Boden, aber man hat sie mir mit Kies überschütten müssen, und sie ruhen jetzt friedlich und still dort in der Erde.«

»Sollte der Pavillon nicht wieder aufgebaut werden? Lag nicht an dem Abend, als mein Vetter starb, ein Plan davon auf seinem Schreibtisch?«

»Der Plan lag wohl dort, aber aufgebaut wäre der Pavillon doch niemals mehr. Ebensowenig wie meine Ehe sich wieder hätte aufbauen lassen.«

Mit einem Ausdruck von Kraft und Mut richtete Bassow seine starke Gestalt empor, indem er zugleich einen sanften, liebevollen Blick auf dem wieder abwärts gebeugten Frauenantlitz haften ließ.

»Was der eine nicht baute, kann ein anderer bauen. Aber dies ist ein Werk des Friedens, und wir leben im Kriege, wie Sie vorhin sagten. Mich ruft jetzt der Kampf – leben Sie wohl für heute, Baronin.«

»Meine Gedanken begleiten Sie – leben Sie wohl.«


 << zurück weiter >>