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X.

Am Back's-Flusse. 12. bis 31. December 1879.

Der Backs-Fluß. – Vermessung. – Todte Rechnung. – Die Genauigkeit arktischer Karten. – Ein schönes Beispiel der Elternliebe. – Die Stromschnellen. – Der Weihnachtstag. – Die Stille der Polarnacht. – Traurige Situation. – Ein endgiltiger Entschluß.

Der Backs-, der Mackenzie- und der Coppermine-Fluß sind die drei großen Adern, die den nördlichsten Theil des amerikanischen Continentes, dem Polarmeere zu, entwässern und ihre Quellen in dem großen Seengebiete des Inlandes haben. Der erste der drei genannten Ströme entfließt dem kleinen Sussex-See, etwa im 64º nördl. Breite und 109º westl. Länge von Greenwich, und hat, eine Unzahl großer und kleiner Seen speisend, bald einen nordöstlichen, bald einen östlichen Lauf. Lieutenant Back der englischen Kriegsmarine hat denselben auf einer Expedition in den Jahren 1833–35 seiner ganzen Länge nach befahren, kartographisch dargestellt, und namentlich sein Unterlauf zwischen dem 66º und 67º, also die Strecke, die sich die Schwatka'sche Partie zu ihrem Rückmärsche als Fahrbahn gewählt hatte, verdient sowohl in geographischer als touristischer Beziehung eine Erwähnung.

Die Schwatka'sche Partie, deren Hauptzweck gerade kein wissenschaftlicher war, hat, was die von ihr durchwanderten Länderstrecken anbetrifft, es sich danach stets angelegen sein lassen, auf die richtige geographische Ortsbestimmung einen besonderen Werth zu legen und zu der Lösung dieses Problems, wenn es möglich war, astronomische Beobachtungen angestellt, sonst aber durch eine genaue Marschrechnung, die sogenannte todte Rechnung, ihren Weg bildlich dargestellt. Die todte Rechnung ist einfach eine detaillirte graphische Zusammenstellung von Richtung und Distanz, und zwei separat geführte diesbezügliche Journale durch den Lieutenant Schwatka einerseits und den Schreiber dieses andererseits lieferten mit einer Rectificirung durch astronomische Beobachtungen das Material zur Darstellung neuer und Berichtigung der alten Karten. Nur dann wenn es täglich möglich wäre, die Abweichung der Compaßnadel vom wahren Norden zu bestimmen, wäre diese für die Feststellung der Marschrichtung (der Nähe des magnetischen Poles wegen) eine brauchbare. Zu dieser täglichen Arbeit gab es aber weder Zeit genug, noch Gelegenheit, und so waren denn die Sonne, Mond und Gestirne im Zusammenhange mit der Uhr das einzige Mittel zur möglichst genauen Bestimmung der Marsch-Richtung. Die zurückgelegte Entfernung wurde von Rast- zu Raststation durch Uebung abgeschätzt. Die Führer der Rechnungen hatten sich durch Abmessen und oft wiederholtes Abschreiten einer Meile die Zeit registrirt, die man bei verschiedener Schnelligkeit zum Zurücklegen benöthigt, und gingen dann, ohne auf die wechselnde Schnelligkeit des Schlittens Rücksicht zu nehmen, ihrer Aufgabe stets eingedenk, wo möglich in gerader Marschrichtung fort, und zeichneten bei der nächsten Rast die durch Vergleichung mit der benöthigten Zeit gewonnene Distanz auf ein zu diesem Zwecke stets mitgeführtes, durch Linien in Quadrate getheiltes Papier. So einfach das Verfahren auch ist, so ist es doch nur auf diese Weise möglich, eine den Umständen angemessene und dem Zwecke entsprechende Rechnung zu führen. Oft wurde es uns aber, wenn wir weder Sonne noch Gestirne sahen, noch schwerer, die Richtung zu bestimmen, und es blieb uns, da wir mit den Windrichtungen vertraut waren, nichts Anderes übrig, als die Schneewehen als Grundbasis unseres Operats zu benützen. Die herrschenden Stürme, die Einfluß auf die Lagerung des Schnees üben, sind in diesen Breiten entweder nordwestlicher oder südöstlicher Richtung, und wenn alle anderen Mittel versagen, dann ist die Schneelagerung der nächstrichtigste Anhaltspunkt zur Bestimmung der Direction während des Marsches. Diese Methode anzuwenden, ist auch Gebrauch des Eskimos, wenn er, von einem Schneesturme überrascht, seinen Weg nach Hause förmlich fühlen muß. Die Schneewehen sind aber nur dann verläßlich, wenn das Land ein ziemlich ebenes ist und dem Winde in seiner Richtung keine Hindernisse bietet. In einem Flußthale ist diese Richtungs-Bestimmung nicht anwendbar und bleibt, falls die Aussicht auf eine genügend weite Strecke frei ist, eine Beobachtung der Schlitten, die in gewissen Distanzen einander folgen, der letzte Behelf zur Verzeichnung des eigenen Weges.

Die drei Schlitten bilden dann die Markirungspunkte eines Winkels, und bei Krümmungen wird es möglich, wenn man sich am Scheitel, d. h. beim mittleren Schlitten befindet, die Größe des Winkels, die der Flußkrümmung entspricht, anzugeben. Dieses Dreischlitten-Problem wurde einigemale am Backs-Flusse, öfter aber am Hayes-Flusse angewendet.

Ist es möglich, diese genannten Vermessungsmethoden, auf deren pedantische Genauigkeit man natürlich nicht rechnen kann und auch nicht zu rechnen braucht, hie und da durch die genaue Bestimmung der geographischen Länge und Breite zu controliren, so ist das Resultat, namentlich bei einiger Uebung, ein sehr befriedigendes. Selbst mitgeführte Instrumente, wenn sie auch noch so transportabel sind, werden theils durch klimatische Verhältnisse, theils durch den Schlittentransport unverläßlich, und je einfacher man bei der Vermessung vorgeht – und je weniger man sich in's Detail einläßt – desto besser und sicherer wird man den Anforderungen der geographischen Kenntniß des Nordens entsprechen.

Der Unterlauf des Backs-Flusses nach der Darstellung seines Benenners ergab beim Vergleiche mit unserer Aufnahme einige Differenzen.

Der Theil des Flusses, der nördlich von dem gefährlichen Wasserfalle liegt, ist mit geringen Abweichungen, die sich auf die durch die Witterungsverhältnisse beeinflußten unregelmäßigen Zu- oder Abnahmsraten der Chronometer zurückführen lassen, richtig, von diesen südlich aber ist ein bedeutenderer Fehler zu berichtigen. Der in den englischen Admiralitätskarten verzeichnete Lauf läßt denselben zwischen den erwähnten Breitengraden 66 und 67 im Allgemeinen eine nordöstliche Richtung nehmen. So weit unsere Partie das Flußbett verfolgte (bis 66º 5' Nord), bildet dieses aber einen Winkel, dessen Schenkel in nordnordöstlicher und dann nordnordwestlicher Richtung laufen, so daß an dem Punkte, wo Schwatka den Fluß verließ, die Differenz zwischen dem wirklichen und dem früher verzeichneten Laufe circa 30 Meilen beträgt.

Die Anführung der praktischen Hilfsmittel und die Feststellung dieses Fehlers soll aber keinesfalls ein Lob der eigenen oder eine Kritik der englischen Karten sein; ihr Zweck ist nur, dem Leser einestheils die Schwierigkeiten vorzuführen, die der Geometer im arktischen Norden zu bekämpfen hat, anderentheils ihm den Beweis zu liefern, wie leicht sich sogar sehr bedeutende Fehler einschleichen können.

Was die Angabe der einzelnen Inseln und der Stromschnellen im Flusse selbst anbelangt, so ist es Lieutenant Back vollkommen gelungen, große Genauigkeit zu erzielen, und nur der Umstand, daß wir alles auf der Karte Verzeichnete sonst richtig fanden, behob den gehegten Zweifel, daß wir vielleicht auf dem Marsche südlich, statt den Hauptfluß zu verfolgen, in einen unbekannten Nebenfluß gerathen waren. Von letzteren besitzt der Backs-Fluß in der begangenen Strecke nur einen, den Hermann-Fluß, und dieser wurde von unseren Jägern nur etwa 10 Meilen aufwärts verfolgt. Wenige hundert Schritte vor seiner Mündung hat er eine bedeutende Wasserschnelle, und solche sind es, die den Backs-Fluß überhaupt zu einem der interessantesten Ströme der Erde machen.

In der Eintönigkeit, die sonst den arktischen Landschaften, besonders im Winter, eigen ist, bietet er mit seinen Scenerien dem Wanderer die mannigfaltigsten Bilder und imposantesten Eindrücke. Kehren wir zur Partie selbst zurück, um einige derselben kennen zu lernen.

Der 11. December war zur Beendigung aller nothwendigen Vorbereitungen für den Weitermarsch bestimmt. Den Ukusiksillik-Eskimos war unsere Anwesenheit ein Vergnügen, sie wichen nicht von unserem Lager, sie hatten Fische, Salmthran ec., was aber jedenfalls von großer Bedeutung war, einige schöne Hunde zu verkaufen, die wir ihnen gerne gegen gute Bezahlung abnahmen. Der hauptsächlichste Grund ihrer Anwesenheit aber war, den Lieutenant zu bewegen, den Nalijau nicht, wie er es wünschte, mit sich nach Hudsons-Bai zu nehmen.

Es war dies ursprünglich der Wunsch des Nalijau selbst. Er war ein sehr williger, braver und fleißiger Eskimo, der in sehr kurzer Zeit den Gebrauch eines ihm geschenkten Gewehres kennen lernte und schon manches Rennthier damit erlegte. Die Erzählungen der Eingebornen von Weißen hatten in ihm den Wunsch rege gemacht, selbst ein Schiff ec. zu sehen. Mit Weib und Kind wäre er gerne mit uns gegangen, doch mußte er entweder sein Kind bei den Ukusiksillik-Eskimos zurücklassen oder deren erste heimatliche Sitte verletzen.

Sein kleines, etwa 5–6jähriges Mädchen war die künftige Braut eines schon ziemlich erwachsenen Jungen des Stammes, und dieser, befürchtend, daß Nalijau, falls er nach Hudsons-Bai ginge, nicht mehr wiederkehren würde, verlangte, daß dieser sein Kind als Pfand zurücklasse.

Es war eine peinliche Situation für Nalijau und dessen Frau! Auf der einen Seite war ein besseres, sorgenloseres, leichteres Leben ohne ihr liebes Kind – aus der anderen ein Dasein unter den ärmlichsten Verhältnissen mit ihrem Kinde. – Ich beobachtete das Paar, als es den ganzen Tag ruhelos, aufgeregt und noch immer unentschlossen mit sich selbst um die eigenen Entschlüsse kämpfte; – doch gegen Abend kam Nalijau in die Hütte des Lieutenants, setzte sich neben ihn hin und sagte – er werde hier bleiben. Die Liebe der Eltern zu ihrem Kinde hat hier einen harten Kampf gegen die Aussicht auf ein besseres Leben gekämpft und denselben, zu Gunsten der Eskimos im Allgemeinen sei es gesagt, zur allgemeinen Befriedigung bestanden. Gerne ließen wir Nalijau gewähren und versahen ihn reichlich mit Munition, seine Frau reichlich mit anderen Geschenken als Entschädigung für die uns geleisteten Dienste. Für uns hatte Nalijau's Zurückbleiben aber einen entschiedenen Nachtheil. Dieser wußte eine Route, auf welcher man durch Ueberschreitung der Wasserscheide zwischen Hudsons-Bai und dem Backs-Flusse in einem nur viertägigen Ueberlandmarsche die Quellen eines Flusses erreicht, der sich in den Chesterfield-Golf ergießt. Gelang es uns nicht, diese jedenfalls sehr wichtige Stelle selbst zu finden, dann mußten wir uns gefaßt machen, circa 200 Meilen über Land zu marschiren. Jedenfalls aber zogen wir und der sonst sehr terrainfindige Tuluak bezüglich des Ortes, wo wir den Backs-Fluß verlassen mußten, möglichst genaue Erkundigungen ein und verließen am 12. December Morgens mit vier Schlitten gemeinschaftlich unseren Campirungsplatz, nachdem wir Tags zuvor um die Mittagsstunde bis jetzt unsere tiefste Thermometerlesung -54° C. notirt hatten. Unsere vier neuen Hunde, die trotz des majestätischen Aussehens, das ihnen die aus Moschusochsenfell gemachten langhaarigen Geschirre verliehen, schon nach kurzem Marsche ermüdet nicht mehr weiter wollten, bereiteten uns viel Verdruß, doch kamen wir jeden der ersten zwei Tage um neun Meilen weiter und erlegten sogar schon den zweiten Tag zwei Rennthiere. Tuluak hatte sie mit einem Schusse getroffen und getödtet, und es war dies das achtemal, daß ihm ein solcher Meisterschuß gelang. Im Ganzen bot uns aber der Fluß nicht die Vortheile, die wir von ihm erwartet hatten. Seine unmittelbare Nähe war wildarm und auch als Fahrstraße war er nicht so verwendbar, als wir gehofft hatten. Auf einer Strecke von etlichen 66 Meilen passirten wir zehn offene Stromschnellen, die uns nicht nur nöthigten, Umwege zu machen, sondern uns einmal sogar zwangen, das Flußthal zu verlassen und uns mit großer Mühe und Anstrengung über das bergige Ufer einen Uebergang zu bahnen.

Von Weitem schon bezeichnete eine dichte Rauchwolke die Anwesenheit offenen Wassers, und je länger die eislose Strecke war, desto dunkler, desto geballter malten sich die Formen der Wolkensäulen an den dahinterliegenden, theilweise schneebedeckten Berglehnen.

War die Stromschnelle eine nur kurze und machte keine besonders starke Luftbewegung merklich, dann nahmen die Dunstwolken die Form säulenartiger Rauchgebilde an, die sich so lange beinahe senkrecht aufwärts hoben, bis sie oberhalb der Berghöhen waren und sich dann in den Wolkengebilden verloren. Die Beobachtung der einzelnen verschiedenen Stromschnellen hat jedenfalls angenehmere Seiten als das Passiren derselben. Die nächste Umgebung unterhalb derselben ist gewöhnlich unebenes, abgebrochenes und wild zusammengeworfenes Eis, die Dünste aber, die dem offenen Wasser entsteigen, legen sich meilenweit als Reif auf die Schneefläche und hemmen wie Sand die rasche Fortbewegung. Auch ist die Schneelagerung ganz ungleichmäßig vertheilt und ganze Strecken weit liegt das Eis bloß zu Tage und nimmt den Schlittenschleifen ihre ganze Beeisung. Solche und viele andere Unannehmlichkeiten waren es, welche unserer Partie nur geringe Tagemärsche zu machen gestatteten und die schönen Hoffnungen nicht erfüllten, die sich Lieutenant Schwatka bei der Wahl des Flußweges gemacht hatte.

Eine Aufzählung unserer täglichen Leiden und Errungenschaften würde durch Eintönigkeit ermüden und ich wähle daher einen einzelnen Tag, um das Leben auf unserer Wanderung näher zu schildern und dem Leser die Licht- und Schattenseiten eines kalten Wintertages auf dem Backs-Flusse vorzuführen.

Sei dies also der 25. December, der Weihnachtstag. Neben einer der Stromschnellen selbst erkennen wir in den vier beladenen, mit wolligen Hunden bespannten und von in Pelz vermummten Gestalten umgebenen Schlitten unsere Partie, die ihre Mittagsrast hält. Sie bildet den heitersten Punkt der seltsamen Landschaft. Der Schnee zu ihren Füßen bedeckt die monotone Eisfläche des ganzen Flußbettes, lehnt sich in mächtigen Bänken an die steilen Uferwände, füllt jede kleinste Ritze in den mächtigen Granitblöcken, krönt die gigantischen Granitformen der Umgebung und verhüllt die Fernsicht des Horizontes, an den sich dunkles Wolkengebilde lehnt. Nur im Süden ist die Eintönigkeit unterbrochen. Jener kreisförmige, regenbogenfarbige Ring, der, von den Astronomen Parhelios, von den Engländern Sundog (Sonnenhund) genannt, in kalten Gegenden stets die Sonne begleitet, ist in seiner oberen Hälfte sichtbar. In seinem Centrum hebt sich über dem Bergrücken ein glänzender Flecken, zieht schnell gegen Westen und verschwindet ebenso rasch hinter den Hügeln. Es war dies die Mittagssonne in ihrem Auf- und Untergange zugleich, der Tag hat geendet und die bald einbrechende Dunkelheit mahnt die Reisenden zum Weitermarsche. Nicht einmal der Mond ist untergegangen, er ist der Herr des Tages und der Nacht zugleich, und unter seinem Geleite ist unsere Gruppe gewöhnt, auch einen Theil des Dunkels zum Marsche zu benützen. Mit lautem Geheule fallen die Hunde in die Zugstränge, die zu den Schlitten gehörigen Personen greifen ebenfalls zu ihren Zugriemen und im Nu ist nur der Leitungsruf des Hundelenkers zu hören. So geht es in harter Arbeit über das theils schneelose, theils ungünstig rauhe Eis noch eine und eine halbe Stunde hinweg, bis Stern an Stern erglänzt und der nunmehr wolkenlose Himmel in seiner nur im hohen Norden sichtbaren Pracht sich entfaltet. Das schmale Flußbett hat sich erweitert und wir stehen an einem, von verschiedenen Berggestaltungen umschlossenen See, dessen reiche Schneeansammlungen am rechten Ufer uns zum Aufschlagen unseres Weihnachts-Campirungsplatzes einladen. Die Schlitten werden zum Stehen gebracht und in bereits erwähnter Weise der Bau von Schneehütten als Campirungsplatz begonnen. An derselben Stelle, wo vor noch einer halben Stunde ewige Ruhe herrschte, entwickelt sich jetzt eine lebhafte Thätigkeit. Jeder hat hiezu sein Schärflein beizutragen, und während die Männer wieder Schneetafel an Schneetafel setzen, bewerfen die Frauen die Außenseite zur Dicke von drei Fuß mit Schnee, um die Hütten wärmer zu machen. In einiger Entfernung hacken und meißeln die Weißen das bekannte Wasserloch, und Jeder thut etwas, um sich warm zu halten. Selbst die Kinder wühlen mit Messern und kleineren Schaufeln im Schnee, und nur die Hunde liegen unthätig eng aneinander gelagert und scheinen zu schlafen. Doch bald bringen auch sie Abwechslung in die Scene. Heute ist nämlich Fütterungstag und das rasche Abladen der Schlitten ist für sie von besonderem Interesse. Der eben abgenommene große Klumpen gefrorener Fische, den ein erwachsener Junge vom Schlitten nimmt, um ihn mit einer Hacke in sogenannte »Mundvolls« (eigentlich aber ganz gehörige Portionen) zu zerschlagen, ist der Aufmerksamkeit unseres größten und stärksten Hundes Ublubliak (»Stern« in der Eskimosprache) nicht entgangen. Zuerst hebt er den Kopf, dann stellt er sich auf und im Nu ist die ganze unbändige Hundemeute seinem Beispiele gefolgt und ohne jede sichtliche Anstrengung rennen Hunde, Schlitten und Alles, was darauf ist, in wilder Jagd dem Punkte zu, wo der Fischvorrath sich befindet.

Der Eskimo überläßt es ohne einen Widerstandsversuch den Hunden, die Zerkleinerung selbst vorzunehmen. Die Scene, die jetzt folgt, ist von nur kurzer Dauer, aber charakterisirt ganz den Eskimohund als den nächsten Verwandten des Wolfes.

Ist der Platz endlich geräumt, dann werden die Schlitten auf ihren ursprünglichen Platz zurückgefahren und die Ruhe ist hergestellt. Während dieser Zeit sind auch die Schneehütten fertig und die Männer beginnen das Unterbringen der Vorräthe in einem kleinen Außenhause, indeß die Frauen das Innere zur Aufnahme seiner Insassen herrichten und in schon bekannter Weise beheizen und beleuchten. Zum Kochen wird die Lampe heute des Weihnachtsfestes wegen nicht verwendet. Schon seit Abgang von König Wilhelms-Land haben wir 35 Rennthierzungen für diese Gelegenheit aufbewahrt und ebenso zwei riesige Salme (jeder derselben 4 Fuß lang und 11 Zoll im Querschnitte) von den Ukusiksillik-Eskimos aus mitgeführt.

Um Alles dieses kochen zu können, hatten wir schon tagelang Harzmoos gesammelt, respective unter dem Schnee ausgegraben, und erlaubten es uns heute ausnahmsweise, den von der Franklin'schen Expedition herrührenden Kochkessel, den unsere Partie aufgefunden hatte, zu benützen.

Eine solche Kocherei in der Nacht, unter Gottes freiem Himmel, bei einer Temperatur von -55º C. (die Durchschnittstemperatur für den 25. December war -54º C.) ist nicht sehr erfreulich, und da nun auch die Behandlung der verschiedenen Speisen unter solchen Umständen eine ganz besondere sein muß, so fühle ich mich im Interesse meiner geneigten Leser verpflichtet, näher darauf einzugehen.

Das Zertheilen des Fleisches geschieht mit der gewöhnlichen Tischlersäge, das des Fisches und der Zungen (um Zeit und Brennmaterial zu sparen) mit der Hacke. Der mit Wasser gefüllte Kessel wird nun erhitzt und ein Stück nach dem anderen hineingeschoben, bis man sich überzeugt hat, daß jede kleinste Ecke des Kessels benützt ist. Zu viel kocht man im Norden nie, im Gegentheile stets zu wenig. Ist der Kessel voll, dann hat die Kochkunst das Ihre gethan; die Erhaltung des Feuers und eine starke, mit einem guten Stocke (aber Eichenholz muß er sein) bewaffnete Hand bleiben nunmehr die Hauptsache. Es wäre ein langweiliges Geschäft, durch 1½ Stunden lang das Feuer ohne Unterlaß zu nähren, aber die im Kreise herumstehenden Hunde sorgen schon dafür, daß man sich nicht langweilt, denn der Koch hat vollauf zu thun, um nicht von einer mit allen Kniffen eingeleiteten Attaque überrascht zu werden. Ublubliak versteht es sehr gut, den Ofen sammt Kessel umzuwerfen, und findet bei der Ausführung solcher Manöver stets die kräftigste Unterstützung von Seite seiner Genossen. Das Würzen der Suppe macht wenig Sorgen, denn der Pfeffer ist eben, wo er wächst, und Salz haben wir seit einem Monate keines mehr. Der scharfe Appetit hilft über alle diese Mängel hinweg und im großen Schneehaus ist bereits Alles zum großen Festmahle versammelt, das in Gemeinschaft genossen wird. Weitaus rascher als der Koch sind die Esser mit der Arbeit fertig. Dann geht ein Jeder seiner Wege.

In Gedanken versunken, war ich vor den Schneehütten auf- und abgeschritten, war dabei allmählich und zufällig um den nahen Hügel herumgekommen und setzte mich auf einen großen Stein. Die Schneehütten waren mir von dort sichtbar geworden und ich starrte hinauf zum Firmamente, das sternenbesäet, mit seinem Monde meine Aufmerksamkeit fesselte. Ihr Licht erschien mir bleich, und mir däuchte, als ob auch sie nur in ihrer halben Herrlichkeit für diesen kahlen Punkt existiren wollten. Um mich her die Felsen, die Schatten, die bläuliche Schneefläche, die tiefe Grabesstille, alles dies wirkte auf mein Gemüth. Kein Windhauch, kein Vogelruf, kein sonstiges Geräusch läßt sich hören, und eine Beklemmung liegt wie ein Alp auf mir. Die Ruhe, sie ist fühlbar, greifbar geworden, sie lagert auf dem Stein, auf dem ich sitze, sie lagert auf dem Flusse, auf den Höhen und überall; sie hat aufgehört, die negative Bedeutung des Nichtvorhandenseins des Schalles vorzustellen, und ist, wie der Nordpolfahrer Dr. I. I. Hayes so treffend sagt, als positive Kraft aufgetreten. In ihr spiegelt sich dieser Gegend majestätische Größe und Pracht, in ihr liegt deren Oede und Einsamkeit, sie ist in des Wortes vollster Bedeutung die »furchtbare Stille der Polarnacht«.

Ich fühle mich allein und verlassen, stehe auf und der erste Fußtritt auf dem harten Schnee hallt mir als Echo entgegen; ich höre wieder etwas, es klingt wie Leben und das Gespenst ist gewichen.

Der matte Schein, der von der Schneeansiedlung kommt, ist mir erwünscht, und der monotone Frauengesang, das sonst unliebliche Kindergeschrei und das verhaßte Geschnarche des Eskimos sind mir liebliche Töne. Die einfache, ärmliche Schneehütte ist mir wieder eine theure Heimat, und nachdem ich auf Händen und Füßen die kleine Pforte passirt habe, kenne ich den Werth der menschlichen Gesellschaft.

Nun kommt das letzte Tagewerk, das Ausziehen. Nach dem pedantischen Abklopfen der Kleider, das am Leibe vorgenommen wird, entledigt man sich der äußeren Pelzhülle und legt sie so an den aus Rennthierfellen genähten Schlafsack, daß dieser nicht mit der Schneewand in Berührung kommt. Zunächst kommen die Pelzschuhe, dann die Pelzstrümpfe an die Reihe. Erstere werden so gelegt, daß sie nicht aufthauen, letztere so, daß sie nicht gefrieren, und kommen unter die erste Pelzdecke am Kopfende zu liegen. Eine weitere Erklärung ist nicht nöthig, denn wenn die letzte künstliche Hülle, das Pelzhemd, gefallen ist, so ist man schon im Sacke und hat sein Hab und Gut in der Reihenfolge, wie man es wieder anziehen wird, als Kopfkissen.

Ein solcher Sack ist ohne Zweifel das beste und einzige warme Bett in diesen Regionen, das erste Gefühl darin ist jedoch (da man ganz adamitisch darin steckt und der Schlafsack den ganzen Tag oben am Schlitten lag) ein nicht angenehmes. » Iki!« ruft der Eskimo, zieht die Knie bis zum Mund und deckt sich bis über die Ohren zu. Die Körperwärme und der warme Athem besorgen dann das Erwärmen schon in wenigen Minuten. Man steckt den Kopf wieder heraus, zündet sich sein Pfeifchen an und freut sich, im Schlafsacke und Pfeifchen noch immer eine Bequemlichkeit und Annehmlichkeit zu finden.

Die wie Häringe in einer Tonne mit den Köpfen nach einer Seite aneinander gereihten Individuen nehmen sich eigentlich auch sehr gemüthlich aus und ist ihre Zahl vollständig, d. h. sind ihrer so viele, daß, wenn sich eines umdreht, dies die ganze Reihe gleichfalls thun muß, so versperrt die Hausfrau das Thor mit einem Schneeblock, löscht das Licht aus, jedes weitere Gespräch wird abgebrochen und Jeder sucht in seinen Träumen ein besseres Weihnachtsfest.

Doch die Verwirklichung unserer schönen Träume, unsere Anwesenheit unter den Annehmlichkeiten der Civilisation, sie stand noch in weiter Ferne. Die Wirklichkeit, die Gegenwart, sie deutete auf kein rosiges Dasein. Mit dem Weihnachtstage hatten unsere Hunde die letzten Fischvorräthe aufgezehrt und auch für die Menschen war nur wenig, sehr wenig Fleisch mehr auf den Schlitten. Die Hunde, sie waren mager, wurden von der täglichen Arbeit schwach, und ihnen, sowie uns Menschen fehlte die nöthige Nahrungszugabe für die Ertragung einer so großen, anhaltenden Kälte, das Fett. Die weiten Schneefelder des Flusses zeigten nicht einmal die geringste Spur thierischen Lebens, ja nicht einmal ein einzelner Wolf ließ sich blicken, der auf die Nähe von Rennthieren hätte schließen lassen. Die Moschusochsen, auf deren Anwesenheit wir mit Bestimmtheit gerechnet hatten, waren nicht zu finden, die Jäger, die wir aussandten, um nach Beute zu fahnden, kamen ohne Erfolg mit bangen Gesichtern zurück.

Am 28. gingen wir einen Tagemarsch, d. h. 7 Meilen weiter südlich und blieben wieder einen Tag liegen, um zu jagen, doch auch diesmal ohne Erfolg, und erst, als Netchillik Joe am 30. nach 36stündiger Jagd mit zwei Rennthieren zurückkam, erfuhren wir, daß das linke Ufer des Flusses wohl Spuren von Rennthieren aufwies, diese aber darauf hindeuteten, daß die Rennthiere sich erst weiter im Inlande reichlicher vorfinden werden.

Von dem Punkte, wo wir den Backs-Fluß zu verlassen gedachten, waren wir noch circa 20 Meilen entfernt, bedurften also noch wenigstens drei Tage, um diese Strecke zurückzulegen. Dann war es aber noch die Frage, ob es uns gelingen werde, den von Nalijau uns angegebenen Uebergang zu finden. Es handelte sich bei den traurigen Aussichten für die Partie am Jahresschlusse um das Leben von 21 Personen und 42 Hunden, und Lieutenant Schwatka, die erstbestimmte Rollte nur ungern verlassend, entschloß sich am 30. December Abends, mit dem kommenden Tage den Fluß als weitere Marschlinie aufzugeben und in südöstlicher Richtung den Ueberlandmarsch anzutreten.


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