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XV · Dem Manne kann geholfen werden!

Der Stoßtrupp wurde allmählich überflüssig. Wir wurden umhergejagt, sollten die in großen Gütern versteckten Waffen beschlagnahmen und fanden natürlich nichts.

Wieder einmal waren wir von einer solchen Streife zurückgekommen. Ich war zu Bruno hinaufgegangen, um Bericht zu erstatten. Als ich ins Stoßtruppquartier trat, standen alle um den Tisch, und einer las laut aus einer Zeitung vor. Er war ziemlich am Ende, und ich hörte nur noch etwas von »roten Banden«, »Ruhe und Ordnung« und »Herrn Minister Meinerling«.

Ich nahm das Blatt und las. Alle schauten mich an.

Es war ein kleines Kreisblatt aus Germsbach. Ein dreispaltiger Versammlungsbericht füllte fast die erste Seite. Überschrift: »Die Blutnacht von Germsbach.«

In der Stube war es ganz still. Spannung lag auf allen Gesichtern. Ich sehe diese prachtvollen Kameraden noch vor mir.

Der Artikelschreiber hatte sich die Mühe gemacht, eine Rede des Ministers Meinerling »nahezu wörtlich« wiederzugeben. Der aus Germsbach gebürtige Redner – das wurde mindestens zehnmal betont – hatte eine Einwohnerversammlung einberufen, um die »immer noch aufgeregte Bevölkerung« zu beruhigen. Auf Kosten des Stoßtrupps. Nach Meinerling war es »festgestellt«, daß der Stoßtrupp eine barbarische Komödie aufgeführt habe, die leider mit dem Tode eines Menschen enden mußte. Der Unglückliche sei das Opfer seiner eigenen Kameraden geworden. Ortseinwohner könnten nicht des Mordes verdächtigt werden ... Die Schlußbemerkungen der Zeitung waren kräftig und ausführlich. Dem »Germsbacher Kinde« Meinerling wurde heiß gedankt, und am Stoßtrupp blieb natürlich kein reiner Faden ...

Ich steckte die Zeitung ein, schnallte das Koppel mit der Pistole fester und ging.

Die Stoßtruppleute schlössen sich an. Gesprochen wurde nichts. Einige hängten ihre Gewehre um. Andere ergriffen ihre knüppelähnlichen Spazierhölzer, wahrscheinlich sahen sie mir an, was ich vorhatte.

Wir gingen, ein ungeordneter Haufen, über den Platz, nach dem Portal des Regierungsgebäudes.

Ein Posten stand dort und staunte:

»He, wo wollt ihr hin?«

Ehe er wußte, was ihm passierte, war er ins Wachtlokal gedrängt und die Bude abgeriegelt.

»Zwei Mann auf die Treppe! Laden!«

Das könnte uns passen, daß uns die Wache anquatscht! Diese Etappenhengste! Nicht einer hatte sich mit uns draußen herumgebalgt!

»Zwei Mann an die Tür!«

Wir traten ein.

Der Minister saß an seinem großen Diplomatenschreibtisch und hatte das Telephon in der Hand:

»Der Stoßtrupp, ja, der Stoßtrupp ist hier ...«

Ich nahm ihm den Hörer ab und fragte:

»Wer ist denn dort?«

Aha, Bruno war es:

»Karl, ich befehle dir, du verläßt mit deinen Leuten sofort das Ministerium.«

»Bruno, du hast mir nichts mehr zu befehlen! Von diesem Augenblick an habe ich nichts mehr mit euch zu schaffen. Was ich jetzt tue, das geschieht ganz auf eigene Faust.«

»Karl, nimm doch Vernunft an. Ich lasse dich und deine Bande auf der Stelle verhaften!«

»Bruno, sieh dich vor, daß du nicht im Sack steckst.«

Ich legte das Telephon weg.

Draußen ging der Spektakel los. Im Korridor wurden Stimmen laut. Zwei Gewehrschlösser knackten: Achtung, wir schießen, niemand betritt die Treppe ... Zwölf Mann waren mit mir im Zimmer. Sie standen an der Tür, einige mitten im Zimmer. Grimm hatte sich dicht hinter mir aufgebaut. Ich legte dem Minister die Zeitung hin:

»Bitte, lies das.«

Er nahm das Blatt. Seine Hände zitterten. Mehr als fünf Zeilen konnte er nicht gelesen haben, als er aufblickte: »Na, und?«

Ruhig winkte ich ab:

»Lies zu Ende.«

Er las lange. Draußen riefen die Posten: Zurück! Eine Stimme wollte überreden: Aber ich kenne Karl doch. Wir sind Duzfreunde. Laßt mich durch, in das Zimmer ... Die Posten antworteten: Nischt zu machen. Befehl ist Befehl ...

Fast hoffte ich, der Minister möge den Zeitungsbericht als irreführend aufgebauscht bezeichnen. Da faltete Meinerling das Blatt zusammen und reichte es mir. Sein Gesicht war hart und leblos wie aus Stein: »Stimmt. Stimmt alles.«

Ich sah nichts mehr als den Kopf des Sitzenden. Auf der rosigen Kopfhaut lagen dünne, sorgfältig verteilte Haare.

»Das hast du dort gesagt?«

»Ja. Und es stimmt auch.«

In diesem Augenblick schlug ich mit der Faust in die rosige Farbe vor meinen Augen. Einmal, zweimal, dreimal ...

Meine Kameraden drängten heran, Knüppel drohten, Gewehrkolben standen hoch:

»Du Lump, du Verräter, über den Haufen schießen sollte man dich! Wo bist du gewesen, als wir für dich die Kastanien aus dem Feuer holten? Glaubst du, deine Ministerherrlichkeit wäre nicht schon längst vorüber, wenn wir nicht gewesen wären? Du denkst wohl, wir sind Dreck, den man wegkehrt, wenn man ihn nicht mehr braucht!« Dann saß die Ruine allein im Zimmer.

Mit heißen Gesichtern verließen wir das Gebäude. Morgenstern schloß das Wachtlokal auf:

»So, jetzt dürft ihr wieder raus! Paßt auf, daß sie euch keinen Minister mausen.«

Uns war aber nicht wie Lachen. Wir schoben in unser Quartier ab, und dort verabschiedete ich mich.

Für mich war diese Episode vorbei: »Meinetwegen macht weiter mit. Für mich ist Schluß. Für immer.«

Es waren tadellose Kameraden. Wir machten nicht viel Worte, aber wir verstanden uns. Als ich ging, war mir wie vor vielen Jahren am ersten einsamen Tag der Walze.

Zu Hause sagte ich nichts von der Sache. Die Mutter war froh, daß ich mich wieder einmal blicken ließ.

Am Nachmittag traf ich in der Stadt auf Bruno. Eine Sekunde lang waren wir verlegen. Dann hielt er meine Hand fest:

»Komm mal mit.«

Ich lachte:

»Soll das eine Verhaftung sein?«

»Ach, was du gleich immer denkst!«

Zur Vorsicht nahm ich aber doch beim Vorbeigehen am Wachtlokal des Ministeriums eine geladene Knarre aus dem Gewehrstand. Der Posten machte große Augen, auch Bruno blieb auf der Treppe stehen und wußte nicht, was er für ein Gesicht schneiden sollte.

Donnerschlag! Ich hatte ja etwas Schönes angerichtet! Das ganze Ministerium wollte abdanken. Wer hätte gedacht, daß ein Kabinett so schnell gestürzt ist? Der ostpreußische Leutnant und die zehn Mann fielen mir ein, mit denen der Häuptling der Junker vor dem Kriege einmal den ganzen deutschen Parlamentarismus über den Haufen werfen wollte, und ich mußte laut lachen. Was für Witze doch die Geschichte macht!

Die Minister und einige führende Genossen saßen am grünen Tisch des Sitzungssaales. Ich wurde schief angeguckt, als ich mich herausfordernd auf einen Sessel an der Tür niederließ, das Gewehr theatralisch auf den Knieen. Mein Vater saß auch mit am Oval des Tisches. Er sah alt aus und blickte vor sich hin. Da lehnte ich das Gewehr hinter mich, und mir wurde alles gleich.

Am liebsten hätten mich die Hohenpriester eingesperrt. Denn daß sie nicht demissionierten, das hatten sie inzwischen beschlossen. Mein Vater brauchte mich nicht herauszureißen, es wurde nicht so schlimm. Bruno hatte zwar die Beleidigung seiner Autorität noch nicht ganz verdaut, aber auch er war schließlich bereit, einem Vorschlag zuzustimmen, den ein weltmännisch betonter Demokrat, vielleicht war er nicht einmal das, gemacht hatte:

Ich sollte zweihundert Mark bekommen – das war damals nicht viel – und mich eine Weile verdrücken. Schrieb die Anzeigerpresse nichts über den »Aufstand der bewaffneten Macht gegen die eigene Regierung«, dann konnte ich aus der Verbannung zurück. Wenn die Meute Lunte roch, dann – ?

Aber das machte mir keine Kopfschmerzen. Raus an die frische Luft, das war ja herrlich!

Am Abend saß ich bei meinen Eltern. Der Vater erzählte, der Stoßtrupp soll in den nächsten Tagen aufgelöst werden. Mit Meinerling hatte er noch eine scharfe Auseinandersetzung, weil der ihm die Ohren vollheulte, ich hielte es mit dem Janhagel ... Mein Vater und ich waren auch in diesen Dingen einer Meinung. So sprachen wir bis in die späte Nacht über manches, und ich mußte dabei an die vielen Furchen denken, die wir im März mit unseren Leibern gezogen hatten, und an das Unkraut, das so schnell vor der Saat aufschoß ...

Ein großes Abschiednehmen veranstalteten wir nicht. Ich war schon öfter von zu Hause fortgewesen, und ich kam ja wieder.

Die Eltern schliefen noch, als ich ging. Ich legte einen Zettel mit einem Gruß auf den Tisch:

Später hörte ich, daß der Stoßtrupp am nächsten Morgen so etwas wie meine Verhaftung erfahren hatte. Sofort brannten alle lichterloh. Ich säße im Gefängnis. Sie fuhren vor die Wanzenbude und wollten gerade fragen, ob sie erst Handgranaten in die Pförtnerstube werfen sollten, als ein Freund meines Vaters vorüberkam und ihnen Bescheid flüsterte. Da zogen sie still ab, und am anderen Tag wurde der Trupp aufgelöst. Man brauchte sie nicht mehr.

Ich war längst unterwegs.

Es tat mir not, einmal allein zu sein.


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