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Elftes Kapitel.
Bukarest

Dies ist tiefster Balkan. Die Türkei hat hier ihren Stempel aufgedrückt. Man muß das Geld zählen, das man herausbekommt. Man muß auf sein Gepäck achtgeben. Man muß auch auf seine politischen Verträge achtgeben. Jedes Jahr kommt man zurück und macht immer wieder denselben Vertrag, und alle paar Monate muß der Außenminister die anderen Außenminister besuchen, um festzustellen, ob sie auch noch bei dem geblieben sind, was sie gesagt haben.

Unten im tiefen Balkan gehen die Polizisten zu dritt. Der Geheimdienst, die Siguranza, ist fast so gut wie die russische GPU. Das Essen ist gut, das Bier ungenießbar, die Tischtücher schmutzig. Rumänien ist sehr weit weg von Europa.

Aber Europa behält Rumänien im Auge. Denn Europa lebt in Kriegsangst, die modernen Heere sind automobilisiert, für Automobile braucht man Petroleum, und Rumänien hat Petroleum.

Eine fünfzig Meter hohe und drei Meter dicke Flammensäule steht vor dem Morgenhimmel, während der Orient-Expreß von Wien nach Bukarest an den mittelrumänischen Petroleumfeldern vorübereilt. Der Schaffner macht die Passagiere darauf aufmerksam. »Der brennt schon seit Monaten«, sagt er. »Ein anderer brennt seit Jahren.«

Rumänien hat Petroleum buchstäblich zum Verbrennen, so viel, daß man sich gar nicht die Mühe macht, das Feuer zu löschen. Rumäniens Petroleum könnte die Entscheidung in Kriegszeiten bringen. Weder Frankreich noch Deutschland haben Petroleumvorräte, die der Rede wert wären. Die beiden Hauptrivalen auf dem Kontinent sind in gleichem Maße auf Petroleum aus dem Ausland angewiesen. Aber Frankreich hat eine Flotte und kann in Kriegszeiten seine Zufuhr auf dem Seewege beschützen. Deutschland hat so gut wie gar keine Flotte und rechnet damit, im Kriegsfalle blockiert zu werden. Logischerweise hat Deutschland das größte Interesse daran, sich eine ungefährdete Petroleumquelle zu sichern.

Um das zu erreichen, wird es Balkanpolitik machen müssen. Hitler hat aber bewiesen, daß er sich auf jede Art von Politik versteht. Heute, nach der Unterzeichnung des polnisch-deutschen Nichtangriffspaktes, wird niemand in Europa es wagen, die Erfolgsmöglichkeiten des Dritten Reiches bei einem Versuch, das französische Bündnissystem zu zertrümmern, zu bezweifeln.

Denn der Polenpakt hat die erste große Bresche in dieses System geschlagen. Um die Hintergründe der Frage »Kommt Krieg in Europa?« zu verstehen, insbesondere um die Bedeutung des Balkans zu verstehen, muß man sich ins Gedächtnis zurückrufen, wie die einander feindlichen Bündnissysteme gruppiert sind.

Das französische System besteht aus direkten Militärverträgen zu gegenseitiger Verteidigung zwischen Frankreich und Polen, Frankreich und der Tschechoslowakei, Frankreich und Rumänien, Frankreich und Jugoslawien, Frankreich und Belgien. Die aus dem zertrümmerten österreichisch-ungarischen Reich gebildeten Nachfolgestaaten, die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien, sind ihrerseits wieder in der Kleinen Entente vereinigt. Rumänien und Polen unterzeichneten seinerzeit im Jahre 1922, als beide eine russische Invasion fürchteten, einen Militärvertrag.

Dies ist das französische System. Sein Hauptrivale war das italienische System. Die Basis dieses Systems waren die im einzelnen verschieden stark bindenden Freundschaftsverträge zwischen Italien und Ungarn, Italien und Bulgarien, Italien und Albanien. Der wichtigste war der italienisch-ungarische Vertrag von 1926, der als Freundschaftsvertrag bekannt gegeben, in Wirklichkeit aber für einen Militärvertrag gehalten wurde.

Man vermutete, eine seiner Klauseln sehe vor, daß Ungarn im Fall eines italienisch-jugoslawischen Krieges, während italienische Truppen auf Agram marschieren, zwei Armeekorps auf die sogenannte Mur-Insel werfen sollte, das Dreieck, das in der nordöstlichen Ecke Jugoslaviens nahe der ungarischen Grenze sich zwischen Mur und Drau einschiebt; das wäre der beste Weg, die jugoslawischen Streitkräfte auseinanderzureißen.

Auf dem Balkan, auch das ruft man sich besser ins Gedächtnis zurück, leben Realisten.

Von Italien nahm man an, es habe dafür versprochen, die ungarischen Revisionsansprüche gegen die Tschechoslowakei und auch gegen Rumänien zu unterstützen. Es war jedoch so, daß Italien sich auch bemühte, sich mit Rumänien anzufreunden, das im Falle eines jugoslawisch-italienischen Krieges für Italien von großem Nutzen sein kann. Anfangs 1933 wurde berichtet, Italien habe in Verfolgung dieses Zieles Rumänien insgeheim territoriale Integrität zugesagt. Die Beziehungen zwischen Italien und Ungarn blieben so lange abgekühlt, bis das Dollfuß-Regime in Österreich den Sozialisten den Garaus machte. Dieser Machtbeweis imponierte Ungarn. Es wußte, daß die Dollfuß-Aktion auf italienische Einflüsse zurückzuführen war. Ungarn hatte den Eindruck, zur Zeit wäre es günstig, sich auf die Seite Italiens, des vorläufigen Siegers im Kampf um Österreich, zu stellen. Mussolini lud Gömbös und Dollfuß nach Rom ein. Dort unterzeichneten die drei Minister Pakte, in denen sie einen größeren Warenaustausch untereinander beschlossen und dahin übereinkamen, sich mit einander zu beraten, so oft einer der vertragschließenden Teile es für angebracht hält. Mit diesen Pakten dehnte Mussolini den Triumph, den er offenbar zunächst in Österreich über Hitler errungen hat, auf Ungarn aus. Die Ansicht der meisten Beobachter ging dahin, daß Ungarn, sobald, beziehungsweise wenn Hitler in Österreich siegt, sich ebenso rasch, wie es sich jetzt der italienischen Machtsphäre einzugliedern scheint, in die deutsche Sphäre einfügen werde. Ungarn begann an Deutschland zu denken als an den Ritter, der seine Ketten sprengen wird.

Das albanisch-italienische Bündnis ist für Italien lebenswichtig. Albanien kontrolliert die Mündung des Adriatischen Meeres. Unter dem Einfluß Jugoslawiens könnte Albanien die Adria blockieren und sämtliche italienischen Häfen an der Ostküste von Triest bis Bari abstöpseln. Es war also nur natürlich, daß Italien dem König Zogu, als er im Jahre 1924 in Tirana zur Macht gelangte, Geld lieh. Es lieh ihm zunächst 1925 zehn Millionen Golddollar.

Dafür bekam Italien das albanische Militär in die Hand. Als die Zeit zur Erneuerung des Paktes kam, versprach Italien weitere vier Millionen Dollar, aber die Zeiten wurden schwer und das Geld knapp, und bis heute nimmt man an, es habe von diesem Betrag nicht mehr ausgezahlt als eine Million siebenhundertfünfzigtausend Dollar. In Albanien kühlt sich, wenn keine Geschenke kommen, die Freundschaft ab. König Zogu war verärgert. Er schickte seinen besten Diplomaten, Mehemet Konitze, nach Belgrad zu Verhandlungen über einen »Handelsvertrag«. Das Resultat war ein entschiedenes Nachlassen des italienischen Einflusses auf Albanien.

Auch Bulgarien könnte Italien im Falle eines jugoslawisch-italienischen Krieges sehr nützlich sein. Es hat sehr freundschaftliche Beziehungen mit Italien unterhalten. König Boris ist mit der Tochter des Königs von Italien verheiratet. Die Annäherungsversuche jedoch, zu denen es zwischen Bulgarien und Jugoslawien gekommen ist, haben nicht gerade zu einer Verbesserung der bulgarisch-italienischen Beziehungen beigetragen.

Trotzdem läßt sich noch immer sagen, daß zur italienischen Einflußsphäre in Mittel- und Südosteuropa heute Österreich, Ungarn, Bulgarien und Albanien gehören. Die französische Sphäre ist jetzt mit einiger Ungewißheit beschränkt auf die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien.

Italien und Frankreich teilen sich zur Zeit in die Macht auf dem Balkan. Wie lange kann es so bleiben, sobald Deutschland sich wieder einmal am Spiel beteiligt? Seit dem Kriege hat Deutschland bis zu dem Augenblick, in dem Hitler zur Macht gelangte, hier unten keine Rolle gespielt. Vor dem Kriege hatten die Mittelmächte natürlich die Vorhand auf dem Balkan, wenn auch Rumänien, zunächst unschlüssig, auf welche Seite es sich stellen sollte, schließlich die französische wählte, wobei es schlecht fuhr und von der deutschen Dampfwalze zermalmt wurde.

Wird Rumänien noch einmal so handeln? Es hat einen großen Respekt vor der deutschen Militärmaschine. Sobald beziehungsweise wenn Deutschland und Österreich vereint sind und Ungarn sich dem deutschen Block anschließt, werden die Deutschen praktisch Nachbarn Rumäniens sein. König Carol ist ein Hohenzoller. Die Eiserne Garde ist deutschfreundlich.

Das einzige, was unter diesen Umständen zwischen Rumänien und Deutschland steht, ist die Tatsache, daß Rumänien in Siebenbürgen ein 62 222 Quadratkilometer großes Gebiet besitzt, das es Ungarn genommen hat. Aber ein hervorragender rumänischer Politiker sagte mir, er halte es für durchaus möglich, daß Rumänien und Ungarn eines Tages zu einer Verständigung über Siebenbürgen kommen könnten.

Eine sonderbare Wirkung der Verbreitung des Nationalsozialismus in Europa muß jedoch konstatiert werden. Sowohl die ungarische nationalsozialistische Partei, geführt von Zoltan Mesko, wie die rumänische Eiserne Garde, geführt von Codreanu, haben ihre Parteien nach dem Vorbild der Partei Hitlers geformt. Aber die erste Forderung der ungarischen Nationalsozialisten lautet: »Volle Wiederherstellung des Vorkriegs-Ungarn.« Und die erste Forderung der rumänischen Eisernen Garde lautet: »Rumänien wird niemals auch nur einen Fuß breit seines Gebietes aufgeben.«

Andererseits ist zu sagen, daß die Nationalsozialisten, bevor sie in Deutschland zur Macht kamen, ebenso laut ihre Ansprüche auf den polnischen Korridor vertraten. Heute haben sie sich verpflichtet, zehn Jahre lang jede Korridoragitation ruhen zu lassen. Wenn Rumänien sich schließlich dafür entscheiden sollte, Frieden mit Ungarn zu schließen und sich dem deutsch-österreichisch-ungarischen Block anzuschließen, dann wäre zum ersten Male der deutsche Traum von einem Reich erfüllt, das sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckt.

Heute gilt derjenige, der sich vor allem einer solchen Entwicklung widersetzt, Nicholas Titulescu, Minister des Auswärtigen, ausgesprochener Franzosenfreund, als der beste Kopf auf dem Balkan. Seine Gesundheit ist dauernd sehr angegriffen. Noch ist der deutsche Traum ein Traum, aber seitdem Hitler an die Macht gekommen ist, sind schon sonderbarere Dinge geschehen.

Die Kräfte, die in der internationalen Politik wirksam sind, haben manche Ähnlichkeit mit den Kräften, die die Himmelskörper bewegen. Je größer ein Planet ist, desto größer ist auch seine Anziehungskraft. Da Deutschland von Monat zu Monat stärker wird, müßte seine Anziehungskraft auf die kleineren Mächte sichtlich wachsen, besonders wenn es Österreich bekäme, und ganz besonders, wenn es einmal wieder völlig aufgerüstet wäre. Heute hat Frankreich noch seine Kanonen und sein Gold. Aber der Kurs seines Vertragssystems ist bereits unter pari gefallen.

Allein die Tatsache, daß Deutschland den Besitz eines größeren Heeres anstrebt, hat die Konstellation der europäischen Politik beträchtlich gewandelt. Wenn es das Heer einmal wirklich hat, wird sich die Konstellation noch mehr ändern, und wer weiß, ob Reichsverweser Horthy dann nicht recht behält mit seiner Ansicht, daß Deutschland, was es haben wolle, erhalten könne, ohne darum zu kämpfen.


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