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Zehntes Kapitel.
Sinaia

Sieben konzentrische Kreise von Scharfschützen mit aufgepflanztem Bajonett umgeben das Schloß des Königs Carol in diesem Bergort, den die Souveräne Rumäniens zu ihrem Heim gemacht haben. Zwischen den Kreisen der Soldaten stehen Polizisten. Auf den Straßen setzen Geheimpolizisten in Zivil alle Fähigkeiten der Siguranza daran, den Militär- und Polizeiwachen bei ihrer Aufgabe, das Leben des Königs zu behüten, zu helfen.

In einem von zwei Bergponies gezogenen Schlitten fuhren wir holpernd über den verschneiten Pfad, der zum Schloß führt. Der Weg windet sich durch einen mehrere hundert Morgen großen prächtigen Park mit Fichten, deren schneebeladene Wipfel hoch aufragen und an den niedrigen grauen Himmel stoßen. Alle hundert Meter hielt uns ein Wachtposten an und visitierte unseren königlichen Paß.

Als wir vor dem Schloß waren, wies uns die Wache beim Haupteingang zurück. An einem anderen Eingang weigerte sich der Posten, unseren Paß anzuerkennen. Mit einem deutschen Ingenieur, der im Schloß lebt, versuchten wir es von einer anderen Seite. Sofort kam die Wache gelaufen und beorderte uns, uns einen Revolver vor den Bauch haltend, ins Militärquartier zurück. Der Revolver zitterte in seiner Hand, während er uns anschrie.

Er zitterte, weil die Schwingen des Erzengel Gabriel das Schloß Carols, des Königs von Rumänien, überschatteten. Die Schwingen dieses Krieger-Engels aus den himmlischen Heerscharen überschatteten ganz Rumänien. Und so phantastisch es auch klingt, es ist Tatsache, daß der Schatten, den die Schwingen des Erzengels Gabriel werfen, etwas mit der Frage zu tun hat, ob der nächste Krieg, wenn er kommt, für Deutschland oder für Frankreich günstig ausfällt.

Vor zwölf Jahren dachte ein achtzehnjähriger Junge, der Sohn eines Deutschlehrers an einer Volksschule in der Moldau, angestrengt über den Ruf nach, in dem ganz Rumänien stand. Die Witze, die über Rumänien von seinen Feinden gemacht wurden, verletzten ihn tief. »Manie«, hörte er einen Spötter sagen, »ist eine bestimmte Geisteskrankheit. Kleptomanie ist diejenige Geisteskrankheit, die einen Menschen zum Dieb macht. Aber wenn man von Kleptomanie im Zusammenhang mit einer ganzen Nation spricht, nennt man es Rumänien.«

Der Junge haßte die Scherze dieser Art. Er haßte die Korruption, die er rings um sich sah. Er sah sich nach einem Heilmittel um und fand es bald in der Lehre der antisemitischen Partei des Professors Alexander Cuza, die besagte, daß alle Korruption von den Juden komme.

Erfüllt von dieser Idee, beteiligte sich der Junge an allen judenfeindlichen Ausschreitungen, und bald, als er zwanzig Jahre alt war, hatte er seine große Chance. Der Polizeipräfekt von Jassy hatte mit aller Strenge Studentenausschreitungen unterdrückt. Der Junge gab einen Schuß ab und tötete den Polizeipräfekten von Jassy. Sein vorher unbekannter Name wurde nun zur Schlagzeile in den Zeitungen. Er hieß: Cornelius Zelea Codreanu.

Codreanu war hübsch. Er hatte blitzende Augen, ein anziehendes Organ und wenn er sprach, hatte er in seiner Stimme etwas von einem Stimmungssänger. Er war ein Mystiker. Er entflammte seine Kameraden. Und als Codreanu von der Anklage des Mordes freigesprochen wurde, war er ein Held der rumänischen Studentenwelt.

Er ging nach Deutschland, studierte eine Zeit lang an der Leipziger Universität, begeisterte sich an der zunehmenden Macht des Hitlerismus und kehrte in sein Vaterland zurück, entschlossen, der Hitler Rumäniens zu werden. Er war romantischer als Hitler. Der Name, den er seiner Partei gab, hieß: »Erzengel-Michael-Bund«.

Des Nachts, wenn es in allen Dörfern finster war, pflegte Codreanu, jetzt »der Capitano« genannt, mit seinen Kohorten über Land zu reiten. Ihre Pferde waren weiß verhängt, und an den Schultern der Nachtreiter waren gefiederte weiße Schwingen befestigt. Wie der Ku Klux Klan im alten Süden, pflegten die Erzengel über ein Dorf herzufallen, seine zitternden Einwohner zusammenzurufen und ihnen unter Androhung unmenschlicher Gewalttaten ein Versprechen guten Verhaltens abzupressen.

Das war alles bloß ein guter Spaß, und die Behörden lachten darüber, bis bei den Wahlen des Jahres 1932, nachdem Codreanu den Namen seiner Partei abgeändert und sie »Eiserne Garde« genannt hatte, alle althergebrachten Wahlfälschungen der Regierungspartei nicht verhindern konnten, daß die Männer des Capitano 71 702 Stimmen, nahezu 2,62 % des Gesamtergebnisses für sich zählen konnten.

Im Frühjahr 1933 machte Codreanu eine zweite Reise nach Deutschland. Nachher blühte seine Zeitung »Calendarul« auf. Um jene Zeit stand praktisch die Gesamtheit aller Universitätsstudenten hinter ihm; fast die ganze städtische Jugend und die Söhne der besten Familien entsetzten ihre Eltern mit der Mitteilung, daß sie der Eisernen Garde beigetreten wären. Die Satzungen der Eisernen Garde waren, wie sich ein hervorragender Rumäne mir gegenüber ausdrückte, »der Unterstützung jedes anständigen Bürgers entschieden würdig«. Sie brandmarkten die Korruption, priesen die Ehrenhaftigkeit, schworen, den Staat zu säubern und Rumänien neu zu schaffen.

Das wichtigste für Europa aber war, daß die Eiserne Garde erklärte, der eigentliche Verderber der Nation sei Frankreich. Es sei demütigend, daß Rumänien sich dem französischen Einfluß unterwerfe. Von Deutschland wurde nicht gesprochen, aber schon die Tatsache, daß die Eiserne Garde antifranzösisch war, offenbarte zur Genüge die deutschfreundliche Politik der aufblühenden Organisation.

Sie wuchs rascher, als den Behörden lieb sein konnte. Die Schätzung neutraler Rumänen besagt, daß die Eiserne Garde, wenn man ihr bei den Wahlen des Jahres 1933 die Aufstellung von Kandidaten erlaubt hätte, gut und gern dreihunderttausend Stimmen, zehn Prozent der Gesamtwähler, auf sich gezogen hätte. Kurz vor den Wahlen löste der neue Ministerpräsident Duca die Eiserne Garde auf. Vierzehn Tage später wurde er auf einem Bahnsteig vom Schuß eines Studenten aus den Reihen der Eisernen Garde tödlich getroffen.

Capitano Codreanu floh. Nach seinem Münchner Putsch im Jahre 1923 tat Hitler dasselbe. Aber Hitler kam wieder, und die Partei, die vor so kurzer Zeit noch verlacht wurde, beherrscht heute Deutschland und ist der Alptraum des alliierten Europa. Und wegen des Beispieles, das Hitler gegeben hat, lacht Rumänien heute nicht über Codreanu. Das Erstaunliche aber ist, daß heute, obwohl die Ermordung Ducas zunächst eine Reaktion gegen die Eiserne Garde schuf, hochgestellte Rumänen sagen: »Es ist eine Schande, daß Duca ermordet wurde. Aber schließlich ist der Junge, der ihn erschossen hat, seit zwei Generationen der erste Rumäne, der sein Leben für ein Ideal gewagt hat. Und ist es vielleicht nicht richtig, daß der Staat eine Säuberung braucht? Ist es nicht richtig, daß die Nation eine Wiedergeburt braucht?«

Von einer ganzen Menge von Rumänen war ein und dieselbe Meinung zu hören: »Das ist nicht das Ende, sondern der Anfang der Eisernen Garde.« Und das zu einer Zeit, in der die Polizei tausend oder noch mehr Gefangenen und Angehörigen der Eisernen Garde gegenüber alle wohlbekannten Methoden des balkanischen dritten Grades anwendete, um sie klein zu kriegen.

Das sind schlechte Nachrichten für Frankreich. Der Chef der Auslandsabteilung eines großen französischen Etablissements kam nach Bukarest, um die Stärke der Eisernen Garde, des deutschen Einflusses in diesem wichtigen alliierten Lande zu studieren. Auf das äußerste entmutigt, reiste er wieder ab.

In den Akten der gefangenen Mitglieder der Eisernen Garde und auf Grund der ihnen abgepreßten Geständnisse entdeckte die Siguranza eine Liste der Todeskandidaten. Es steht fest, daß auf ihr der Außenminister Titulescu figurierte, eine Reihe der nächsten Freunde des Königs und auch Madame Magda Lupescu, für die einst Carol auf sein Königreich verzichtete. Die Eiserne Garde war gegen Madame Lupescu, weil sie Jüdin ist. Gegen Titulescu war sie, weil er ein Freund Frankreichs ist, einer der führenden Geister in der Kleinen Entente.

Im Augenblick haben die Bajonette der Schloßwache verhindern können, daß die Schwingen des Erzengels allzu nahe rauschen. Noch ist Rumänien Mitglied der Kleinen Entente. Aber Frankreich ist skeptisch. Sollte es in Europa zum Krieg kommen, wo würde dann Rumänien stehen?


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