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V.

Von Cap Herschel nach Cap Felix. 12. Juni bis 3. Juli.

Ein altes Steindenkmal. – Die Theilung der Partie. – Das letzte Brot. – Beschwerliche Märsche. – Eine Ueberraschung. – Kreuzung von Erebus-Bai. – Das erste Grab. – Die Funde an Irwing-Bai. – Cap Felix. – Eine Bärenjagd.

In der Geschichte der Polarreisen ist Cap Herschel wegen eines Steindenkmales bekannt, welches die Polarreisenden Dease und Simpson am 25. August 1839 zur Bezeichnung des nördlichsten, von ihnen erreichten Punktes errichteten. Der Cairn wurde zwar von den Eingebornen theilweise demolirt, doch hat sich noch ein hinreichend großer Theil erhalten, um seinen Standpunkt angeben zu können. Obzwar Cap Herschel nie, weder von den Eingebornen, noch von früheren Reisenden, als ein von der Franklin'schen Expedition speciell berührter Punkt angegeben wurde, so wird doch eine solche Vermuthung rege durch 12 – 15 Steinhaufen, die, in der nächsten Nähe des erwähnten Cairn stehend, Gräbern sehr ähnlich sehen.

Bei unserem diesmaligen Aufenthalte ließ sich jedoch, da der Schnee noch hoch lag, darüber nichts Bestimmtes sagen, und wir mußten es einer späteren Periode überlassen, diese Stellen genauer zu untersuchen.

Mit dem Erreichen des Cap Herschel waren wir am Anfangspunkte unserer Forschung angelangt. Zur Durchführung derselben konnten wir die mitgebrachten Eskimos nicht verwenden, und Lieutenant Schwatka ließ diese mit der Weisung zurück, hier oder auf Adelaide-Halbinsel für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und durch fleißigen Seehundsfang hinlänglich Thranöl für den Retourmarsch nach Hudsons-Bai einzulegen. Nur eine Familie sollte uns begleiten. Tuluak hatte sich durch Energie und Geschicklichkeit Aller Achtung und Vertrauen erworben, und was seine Fähigkeiten als Jäger anbelangt, so waren wir gewiß, daß er und sein Repetirgewehr (ein Geschenk der Firma Winchester und Sohn) im Stande waren, uns zu ernähren. Täglich sahen wir Rennthierheerden vom Hauptlande herüber auf die Insel kommen, und der Aussage der Netchilliks zufolge soll König Wilhelms-Land im Sommer keinen Mangel an Wild leiden.

Eskimo Joe wurde beauftragt, nach besten Kräften für die Erhaltung und sichere Aufbewahrung unserer Vorräthe an Munition ec. zu sorgen, und falls sich König Wilhelms-Land wider Vermuthen zu wildarm zeigen sollte, um die unter seiner Aufsicht zurückgebliebenen Eskimos zu ernähren, und diese daher sich gezwungen sähen, nach dem Hauptlande zu gehen, sollte er mit Ausnahme des Kajeks die gesamten Vorräthe mit sich nehmen. Das Seehundsboot war aber unter allen Bedingungen in vollkommen gebrauchsfähigem Zustande an diesem Punkte zurückzulassen und sollte durch seine Stellung uns die Richtung andeuten, in welcher Joe sich mit unserem Depot befand.

Die letzten Schneehütten auf Cap Herschel.

Der 15. Juni ist für die Partie ein denkwürdiger Tag. In der letzten Schneehütte für diese Saison wurde heute der letzte Rest unserer Vorräthe an Zwieback an die Eskimos, die per Kopf seit unserem Abmarsch von Hudsons-Bai täglich mit ½ Pfund bedacht worden, vertheilt, und wir selbst verzehrten die letzten Krümchen zum Abendessen. (Siehe Illustration Seite 89.) Für die nächsten acht Monate mußten wir somit des Brotes entbehren, und bald war Fleischkost allein unsere einzige Nahrung.

Ein Käse, 40 Pfund gepreßten Fleisches und ebensoviel Kornstärke war alles Eßbare, was auf dem Schlitten lag, als wir am 17. Juni Morgens Eskimo Joe und seine Partie verließen, um, quer durch's Land gehend, noch vor dem Schwinden des Schnees den nördlichsten Punkt von König Wilhelms-Land, Cap Felix, zu erreichen. Es war ein hartes Stück Arbeit, täglich 10 bis 12 Meilen vorzudringen, und nur Derjenige kann sich einen Begriff von den Beschwerden des Unternehmens machen, der täglich Schritt für Schritt entweder durch 12 bis 18 Zoll tiefes Wasser watete oder knietief in den breiigen Schnee sank. Die Sonne hatte aufgehört, Tag und Nacht zu scheiden, und wenn die Temperatur zeitweise auch noch die Bildung dünner Eiskrusten ermöglichte, so war es doch auch hierzulande Sommer geworden und die unermeßlichen Schneefelder verwandelten sich bei der sehr flachen, nur leicht hügeligen Terrainformation in große, lagunenartige Wasseransammlungen, welche die unter dem Schnee befindlichen, jetzt sichtbar werdenden Mooswiesen in beinahe unpassirbare Moräste umänderten. Jeder Tritt war unsicher, und namentlich waren es die Schnee-Anwehungen, die, bodenlos, den Uebergang für Menschen und Hunde erschwerten. Unter solchen Umständen schien uns die Distanz bis zum Collinson-Golf, zu dessen nächster Erreichung wir nach den Karten eine nordnordwestliche Richtung eingeschlagen hatten, viel zu groß, doch noch größer war unser Erstaunen, als wir am 20. Abends mit dem Fernrohre in nördlicher Richtung unebenes Meereis sahen. Sollten die Karten eine so große Abweichung von der richtigen Landform haben? Es klingt das für die Glaubwürdigkeit der bisherigen kartographischen Darstellung dieser arktischen Gegenden freilich nicht sehr günstig, und doch haben wir am folgenden Tage die Erebus-Bai, die wir weiter westlich dachten, erreicht und setzten, der Küste folgend, unseren Marsch aus dem Eise weiter fort. Am Abende des 31. fanden wir zu unserer Befriedigung auch ein großes Stück Treibholz und konnten also hoffen, für die Bereitung unserer Mahlzeiten auch Brennmaterial zu finden.

Der 22. Juni steht in unseren Journalen schwarz angeschrieben, denn an diesem Tage erreichten die Mühseligkeiten des Marsches ihren Gipfelpunkt. Das Eis der Victoria-Straße, welche die nordwestliche Küste dieses Landes bespült, gehörte keinesfalls einer neuen, letztherbstlichen Formation an, sondern bestand aus großen und kleinen Eisschollen, die weiter im Norden gebildet, durch die Strömung südlich getrieben und durch die Herbststürme hier in wildem Chaos kurz vor dem Zusammengefrieren abgelagert wurden. Aus einer Gruppe scharfkantiger Eisstücke ragt hie und da ein kleiner Eisberg hervor, während sich zwischen allen weiche Schneebänke oder Wasserpfützen befinden und ein halbwegs mit dem Schlitten passirbarer Weg nur mit Mühe und auf Umwegen zu finden ist. Tuluak's Frau, die mit einem wohlgenährten Jungen am Rücken mit Mühe und der äußersten körperlichen Anstrengung von Eisstück zu Eisstück hüpft, um nicht ganz durch's Wasser zu müssen, ist Gegenstand allgemeinen Mitleids, doch diese Beiden wie sonst auf dem Schlitten fortzubringen, ist unmöglich. Dieser selbst bleibt alle Augenblicke stecken und die Hunde allein sind nicht im Stande, ihn auch nur um ein Haarbreit fortzubringen, wenn er gegen verdecktes Eis stößt, halb in Schnee oder eine seiner Schleifen in einen der vielen unsichtbaren Eisrisse versinkt. Da ist Tuluak der Mann, der mit seinem großen Messer oft ein Stück Eis abmeißelnd, uns mit Peitsche, Stimme und starkem Arm aus der Schlappe zieht, und ein Jeder von uns Weißen hat sein Zuggeschirr schon lange am Schlitten befestigt und hebt, zieht oder schiebt aus Leibeskräften. (Siehe Illustration Seite 97.) So geht's 10 lange Meilen fort. Noch nie sind die steinigen Hügel der monotonen Küste uns willkommener gewesen, als an diesem Abend, und noch nie hätte ein gut gekochtes Nachtessen besser geschmeckt als heute, wo wir unseren einzigen Kochkessel an einem Stücke Eise zum unbrauchbaren Krüppel zerschlagen haben. Tuluak hat seit unserem Verlassen des Cap Herschel bereits manches Stück Fleisch von der Jagd heimgebracht, Enten, Gänse und Schwäne sind überall in Ueberfluß, die Zeit des Eierlegens ist gekommen, Treibholz als Brennmaterial ist auch zu finden, und wir haben – o Jammer! keinen Kochkessel.

Im Weitermarsche brauchten wir des noch immer nicht gänzlich geschmolzenen Schnees wegen nicht mehr zu eilen und hielten fleißig Rasttage, die benützt wurden, um die Gegend zu durchstreifen und uns für die genaue Begehung vorzubereiten.

An der Franklin-Landspitze fanden wir in einem Steinhaufen, der einem über dem Boden gemachten Grabe ähnlich sah, einen Schädel, den Lieutenant Schwatka sofort als den eines Weißen erklärte. Derselbe wurde nach einer genauen Durchsuchung des Grabes wieder bestattet und die Stelle durch ein kleines Monument markirt.

Ein anderesmal, am 27., gingen ich und Franz Melms der Küste entlang auf die Victory-Landspitze zu, wo Sir James Roß auf einer seiner Reisen eine Steinsäule errichtete. Melms fand nahe an der Wasserlinie ein Band aus Segeltuch (wie man es zum Ziehen von Schlitten verwendet), das mit einem T 11 gezeichnet war, und während er am Platze nähere Umschau hielt, sah ich einen Steinhaufen und neben diesem einen menschlichen Schädel. Es war ein Grab aus flachen Thonsteinen, einer Gruft ähnlich, aber oberhalb des Bodens gebaut, war seinerzeit überdeckt und augenscheinlich schon Gegenstand einer Durchsuchung gewesen. Der Schädel (unstreitig der eines Weißen), sowie andere menschliche Gebeine lagen außerhalb, und im Grabe wucherte üppiges Moos auf blauen Tuchüberresten, die, den Knöpfen und der seinen Textur nach zu urtheilen, einst einer englischen Officiers-Uniform angehört haben. Ein seidenes Taschentuch in merkwürdig gut erhaltenem Zustande lag am Kopfende und oberhalb desselben auf einem Steine offen und frei eine 2½ bis 2¾ Zoll im Durchmesser messende silberne Medaille. Daß diese Denkmünze den Augen der Eingebornen entgangen ist, kann ich nur dem Umstande zuschreiben, daß sie entweder durch liegenden Schnee verdeckt oder daß die Beute der Eingebornen ohnehin groß war und sie in der Freude darüber das Silberstück übersahen, welches selbst mir im ersten Augenblicke, seiner gleichen Farbe mit dem Steine halber, nicht auffiel. Das solide Silberstück enthält auf der einen Seite das Reliefbild des englischen Königs mit der Umschrift: »Georgius IIII.  D.  G. Britan. Rex 1820«; auf der anderen einen Lorbeerkranz, außerhalb desselben die Rundschrift: »Second Mathematical Price, Royal Naval College« und innerhalb: »Awarded to John Irving, Midsummer 1830« eingravirt. Die Münze war dem Gestorbenen (Lieutenant des Schiffes »Terror«) etwa 30 Jahre früher mit in's Grab gegeben worden, hat sogar in der langen Zeit auf dem Steine einen Eindruck hinterlassen und diente schließlich als Beweis der Identität des Begrabenen.

Keine hundert Schritte von der Meeresküste waren die Ueberreste eines zusammengeworfenen, künstlichen Steinhaufens, ein Haufen alter Kleider und eine große Zahl von Gegenständen, die offenbar zur Ausrüstung einer arktischen Expedition gehörten. Unter Anderem vier Kochöfen mit Kesseln und sonstigem Zubehör. Auf eine kurze Strecke der Küste entlang lagen Theile von Kleidungsstücken, aus wollenen Decken genähte Strümpfe und Fäustlinge, Rasirmesser ec. ec., sowie auch der Turniquet eines Wundarztes. Ein irdener Krug enthielt als Brandeindruck die Worte: »R. Wheatly, Wine and Spirite Merchant, Greenhite, Kent« und eine Bürste mit dem in's Holz geschnittenen Namen »H. Wilks«.

So mannigfaltig die Natur der umherliegenden Gegenstände auch war und so eindringlich auch die kommenden Tage durch uns gesucht wurde, es kam nichts zum Vorschein, das nähere Aufklärung zu geben versprach. Ein einfaches Notizbuch wäre ein Fund gewesen, dessen Tragweite auf dem Gebiete der Forschung zu großen Errungenschaften hätte führen können. Doch es war zu spät, 31 lange Winter sind über diese Stelle gezogen, seitdem Franklin's Leute im April 1848 drei Tage lang hier campirten.

Die historische Bedeutung des Ortes (ich greife des besseren Zusammenhanges willen hier der chronologischen Ordnung meiner Schilderung vor) wurde uns erst klar, als wir etwa 14 Tage später wieder an dem Orte weilten, um auf dem Grabe Irving's, dessen Ueberreste die Partie (um sie vor nochmaliger Ausgrabung zu schützen) zur Uebersendung nach England mitnahm, ein Monument zu errichten. Tuluak und seine bessere Ehehälfte sahen sich am Platze nach neuen Funden um, und Letztere entdeckte zwischen drei Steinen etwa vier bis fünf Fuß von dem schon erwähnten Steinhaufen ein Papier, das sich als ein Brief des Capitäns Mc. Clintock herausstellte. Der Brief enthielt eine wortgetreue Copie des Original-Documentes, das Franklin's Leute hier in einem Steinhaufen deponirt hatten, und lautet in deutscher Uebersetzung wie folgt:

 

7. Mai 1859.

Nördl. Breite 69º 38', westl. Länge 98º 41'.

Dieser Steinhaufen wurde gestern von einer Partie der Lady Franklin'schen Forschungs-Yacht »Fox«, welche gegenwärtig in Bellot Strait wintert, gefunden und enthielt eine Notiz, von welcher Nachstehendes eine genaue Copie ist:

»28. Mai 1847.

Ihrer Majestät Schiffe »Erebus« und »Terror« winterten im Eise in einer nördlichen Breite von 70º 5', westlichen Länge von 98º 23', nachdem sie an Beechy Island (nördl. Breite 74º 43' 23", westliche Länge 91º 39' 15") den vorigen Winter (1845–46) zubrachten und dorthin von Wellington Channel, welcher bis zur nördl. Breite von 77º verfolgt wurde, um Cornwallis Island herum gelangten.

Sir John Franklin, Commandant der Expedition – Alles wohl.

Eine Partie, bestehend aus 2 Officieren und 6 Mann, verließ die Schiffe am Montag, den 24. Mai.

Gez. Graham Gore. Charles F. D. Baux.«

 

Dieses war geschrieben auf ein gedrucktes Formular, welches in sechs Sprachen die Bitte enthielt, daß, wenn gefunden, das Papier der britischen Admiralität eingehändigt werden möge. Am Rande des Papieres war geschrieben:

 

»25. April 1848.

Ihrer Majestät Schiffe »Erebus« und »Terror« wurden am 22. April 15 Meilen nordnordwestlich von hier verlassen, nachdem sie seit dem 12. September 1846 vom Eise umschlossen waren. Die Officiere und Mannschaften, 105 an Zahl, unter dem Commando des Capitäns F. R. M. Crozier, landeten hier in einer nördlichen Breite von 69 Grad 37' 12" und westlichen Länge 98 Grad 41'. Dieses Papier wurde von Lieutenant Irving unter einem Steinhaufen, 4 Meilen nördlich von hier, gefunden, der vermuthlich durch Sir James Roß im Jahre 1831 gebaut ward, und wo es durch den seither verstorbenen Commandanten Gore im Juni 1847 wieder deponirt wurde. Das Papier ist dann nach dieser Stelle gebracht worden und ein Steindenkmal wurde ... errichtet. Sir John Franklin ist am 7. Juni 1847 gestorben, und der Gesammtverlust an Todten war 9 Officiere und 15 Mann.

Gez. F. M. Crozier, Capitän und ältester Officier.

James Fitzjames, Capitän J. M S. »Erebus«.

Wir brechen morgen nach dem Backs-Flusse auf.«

 

Bei diesem Steindenkmale, welches wir gestern Mittags erreichten, scheinen die letzten Mannschaften eine Auswahl von Reisematerial gemacht und alles Ueberzählige in der Umgebung liegen gelassen zu haben. Ich verblieb bis beinahe heute Mittag, nach Reliquien suchend, am Platze. Ein anderes Papier ist nicht gefunden worden. Es ist mein Vorhaben, die Küste nach dem Südwesten zu verfolgen und nach dem Wrack eines Schiffes zu sehen, das nach Eskimo-Aussage sich am Strande befindet.

Drei andere Steinhaufen sind zwischen hier und Cap Felix gefunden worden, sie enthalten nicht ... darüber.

Gez. William R. Hobson,

Lieutenant im Commando der Partie.

Dieses Papier ist eine Copie des Documentes. zurückgelassen von Capitän Crozier, als er sich mit den Mannschaften des »Erebus« und »Terror« nach dem Backs-Flusse zurückzog.

Die Nachricht von der Entdeckung durch Lieutenant R. W. Hobson ist für mich bestimmt, da die Eingebornen einen 1831 errichteten Steinhaufen hier zusammengerissen zu haben scheinen. Ich beabsichtige, ein ähnliches Document 10 Fuß nördlich von der Mitte dieses Steinhaufens und einen Fuß unter dem Grunde zu vergraben.

F. L. Mc. Clintock,

Capitän der engl. Kriegsflotte.

 

Das Papier ist seit Mai 1859, also volle 20 Jahre hier gelegen, und sein Fund versetzte uns in große Aufregung. Jeder von uns glaubte hierin ein neues, noch unbekanntes Document gefunden zu haben, und selbst Tuluak, der mit freudestrahlendem Gesichte uns den glücklichen Fund seiner Frau überbrachte, schien die Tragweite eines beschriebenen Papieres zu kennen. Ist es auch nur die Copie eines (wie wir später erfuhren) bekannten Schriftstückes, so ist sein Wiederfinden doch ein Beweis, einestheils, daß Documente, wenn gehörig deponirt, und namentlich, wenn sie mit Bleistift geschrieben sind, leserlich bleiben, anderntheils aber, daß unsere Forschung keine nur oberflächliche war.

Die Küste zweiter verfolgend, fanden wir den Schnee meistens geschmolzen, und als wir am 3. Juli durch eine zweite Ansammlung von Ueberresten der Franklin'schen Expedition im Marsche aufgehalten wurden, wendete sich das Land etwa eine Meile nördlich von uns dem Osten zu. Wir hatten Cap Felix, den nördlichsten Punkt dieser Insel, erreicht. Nahe der Küste stand ein jedenfalls von Menschenhand aufgeführter und theilweise wieder zusammengerissener Cairn, und um diesen lagen leere und gebrochene Bierflaschen, ein Zeichen, daß Menschen hier einst in besseren Verhältnissen lebten, als heute wir. Segeltuch, wollene Decken ec. waren im wirren Durcheinander zu sehen, und nach den Berichten der Mc. Clintock'schen Expedition muß dieser Ort es auch gewesen sein, an welchem Lieutenant Hobson 1859 eine englische Flagge fand.

Cap Felix.

Die Fernsicht, so weit das Auge reichte, bot nichts als Eis, eine öde, aus einem Gemisch großer und kleiner Eisstücke zusammengeworfene Eisfläche, jenseits welcher am nordöstlichen Horizonte ein dunkelschwarzgrauer Strich die Küste der Halbinsel Boothia Felix kennzeichnete.

Der Uebergang über die Erebus-Bai

Den 4. Juli als 103. Geburtstag der Vereinigten Staaten von Nordamerika feierten wir hier durch Hissen unserer Expeditionsflagge und mit der Erlegung eines großen Polarbären, dessen Fleisch unseren Hunden manche gute Fütterung versprach. Der unheimliche Geselle war etwa sechs Meilen seewärts mit dem Vertilgen eines Seehundes beschäftigt, als Tuluak seiner durch ein Fernrohr ansichtig wurde.

Mit Franz Melms und einem 14jährigen Jungen begann er auf dem leichten, mit 12 Hunden bespannten Schlitten sogleich dessen Verfolgung. »In weniger als einer Stunde waren wir,« so erzählt mein Kamerad, »dem Bären auf etwa 4–500 Schritte nahe. Im Angesichte seiner Verfolger suchte der Weißpelz sein Heil in der Flucht; doch zu spät. Tuluak hatte von dreien seiner besten Hunde die Zugstränge bereits durchschnitten und diese setzten der Beute nach, während die anderen mit dem Schlitten über holperige Eisstücke und tiefe Wasserpfützen dahinter herjagten. Ein Bär kommt trotz seiner Schwerfälligkeit, wenn verfolgt, rasch vorwärts, und falls offenes Wasser in der Nähe, ist dieses stets der Zielpunkt seiner Flucht. Doch der Schlitten gewinnt an Raum, schon hat Tuluak sein Magazin-Gewehr mit neun Schüssen bereit, und das Messer im Munde haltend, peitscht er die Hunde vorwärts. Der Schlitten fliegt durch und über alle Hindernisse und die drei auf dem Schlitten Sitzenden haben Alles aufzubieten, um darauf zu bleiben. Drei andere Hunde werden losgelassen, der Bär hat aufgehört, zu rennen, sucht sich an einem hohen Eisstücke eine günstige Defensivposition und wehrt die sechs unheimlichen Creaturen ab, die hier und dort an seinem Pelze zupfen und die Aufmerksamkeit des Bären vom Jäger ablenken. Tuluak's Zeit ist gekommen. Aus der Distanz von 25 Schritt feuert er den ersten Schuß, einen zweiten – der Bär fällt nicht, kratzt sich jedoch hinter den Ohren und stürzt auf Tuluak los. Dieser springt zurück und mit neuer Wuth ergreifen die Hunde die Partei ihres Herrn, der mit einem weiteren Schusse das Herz seines Verfolgers trifft und diesen zu Boden streckt. Die heiße Kampfscene hat ein Ende und in wilder Ungeduld verlangen mit Bellen und Heulen die Hunde ihren Antheil. Aus einem Kopftheile des Bären zieht unser Held eine Kugel, die, obzwar nur auf 25 Schritte abgeschossen, nicht durch den Knochen drang und ganz flach geschlagen wurde. Das Fell des erlegten Bären maß von der Schnauze über den ganzen Rücken 10' und 4". Schon den folgenden Tag kam ein anderes Riesenexemplar unserem Zelte bis auf 300 Schritte nahe, wurde aber durch einen Gewehrschuß verwundet und suchte das Weite. Polarbären sind in dieser Gegend keine Seltenheit, kommen, wenn hungrig, zur Winterszeit bis an die Schneehütten, und die Netchilliks haben mit ihnen manch' muthiges Handgemenge zu bestehen.


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