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VI.

Die eigentliche Forschung und ihre Ergebnisse. 6. Juli bis 6. August 1879.

Cap Felix. – Sommerleben der Partie. – Verfolgung der Marschlinie der Franklin'schen Leute. – Ihre Ueberreste. – Eine denkwürdige Stelle an Erebus-Bai. – Ein schönes Naturspiel. – Das Aufbrechen des Eises. – Ein mühsamer Landtransport. – Ein junger Bär. – Terror-Bai. – Des Lieutenants erstes Rennthier. – Das Ergebniß der Forschung auf Terror-Bai und Cap Crozier.

Etliche 15 bis 20 Meilen in nordnordwestlicher Richtung seewärts von Cap Felix ist der Ort, wo am 12. September 1846 die Schiffe des Sir John Franklin vom Eise im weiteren Vordringen für immer gehemmt wurden, und während einer zwanzigmonatlichen Gefangenschaft in diesem blieb sich deren Distanz zur Küste zwischen Cap Felix und Irving-Bai beinahe immer gleich. Hier also scheiterten die schönen Hoffnungen der Franklin'schen Expedition, hier begann ihre Unthätigkeit, der Anfang alles Uebels, hier forderte der Tod in Sir John Franklin, Lieutenant Graham Gore, in noch sieben anderen Officieren und weiteren fünfzehn Personen der Bemannung zahlreiche Opfer, hier wurden die Leute zum Verlassen der Schiffe gezwungen, und hier begannen für die Ueberlebenden jene furchtbaren Qualen, die nur in dem Tode als willkommenem Erlöser ihr Ende fanden. Daß der Punkt, in dem unsere Partie am 3 bis 6. Juli ihre höchste geographische Breite erreichte einst von den Officieren und Mannschaften oft besucht worden, beweist, wie schon erwähnt, nicht nur die einst hier gefundene englische Flagge, sondern auch heute noch bezeugen die mannigfaltig umherliegenden Gegenstände, daß der Ort entweder als Jagdstation oder als Observatorium benützt worden war. Zwei in der Nähe befindliche künstliche Steinhaufen sind den Blicken der zerstörungssüchtigen Eingebornen entgangen und von uns einer genauen Untersuchung unterzogen worden. Einer davon befand sich etwa zwei Meilen im Innern des Landes, war acht Fuß hoch, unversehrt und enthielt selbst nichts, während dessen Bauart, seine mit schwerem Moos bedeckten Steine und die nächste Umgebung keinen Zweifel übrig ließen, daß Weiße selbst sich hier einst ein Denkmal errichteten.

Die Visitirung des zweiten, an der Küste gelegenen, brachte als Resultat ein altes Papier zum Vorschein, das in Bleistift die Zeichnung einer zeigenden Hand in Lebensgröße enthielt, dessen unteres Ende aber leider unter den elementaren Einflüssen vermodert war. Der nach dem Süden weisende Finger hatte gewiß etwas zu bedeuten, doch die Erklärung war nicht vorhanden und der Fund hatte nur eine vergrößerte Aufmerksamkeit von unserer Seite zur Folge.

Für den Fall, daß Franklin's Expedition ihre Todten zur Beerdigung an's Land gebracht hatte, mußte in der Küstenstrecke zwischen Cap Felix und Irving Bai deren Begräbnißort liegen, da die Terrainverhältnisse ganz geeignet waren, daß Grabstätten, falls sie mit einiger Sorgfalt und Ueberlegung erbaut waren, weder durch den Zahn der Zeit, noch durch die Eingebornen derart zerstört werden konnten, um jede Spur derselben für einen beobachtenden und denkenden Menschen für immer zu verwischen.

Während unseres ganzen Aufenthaltes in dieser Gegend und am Marsche von Cap Felix südwärts, also vom 7. bis 24. Juli, gebrauchten wir im Suchen die größte Vorsicht und ließen sozusagen keinen Stein, der uns in seiner Stellung und Lage verdächtig erschien, unberührt. In einiger Entfernung von einander getrennt, begingen wir jede kleinste Aus- oder Einbuchtung der Küste und unternahmen jeden anderen Tag, unseren Lagerplatz nicht ändernd, weitere Ausflüge in's Innere des Landes, um der Ansicht mehrerer früherer Forschungsreisenden, daß Franklin's Leute die Deponirung ausführlicherer Dokumente von der Küste weiter entfernt vornahmen, Rechnung zu tragen.

Die Arbeit selbst war eine sehr mühevolle. Zu dem Einflüsse der ungewohnten, verhältnißmäßig hohen Temperatur gesellten sich die Unannehmlichkeiten eines beim Gehen ermüdenden Terrains, auch machte sich der Uebergang zur alleinigen Fleischkost an unserem Organismus in sehr unangenehmer Weise kenntlich.

Die Bodengestaltung von König Wilhelms-Land selbst gehört einer neueren Periode an und ist eine aus weißen und grauen Thonsteinlagerungen entstandene Landmasse. Die fortgesetzte Neubildung derselben wäre dem Geologen in diesen Gegenden ein dankbares Feld für sein Studium, aber auch dem aufmerksam beobachtenden Laien kann es nicht entgehen, wie langsam und doch mit Aufbietung furchtbarer Naturkräfte jährlich die gebrochenen Eismassen Stein auf Stein vom Meere heran gegen die Küsten schieben und jene terrassenförmigen Stufenschichten entstehen lassen, über deren Gleichförmigkeit und allgemeines Vorkommen an der westlichen und südlichen Küste er erstaunt ist. Die sehr langsam gegen das Innere sich hebenden Landstrecken sind im Innern von ungeheuerem Wasserreichthum und zwischen den prachtvollen Seen und Teichen erstrecken sich meilenweit die üppigsten Mooswiesen, doch werden diese gegen die Küste immer spärlicher und hören am Strande gänzlich auf. Liegt in einer kleinen Vertiefung ein wenig fruchtbarer Grund, so ist er auch mit einem ärmlichen, vom Rennthiere verachteten Moose bedeckt, grünt mit dem schmelzenden Schnee, blüht während der Dauer des kleinen Wassertümpels mit einer schwachrothen Blume, und ist todt, sobald die Sonne seine einzige Lebenskraft, das Wasser, aufgesogen hat. Im Innern ist die Flora etwas reichhaltiger, und der berühmte Botaniker Professor Dr. Moriz Willkomm, Director des k. k. botanischen Gartens zu Prag, hatte die Güte, einige Pflanzen, welche ich als die am häufigsten auf König Wilhelms-Land vorkommenden, gepflückt und mitgebracht hatte, auf mein Ersuchen zu bestimmen. Ich füge die Namen derselben für die Freunde der Botanik bei: Epilobium latilfolium L., Saxifraga cernua L., Salis Myrxiniter L., Stellaria humifura Rottb., Draba alpina L., Rubus Chamremorus L., Cineraria congesta R. Br. (eine unbestimmte Gattung Potentilla), Oxytropis arctica R. Br., Cassiope tetragonia Don. (eine mit Anthemis alpina L. verwandte Gattung) und Eiophorum Scheuchzeri Hoppe.

Aber auch dieser Schmuck ist noch eine Seltenheit im Verhältnisse zu den kleinen Thonsteinen, die meist mit ihren flachen Seiten im buntesten Gewirr durcheinander liegen, oft aber durch Frost und Kälte mit den scharfen Kanten nach aufwärts gestellt sind und für den mit schwachen Seehundssohlen versehenen Wanderer ein unangenehmes Pflaster bilden. Eine kleine Strecke sonniger Küste ist eine ebenso seltene, als erwünschte Abwechslung.

Mit den gleichen Unbehaglichkeiten, wie wir Weiße am Lande, kämpfte der unseren Schlitten über das Eis führende Tuluak.

Die Jahreszeit war selbst für die kolossalen Eismassen schon zu weit vorgerückt, und mit dem Wegschmelzen des Schnees zeigten sich breite und tiefe Risse. Die Formen des Eises traten kantiger, unebener, und für das Passiren des Schlittens hindernder auf, als zuvor, und namentlich am Abende, wenn wir durch ein verabredetes Zeichen zum Campiren den Schlitten nahe dem Lande brachten, gab es manche nasse Arbeit zu verrichten. Die dem Lande entströmenden Wassermassen hatten das Eis in der unmittelbaren Nähe der Seeküste schon geschmolzen, und nur bei Eintritt der Ebbe war es nunmehr möglich, falls man nicht tief durch's Wasser waten wollte, unsere Sachen an's Land zu schaffen.

Im Juni hatte uns der weiche Schnee viel Unangenehmes bereitet, jetzt war es das Wasser, welches uns überall hemmte. Die kleinen Wasseradern waren zu reißenden Strömen, die großen Wiesenflächen zu Morästen und jede Terrain-Niederung je nach ihrer Größe zum Teiche oder See geworden.

Wer das Naßwerden der Füße scheut, darf wahrlich im Sommer nicht nach König Wilhelms-Land gehen, denn einen ganzen Monat lang wußten wir nicht, was eine trockene Fußbekleidung ist. Die Seehundsstiefel sind sowohl, was Material als Arbeit anbelangt, vollkommen wasserdicht – doch ein Terrain, wie dieses, spottet jeder Haltbarkeit des Schuhwerkes. Unsere emsige Hausfrau war früh und spät mit den Flickarbeiten für die sechs Personen beschäftigt, und doch hatte keiner von uns ein paar ganze Sohlen.

Vom Morgen bis Abends auf dem Wege, befanden wir uns stets bei sehr gutem Appetit, für welchen das Land den Bedarf lieferte. Auf dem Lande gab es Rennthiere, auf dem Eise Seehunde, und von diesen verschaffte Tuluak genügenden Vorrath. Für Geflügel und Eier sorgten wir. Namentlich an letzteren war keine Noth, denn wo wir gingen und eine Ente oder Gans in der Nähe auffliegen sahen, dort gab's für uns einen kostenfreien Eiermarkt.

Es ist ein merkwürdiger Unterschied zwischen Winter und Sommer in diesen Gegenden. So kurz die Saison des letzteren ist, so schnell ist auch der Uebergang vom Winter zum Sommer, und wie im Nu wimmelt es dort von animalischem Leben, namentlich was Vogelgattungen anbelangt, wo früher nur Schnee und Eis war und sich allenfalls nur ein Polarbär, Fuchs oder eine Schnee-Eule aufhielt.

Von nächtlicher Ruhe war bei dem unordentlichen Leben ohne bestimmte Zeiteintheilung keine Rede. Nacht gab es keine, und wenn wir auch müde genug waren, um bei vollständiger Tageshelle zu schlafen, trat unsere unbändige Hundemeute, die bei der geringen Arbeit, die sie that, sehr gut gefüttert wurde, als Störenfried auf, und es bedurfte erst Tuluak's kräftigster Einwirkung mit Peitsche und Steinwürfen, um sie zur Ruhe zu bringen.

So führten wir ein Nomadenleben in des Wortes vollster Bedeutung und verfolgten von Irving-Bai an die Spuren des Rückzuges der Leute der Franklin'schen Expedition. Doch wie bald sahen wir deren Zahl geringer werden. An der nach Le Visconte (einem der Officiere der Expedition) benannten Landspitze fand sich wieder ein Grab, daneben, ganz wie bei der Ruhestätte des Lieutenant Irving, die seither durch Eingeborne berührten Gebeine. Die Erbauer der letzten Ruhestätte waren aber nicht mehr die starken Leute, die aus den großen Steinen eine oberirdische Gruft bauen konnten. Einige Steine, das war Alles, womit sie die Leiche umgeben hatten, und nichts deutet auf die Möglichkeit hin, den Namen des Beerdigten zu erfahren.

Den Weg, den die Unglücklichen auf ihrem traurigen Marsche genommen hatten, deuteten sicher und untrüglich eine Menge blauer Tuchflecken, Knöpfe und anderer Kleinigkeiten an, und hier und da bezeichneten in einem großen Vierecke gelegte Steine das einstmalige Vorhandensein eines Zeltes.

Hätten wir wohl die Wahrheit der eigenen Aussagen der Eskimos, wie fleißig sie einst die Westküste von König Wilhelms-Land durchsuchten, bezweifeln können, dann durften wir uns noch immer der frohen Hoffnung hingeben, einen Schlüssel zur Enthüllung des Geheimnisses jener Katastrophe zu finden – doch jene Aussagen bewahrheiteten sich nur zu genau. Auf Adelaide-Halbinsel erzählte uns ein Eskimo, daß er Blechbüchsen, Faßdauben eine Axt und andere Gegenstände gefunden, dieselben aber aus Mangel an Transportmitteln nicht mitgenommen, sondern unter Steinen versteckt habe. Als er wieder kam, habe er die Gegenstände nicht wiederfinden können. Unseren forschenden Augen entging aber selbst dieses Versteck nicht, und wir fanden genau die erwähnten Gegenstände, alle den breiten Pfeil der Königin von England als sicheres Zeichen der Echtheit tragend, wohlerhalten unter Steinen verborgen.

Mitte Juli nahmen die Schwierigkeiten des Fortkommens auf dem Eise stets zu und der stark eintretende Nebel wirkte so nachtheilig auf die Erhaltung der Eisfläche als Fahrbahn, daß wir uns nun beeilen mußten, um wenigstens noch Cap Crozier, den westlichsten Punkt der Insel, vor dem gänzlichen Aufbruch des Eises zu erreichen. Doch auch hierin sahen wir uns getäuscht.

Nachdem wir den de la Roquette-Fluß, bis über die Hüften im Wasser gehend, passirt, die denselben umgebenden Moräste knietief durchwatet hatten, wonach wir erst gegen drei Uhr Morgens wieder unseren Schlitten fanden und um fünf Uhr Morgens endlich nachtmahlten, brachen wir, es war den 21. Juli, nach 2½ Uhr Nachmittags wieder auf, um unseren Marsch fortzusetzen. Gegen 10 Uhr Nachts bemerkte Melms am Strande ganz nahe der Meeresküste drei menschliche Schädel, als wir näher traten, bot sich uns ein trauriger Anblick dar.

Wir lasen nicht weniger als 76 Menschenknochen auf, die bei oberflächlicher Untersuchung auf wenigstens vier Personen schließen ließen, welche hier ihr Leben geendet hatten.

Diese Ueberreste wurden sogleich unter einem kleinen Steindenkmal beerdigt und ein Document über den Fund beigelegt.

Aus einem Flächenraume von beinahe einer Achtel-Quadratmeile lagen die Trümmer eines großen Bootes, und unter ihnen die mannigfaltigsten Gegenstände, von denen am meisten einige Sacktücher auffielen, in welche Kugeln und Schrot, sowie auch einige Percussions-Zündhütchen eingebunden waren. Ohne Zweifel war dies derselbe Ort, wo Capitän Mc. Clintock 1859 das Boot mit den zwei Skeleten gefunden hatte und von dessen Anwesenheit die Eskimos erst durch ihn Kunde erhielten.

Noch denselben Sommer begaben sie sich hierher, wobei sie etwa eine Viertelmeile weiter landeinwärts ein zweites, ebenfalls auf einen Schlitten geladenes Boot fanden, welches früher von einer Schneewehe verdeckt gewesen war. Beide Boote wurden zerstört und alles Brauchbare mitgenommen. Nur die Schlitten zeigten sich in ihrer Form auch für die Eingebornen tauglich, existirten noch und einer derselben war schon auf Adelaide-Halbinsel von uns angekauft worden.

Capitän Mc. Clintock war bereits der Ansicht, daß hier die physische Kraft die Expedition schon so weit verlassen hatte, daß sie sich zum Stehenlassen ihrer Boote gezwungen sah, oder daß, wenn aus der Stellung der Schlitten besondere Schlüsse gemacht werden könnten, sich die Leute hier getheilt und eine Partie es vorgezogen hatte, zu den Schiffen zurückzukehren, um, auf diese vertrauend, einer Rettung mit dem abbrechenden Eise entgegenzusehen. Zwar spricht das Document von einem gänzlichen Verlassen der Schiffe, daß aber eine solche zurückkehrende Partie bestanden haben muß, findet seinen Beweis darin, daß die Eskimos auf dem an der Westküste von Adelaide-Halbinsel gestrandeten Schiffe Leute gesehen zu haben glaubten.

Von welcher Seite immer betrachtet, ist der Ort, an dem unsere Partie eben weilt, charakteristisch für die Geschichte der unglücklichen Franklin'schen Expedition, ebenso der Weg, den sie zu ihrer Rettung eingeschlagen hat. Jedenfalls müssen die hier umgekommenen Leute krank oder auf eine andere Weise marschunfähig gewesen sein. Die Anwesenheit der so einzeln herumliegenden Skelete scheint auch darauf hinzudeuten, daß die Disciplin in dem damaligen Commando der Partie bereits gelockert war.

Wir hatten uns mit der Untersuchung des Ortes ziemlich lange aufgehalten und es war kurz vor Mitternacht, als wir die verabredeten drei Signalschüsse für unseren am Eise fahrenden Schlitten abfeuerten.

Die Nacht war kalt; den kleinen Wasserpfützen nach zu urtheilen, die Temperatur wenig unter dem Gefrierpunkte, und doch war es noch immer Tag. Die Sonne berührte mit dem unteren Rande ihrer großen Scheibe gerade den Horizont, welchen eine Masse wild durcheinander geworfener Eisstücke bildete, bewegte sich mit großer Schnelligkeit an demselben fort und begann nach nur wenigen Minuten wieder zu steigen. Es war ein Sonnenunter- und Aufgang fast auf einmal, und die eigenthümliche Beleuchtung des Eises, das uns seine dunklen Schattenseiten präsentirte, im Vergleiche zu der schwach-röthlichen, glanzlosen Färbung der Sonnenscheibe selbst, bot ein Bild wunderbarer Naturschönheit. Von nun an ging auch für uns die Sonne wieder unter. »Wir haben,« sagt Lieutenant Schwatka, »die besten Preisläufer der Welt übertroffen, indem wir von Sonnen auf- bis Sonnenuntergang (1. Juni bis 22. Juli) in der Marschrichtung allein 422 Meilen zurückgelegt haben.«

So schön aber auch der Anblick der Mitternachtssonne war, an Majestät und packender Großartigkeit wurde er durch den Eintritt der lang gefürchteten Katastrophe, durch das endliche Aufbrechen des Eises unserer Fahrbahn am 24. Juli noch übertroffen.

Am genannten Tage wollten wir zeitlich, noch vor Eintritt der Hochfluth, unseren Weitermarsch fortsetzen, um unsere Ladung per Schlitten wenigstens noch bis zum Cap Crozier zu bringen, doch ein starker Nordwestwind beschleunigte den Eintritt der Fluth, und als wir mit Aufbietung aller Kräfte dennoch den Schlitten beladen wollten, bemerkten wir, wie sich die Eisfläche, sonst still und unbeweglich, ungleichförmig zu heben und zu senken begann.

Aber auch diese Bewegung dauerte nur sehr kurze Zeit, denn schon in den nächsten Augenblicken trat die Pressung des Eises von der Meerseite her ein, die kolossalen Eisstücke wurden wie Kieselsteine an den flachen Strand geworfen oder wie Dachschindeln unter- und übereinander geschoben. Es war ein seltsamer Anblick, dieses Arbeiten des Wassers und Sturmes, welche mit unbeschreiblicher Schnelligkeit an den am meisten vorspringenden Landspitzen große Massen Eis ablagerten. Das Reiben und Drücken, das Schieben und Stoßen dauerte etwa eine halbe Stunde fort, und unser Schlitten, der früher kaum 8 Zoll über dem Wasserspiegel stand, war sammt dem darunter befindlichen Eisstück, dessen Gewicht nach Tonnen zählte, von einer anderen, noch mächtigeren Eistafel gefaßt und etwa 10 bis 12 Fuß gehoben worden.

Aufbrechen des Eises.

Der Rettung unseres Schlittens galten natürlich unsere ersten Bemühungen, und als dieser durch vereinte Kraft sammt den darauf befindlichen Sachen geborgen war, erklärte Lieutenant Schwatka, daß wir nun vor Allem sämmtliche Gegenstände, Reliquien und sogar den Schlitten über die nur 13 Meilen breite Landzunge nach Terror-Bai zu schaffen hätten.

Diese Bai ist bekanntlich der Ort, wo, nach Eskimo-Aussagen, der größte Theil der Franklin'schen Expedition sein trauriges Ende fand, und es handelte sich nun darum, die Stelle zu finden, wo das bereits früher erwähnte Zelt einst gestanden hat. Von Terror-Bai aus konnten wir dann die Forschung um den westlichsten Theil der Insel fortsetzten.

Schon den folgenden Tag nahm Tuluak die Wallfischknochen-Bekleidung des Schlittens ab und Jeder von uns nahm eine Last auf den Rücken und ging damit in unserer neuen Marschrichtung fort. Den dritten Tag folgten wir mit den letzten Resten und versetzten unseren Campirungsplatz auf diese Weise etwa um eine Meile südlicher. Der Anblick unserer Colonne erhielt jetzt eher das Aussehen einer Schmugglerbande, als das einer arktischen Expedition. Jeder hatte seinen Schlafsack mit anderen Gegenständen tornisterartig auf den Rücken geschnallt, sein Gewehr und sonstiges Privateigenthum in der Hand und so ging es langsam vorwärts.

Tuluak und seine Frau trugen abwechselnd den Jungen, und die Hunde unter der speciellen Aufsicht des Arunak waren jeder mit einer Bürde beladen. Der eine hatte das Zelt, ein anderer unsere wenigen Fleischvorräthe auf dem Rücken und jedem war extra entweder eine Zeltstange oder ein Stück Brennholz angebunden worden, das er hinter sich herschleifen mußte. Sehr behaglich war diese Transportweise für Keinen, weder für Menschen noch für Hunde, welche letztere sich jeden Augenblick niederlegten oder zu unserer großen Unzufriedenheit die tiefste Stelle jeder Wasserpfütze durchwaten wollten. Am schlechtesten ging es aber mit dem Fortschaffen des Schlittens. Dieser glitt nur schlecht über die kleinen Steine und es nahm die vereinte Anstrengung sämmtlicher Personen und aller Hunde in Anspruch, um ihn über das erste Drittel der Halbinsel zu bringen. Bei dieser mühevollen Arbeit wurde Meister Schmalhans zum erstenmale Küchenmeister. Die vielen Hunde machten, trotzdem wir sie Nachts an große Steine banden, viel Lärm und verscheuchten die ohnedies spärlichen Rennthiere.

Wenn wir des Abends campirten, lief unser Nachtmahl gewöhnlich noch auf seinen vier Beinen herum und einmal mußten wir sogar 36 Stunden auf dasselbe warten. Einen besonderen Leckerbissen erhielten wir durch Tuluak's Fürsorge. Er hatte an einem Punkte der verlassenen Terror-Bai ein großes Stück Treibholz gesehen und nahm die Hunde mit, um es durch diese in's Lager schleifen zu lassen; ganz ausnahmsweise hatte er diesmal sein Gewehr nicht mitgenommen. An Ort und Stelle angelangt, bemerkte er eine große Bärin mit einem circa 3 bis 4 Monate alten Jungen. Bevor sich die beiden Bären dessen versehen konnten, hat Tuluak sämmtliche Hunde losgelassen, die Alte mit Steinwürfen tractirt, sie von ihrem Kleinen getrennt und das letztere mit einem einfachen Messer erstochen. Der alten Bärin blieb nichts übrig, als sich vor den Hunden in das offene Wasser zu flüchten, unser Jäger aber machte sich an die Arbeit und brachte den jungen Bären auf dem Holz zu uns geschleift. Bärenfleisch ist, wenn man durch Rennthierfleisch nicht verwöhnt ist, eine kräftige, wenn auch für den Sommer etwas zu thranige Nahrung, doch das Fleisch des Jungen hatte neben seiner Zartheit einen besonders pikanten Geschmack, und wir bedauerten sehr, daß die alte Bärin nicht zwei Junge hatte.

Partie nach dem Aufbrechen des Eises; vom 25. Juli bis 3. August 1879.

Der Marsch nach Süden war mühselig und langwierig und erst am 4. August erreichten wir, des Schleppens müde, mit Sack und Pack Terror-Bai. Dort war das Meer auch noch nicht ganz eisfrei, die großen Floen begrenzten der ganzen Länge nach den Horizont und selbst an der Küste trieben sich einzelne Stücke massenhaft herum. Während des Ueberganges vom nördlichen zum südlichen Theile der großen Graham Gore-Halbinsel machte sich ein bedeutender Unterschied bemerkbar. Die scharfen Thonsteine hörten auf und an ihre Stelle traten mit unserem weiteren Vordringen Wiesengründe und zahlreiche Seen. Die nächste Umgebung von Terror-Bai ist ein wahres Paradies gegen die nördlich gelegenen Theile von König Wilhelms-Land und der Reichthum an Rennthieren daselbst sehr groß. In Bezug auf Güte und Feinheit des Fleisches ließen diese Thiere jetzt nichts zu wünschen übrig. Die guten Futtergründe und der verhältnißmäßig kleine Raum, auf dem sie sich bewegen konnten, setzten am Rücken und den Rippen der Thiere bedeutende Quantitäten Talg an und wir konnten wieder einmal Steaks von Rennthierfleisch essen. Auf der Suppe, die wir aus dem Rippenstücke kochten, schwamm das Fett nicht in Augen (wie man zu sagen pflegt), sondern sammelte sich als dicke Schicht am obersten Theile der Portionen. Die paar Tage in Terror-Bai genossen wir die weit beste Küche während der ganzen Expedition. Jeder wollte Rennthiere schießen und sprang denselben fleißig nach; am theuersten bezahlte aber der Lieutenant seinen ersten Bock.

Der Küste nachgehend, sah er hinter einem Hügel ein prächtiges Geweih, er schlich sich an und feuerte, tödtete das Thier aber nicht, sondern zerschmetterte demselben ein Hinterbein. Für den Hirsch gab es nur einen Weg, und der war, in das Meer zu gehen, eine kurze Strecke im seichten Wasser fortzuwaten und dann auf eines der nahe liegenden Eisstücke zu klimmen. Dort traf ihn die zweite Kugel des Lieutenants, er brach zusammen und war todt. Nun war es aber Sitte bei uns, daß Jemand, wenn er das Fleisch eines erlegten Thieres nicht gleich mitbrachte, sondern unter Steinen deponirte, stets ein Zeugniß mitbringen mußte, welches ihn zum Eintragen einer Einheit in die Jagdergebnisse und das Schießbuch der Partie berechtigte. Die Zunge, die Leber, ja selbst die Ohren genügten zu diesem Zwecke.

Lieutenant Schwatka, schon von dem fernen Westen Amerikas her ein guter Jäger, konnte sich unmöglich diese Einheit, noch weniger sein erstes Rennthier entgehen lassen, und mußte daher in's Wasser steigen, um seinen Bock in's Trockene zu bringen. Ich stand eben am Kochkessel, als er über dem nahen Hügel erschien; doch konnte ich nicht begreifen, weshalb er sein rothes Taschentuch und noch einen anderen Gegenstand am Gewehre hängen hatte. In dem rothen Tuche hatte er in früheren Tagen manches Dutzend Eier nach Hause gebracht – doch jetzt Eier, im August – die würden sonderbar in meine Küche passen. Wir Alle schauten und behaupteten Verschiedenes, unter Anderem auch, daß er irgend eine Reliquie gefunden habe, sahen auch scharf durch das Fernrohr – daß der Lieutenant aber seine durch das Waten durch's Wasser naß gewordene Unterhose am Gewehrlauf aufgehängt hatte, daran dachte Niemand.

Die Erzählung seines Abenteuers war gelungen anzuhören, doch noch lieber wäre es mir gewesen, wenn ich ungesehener Zeuge des Vorfalles gewesen wäre und ihn hätte skizziren können, als er im Hemd und Unterhosen über die Hüften im kalten Eiswasser stehend, seine Beute bei den Hörnern vom Eisstücke nach dem Lande hinter sich herzog.

Doch genug der Anekdoten, wir sind als Forschungspartie hier.

Die vorgerückte Jahreszeit mahnte zur Eile und wir hatten vor dem ersten Schneefalle, der unserer Arbeit einen schnellen Abschluß machen dürfte, eine noch sehr große Strecke des Landes zu begehen. Unsere Theilung war deswegen eine Nothwendigkeit, und während ich es dem Leser in dem kommenden Capitel überlasse, meine Partie zu begleiten, will ich der zeitgemäßen Ordnung etwas vorgreifen und mit Lieutenant Schwatka und Gilder die Begehung des westlichsten Theiles von König Wilhelms-Land beendigen.

Die Begehung wurde pedantisch durchgeführt, doch was den Erfolg anbelangt, so ist er in wenigen Worten wiedergegeben.

Von dem ehemaligen Standpunkte des Zeltes war nicht nur nichts zu finden, sondern eine nochmalige Nachfrage bei der einstigen Finderin darüber ergab, daß schon vor etwa sechs Jahren (sechs Sommer nach ihrer Ausdrucksweise), um welche Zeit die Frau den Platz zum letztenmale besucht hatte, jede Spur verwischt war.

Die Begehung von Cap Crozier wurde auch durchgeführt, doch außer dem Schädel eines Weißen für den Erfolg der Forschung nichts Bemerkenswerthes gefunden. Die beiden Herren verblieben einen ganzen Monat in der Gegend, deponirten die Reliquien, sowie auch den Schlitten so, daß er beim Beginne des Winters leicht wieder gefunden werden konnte, und wendeten sich, als Melms und Tuluak zurückkehrten und die sehr gewünschte Fußbekleidung brachten, dem südöstlichen Theile der Insel zu.


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