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XIV.

Der Eskimo des amerikanischen Nordens.

Die Eskimos als Nomadenvolk. – Religion. – Verhältniß der Stämme zu einander – Fehden. – Blutrache. – Abzeichen der Stämme. – Haarwuchs. – Tätowirung. – Sprache. – Wörter. – Satzbildung. – Farbenbezeichnung. – Ankut als Arzt und Wahrsager. – Ein Mittel gegen Schneeblindheit. – Eigenthümliche Cur. – Eine sonderbar begründete Glatze. – Nugluta. – Das gemeinsame Mahl. – Aus dem Leben der Eskimos von der Wiege bis zum Grabe. – Die Geburt. – Ehegesetze. – Das Alter. – Schluß.

Mit der Demarcationslinie des Holzwuchses am amerikanischen Continente ist auch die Grenze gezogen, welche die Bewohner des amerikanischen Nordens in zwei große Gruppen theilt. Alle nördlich dieser Linie wohnenden Völkerstämme sind Eskimos, alle südlichen Indianer. Ein bedeutenderer, im Typus sichtlicher Unterschied läßt sich nur unter auf größere Entfernungen von einander wohnenden Stämmen beobachten und selbst der Netchillik-Eskimo erinnert in seiner in's Röthliche spielenden Hautfarbe an den Indianer, während seine Augensetzung und sonstige Gesichtsbildung unstreitig der mongolischen Race angehört. Mit den südlich und westlich von Nord-Hudsons-Bai wohnenden Stämmen ist auch ein gegen die nördlich und östlich davon wohnenden Stämme leicht erkennbarer Uebergang sowohl in Sprache, Typus und Charakter zum Indianer bemerkbar und obzwar die Urgenerationen der Eskimos, als dem finnischen Stamme angehörig, vom Osten her gekommen sein mögen, läßt sich der Einfluß der südlich wohnenden Völker nicht abstreiten. In den traditionellen Ueberlieferungen der Eskimos muß der Indianer schon deshalb eine Rolle spielen, weil in ihrer Sprache ein eigener Ausdruck für die Rothhaut existirt.

Die in den nachfolgenden Schlußseiten enthaltene kurze Abhandlung über die Religion, Sitten und Gebräuche der Eskimos dient zur Ausfüllung der Lücken, die sich im Laufe des Buches in Bezug auf dieselben ergeben haben; doch beschränkt sich der Verfasser hier ausschließlich nur auf die von der Expedition berührten Stämme, die Eivillik-, Ugzulik-, Ukusiksillik-, Netchillik- und Kinipetu-Eskimos.

Die Eskimos als ein Nomadenvolk hinstellen zu wollen, dazu fehlt insofern der Grund, als sie durch sich von Generation zu Generation traditionell fortpflanzende Satzungen an eine gewisse Reservation gebunden sind und die Grenzen dieser nur mit Einwilligung ihrer Nachbarn überschreiten dürfen. Nur innerhalb ihrer eigenen Jagdgründe wechseln sie mit den verschiedenen Jahreszeiten und dem damit wechselnden Thierreichthum des Landes ihre Wohnsitze.

In ihrer Religion finden wir den Begriff einer einzigen Gottheit, von der keine Götzenbildnisse gemacht werden; wir begegnen auch den Ideen eines künftigen Lebens in einem ewig dauernden Sommer, sowie dem Glauben an Himmel und Hölle, also an einem guten und schlechten Ort. An diese Grundbegriffe reiht sich ein Cultus abergläubischer Ansichten, der sich in dem Verhältniß der Stämme zu einander gerade so wie im socialen Leben des einzelnen Stammes widerspiegelt, sowie auch das Familienverhältniß in dessen kleinsten Details durchzieht. Der Aberglaube, als eine Art Lebensregel unter den verschiedenen Stämmen, variirt mit den Localverhältnissen der einzelnen Jagdgründe und die vorhergehenden Seiten gaben einzelne Beispiele in genügender Menge, daß wir eine nochmalige Aufzählung derselben nicht für nothwendig erachten. Gehen wir daher gleich zu dem gegenseitigen Verhältniß der Stämme untereinander über. So weit es überhaupt möglich ist Traditionen von ihnen zu erfahren, scheinen Fehden zwischen den einzelnen Stämmen früher sehr häufig vorgekommen zu sein – jetzt bezieht sich aber eine Streitigkeit zwischen diesen nur mehr auf die Ausübung der Blutrache als eine heilige Pflicht und selbst dann, wenn ganze Stämme in ihren Ansichten uneinig werden, so hat nur eine gewisse Anzahl beiderseits gewählter Personen, den Streit zu begleichen. Als Beispiel eines solchen letzterm Falles gelte Folgendes: Zwei Individuen des Kinipetu-Stammes hatten sich während eines Sommers unter den Eivillik-Eskimos aufgehalten und gelegentlich eines gemeinschaftlichen Scheibenschießens wurde einer der als Gäste Anwesenden leicht verwundet. Sämmtliche Kinipetu-Eskimos ergriffen die Partei ihrer Stammesgenossen, ließen durch eine Deputation den Verwundeten abholen und verlangten, indem sie die Eivilliks für den Vorfall verantwortlich machten, für den Beschädigten einen Schadenersatz. Vollkommen gerechter Weise wurde derselbe verweigert und daraufhin wurden von Seite der Forderer drei Männer bestimmt, die anderen drei von ihnen bestimmten männlichen Individuen des Eivillik-Stammes, im Falle die Forderung nicht beglichen wird, die Fehde als Repräsentanten des ganzen Stammes erklärten. Während die zwei Stämme dann in Frieden weiterlebten, durfte jede der sechs Personen die Grenze der aneinanderstoßenden Jagdgründe nur auf die Gefahr hin überschreiten, von einem seiner Gegner getödtet zu werden. Lieutenant Schwatka legte sich zum Schutze unserer Nachbarn, der Eivillik-Eskimos, in's Mittel und beglich die Sache friedlich; doch solche Kleinigkeiten sind oft Grund zu langen Fehden, die sich dann als Blutrache durch Generationen ziehen. Wie genau die Pflicht, Blutrache auszuüben, befolgt wird, davon gab unser Eskimo Ikuma ein Beispiel, indem er mitten im strengsten Winter einen 400 Meilen weiten Marsch unternahm, um diese Pflicht an dem Mörder seines Oheims, einem Netchillik-Eskimo, zu erfüllen.

Zur Unterscheidung der Stämme von einander, tragen die Männer die Haare verschiedenartig geschnitten, während die Frauen sich durch verschiedene Tätowirung kennzeichnen. So z. B. tragen die Eivillik-Eskimos langes Haar, an den Schläfen herunterfallend, während dieselben an der Stirne, knapp oberhalb der Augenbrauen gestutzt sind. Die Netchillik-Eskimos haben ganz kurz geschorenes Haar, während die Kinipetus lange Haare tragen, dasselbe am Scheitel aber in Form einer großen Tonsur beinahe gänzlich entfernten.

Die Verschiedenheit der Tätowirung besteht in kleineren Abweichungen in der Länge und Zahl der Strichezeichnungen an Nase, Backen und Kinn.

Die Verschiedenartigkeit der Kleidung ist kein sicheres Stammes-Abzeichen, doch liegen auch hier Variationen vor. So z. B. tragen die Netchilliks frackartige Schöße und die Kinipetus, die in diesem Schnitt so weit gehen, daß sie den sonst lang am Boden hängenden Theil aufbinden müssen, ornamentiren ihre Kleidungsstücke auf zuweilen recht geschmackvolle Weise mit den weißen Bauchfellen der weiblichen Rennthiere.

In der Sprache der einzelnen Stämme kommen in Bezug auf einzelne Wörter kleine Abweichungen vor, doch ist diese im Allgemeinen bei allen gleich. Bei nur äußerst geringem Wortreichthum ist dieselbe reich an Selbstlauten. Um einestheils die Armuth, andererseits den Klang der Sprache darzuthun, lasse ich für den sich interessirenden Leser eine Anzahl Wörter als Beispiele folgen.

atata, Vater

anana, Mutter

aninga, Bruder

naja, Schwester

nulijanga, Gattin

eisiki, der Mann

kuni, das Weib

irnik, der Junge

panih, das Mädchen

miki, das Kind, auch »klein«

kajmik, der Hund

mituk, die Ente

eibik, das Walroß

agbik, der Walfisch

ubla, der Morgen

takuni, die Nacht, zugleich »dunkel«

kaublaktuk, die Dämmerung

aput, der Schnee

mako, der Regen, - klu, regnen

tatkut, der Nebel

taksaktuk, sichtbar

piksiktuk, unsichtbar

ikuma, das Feuer ( okomik, bei den Kinipetus)

uwaschikpuadlu, weit

kanikpu, nahe

kani tukulu, sehr nahe

ublak, der Himmel

nuna, das Land

tarrio, das Salz, auch das »Meer«

kinak, ein Berg, zugleich die »Nase«

nuja, das Haar

tikir, der Finger, zugleich »Fingerhut«

puschijektu, gehen

adlaktu, laufen

agluktu, lachen

hokepuktu, sprechen

mamakpuk, gut (bei den Netchillik's)

piuk, schön

nakei, nein, (nauk, bei den Kinipetus) u. s. w.

Um ein Vorhaben auszudrücken, mehrere Begriffe u. dgl. zu verbinden, werden nicht Worte an einander gefügt, sondern dem Hauptworte Silben angehängt, die eine bestimmte Richtungsthätigkeit bezeichnen. So z. B. bezeichnet die Silbe mon irgend ein Beginnen, als: tuktukmon, auf die Rennthierjagd gehen; snikpumon, schlafen gehen ec.; während die Silbe nami die Begleitung eines Anderen bedeutet. Tuktuknami heißt also Jemanden auf die Rennthierjagd begleiten.

Die Silbe langa bedeutet das Verlangen eines Gegenstandes: imik heißt Wasser – imiklanga, gieb mir Wasser.

Die Silbe zuak oder nuak bedeutet eine Vergrößerung, so z. B.: tosek, der Teich oder See; tosekzuak, ein großer See. kug, der Fluß; kugnuak, der große Fluß.

Lug bedeutet eine Verkleinerung, so z. B.: kinak, ein Berg; kinaklug, ein Hügel.

Die Silbe kuni eine Steigerung eines Zustandes: kakena, hungrig; kakena kuni, sehr hungrig; mamiana, ungünstig; mamiana kuni, sehr ungünstig; quiena, wohl, gesund; quiena kuni, sehr gesund; u. s. w. Wie arm an Wörtern die Sprache ist, mag schon aus dem Umstande zu ersehen sein, daß sie nur für eine Farbe, nämlich die schwarze, oder besser gesagt dunkle, den Ausdruck maktuk, haben, alle übrigen aber durch Vergleiche ausdrücken. Roth wird z. B. mit teimatu au (wie das Blut); blau mit teimatu imik (wie das Wasser); farblos mit teimatu siko (wie Eis), ausgedrückt.

Aehnlich wie mit den Farben geht es den Eskimos mit den Tages- und Jahreszeiten; sie leben von Tag zu Tag sorgenlos, kennen kein Alter und keine Sorge. Sind sie durch irgend einen Umstand gezwungen, eine Tageszeit anzugeben, dann ist ihnen die Sonne mit ihrem Stande genügend, und handelt es sich um eine nähere Bezeichnung einer Jahreszeit, dann ist es März, wenn die Seehunde, Juni, wenn die Rennthiere Junge werfen, April, wenn die Rennthiere beginnen ihren Pelz zu wechseln, und August, wenn die Rennthierfelle für leichte Kleidung am brauchbarsten sind.

In ihrem geselligen Leben als Stammesgenossen finden sie ihr einziges Vergnügen. Gesellig sind sie sehr gern, und so oft es ihre Nahrungsquellen erlauben, sammeln sie sich möglichst zahlreich in größeren Ansiedlungen. Hier tritt ihre patriarchalische Verfassung am besten zu Tage. Die ältesten Männer sind die ungewählten, unernannten, und doch gerne befolgten Rathgeber, und wohin sie ziehen, und was sie beginnen, dorthin und darum folgt der Rest wie eine Heerde Schafe dem Leithammel. Giebt es überhaupt noch eine Autorität, die einen gewissen Machtspruch ausüben kann, dann ist es der Hohepriester, der Ankut, von dem wir eine Specialität unter den Nitchillik's schon kennen lernten. Einem Ankut im Amte als Würdenträger bei Festlichkeiten sind wir schon begegnet, auch haben wir seiner Diktatur als Ausmesser und Angeber der Trauerzeit ( tarbu) schon erwähnt und es bleibt uns nur seine Thätigkeit als Arzt und Wahrsager zu erwähnen.

Wird Jemand krank, so läßt er den Ankut selbst, oder eine seine Stelle vertretende alte Frau holen und die betreffende Persönlichkeit fragt dann den nächsten Anverwandten über den Zustand des Kranken, sowie den muthmaßlichen Grund und Sitz der Krankheit aus. Die Mittel, mit denen der Arzt die Genesung des Kranken herbeiführen will, mögen verschiedene sein; doch muß ich zu meinem eigenen Unwillen hier gestehen, daß, so gerne die Eskimos den Weißen in ihren Zelten haben, diese bei solchen Anlässen jedesmal ersucht werden witschaho (später) wieder zu kommen und derselbe somit nicht Gelegenheit bekommt, den Ceremonien im Interesse wißbegieriger Leser beizuwohnen. Nur einmal war es mir möglich an der Adelaide-Halbinsel eine beabsichtigte Cur unseres Eskimo Joe mit anzusehen. Mit dem Eintritt seiner Krankheit hatte derselbe einen 5 bis 6 Pfund schweren Stein unter sein Kopfkissen bekommen und dieser wurde dreimal des Tages von einer alten Frau hervorgeholt und unter Verrichtung aller möglichen Gebetformeln seinem Gewichte nach geprüft. In Bezug auf Wahrsagerei leisten die Ankuts sowohl in Form von Versprechungen, als auch in der Art ihrer eigenen Vortragsweise Großes, nie aber habe ich gesehen, daß sie, wie dies bei den Indianern ja oft der Fall ist, irgend welche Mittel der zwar spärlichen, aber doch vorhandenen Pflanzenwelt anwenden. Nur gegen die Schneeblindheit und sonstige Augenleiden verwenden die Eskimos ein sichtbares Mittel dadurch, daß sie einem Polarhasen einen Theil seiner Kopfhaut in der Nähe seiner Augen ausschneiden, und sich kleine Stückchen davon dann in die eigenen äußeren Augenwinkel stecken. Nie habe ich ein Mittel anwenden gesehen, von dem man sich eine wirkliche Hilfe hätte versprechen können. Die gewöhnlichste Curmethode bei leichteren Erkrankungen ist eben die erwähnte Wahrsagerei und gemeinsames von sämmtlichen Frauen der Ansiedlung durchgeführtes und schon früher besprochenes aja, aja-Singen. Es ist dies für den gesunden Menschen genug, um ihn krank zu machen, wie es dem Patienten aber gehen mag, das habe ich nie Lust gehabt, zu versuchen. Wird die Krankheit bedenklich, dann läßt man den Patienten unberücksichtigt, dem Tode nahe aber, überläßt man ihn ganz und gar seinem Schicksale. Es ist wahrlich ein Wunder, wie unter Eskimos Heilungen von Wunden vorkommen können, die bei uns zur Behandlung jedenfalls nur geschickten Aerzten anvertraut werden würden. So lebt z. B. unter den Eivilliks ein alter Mann, mit einer großen, unter den Eskimos äußerst selten vorkommenden Glatze, die aber nicht vom Alter, sondern von einem großen Bären herstammt, der den Alten einst in einem Ringkampf besiegte, zu Boden warf und mit seinen großen Fangzehen scalpirte. Monatelang schwebte sein Leben an einem Faden, doch heute ist er ohne Anwendung aller Medicinen wieder vollkommen gesund und rüstig und hat seitdem an manchem anderen Bären seinen Grimm ausgelassen.

Was die Geselligkeit der Eskimos anbelangt, so charakterisirt sich dieselbe überall in ihren Spielen und bescheidenen Unterhaltungen, in ihren gemeinsamen Mahlzeiten, in dem Communalgebrauche ihrer Vorräthe und sonstigen Eigenthums und endlich im engeren Verhältnisse der Familie.

Zu den Spielen und Unterhaltungen gehört das schon gelegenheitlich des Abschiedsfestes von den Netchilliks besprochene Kalaudi und dann eine Art Hazardspiel, das sogenannte Nugluta.

Die Nugluta der Eskimos ist ein Stück Knochen oder ein Stück Walroßzahn, durch welchen senkrecht zur Längenachse ein Loch gebohrt ist. Dieselbe hängt an einem Geflechte aus Rennthiersehnen frei von der Decke und ist zur Vergrößerung der Stabilität von unten durch einen ebenfalls an einen Faden gehängten Stein beschwert. Um dieses Instrument stehen im Kreise die Spieler und Jeder von ihnen ist mit einem kurzen Speere, dessen Ende knapp in die Oeffnung des Knochen paßt, versehen. Auf das gegebene Zeichen Ati (beginne) stößt nun Jeder auf die Oeffnung zu, und wer diese mit seinem Speere trifft, ist der Sieger und Gewinner des Preises, den eine der mitspielenden Personen in Form einer Nadel oder eines Löffels ec. ausgesetzt hat. Die Männer setzten für ihre bescheidenen Verhältnisse oft große Preise aus, und nicht selten kommen Rennthiere und Moschusochsen zum Ausspielen, die noch auf den großen Schneefeldern des Inlandes herumlaufen.

Eine der interessantesten Studien bieten die gemeinsamen Mahle. In der Schneehütte oder dem Zelte eines der Aeltesten des Stammes kocht die Hausfrau ein quantitativ sehr bedeutendes Mahl, und kaum ist dies fertig, so verkündet der Ruf » ujuk« (so viel wie »gekochtes Fleisch«) die Neuigkeit in der ganzen Ansiedlung. Alles, was Mann ist oder werden will, kommt, mit einem scharfen Messer bewaffnet, zu der Stelle, und sich im Kreise stellend oder im Sommer am Boden niederlassend, empfängt der dem Hausvater nächst Befindliche ein Stück Fleisch, schneidet sich ein großes »Mundvoll« ab und übergiebt es seinem Nebenmanne. Bei Rennthier- oder überhaupt magerem Fleische folgt demselben ein Stück frisch geschnittenen Thranes und endlich ein Gefäß mit der Fleischbrühe. Dieses Alles geht im Kreise herum, bis nichts mehr übrig ist, und das Abschneiden des betreffenden Stückes allein ist eine Sehenswürdigkeit eskimoischer Speise-Etiquette. Mag das betreffende Stück Fleisch auch noch so groß sein, es wird der davon gewünschte Theil in den Mund genommen, mit den Zähnen festgehalten und dann erst die Trennung des übrigen Theiles mit dem Messer, das ganz nahe dem Munde den Schnitt macht, vorgenommen. Es ist oft fürchterlich mit anzusehen, wenn kleine, kaum 5 bis 8jährige Knaben mit einem großen, scharf gefeilten Messer auf die Entfernung von kaum ¼ Zoll an der Nasenspitze vorbeischneiden, und daß hier nicht Malheur auf Malheur geschieht, ist wirklich staunenswerth. Die Frauen nehmen nur untereinander, nie aber in Gesellschaft der Männer an einem Mahle Antheil.

Wie beim Mahle, so ist auch im Ganzen und Großen Alles Communal-Eigenthum, was in einer Eskimo-Ansiedlung sich an Proviant und Geräthen befindet. So lange ein Stück Fleisch im Lager aufzutreiben ist, gehört es Allen, und bei der Theilung wird auf Jeden, besonders aber auf kinderlose Witwen und kranke Personen Rücksicht genommen.

Diese Fürsorge des Einen für den Anderen spiegelt sich am besten in der Familie, und um aus dem diesbezüglichen Interessanten das Interessanteste zu wählen, sei aus dem Leben der Eskimos von der Wiege bis zum Grabe, der Geburt, der Ehe und des Alters noch besondere Erwähnung gethan.

Wenn in einer permanenten Ansiedlung stabil, so wird vier Wochen vor der Niederkunft die Wöchnerin von ihrem Gatten getrennt und in eine separate Behausung gebracht, zu der außer Frauen Niemand Zutritt hat. Hier in der Einsamkeit erblickt das Kind das Licht der Welt, und dieselbe Brust, die es säugt, ist auch das einzige Mittel, wodurch es vor dem rauhen Klima geschützt wird. Erst einen Monat nach der Geburt kehrt die Mutter mit dem jungen Erdenbürger zurück an die Seite ihres Gatten, und erst dann sieht und begrüßt der Vater zum erstenmale sein Kind. Mit dem Eintritte in die Gesellschaft der Seinen wird aber auch das Mädchen, der Knabe – Braut, resp. Bräutigam, d. h. nach der Reihenfolge der erfolgten Geburten (nur Geschwister sind ausgenommen) werden die Kinder schon frühzeitig als Mann und Frau bestimmt. In dieser frühen Jugend beginnt aber für sie die Schule des Lebens und, ob Knabe oder Mädchen, ihre Spiele, sie sind ein treues Vorspiel der Arbeit, die ihnen spätere Tage auferlegen werden. Namentlich die Knaben beginnen schon in den frühen Jahren theilzunehmen an den Jagden und sonstigen männlichen Beschäftigungen, und erst wenn sie durch Geschicklichkeit und die Zahl der erlegten Thiere bewiesen haben, daß sie nicht nur eine Frau und Familie, sondern auch die Schwiegereltern ernähren können, ist es ihnen erlaubt, in den Stand der Ehe zu treten. Manchmal geschieht es, daß durch Tod oder sonstige Umstände ein Junge seine zukünftige Gattin verliert. Ist dies der Fall, dann tritt er als erster Berechtigter vor den letzten, mit einem Mädchen beglückten Jungen und die nächste Geburt eines solchen schenkt ihm, falls sie nicht seine Schwester ist, eine Gattin. Daß unter solchen Verhältnissen unter den Eheleuten oft ein sehr ungleiches Alter vorkommt, ist natürlich, doch sind gewöhnlich Mädchen im 13. bis 15. Jahre heiratsfähig. Außer der Tätowirung, als ein Zeichen der Ehe, giebt es keine Heirats-Ceremonien, nur unter den Kinipetu-Eskimos gebührt dem Ankut das jus primae noctis. Die Zahl der Frauen eines Mannes ist auf zwei begrenzt, und ist sogar ein Mann verpflichtet, die Witwe seines Bruders als zweite rechtmäßige Frau anzunehmen. Mädchen vor der Heirat gestorbener Jungen, sowie Witwen sind frei, und es steht ihnen in diesem Falle sogar frei, in einen anderen Eskimostamm zu heiraten. Die Kinder bleiben auch nach der Heirat unter der Aufsicht und Leitung ihrer Eltern, resp. der der Mutter, und sind verpflichtet, von jeder erlegten Beute einen Theil davon an diese abzugeben. Bis zum nahen Tode erfreut sich das Alter großer Achtung und der aufmerksamsten Fürsorge, und erst, wenn der Eskimo dem letzten Ende nahe, tritt für denselben jene Verlassenheit ein, deren schon im 12. Capitel ausführlich Erwähnung gethan wurde. Von den längst vergangenen und vergessenen Generationen existiren im Munde der Eskimos jedenfalls traditionelle Mittheilungen, doch diese sind dem Manne der Wissenschaft noch unbekannt, und nur die alten Gräber an einzelnen Punkten mit ihren bemoosten Steinen und vermorschten Gebeinen mahnen uns an die Vergangenheit eines Volkes, von dem wir bisher so wenig wissen, und welches in sich vielleicht den Schlüssel großer, lang ersehnter Entdeckungen auf dem Gebiete der arktischen Forschung birgt. Möge der Inhalt dieser Seiten ein bescheidener erster Schritt zur besseren Kenntniß und zur vortheilhaften Benützung der Eskimos für die Zwecke der Geographie und Wissenschaft sein. Dies ist zum Abschied von seinen gütigen Lesern der Wunsch des Verfassers.

 

Ende.

Lieut. Schwatka's Expedition nach King William Land


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