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IV.

Auf dem Gebiete des Backs-Flusses nach König Wilhelms-Land vom 5. Mai bis 12. Juni 1879.

Die neue Tagesordnung. – Eine Rennthierjagd. – Bergiges Terrain. – Hayes-Fluß. – Thierreichthum. – Zeichen von Menschen. – Die Ukusiksillik-Eskimos. – Ein trauriges Dasein. – Die ersten Reliquien. – Gastfreundschaft. – Traditionelle Mittheilung des Ikinilik petulak. – Am Backs-Fluß. – Die Montreal-Inseln. – Ogle-Halbinsel. – Ein Eskimo-Parlamentär. – Netchillik-Eskimos. – Deren Aussagen über die Franklin'sche Katastrophe. – Reliquien. – Die Versammlungen mit den Netchilliks. – Verständigung. – Karten. – Das Zählen. – Das erste Steindenkmal. – Auf König Wilhelms-Land angelangt.

Im Vergleich zu den Gegenden, die wir in den letzten April- und ersten Maitagen durchwandert, befanden wir uns nun in einem wahren Paradies, welches allen Anforderungen, die wir an die Landschaft zu stellen hatten, vollkommen entsprach. Teiche und Seen gab's in Hülle und Fülle, Rennthiere in großer Zahl, und unsere abnehmenden Oelvorräthe für etwaigen späteren Bedarf aufsparend, benützten wir das auf den schneelosen Hügelkuppen in großer Menge wachsende, trockene Haarmoos Das Haarmoos ist eine sehr dichte, dunkelgrüne, beinahe schwarze Moosgattung, erstreckt sich in einer torfähnlichen Structur von bis sechs Zoll Dicke oft über weite Flächen und bildet das Hauptnahrungsmittel des Rennthieres und des Moschusochsen. ( Tinoujak) als Brennmaterial.

Der Schnee, der um die Mittagsstunden durch die höheren Temperaturgrade immer weicher wurde, machte das Marschiren beschwerlich, die Beeisung der Schlitten wollte auch nicht mehr recht halten und so verließen wir unsere Lagerstätte schon sehr zeitlich, um noch vor Eintritt der Mittagshitze, wie wir die Temperatur von zwei bis drei Grad Celsius über dem Nullpunkt nannten, campiren zu können. Der Unterschied zwischen Tag und Nacht hatte aufgehört, als von einer Dunkelheit kaum mehr die Rede sein konnte, und unser zeitgemäßes Anlangen auf König Wilhelms-Land hing einzig und allein von dem rechtzeitigen Erreichen der jedenfalls guten Fahrbahn des Backs- oder Großen Fisch-Flusses ab. Rennthiere kamen uns beinahe täglich in den Weg, wir trafen sie nicht mehr einzeln, wie früher, sondern in großen Heerden, und selten ließen wir solche passiren, ohne einige Stücke zu erbeuten.

Während eines scharfen, den Schnee ziemlich dicht einhertreibenden Südwindes bemerkten wir, durch die Unruhe unserer Gespanne aufmerksam gemacht, etwa eine Meile vor uns eine auf einem Hügel gelagerte Rennthierheerde. Sogleich brachten wir die Schlitten zum Stehen, sämmtliche jagdfähigen Personen nahmen ihre Gewehre und suchten die Heerde zu umzingeln, die Weiber bei den Schlitten zurücklassend, um die Hunde in Ordnung zu halten. Eine Viertelstunde verging, und man sah Niemanden, auch die Heerde schien nichts zu wittern, und der Bock, der sich soeben erhoben und im Kreise Umschau hielt, legte sich ruhig wieder nieder. Diesen Zeitpunkt benützten unsere Jäger, um bald schleichend, bald kriechend, der Heerde auf Schußweite beizukommen. Unter Schußweite verstehen die Eskimos nämlich 70 bis höchstens 100 Schritte, auf größere Distanzen wird nur in der äußersten Noth geschossen.

Noch immer herrscht Ruhe und mit gespannter Aufmerksamkeit konnte man von den Schlitten aus die Scene am besten, die Jäger und Rennthiere am vortheilhaftesten sehen. Jetzt kracht ein Schuß – im Nu ist die Heerde auf den Beinen – doch zu spät – sie ist umringt und für kurze Zeit wird ein Einzelfeuer unterhalten, das zehn von vierzehn Thieren niederstreckt.

Ein geeigneter Punkt zum Campiren ist bald gefunden und während sich die Männer an den Bau ihrer Schneehütten machen, schleifen die Hunde unter Führung der Jungen die Rennthiere herbei. Den schönsten Spaß bei einer derartigen Etappenstation hat man nach der Jagd selbst. Bei der Schnelligkeit des Feuerns und einer größeren Zahl von Jägern weiß natürlich keiner gewiß, welches Rennthier und ob er überhaupt eines tödtlich getroffen hat, doch bestehen die Eingebornen darauf, nur jene Thiere abzuziehen und auszuweiden, die sie selbst erlegt haben, und die Debatte darüber, die in der friedlichsten Weise aber oft stundenlang geführt wurde, war manchmal sehr interessant anzuhören.

Die Felle der Rennthiere sind vom December bis Ende Juni zu Pelzkleidern unbrauchbar, da sie vermöge des Haarwechsels die Haare schnell lassen und weil sich zu dieser Jahreszeit eine Unzahl Schmarotzerthiere durch die Haut gefressen hat, die auch das Leder, falls es als solches verwendbar wäre, zu jeder Benützung unfähig machen.

Schon von der Wasserscheide aus war am Horizonte eine leichte, blauschwarze Linie zu sehen, doch der Gedanke, daß wir einen Gebirgszug vor uns haben, war für uns als Schlittenreisende kein besonders tröstlicher. Heute, am 9. Mai 1879, gelangten wir in unmittelbare Nähe jener Linie in ziemlich mächtig aussehendes Bergland. Nicht die Höhen und Kuppen waren es, die uns so sehr ob unseres weiteren Fortkommens ängstigten, wohl aber die ungeheuer zerrissene Gestaltung des Landes und der für die Schlitten zu spärliche Schnee, den wir dort finden konnten. Je näher wir kamen, desto höher schienen uns die Berge, und nur ungern spannten wir endlich unsere Hunde aus, um nach altgewohnter Manier die Schlitten den Abhang herunterzulassen. Mutter Natur erwies sich uns jedoch in diesem Falle ganz besonders günstig, denn am Fuße des Berges angelangt, kamen wir auf einen kaum zwölf Fuß breiten Bach, der einem größeren Teich zufloß und aus diesem auch seinen Abfluß fand. (Siehe Illustration Seite 69.)

Die Meridianhöhe der Sonne ergab für unseren Aufenthaltsort um 12 Uhr Mittags eine nördliche Breite von 66º 47', und allem Anscheine nach befanden wir uns an den Quellen eines Flusses, den wir gleich von da ab zu Ehren des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Hayes-Fluß nannten.

Zwischen hohen, steilen Berglehnen folgten wir gerne dem engen Flußbette, welches uns von Teich zu Teich bald in nordwestlicher, bald in nordöstlicher Richtung führte.

Welche Anstrengungen hätte es uns gekostet, wenn wir uns durch das umliegende Terrain ohne eine so schöne Fahrbahn, wie sie uns der glatte Eisspiegel des Flüßchens bot, hätten durcharbeiten müssen, und wie leicht glitten wir nicht über die glatte Fläche dahin und wie rasch ging es bei dem starken Gefälle thalab. Als wir am Abend desselben Tages unseren Lagerplatz bezogen, hatten die uns umgebenden wildromantischen Uferscenerien die früher gehegten Besorgnisse verscheucht, und nur der Eindruck des Großartigen und Schönen bildete das Thema der letzten Tagesunterhaltung.

Von einem 600–700 Fuß hohen Hügel (Stewarts-Monument genannt), der, mit einem großen, schwarzen Granitblock gekrönt, eine schöne Fernsicht bot, konnte man das Flußbett meilenweit nach Norden verfolgen. Der Fluß selbst konnte entweder ein Nebenfluß des Großen Fischflusses sein oder dem Gebiete des Kastor- und Pollux-Flusses (im Jahre 1839 durch Dease und Simpson entdeckt, 1854 von Dr. Rae aber auch nur an der Mündung gesehen) angehören, in beiden Fällen aber war unsere Entdeckung eine Bereicherung der geographischen Kenntnisse.

Für die Nichteinhaltung unserer Marschroute wurden wir bei den Umwegen genügend entschädigt. Bald zwängte sich der Fluß zwischen schmalen, hart an die Eiskruste herantretenden Felswänden durch, bald aber traten diese weiter zurück, um mit niedrigen Hügeln die Ufer schöner Teiche einzusäumen, und so bildete reiche Abwechslung immer wieder neue, prächtige Landschaftsscenerien, die unter dem nordischen Himmel ihre besonderen Eigenthümlichkeiten haben. Und die Formen der einzelnen Berggestalten, sie boten eine Mannigfaltigkeit, die uns bald an den Rhein, bald an den Hudson mahnten, und wir notirten uns in unsere Tagebücher manchen Namen, z.B. Hyppodrom, nach der Aeußerlichkeit, welche uns diese Formen und Gruppen boten. Am Oberlauf bergig und felsig, änderte sich mit der zunehmenden Breite und dem Schwächerwerden des Gefälles auch die Uferlandschaft. Die Ufer wurden niedriger und verloren den Charakter eines der Thalebene ganz entbehrenden Landstriches.

Begegnung mit Ukusiksillik-Eskimos

Rennthiere, die wir in den ersten Tagen unserer Anwesenheit auf dem Flusse vermißten, wurden wieder sichtbar, und zwar stets nur in stattlichen Heerden. Nur mit schwerer Mühe und durch Zurückweisung aller Einwendungen war es dem Lieutenant Schwatka eines Tages möglich, die Partie an einer Heerde von etlichen fünfzig Rennthieren vorbeizuführen, ohne jagen zu lassen. Unsere Schlitten waren hinreichend mit Fleisch versehen und jede Ueberladung in dieser Jahreszeit wäre ein Hinderniß des schnellen Fortkommens gewesen. Den Eskimos dagegen war und blieb es ein Räthsel, wie man eine so schöne Nahrungsquelle unbenützt vorbeilaufen lassen kann. Eine Abtheilung Eingeborner, die nicht unter dem energischen Commando eines Weißen gestanden wäre, hätte sich hier einfach niedergelassen und wäre geblieben, so lange es Nahrung für sie gab.

Während des weiteren Vordringens zeigten sich an verschiedenen Stellen theils aufeinander, theils im Kreise gelegte Steine, die auf die Anwesenheit von Menschen in diesen Gegenden, sei es nun in der Gegenwart oder blos in der Vergangenheit, schließen ließen. Am 14. wurden wir plötzlich einer frisch geschnittenen Schneetafel gewahr, die kaum zwei Tage alt sein konnte, und bei näherer Umschau zeigte sich auch eine erst vor Kurzem verlassene Schneehütte, die, ihrem Baue nach, Jägern für eine Nacht als Ruheort gedient hatte. Im Schnee selbst sahen wir die Fußspuren von zwei Personen und mehreren Hunden, die, ein Fell als Schlitten benützend, etwas, wahrscheinlich Fleischvorräthe, den Fluß abwärts geschleift hatten. Das Flußbett, die wechselnden Scenerien, die vielen Rennthiere, das Alles wurde jetzt Nebensache – unser neu entdeckter Fluß war wenigstens zeitweilig von Menschen besucht – ihnen galt vorläufig das ganze Gespräch der Tages- und Abendstunden.

Besonders die Eskimos waren in einer Aufregung, die ebenso viel Neugierde als Furcht verrieth, und unser Dolmetscher, der schon lange von den Ceremonien bei Begegnung fremder Eskimostämme phantasirte, machte sich die größten Sorgen. Das Wetter hatte seit einigen Tagen, seit der Ueberschreitung der Wasserscheide, sich eine kleine Aenderung erlaubt, die Südwinde hatten aufgehört und ein scharfer, mit kurzem Schneegestöber begleiteter Nordwestwind, dem wir nunmehr gerade entgegengehen mußten, machte sich auch am 15. geltend und versperrte jede weitere Fernsicht. Alles ging in der alten Marschweise fort, als die Hunde des ersten Schlittens plötzlich Unruhe zeigten, und, was nur sehr selten geschah, unaufgefordert anfingen, mit dem Schlitten zu laufen. Schon nach einigen Minuten zeigte sich eine kleine Gruppe Schneehütten, vor denen sich menschliche Gestalten bewegten. Die Leute verschwanden und wir ließen in der Distanz von einer halben Meile die Schlitten stehen, um – da es Eskimo Joe schon durchaus nicht anders haben wollte – bei unserer ersten Begegnung mit einem uns unbekannten Menschenstamm die herkömmliche Förmlichkeit einzuhalten. Es nahm sich beinahe lächerlich aus, als wir mit unseren Gewehren der Ansiedlung zuschritten. Außer einigen Hunden, die uns entgegengelaufen kamen, war nichts zu sehen, und erst nach mehrmaliger Aufforderung waren die armen Leute aus ihren Hütten zu bringen. In den größten Aengsten stellten sie sich, mit Speer, Bogen und Pfeil bewaffnet, in einer Reihe uns gegenüber, und frugen nach dem Zweck unseres Kommens und nach unserem Ziele. Wir gaben ihnen gerne den geforderten Bescheid. Die Versicherung, daß unsere Gesinnungen ihnen gegenüber ganz freundschaftliche sind, begann ihr Mißtrauen zu verscheuchen, und schon nach kurzer Zeit luden sie uns ein, unsere Hütten neben die ihrigen zu bauen und einige Tage in ihrer Gesellschaft zu verweilen. Der Antrag wurde auch angenommen, die Schlitten herbeigebracht, und unter kräftiger Mithilfe von Seite der neuen Freunde wuchsen unsere Behausungen mit großer Schnelligkeit wie aus dem Boden hervor. Die gegenseitige erste Begegnung von verschiedenen Eskimostämmen hat stets das Gepräge des Mißtrauens und der Vorsicht, und die Waffe, so ärmlich sie auch ist, bleibt so lange in der Hand, bis sich die begegnenden Parteien verständigt haben.

Unser erstes Augenmerk galt den Leuten selbst, und es zeigte sich, daß diese Ukusiksillik-Eskimos die Ueberreste eines einst großen Stammes sind, der noch vor nicht zu langer Zeit an der westlichen Küste der Adelaide-Halbinsel seine eigentliche Heimat hatte. Durch lang geführte Bekämpfung von Seite der jetzt dort ansässigen Ugzulik- und Netchillik-Stämme wurde die Zahl der Ukusiksilliks sehr geschwächt und sie sahen sich gezwungen, ihre alten Jagdgründe zu verlassen, um in diesem stillen Winkel ihr Leben zu fristen. Der ganze Stamm besteht nur noch aus sechzehn Familien, deren sieben hier, die anderen neun aber bei den »gefährlichen Stromschnellen« des Backs-Flusses leben.

Die Armuth der Leute, ihre schlechten Jagdgeräthschaften ec., theilweise aber der Mangel jeglicher Energie sind die Ursachen, weshalb sie hier in einer Gegend, welche so reich an Rennthieren und Moschusochsen ist, ein elendes Leben führen. Ist, wie gerade dieses Jahr, der Fischfang, ihre bedeutendste Nahrungsquelle, schlecht ausgefallen, so kämpfen sie den ganzen Winter ununterbrochen mit dem Hunger in seiner furchtbarsten Form und ihre Zahl wird durch den Hungertod gelichtet. Ihr Aussehen, die hohlen Wangen, die eingefallenen Augen sprechen deutlich von der Noth und dem Elend, die ihre stetigen Genossen sind, doch will man die Einfachheit in ihrer absolutesten Form, ein Leben der primitivsten Art sehen, so braucht man nur in ihre Hütten einzutreten. Die Kleider, die Schlafstellen sind nicht aus Rennthierfellen genäht, sondern durchwegs aus Pelzwerk des Moschusochsen gemacht, welches an und für sich, wäre es auch in genügenden Quantitäten vorhanden, zum Schutze gegen Kälte viel zu wünschen übrig läßt. Von Seehundsthran ist keine Spur und den langen, kalten Winter verleben diese Leute gänzlich ohne künstliche Erwärmung, ja die langen Nächte ohne jede Beleuchtung. Doch genug von dem Innern, so scharf auch die Luft im Freien ist, man sehnt sich gerne dahin zurück, und wir ziehen es vor, uns außerhalb der Hütten die Jagdrequisiten und sonstigen Geräthschaften der Leute anzusehen.

In ihnen begegnen wir den ersten Ueberresten von Gegenständen, die einst entweder Theile der beiden Schiffe »Erebus« und »Terror« waren oder sonstig der Franklin'schen Expedition angehörten. Die Pfeilspitzen, die Speere, die Schneeschaufeln, kurz Alles, was Holz, Kupfer oder Eisen ist, stammt vom Schauplatze der Franklin'schen Katastrophe und ist entweder durch zweite Hand, das ist durch andere Stämme, in die Hände dieser Leute gelangt oder von ihnen selbst gefunden worden.

An den Quellen des Hayes-Flusses.

Nachdem die Schneehütten gebaut waren, forderten uns die Ukusiksillik-Eskimos auf, in ihre Hütten zu kommen und mit ihnen an einem Mahle theilzunehmen. Es ist gewiß ein schöner Zug der Gastfreundschaft dieser Leute, wenn man bedenkt, daß die 50 Pfund Moschusochsenfleisch, die sie uns vorzusetzen gedachten, ihr ganzer Vorrath an Nahrungsmitteln war und auch so lange blieb, bis der Beginn des Fischfanges ihnen weitere Provisionen in Aussicht stellte.

Im gemeinschaftlichen Essen, sowie in dem gegenseitigen Berühren der Brust mit der flachen Hand, bei welchem Acte das Wort Ilaga (laß' uns Freunde sein) gesprochen wird, liegt der Ausdruck der Freundschaft der Eingebornen, und so ungern wir von dem Wenigen und Letzten, was sie uns bieten konnten, genossen, so thaten wir es doch, um ihre schöne Sitte zu ehren. Dafür kamen ihnen die großen Fleischvorräthe auf den Schlitten der Weißen gut zu statten. Auf den Wunsch des Lieutenants vertheilte ich an die Frauen und Kinder auch etwas Zwieback mit aufgestrichener Melasse, doch fand dieses, obwohl sonst ein Leckerbissen für den nordischen Eingebornen, diesmal gar keinen Anwerth. Wir hatten es hier mit einem Naturvolke in seiner unverfälschten, von der Civilisation noch nicht beeinflußten Form zu thun, leider dürften wenige Jahre genügen, um den einst mächtigen Stamm vom Schauplatze der Erde gänzlich zu verwischen.

Mit dem Momente, wo wir das erstemal auf von Franklin und seinen Leuten stammende Reliquien stießen, war es auch unsere Pflicht geworden, die Leute nach ihrem diesbezüglichen Wissen und den ihnen traditionell zugekommenen Nachrichten zu befragen. Nur eine Person, ein 60–70jähriger Greis, Namens Ikinilik petulak, hatte selbst Gelegenheit gehabt, mit einem der Schiffe der Expedition in Berührung zu kommen. Er war einer der ersten Besucher des Schiffes, das westlich von Grant-Point an Adelaide Peninsula, mit einem dasselbe umschließenden Eisfelde, durch Inseln am Weitergehen mit Wind und Strömung gehindert worden war. Beim ersten Besuche glaubten die Leute, Weiße an Bord gesehen zu haben, deren Zahl, nach den Fußspuren im Schnee, auf vier Personen schließen ließ. Dies war im Herbste, im Frühjahre darauf besuchten sie den Ort wieder, fanden das Schiff an demselben Orte, und als keine Zeichen von Weißen oder sonstigem Leben sichtbar waren und sie nicht wußten, wie in das Innere desselben zu gelangen, machten sie ein großes Loch in die Schiffsseite nahe der Eisfläche, welches das Sinken des Schiffes nach dem Schmelzen des Eises zur Folge hatte. Ikinilik's Aussagen nach war in einer der Schlafkojen die Leiche einer Person gefunden worden und in der Kajüte soll sich Fleisch in Kannen gefunden haben. An der Küste von Adelaide-Halbinsel hatte sich sonst keine Spur von Weißen gefunden, ausgenommen ein kleines Boot in Welmot-Bai, das aber auch nach dem Untergange des Schiffes zu diesem Punkt getrieben worden sein konnte.

Diese Angaben gewannen für uns später durch gleichlautende Aussagen an Glaubwürdigkeit. Ikinilik petulak hatte schon früher einmal Weiße gesehen, die in zwei Booten den Großen Fischfluß herunterkamen. Es war dies die Forschungspartie des Lieutenants Back gewesen, der im Sommer 1834 diesen nach ihm auch Backs-Fluß genannten Stromlauf bereiste und kartographisch aufnahm.

Eine erfreuliche Nachricht für uns war, die Gewißheit zu erlangen, daß der Hayes-Fluß ( Kugnuak in der Eskimosprache) ein Nebenfluß des Backs-Flusses sei, und daß vier weitere Tagemärsche hinreichten, um zu dessen Einmündung zu gelangen.

Für alle diese Nachrichten, sowie für einige der wichtigsten Reliquien beschenkten wir die Leute reichlich mit Nadeln, Blechschüsseln, Stirnbändern ec., und warben einen ihres Stammes, Nalijau, seiner Landeskenntniß halber an, uns sammt Familie (einer Frau und einem kleinen, fünf Jahre alten Mädchen) zu begleiten. Auch ließen wir den Leuten einige unserer noch immer großen Fleischvorräthe zurück und betraten am 18. auf dem Weitermarsche den Unterlauf des Flusses, nachdem wir früher noch eine lange, jetzt gefrorene Stromschnelle passirt hatten.

Bald erweiterte sich das Flußbett bedeutend, die Ufer nahmen an Höhe ab und die Granitformation machte einem schlechten Lehmboden Platz, der in Form flacher Inseln aus dem Flußbette selbst herausschaute und dieses auf beiden Seiten in den verschiedenst geformten Lehmbänken umgab. Den schönen Landschaften des Oberlaufes folgte eine langweilige Gegend, die, trostlos und öde, keine Abwechslung bieten konnte, und wenn wir nach Beendigung unseres Tagemarsches stundenlang herumkletterten, um nach paläontologischen Funden zu suchen, so konnten wir trotz aller Mühe keinen Erfolg aufweisen. Diese Lehmgattung scheint überhaupt zu gar nichts gut zu sein und ist nach Lieutenant Schwatka's beiderseitigen Erfahrungen ein Seitenstück zu den sogenannten weitberüchtigten » bad-lands of Dakota« (schlechte Landschaften von Dakota) im Norden der Union. Die einzige Befriedigung, die uns der Fluß gewährte, war, daß wir kein Wasserloch mehr zu machen brauchten, sondern zu jeder Stunde unter dem neugebildeten dünnen Eise Wasser bekommen konnten. Die Temperatur war schon so weit gestiegen, daß der Schnee, wenigstens um die Mittagsstunden, anfing, zu schmelzen, und sich das Wasser am Fuße der Hügel und im Flußbette oberhalb des dicken Eises sammelte. Im letzteren Falle bildete sich Nachts freilich noch eine Eiskruste, doch waren wir für diese Saison wenigstens nicht mehr gezwungen, jeden Schluck Wasser erst durch eine in das sechs Fuß dicke Eis gemachte Oeffnung uns sauer verdienen zu müssen.

Am 19. Abends erreichten wir eine große Wendung des Flusses (siehe Illustration Seite 73) nach Südwesten, und da wir durch die (Eskimos bereits darauf aufmerksam geworden waren, verliessen wir den Fluß etwa in 76º 30' nördlich vom Aequator aus seinem rechten Ufer, um in westlicher Richtung die Mündung des Backs-Flusses zu erreichen. Auch hier bot uns eine gute, durch viele Seen erleichterte Fahrbahn ein schnelles Fortkommen, und am 22. campirten wir am Fuße eines Hügels, der eine gute Aussicht versprach. Trotz eines gräßlichen Sturmes, der den Aufenthalt auf der Kuppe selbst unmöglich machte, bestiegen wir denselben und blickten, blos den Kopf über die letzte Steinlagerung streckend, vor uns hin. Der Schnee war des Tages über feucht geworden, konnte daher die Aussicht nicht hindern, und vor uns lag ein seltsam schöner Anblick. Die große breite Mündung des Backs-Flusses lag vor uns als die hindernißlose Bahn nach König Wilhelms-Land; nach einem glücklich zurückgelegten Landmarsche von 385 Meilen haben sich alle Befürchtungen, durch naturelle Hemmnisse im Fortkommen gehindert zu sein, als unnütz erwiesen. Nun konnte der Schnee schmelzen, so rasch er wollte, ja, die ersten Regentropfen, die heute an unser Schneedach klopften, begrüßten wir gerne als den Anfang einer besseren Jahreszeit.

Eine Granitkugel.

Das östliche Ufer des Backs-Flusses, das wir nunmehr verfolgten, ist wieder nur Granit. Einem eigenthümlichen Naturspiele begegneten wir in einem großen Granitsteine, der ganz die Form einer etwa acht Fuß im Durchmesser messenden Kugel hatte und auf einer verhältnißmäßig sehr kleinen Basis stand. Der oberste Theil der Kugel war ganz so gefärbt, als ob Jemand ein Gefäß mit weißer Farbe darüber ausgegossen hätte, und fast hatten wir Lust, das Ganze einer nachdrücklichen Untersuchung zu unterziehen, als uns noch rechtzeitig klar wurde, daß die Färbung von dem jahrelang angesammelten Guano der Seemöven herrühre.

An der großen Wendung des Hayes-Flusses.

Unser nächstes Ziel war die Insel Montreal, die, nach den in der Einleitung besprochenen Berichten des Dr. Rae, allgemein als jener Punkt angesehen wurde, wo ein Theil der Franklin'schen Leute gestorben sein soll. Wir campirten auf dem östlichsten Theile der Insel und blieben auch den kommenden Tag, den 27. Mai, um nach einem Cairn zu suchen, den Sir Leopold Mc. Clintock bei seinem Besuche daselbst im Frühjahre 1859 errichtet haben soll. Er hatte die Gewohnheit, seinen Steindenkmalen stets einige Kleinigkeiten, als Messer, Scheeren, Fischhaken ec., beizulegen, um die Eingebornen durch den Fund solcher Gegenstände von der Zerstörung allenfallsiger darin befindlicher Dokumente abzuhalten. Natürlich bewirkte er gerade das Gegentheil, da diese den Cairn dann bis zum Grunde vernichteten. Dies mag auch hier der Fall gewesen sein, denn trotzdem wir die ganze Insel absuchten, fanden wir auch nicht die geringste Spur eines Steindenkmales.

Die Insel Montreal ist nicht so groß, wie sie die Karten darstellten, sie ist höchstens sechs Meilen lang und auch nicht ein geschlossenes Eiland, sondern ein Archipel kleinerer Inseln, die, durch enge Meeresarme von einander getrennt, im Sommer die Jagd nach Seehunden erleichtern. Dann ist die Insel auch ein beliebter Aufenthaltsort von Netchillik-Eingebornen, die sie Kajektuariuk nennen, nach Kajek (das Seehundsboot), das hier oft gebraucht wird. Am 28. betraten wir die Ogle-Halbinsel und mit ihr ein Terrain, das von dem bisher durchwanderten ganz verschieden, flach, sandig und lehmig ist. Keine Spur von irgend welcher Vegetation zeigend, ist die Gegend auch vollkommen wasserarm, so daß wir unsere letzten Oelvorräthe verwenden mußten, um Trinkwasser zu bekommen. So flach die Ogle-Halbinsel, so seicht ist auch der Barrow-Golf, und nur durch genauere Untersuchung des Eises konnten wir uns überzeugen, daß wir den Golf bereits betreten hatten.

Einen schöneren Anblick gewährt die Adelaide-Halbinsel jenseits des Barrow-Golfs. Nach unserer laufenden Marschrechnung (todte Rechnung genannt) mußten wir bald die Simpson-Straße, welche König Wilhelms-Land von dem amerikanischen Kontinente trennt, zu sehen bekommen, als uns auf einem größeren Teiche plötzlich frische Schlittenspuren auffielen. Dieselben zeigten nach Breite und sonstiger Beschaffenheit, daß sie nicht von einem aus Holz verfertigten Schlitten herrühren, sondern daß derselbe aus einem Stück Eis, wie es die Eskimos manchmal in Ermanglung anderen Baumaterials verwenden, gemeißelt war.

Eisschlitten.

Einer unserer Begleiter, den ich in Zukunft seiner Abstammung von den Netchilliks halber »Netchillik Joe« nennen will, erklärte, wir seien nur eine kleine Distanz von einer Ansiedlung seiner Stammesgenossen entfernt. Auf einem Hügel hielten wir an und ließen die Schlitten gleich einer in's Feuer gehenden Kanonenbatterie auffahren. Vor uns lag die durch tiefe Einbuchtungen zerrissene Küste der Adelaide-Halbinsel, und auf einem Meeresarme, eine Meile entfernt, befanden sich 13 bis 15 Schneehütten der erwähnten Netchilliks. Aus jeder Hütte kamen Eskimos und blickten verwundert zu uns herauf. Wir überließen, wie bei jeder neuen Begegnung, die Schlitten der weiblichen Begleitung und gingen auf die Ansiedlung zu. Auf halbem Wege kam uns ein Parlamentär (siehe Abbildung Seite 77) in Gestalt einer Frau von mittleren Jahren entgegen, und je mehr sie sich unseren Gruppen näherte, desto langsamer und kleiner wurden ihre Schritte, und ihre Gesichtszüge verriethen eine gewisse Unbehaglichkeit. Sie hatte ein kleines Messer als Waffe bei sich, und so sonderbar auch die Art, ein Weib den Fremden entgegenzusenden, ist, so kommt sie doch bei diesem Stamme stets in Anwendung. Unsere Dolmetscher machten die Ankunft von Kablunas (Weißen) bekannt und in wenigen Minuten waren alle Zweifel gehoben, daß Joe's Befürchtungen und die von ihm angerathenen Vorsichtsmaßregeln unnütz waren. Der Ruf: »Kablunas!« allein that seine Zauberwirkung, und die so oft gefürchteten Netchilliks waren unsere Freunde. Wir schlugen unser Lager in ihrer Nähe auf und begannen schon am folgenden Tage in einem Concil jene Individuen, deren Aussage durch frühere Forscher bekannt gemacht worden, zu citiren, um deren Wahrheitstreue durch Kreuzfragen zu prüfen. Eine jede Person, die wie immer in irgend welche Berührung mit Franklin's Leuten oder deren Habseligkeiten gekommen war, wurde zwei- bis dreimal über eine und dieselbe Sache verhört. Die Zeugen wurden getrennt vernommen und Alles angewendet, um jedem allenfallsigen Humbug vorzubeugen und die reine Wahrheit zu erhalten. Erst, als ihre Aussagen erschöpft waren, wurde eine große Belohnung für die Auffindung von Papieren und Schriften oder anderen, indirect zu nützlichen Schlußfolgerungen führenden Gegenständen ausgeschrieben.

Eskimo-Parlamentär.

Die Eingebornen des Netchillik-Stammes bewohnen heute die ganze Küste der Adelaide-Halbinsel; doch war dies keineswegs zur Zeit Franklin's der Fall. Ihre alten Jagdgründe liegen an Boothia's Landenge (östlich von König Wilhelms-Land), und nur hie und da unternahm eine oder die andere Familie, dem Nomadentriebe folgend, eine Wanderung nach den gegenwärtig bewohnten Punkten und König Wilhelms-Land. Das letztere ist auch jetzt von ihnen nur im Herbste besucht; und dann nur aus dem südöstlichen Theile. Die nordwestliche Küste der Insel ist ihnen erst durch den Verlust von Franklin's Mannschaften bekannt geworden und wurde ihre Aufmerksamkeit durch Mc. Clintock's Besuch auf diesen Theil der Insel gelenkt. Von verschiedenen Personen erhielten wir Aussagen, deren bemerkenswertheste ich hier aus meinem Tagebuche copire, wie diese am Platze von den verschiedenen Zeugen gegeben wurden:

Sioteitschung (ohrenlos, so genannt, weil er schwerhörig ist) ist ein Mann von 50 – 55 Jahren und hat vor Jahren etwas westlich von Richardson-Landspitze ein Boot gesehen und neben diesem Skelete gefunden. An Einzelheiten kann er sich nicht erinnern, doch lebt eine alte Frau in der Ansiedlung, die einst die Finderin des Ortes war, und ein besseres Gedächtniß hat. Er erbietet sich, die Partie nach dem Punkte zu bringen, wo das Boot gefunden wurde, und zeigte uns die Stelle, die wir später als Starvation Cove (Hunger-Bucht) werden kennen lernen.

Tuktutchiak, eine Greisin aus dem Stamme der Pelly-Bai-Eskimos, jedoch schon lange unter den Netchilliks lebend, erzählt: »Ich habe Franklin-Leute nie lebend gesehen, doch fand ich ganz nahe am Strande einer kleinen Einbuchtung Skelete und eine Leiche. Ich war damals in Begleitung meines Gatten, meines hier anwesenden Adoptivsohnes Ilro und sieben anderer Eskimos. Das gefundene Boot lag auf dem Kiele (?) Stellen, mit einem Fragezeichen versehen, sind Aussagen, die verschiedenartig gegeben wurden und zweideutig sind. In diesem Falle behaupten einige Zeugen, das Boot wäre mit dem Kiele nach aufwärts gefunden worden. und in diesem befanden sich einige Skelete, deren Zahl ich nicht angeben kann. Außerhalb des Bootes sah ich vier Schädel und andere menschliche Gebeine. Nur eine Leiche war noch mit Haut und Haaren (blond) versehen. Die letztgenannte Person konnte erst den Winter oder das Frühjahr vorher gestorben sein und war gut erhalten, obzwar Wölfe und Füchse daran genagt zu haben schienen. Ich weiß mich genau zu erinnern, daß dieser Mann Augengläser und Blendgläser neben sich liegen hatte, einen Ring am Finger trug, Ohrringe und eine Uhr mittelst einer Kette an diese (?) (die Ohrringe) befestigt hatte. (Diesen Irrthum wollte die Zeugin und ihr Sohn Ilro nicht einsehen und behauptete ihre Aussagen fest gegen alle Einwendungen.) Im Boote selbst befanden sich einige der verschiedensten Gegenstände, als: Uhren, Augen- und Blendgläser, eine kleine Säge, Thonpfeifen, Holz, Blech, Segeltuch und Kleider, ein Stück Eisen mit einem Loch darin, das bei Annäherung von sirvik (Eisen) sich bewegte (offenbar eine Compaßnadel), ferner ein Blechgefäß (bei einem Fuß breit und zwei Fuß lang) mit Büchern und Schriften, eine andere Büchse mit menschlichen Knochen (?) und ein Zinngefäß mit Tabak. Von den Gegenständen haben wir viele mitgenommen und unseren Kindern zum Spielen gegeben, und die Gebeine, glaube ich, sind mit der Zeit von Sand und Seegras bedeckt worden. Mit Weißen habe ich schon früher in den alten Netchillik-Landen verkehrt.«

Die nächste wichtige Zeugin ist Alahak aus dem Stamme der Netchillik's, circa 55 Jahre alt, und sagt aus:

»In Gemeinschaft meines seither gestorbenen Mannes und zweier anderen Familien waren wir des Seehundsfanges halber in König Wilhelms-Land (in der Umgebung von Washington-Bai, nahe Cap Herschel) und trafen, südöstlich gehend, eine Partie Weißer, die, etwa zehn an der Zahl, auf einem Schlitten ein Boot zogen. Wir hatten zuerst Angst, doch als einige von den Weißen auf uns zukamen, ließen wir uns mit ihnen in ein pantomimisches Gespräch ein. Sie sahen alle mager, ausgehungert und schlecht aus, waren schwarz um Augen und Mund und hatten keine Pelzkleider an. Wir campirten zusammen vier Tage lang und theilten einen Seehund mit den Weißen wofür ich ein Hackmesser als Bezahlung erhielt. So viel ich mich zu erinnern weiß, führten die Weißen nichts zu essen mit sich, und während unseres Beisammenseins schliefen sie theils im Boote, theils in einem kleinen Zelte. Während der Zeit war ich öfter bei den Weißen. Der Mann, von dem ich das Messer erhielt, wurde von den Anderen Tuluak genannt, war groß und stark gebaut und hatte einen schwarzen, mit Grau gemischten Bart. Aglukan (auch ein dem Betreffenden von den Eskimos gegebener Name) war kleiner als der Beschriebene mit rothbraunem Bart, und Doktuk (jedenfalls ein Doctor), ein dicker Mann, trug, wie die beiden Anderen, Augen-, aber keine Blendgläser (die Augengläser bezeichnen die Eskimos bestimmt dadurch, daß sie das Glas derselben mit Eis ( siko) vergleichen). Wir wären länger bei den Weißen geblieben, doch fing das Eis von Simpson Straits an zu schmelzen und unsicher zu werden. Nachdem wir uns getrennt und den Uebergang erfolglos versucht, gingen wir an die Küste von König Wilhelms-Land zurück und blieben den ganzen Sommer daselbst in der Umgebung von Gladman-Landspitze, ohne jedoch die Weißen wieder zu Gesichte zu bekommen. Das kommende Frühjahr fand uns in der Umgebung von Terror Bai (alle diese Punkte sind durch die Vorlage einer großen Karte von den betreffenden Individuen bestimmt worden), und dort auf einem kleinen Hügel mit äußerst wenig Schnee am Boden fand ich ein Zelt mit außerhalb liegenden Skeleten. Etwa zwei waren mit Sand und kleinen Steinen zugedeckt. Im Zelte lagen auch Skelete mit Kleidern und Decken bedeckt, und verschiedene Gegenstände als: Löffel, Messer, Uhren und Papiere umher.«

Im Concil mit Netschillik-Eskimos.

Die Zeugin giebt zu, daß ihre Leute alles ihnen als nützlich Dünkende fortschleppten, versichert auch, keine Gräber geöffnet zu haben, doch steht das mit dem Umstande, daß sie wußte, daß zwei Leichen begraben waren, im Widerspruche. Die anderen Aussagen, die bei der Langsamkeit der Verdolmetschung geraume Zeit wegnahmen, zielen alle darauf hin, daß König Wilhelms-Land durch die Eskimos von einem Ende bis zum andern durchsucht wurde, ja, daß, ihrem eigenen Zugeständnisse nach, nicht nur ihr Stamm, sondern auch andere Stämme oft nach dem nordwestlichen Theile der Insel zu gehen pflegten, um von den dort herumliegenden Gegenständen, Holz, Kupfer. Eisen ec., zu holen.

Das sind im Wesentlichen die kurzgefaßten Angaben, die uns als Grundlage zu einer planmäßigen Durchführung unserer Forschung nothwendig waren.

Der Stamm der Netchilliks scheint, soweit wir Gelegenheit hatten, denselben einer Schätzung betreffs seiner Seelenzahl zu unterziehen, ziemlich zahlreich, doch bildete die zuerst getroffene Ansiedlung wohl den Kern des Ganzen. Der übrige Theil wohnt in kleineren Ansiedlungen zu zwei bis sieben Familien längs der nördlichen und westlichen Küste von Adelaide-Halbinsel zerstreut, wo sich die Leute um diese Jahreszeit theils vom Fisch-, theils vom Seehundsfang nähren.

Die Nachricht von unserer Ankunft verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die nächstliegenden Ansiedlungen und schon am nächsten Tage trafen die Männer derselben zu unserem Besuch ein. Eine solche Deputation erschien unter Anderem auch am 1. Juni um die elfte Nachtstunde, und, um den Anforderungen der Netchillik'schen Gebräuche oder den Sitten des Landes, wie sie Eskimo Joe zu nennen pflegte, zu genügen, mußten wir hinaus, um jene langweilige Doppelaufstellung in Reihen zu wiederholen und auf die Fragen unserer Besucher zu antworten.

Unsere Hütten, die der warmen Tage halber statt der Schneekuppeln eine Eindeckung aus alten Rennthierfellen erhalten mußten, die verschiedene Costümirung, das bunte Gemisch von Männern, Weibern und Kindern, dies Alles nm die Mitternachtsstunde beim Scheine der Sonne, die heute zum erstenmale nicht unterging, und, nachdem sie die Hügel blos mit dem unteren Rande berührte, sich wieder zu heben begann, bot ein ebenso farbenreiches, als interessantes Bild. Ich hatte mich, ungesehen wie ich glaubte, mit meinem Skizzenbuche aus einen nahen Hügel begeben und fing an zu zeichnen. Kaum aber hatte ich einige Striche gemacht, als die Menschenzahl sich bei den Hütten stets verringerte und ich von einem großen Kreis Neugieriger eingeschlossen war, die, erst später begreifend, was ich eigentlich thue, sich herbeiließen, mir wenigstens die freie Aussicht nicht zu versperren.

Während unseres ganzen Aufenthaltes in der ersten, sowie auch in den weiteren, in unserer Marschrichtung gelegenen Ansiedlungen brachten uns die Leute Reliquien der verschiedensten Art, doch keine derselben hatte irgend ein Merkmal, das zu einer Identificirung hätte führen können. Wir vermutheten, daß die Leute aus unbekannten Gründen nicht Alles zeigten, und wirklich, als wir uns daran machten, in sämmtlichen Hütten Hausdurchsuchung zu halten, fanden wir mehrere bedeutendere Gegenstände, unter Anderem ein Brett, in welchem mit Kupfernägeln die Buchstaben L. F. eingezeichnet waren. Der Ort, wo dieses Brett gefunden worden, liegt am östlichen Theile einer Halbinsel, in deren Nähe das schon besprochene Schiff gesunken war; der Fund war insofern interessant, als, falls die zwei Buchstaben die Namens-Initialen eines Mitgliedes von der Franklin-Mannschaft waren, man leicht ausfindig machen konnte, welches der beiden Schiffe es war, das so weit südlich kam. Eine Blechschüssel wurde vom Eigenthümer gerne als Ersatz genommen, das Brett die ganze Zeit von uns als Kleinod bewahrt; leider aber erwies sich, daß die Buchstaben nicht die vermuthete Bedeutung hatten, und das Brett verlor dadurch für uns seinen Werth.

Die Versammlungen, die wir in jeder Ansiedlung veranstalteten, hatten für uns ein zweifaches Interesse. Wir erfuhren Anhaltspunkte zur Forschung und hatten Gelegenheit, den Netchillik-Charakter zu studiren. Für die Abhaltung eines solchen Concils (siehe Illustration Seite 81) wurde eine geräumige Schneehütte gewählt. Jeder, der kommen wollte, konnte sich einfinden, und wahrlich, an neugierigen Gesichtern, die förmlich jedes Wort zu erhaschen beflissen waren, fehlte es nicht. Zur Verständigung dienten zwei Dolmetscher, nämlich Eskimo Joe, der die Frage englisch erhielt, und Netchillik Joe, der das, was ihm der Erstere sagte, seinen Landsleuten verständlicher machen konnte, als es diesem bei den, wenn auch kleinen Abweichungen der Sprachweise der einzelnen Stämme möglich war.

Daß die Ausfragung auf diese Weise eine sehr zeitraubende Arbeit war, ist natürlich, doch was das geistige Vermögen der Eskimos anbelangt, so mußte man über dasselbe ein alle Erwartung übertreffendes günstiges Urtheil fällen. Ein gutes Beispiel hierfür gab das Verständniß der vorgezeigten Karten. Für einen Landestheil, der dem Eingebornen durch längeren Aufenthalt bekannt ist, genügt eine einfache Karte vollkommen, um ihm gewisse Punkte zeigen zu können. Auf ein paar Meilen mehr oder weniger kommt es ihm freilich nicht an, aber er wird, falls eine größere Bucht, eine Halbinsel oder sonst ein bemerkenswerthes Kennzeichen die in Frage stehende Gegend bestimmt, seine Vorstellung des Landes mit der der Karte in vollkommene Harmonie bringen können. Seine Zeichnungen einer ihm bekannten Küstenstrecke sind besonders interessant, weil er zwar eine jede, auch geringste Landspitze andeutet, aber die großen Krümmungen nach den verschiedenen Weltgegenden gänzlich ignorirt, so daß man sich an seine geradlinigen Zeichnungen erst gewöhnen muß, um sie zu verstehen.

Seine schwächste Seite in der geistigen Entwicklung bildet das Zählen. Sein Zahlen-System geht absolut nur bis zwanzig, und er bildet alle bis dahin reichenden Zahlen aus den Nummern 1 atouscha. 2 melrony, 3 pingasuit. 4 sitamany, 5 tadlimany, 6 aquanat, 10 kolet, 11 aquanakpuk. Die Zahl 7 ist das zweite 6, demnach melrony aquanat; 12 das zweite 11, demnach melrony aquanakpuk, und 19 somit das vierte, sechste 11, also sitamany aquanat aquanakpuk – jedenfalls ein langer Name für die kleine Zahl. Zwanzig ist das zweite 10, folglich melrony kolet; Alles, was zwanzig übersteigt, wird mit Hilfe der Finger genau, oder mit amischuadly (viel) ausgedrückt.

Auf dem Marsche durch die verschiedenen Ansiedlungen längs der nördlichen Küste der Adelaide-Halbinsel erhielten wir unter anderen Nachrichten auch Kenntniß von dem Bestehen eines unversehrten Steindenkmales, und Lieutenant Schwatka mit Gilder, Tuluak und einem Eskimoführer unternahm am 5. Juni mit einem leichten Schlitten einen Ausflug dahin.

Die Aussage bewahrheitete sich. C. F. Hall hatte den Steinhaufen am 12. Mai 1869, also gerade vor circa zehn Jahren, über den Ueberresten zweier Personen (Unbekannten der verunglückten Expedition) unter den Augen der Eingebornen errichtet, und diese wußten, daß darin nichts zu finden war. Der Steinhaufen selbst ist aus flachen Thonsteinen erbaut und einer derselben trägt die eingekratzte Inschrift: Eternal honor to the discoverers of the North West Passage. (Ewiger Ruhm den Entdeckern der nordwestlichen Durchfahrt.) H., 12. Mai 1869. Mit diesem einfachen Denkmale hat der am 8. November 1871 im Commando der »Polaris« Nord-Expedition gestorbene Erbauer den Beweis geliefert, daß er, wie selbst von seinen Freunden bezweifelt wurde, die Gestade von König Wilhelms-Land selbst erreichte.

Als Beispiel, was mit Hunden bespannte Schlitten unter Führung eines geübten Eingebornen an Schnelligkeit zu leisten vermögen, sei hier erwähnt, daß der hier geschilderte Ausflug, trotzdem, daß die Wegstrecke hin und zurück 50 Meilen betrug, auch mit Einschluß eines 1 ½ stündigen Aufenthaltes, im Ganzen blos 8 ½ Stunden dauerte.

Am 10. Juni gegen Mittag erreichten wir, die schmale Simpson-Straße kreuzend, das niedrige Küstengestade von König Wilhelms-Land, und gravirten zum Zeichen unserer glücklichen Ankunft daselbst mit einem Messer die Buchstaben U. S. F. S. ( United States Franklin Search) Juni X. 1879. Alls well in einen großen Thonstein ein. Am 12. Abends erreichten wir Cap Herschel.


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